Es war eine leise, pragmatische Vereinbarung – mit ungeahnten und bis heute prägenden Folgen für die deutsche Gesellschaft. In einem zweiseitigen Dokument regelte das Auswärtige Amt in Bonn mit der türkischen Botschaft am 30. Oktober 1961 die Entsendung von Arbeitskräften aus der Türkei nach Deutschland: das sogenannte Anwerbeabkommen. Nach den Abkommen mit Italien, Spanien und Griechenland konnten sich nun auch türkische Arbeiter für eine Stelle in Deutschland bewerben. Es kamen Schreiner und Maschinenschlosser, Bauern und Bauarbeiter, Ungelernte und Ausgebildete, Männer und Frauen. Heute bilden Menschen mit türkischer Herkunft eine der größten ethnischen Minderheiten in Deutschland.

Dorte Huneke
Von der Fremde zur Heimat
Vor 50 Jahren, am 30. Oktober 1961, schloss die Bundesrepublik ein Anwerbeabkommen mit der Türkei. Es war eine pragmatische Vereinbarung – mit prägenden Folgen für die deutsche Gesellschaft.

Portraits
Zuwanderer aus der Türkei erinnern sich
In Deutschland nannte man die Arbeitskräfte aus der Türkei und anderen südeuropäischen Ländern Gastarbeiter. In der türkischen Sprache wurde in diesen Jahren das Wort "Gurbet", was so viel bedeutet wie "die Fremde", zum Synonym für Deutschland. Aus dieser Fremde berichteten türkische Arbeitkräfte von ihren Erfahrungen.
Zeitleiste
Geschichte des Anwerbeabkommens mit der Türkei
Arbeitsmigration hat die deutsch-türkischen Beziehungen schon seit Jahrzehnten geprägt. Sie beginnt mit dem Bau der Bagdadbahn Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts durch deutsche Ingenieure. Ein kleiner visueller Überblick bis zum Anwerbestopp türkischer Arbeitskräfte 1973.
Bildergalerie
Ausreise und Ankunft in der Bundesrepublik
Die Bildergalerie schildert die ersten Momente türkischer Arbeitnehmer von ihrer Bewerbung in Istanbul, ihrer Ausreise mit den Sonderzügen und ihrer Ankunft in Deutschland. Fast vier Millionen Menschen reisten als Folge des Anwerbeabkommens von 1961 als "Gastarbeiter" oder als Familienangehörige nach Deutschland. Über zwei Millionen von ihnen blieben.
Jeannette Goddar
"Das ist meine Welt! Da muss ich hin!"
Selahattin Biner kam aus einer kleinen Stadt in der Nähe von Edirne in der Türkei. Er war ausgebildeter Modellschreiner und ging 1964 mit zwei Freunden als Gastarbeiter nach Deutschland. Beinahe ein halbes Jahrhundert später haben seine Frau und er nach der zweiten in Deutschland noch eine dritte Heimat gefunden.

Dorte Huneke
"Das mit dem großen Streik war nicht meine Idee"
1962 kam Salih Güldiken nach Deutschland um sich das Geld für einen Autokauf zu verdienen. Doch dann arbeitete er sich bei Ford vom Fließband bis zum Aufsichtsrat hoch und ist bis heute in Deutschland geblieben.

Jeannette Goddar
"Ich kannte doch nur mein Dorf"
Saliha Çukurs Mann arbeitet in Ankara in einem Bergwerk. Nach Deutschland ließ man ihn nicht, daher bewirbt sie sich. Doch Saliha kann nicht lesen – ein Ausschlusskriterium. Aber sie lernt es in einem Monat.
Dorte Huneke
"Mit den Peitschenstriemen der Armut kam ich hierher"
November 1961: Im zweiten Zug aus Istanbul nach München sitzt Ali Başar. Ohne Ausbildung, ohne Sprachkenntnisse, ohne Geld kommt der heute 79-Jährige ins Ruhrgebiet.

Jan Hanrath
Vielfalt der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland
Obwohl die türkeistämmige Bevölkerung in Deutschland sehr heterogen ist, wird sie häufig als geschlossene Gruppe wahrgenommen. Ihre Vielfalt wird anhand der Migrationsgeschichte, dem ethno-religiösen Hintergrund, dem Integrationsgrad sowie an Intragruppenkonflikten verdeutlicht.

Stefan Luft
Skandal und Konflikt: Deutsch-türkische Themen
Deutsch-türkische Themen waren stets von Skandalisierungen geprägt. Dies verstellt den Blick auf die Mechanismen von Integrationsprozessen. Probleme ansprechen, Fortschritte und Chancen wahrnehmen: Integrationspolitischer Realismus ist nötiger denn je.
Wortlaut der Anweisung
Anwerbestopp 1973
Der originale Wortlaut der Anweisung des damaligen Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, Walter Arendt, über den Anwerbestopp ausländischer Arbeitnehmer vom 23.11.1973. Quelle: Bundesarchiv
Deutsch-türkische Vereinbarung vom 30. Oktober 1961
Regelung der Vermittlung türkischer Arbeitnehmer nach der Bundesrepublik Deutschland
Das Anwerbeabkommen zwischen der BRD und der Türkei aus dem Jahr 1961 im Wortlaut. Ein Text, der die deutsch-türkischen Beziehungen von Grund auf verändern sollte.
Stefan Luft
"Gastarbeiter": Niederlassungsprozesse und regionale Verteilung
Viele Einwanderer waren zunächst in Wohnhei-
men der Unternehmen untergebracht. Dr. Stefan Luft erläutert die Niederlassungsprozesse und regionale Verteilung der Arbeitnehmer, die aus der Türkei nach Deutschland kamen und wo sie heute wohnen.
Dossier
Grundlagendossier Migration
16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben 2010 allein in Deutschland. Was bedeutet das für die Integration? Wie sieht das Asyl- und Zuwanderungsrecht in Europa aus, und welche globalen Trends zeichnen sich ab?