Propaganda 4.0 von Europas Rechtspopulisten
Rechtspopulistische Akteure verfolgen häufig eine spezifische Medienstrategie. Online-Kanäle können dabei als Alternativmedien mit erheblicher Reichweite fungieren. Die Wirkmacht dieser Gegenöffentlichkeit entsteht auch durch die gemeinsame Verbreitung bestimmter Narrative.
Es gibt Ursachen für und Mittel zum Erfolg rechtspopulistischer Kräfte in heutigen westlichen Demokratien. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Der gesellschaftliche Kontext wie etwa Wirtschafts- und Währungskrisen, Migrationsbewegungen oder soziale Ungleichheit sind dabei eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für den Aufstieg von Rechtspopulisten. Erst durch den Einsatz eines organisatorisch-kommunikativen Instrumentariums kann auf Basis der gesellschaftlichen Umstände politische Unterstützung mobilisiert werden. Mit anderen Worten: Der Rechtspopulismus ist nicht allein ein politisches, sondern maßgeblich auch ein kommunikatives Phänomen. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass Rechtspopulismus, genauso wie Populismus im Allgemeinen, primär als politischer Kommunikationsstil verstanden werden sollte. Die Definition von Populismus allein als eine vereinfachte, emotionale, bürgernahe Form der Politikvermittlung ignoriert den ideologischen Kern von Populismus. Dieser denkt das Volk als eine homogene Gruppe, die von einer korrupten Eliten und den "Fremden" bedroht wird und einzig und allein durch den Populisten eine Stimme und wahrhaftige Vertretung findet.[1] Dieser "dünne" ideologische Kern ist das zentrale Unterscheidungsmerkmal zu anderen politischen Kräften. Charakteristisch, aber eben nicht determinierend, ist für viele Populisten aber dennoch ein höchsteffektiver Kommunikationsstil, der vereinfacht, emotionalisiert, polarisiert, skandalisiert und damit Menschen mobilisiert und öffentliche Diskurse verändern kann.
Medienstrategie "Propaganda 4.0"
Die Medienstrategie, mittels derer rechtspopulistische Kräfte auch in Europa zu Spitzenverdienern der Aufmerksamkeitsökonomie geworden sind, lässt sich als "Propaganda 4.0" modellieren.[2] Darunter ist ein neuartiger Typ der politischen PR zu verstehen, der seine Wirkmacht durch das integrative Zusammenspiel digitaler und klassischer Kommunikationsformen entfaltet. Die Propaganda 4.0 besteht aus vier Elementen:Der Delegitimierung der klassischen Medien, der Schaffung digitaler Alternativmedien, der Bildung einer kollektiven Identität mit Hilfe dieser eigenen Digitalkanäle sowie ein zunächst schizophren anmutendes, aber in Wahrheit strategisch-instrumentelles Verhältnis zu journalistischen Massenmedien. Im Folgenden werden zwei dieser vier Bestandteile der rechtspopulistischen Medienstrategie genauer beschrieben: das Netzwerk sogenannter neurechter "Alternativmedien" sowie die Schaffung einer kollektiven Identität unter den Anhängern, die auf der Abgrenzung zu den etablierten Parteien als politischen Repräsentanten und den etablierten Medien als Repräsentations- und Deutungsraum für gesellschaftliche Zustände beruht.
Europäische Gegenöffentlichkeit der Rechtspopulisten
Den Bedarf nach alternativen Informationsquellen in Teilen der Gesellschaft haben rechtspopulistische Kräfte durch die Diskreditierung etablierter Medien selbst mit geschaffen. Wenn die "Lügenpresse" notorisch die Unwahrheit verbreitet, braucht es neue Informationsquellen, die wahrhaftig berichten. Die parteinahen oder parteieigenen Medien treten in Form von eigenständigen Nachrichtenportalen auf oder sie sind auf Plattformen wie Facebook, YouTube, Twitter oder Instagram beheimatet. Die digitale Dominanz der Populisten kann man an den Followerzahlen und Reichweiten ihrer Profile und Seiten ablesen: Der Rassemblement National von Marine Le Pen hat mit 456.000 Facebook-Fans doppelt so viele Fans wie die Regierungspartei "La Republique En Marche!", die Emmanuel Macron ebenfalls mit Hilfe digitaler Medien aufgebaut hat. Geert Wilders hat in den Niederlanden die größte digitale Gefolgschaft (811.000 Twitter-Follower und 309.000 Facebook-Fans), die Fünf-Sterne-Bewegung liegt in Italien mit 1,4 Millionen Facebook-Fans ganz vorne. In Österreich ist die FPÖ mit 120.000 Facebook-Fans führend, in Deutschland die AfD mit 452.000.[3] Gleiches gilt in Polen für die PiS-Partei, für Jobbik in Ungarn und die Finnen-Partei in Finnland. Entscheidend für den Erfolg in sozialen Netzwerken sind allerdings nicht nur die reinen Fan- und Follower-Zahlen, sondern auch die Reichweiten der einzelnen Beiträge, die wiederum von den Interaktionen des Publikums (kommentieren, teilen, liken) abhängen. Auch das haben die Populisten verstanden. Ihre Beiträge sprechen Emotionen an und werden von visuellen Elementen getragen, sie animieren das Publikum zu reagieren, was der Algorithmus mit einer noch größeren Reichweite belohnt.Der Analysedienst Fanpage Karma hat nachgewiesen, dass emotionale Facebook-Posts zehnmal mehr Interaktion bekommen als solche, die unemotional und eher sachlich sind. Aufgezogen wie eine Emotionsmaschine, erreichen beispielsweise die Facebook-Beiträge der AfD regelmäßig Reichweiten im Millionenbereich. Der italienische Innenminister Matteo Salvini ignoriert regelmäßig die ihm hingehaltenen Mikrofone und Kameras, um stattdessen seine Botschaften über seine Facebook-Seite zu verbreiten. Fast täglich streamt er sich live und erreicht damit bis zu 8 Millionen Menschen. "Meine soziale Medien sind größer als die traditionelle Medien", sagt der Vorsitzende der Lega Nord über seine persönliche Gegenöffentlichkeit.[4] Seinen größten Social-Media-Coup landete er 2017 mit einem Video, das verarmte italienische Rentner vermeintlich gut versorgten, undankbaren und gierigen Flüchtlingen gegenüberstellt. 12 Millionen Menschen sahen das Video bis April 2019 auf Facebook.[5] Vorreiter für rechtspopulistische Alternativmedien ist allerdings die FPÖ. Seitdem die Partei Teil der Regierung in Wien ist, haben ihre Minister so manche Gesetze als erstes über Social Media bekanntgeben. Dort gibt es keinen journalistischen Filter, der ihre Aussagen kritisch einordnet. Es geht schließlich um "message control". Rechtspopulistische Parteien verstehen ihre Partei-PR als notwendige Korrektur zu den "verzerrt und z.T. unwahr" informierenden "Alt-Medien".[6] Sie setzen Parteipropaganda an die Stelle von unparteiischen Medien, was dem demokratischen Verständnis von der Rolle unabhängiger Medien als "vierte Gewalt" widerspricht. Medienkritik, möglichst differenziert statt pauschalisiert, ist in der Demokratie unbedingt erwünscht. Aber aus einer wie auch immer geartete Medienkritik abzuleiten, diese Säule der Demokratie durch parteiische Instanzen zu ersetzen, ist im Kern demokratiefeindlich.