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Kleines 3x3 zum Projekt "aula –Schule gemeinsam gestalten" | Digitalisierte Demokratie | bpb.de

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Kleines 3x3 zum Projekt "aula –Schule gemeinsam gestalten"

Theresa Samuelis

/ 6 Minuten zu lesen

An einer Realschule in Freiburg ist das digitale Mitbestimmungsprojekt "aula" nun seit einem Jahr im Test. Eindrücke von der Projektleitung, einem Lehrer und einem Schüler.

Das Projekt "aula" ermöglicht Schülerinnen und Schülern, sich aktiv in die Gestaltung ihres Schulalltags einzubringen. ( Externer Link: aula / bearbeitet / Externer Link: CC BY-SA 4.0 )

Im Kleinen 3x3 stellen wir drei Akteuren dieselben drei Fragen. Zum Projekt "aula – Schule gemeinsam gestalten" haben wir die Projektleiterin Marina Weisband von politik-digital.de, den Lehrer Dejan Mihajlovic von der Pestalozzi-Realschule Freiburg und den Schüler Jakob Schmidt interviewt.

1. Was hat sich durch aula im Schulalltag konkret verändert?

Dejan Mihajlovic: Die Mitgestaltung der Schülerinnen und Schüler am Schulleben hat nicht nur zugenommen, sondern wurde durch die aula-Plattform transparenter und hat zu mehr Akzeptanz der SMV (Anm. d. Red. Schülermitverantwortung; auch SV bzw. Schülervertretung) im Kollegium geführt. Ideen, an welcher Stelle man wie die Schülerschaft beteiligen kann, werden von immer mehr Lehrenden bedacht und formuliert. Das mag auch daran liegen, dass auch mehr darüber diskutiert wird, seitdem so viele Ideen und Wünsche für alle sichtbar sind.

Dejan Mihajlovic ( privat / bearbeitet )


Marina Weisband: In einigen Schulen sind Schülerinnen und Schüler politisch aktiv geworden, die oft Moderatorenrollen übernehmen. Die Schülervertretungen, aber auch andere, nehmen die Aufgabe sehr ernst, ihren Mitschülerinnen und Mitschülern mit aula zu helfen und die Beteiligung gegenüber den Lehrenden und der Schulleitung durchzusetzen. Die Schulen sind ein Stück politischer geworden. Das liegt auch an der Beteiligung in aula, vor allem aber an den Debatten rund um die Einführung des Projekts.

Jakob Schmidt: Konkret hat sich der Schulalltag natürlich durch die aula-Stunde verändert, die jede Klasse einmal in der Woche hat. Aber es fällt auch auf, dass viele Schülerinnen und Schüler, die vor aula sehr schüchtern und zurückhaltend waren, nun eine Möglichkeit gefunden haben, ihren Beitrag in der Schule zu leisten, indem sie ihre Ideen dort veröffentlichen. Der normale Unterricht hat sich dagegen kaum geändert und auch in den Pausen gibt es selten Situationen, in denen man den Einfluss von aula spürt.

Zitat

In den jüngeren Klassen muss man viel investieren – Partizipation ist kein Selbstläufer.

Dejan Mihajlovic

Zitat

In Zukunft müssen wir uns mehr Zeit für die Einführung an den Schulen nehmen.

Marina Weisband

Zitat

Der größte Erfolg war für mich der Smartphone-Tag, an dem in jeder Stunde mit digitalen Medien gearbeitet wurde.

Jakob Schmidt

2. Wie wurden die Schülerinnen und Schüler an aula herangeführt und wie wurde das Projekt von ihnen aufgenommen?

Dejan Mihajlovic: Zu Schuljahresbeginn führten Marina Weisband, Alexa Schaegner und Daniel Schumacher von politik-digital e.V. im Rahmen von Doppelstunden jede Klasse in aula ein. Das Partizipation kein Selbstläufer ist, wurde vor allem in der Arbeit mit den 5. Klassen deutlich, wo man mehr Zeit investieren musste. Ob und wie sehr sich junge Menschen beteiligen, hängt unter anderem vom Vertrauen und dem Gefühl ab, auch ernst genommen zu werden. Das ist ein langer Prozess und wir stehen noch am Anfang. Auch die Umsetzung der wöchentlichen aula-Stunden spielen eine wichtige Rolle, denn dort wird online oder offline an neuen und bestehenden Ideen, die über die aula-Plattform kommuniziert werden, gearbeitet. Hier steht aula in Konkurrenz zu einer langen Liste mit anderen To-dos, wie den Herausforderungen des neuen Bildungsplans oder den Vorbereitungsklassen, in denen die Kinder noch kein oder nur wenig Deutsch können.

Marina Weisband ( bpb / bearbeitet / Externer Link: CC BY-SA 4.0 )


Marina Weisband: Mitte des Schuljahres 2016/2017 wurden alle Schülerinnen und Schüler vom aula-Team zuerst theoretisch an das Thema Beteiligung und die Möglichkeiten der Veränderung in der Schule durch aula herangeführt. In einer zweiten Stunde folgte die praktische Einführung in die Benutzung der Online-Plattform. Anfang des Schuljahres 2017/2018 gab es eine Auffrischung, die sich dem Crowdfunding mit aula widmete. Hier wurden konkrete aula-Projekte erdacht, die mit dem Geld finanziert werden konnten, das die Schülerinnen und Schüler zuvor über Gemeinschaftscrowd gesammelt hatten. Das sollte ein Anreiz sein, über aula auch Ideen zu besprechen, die nicht durch Kuchenverkauf finanziert werden können. Normalerweise müssen Ideen bei aula jedoch kostenneutral sein. Interessanterweise waren die Schülerinnen und Schüler oft umso begeisterter von den Beteiligungsmöglichkeiten, je jünger sie waren. Ältere Schülerinnen und Schüler äußerten weniger Ideen, die dafür jedoch besser durchdacht waren.

Jakob Schmidt: Am Anfang des Jahres kamen Marina, Alexa und Daniel zu uns in die Schule und stellten jeweils den Klassen das Projekt vor. Viele Schülerinnen und Schüler wussten anfangs nichts mit aula anzufangen. Erst nach und nach kamen mehr Ideen. Das vollständige Potential von aula konnte unsere Schule leider nicht erreichen. Das liegt meiner Meinung nach aber an der Einstellung der Schülerinnen und Schüler: Viele Ältere haben "keinen Bock" oder finden es unnötig, weil sie sowieso bald ihren Abschluss machen. Bei den Jüngeren fehlt es oft an Ernsthaftigkeit oder Kompetenz. Diejenigen, die aula so nutzen wie man es sollte, sind an unserer Schule leider in der Unterzahl, was ihnen bei dem demokratischen Aufbau aulas nicht ermöglicht, ihre Ideen und Wünsche durchzusetzen.

3. Welche (Miss-)Erfolge bei der Arbeit mit aula lassen sich nach einem Jahr Pilotphase verzeichnen?

Dejan Mihajlovic: Ein Beispiel war etwa die populäre Idee, bei unter 5°C in den Pausen im Schulgebäude bleiben zu dürfen. In der Probeabstimmung per Handzeichen hatte der Vorschlag locker die notwendige Zustimmung erreicht, beim digitalen Votum aber scheiterte er. Dieses Beispiel zeigte allen, dass man Zeit, Kraft und Kreativität in allen Klassen und Stufen investieren muss, um Leute zur echten Wahl zu bewegen. Die einfache Mehrheit für eine Idee zu gewinnen wird als Herausforderung wahrgenommen, die Schule mitgestalten zu können als Möglichkeit gesehen. Spätestens nach dem Smartphone-Tag, an dem in allen Schulstunden und Fächern die Smartphones zum Einsatz kommen mussten, war wohl allen Schülerinnen und Schülern bewusst, dass man mit aula sogar den Unterricht mitgestalten kann. Der Tag fand als einmaliges Ereignis letztes Schuljahr statt und war die erste aula-Idee aus der Schülerschaft. Sie erreichte übrigens mit nur einer Stimme mehr als notwendig die einfache Mehrheit! Alle waren sich danach aber einig, dass es dazu eine Fortsetzung geben sollte. Häufig wird in den Curricula der Anspruch formuliert, Demokratie in der Schule zu leben – ein Anspruch, der genauso häufig scheitert. Mit aula kann das besser gelingen.

Marina Weisband: Die Pilotphase hat gezeigt, dass wir uns mehr Zeit für die Einführung an den Schulen nehmen müssen. Diese hat durch verschiedene Stakeholder, Krankheiten und feste Schultermine länger gedauert, als erwartet, sodass mit der konkreten Beteiligung relativ spät gestartet werden konnte.

Jakob Schmidt ( privat / bearbeitet )

Ein großes Thema an allen Schulen war die Verbesserung der Situation auf den Toiletten. Das scheiterte bisher jedoch an Budgetfragen. Mit den Möglichkeiten durch Crowdfunding ist da eventuell mehr Bewegung zu erwarten. Die Ausstattung von Schulhöfen und eine Regelung für die Verwendung von Smartphones und die Bereitstellung von WLAN sind ebenfalls häufige Themen. In Freiburg war der Smartphone-Tag die kreativste und am wenigsten zu erwartende Idee, die tatsächlich umgesetzt wurde. In Jena haben die Klassen Dekorations- und Ausstattungsfragen abgestimmt. Schon jetzt werden viele kreative Ideen dazu diskutiert, wie die Schülerinnen und Schüler das Geld aus den Crowdfundings ausgeben können. Einer der großen Erfolge ist auch die Ernsthaftigkeit und Tiefe, mit der die Schülerinnen und Schüler in Nottuln über die Vereinbarkeit des Crowdfundings mit ihrem Schülerhaushalt diskutieren.

Jakob Schmidt: Der größte Erfolg war für mich der Smartphone-Tag, an dem jede Unterrichtsstunde mit digitalen Geräten umgesetzt wurde. Es war für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrer toll zu sehen, wie anders man den Unterricht mit digitalen Möglichkeiten gestalten kann. Misserfolge gab es aber natürlich auch. Ich glaube, dass es meistens an der Bequemlichkeit der Schülerinnen und Schüler lag, wenn eine Idee nicht umgesetzt wurde. Mal scheiterten wir an der Formulierung der Idee, weil der Schuldirektor damit nicht einverstanden war, mal an den fehlenden Stimmen - deprimierend war es jedes Mal. Zu beheben ist das Problem aber nur, wenn man die Schülerinnen und Schüler so motiviert, dass sie von sich aus Bock auf Mitbestimmung in der Schule haben.

Über unsere Interviewpartner:

Marina Weisband war von 2011 bis 2012 politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland, seit 2014 arbeitet sie bei politik-digital als Projektleiterin für Externer Link: aula.

Dejan Mihajlovic unterrichtet Chemie, Geschichte, Mathematik und Ethik an der Pestalozzi Realschule in Freiburg. Er ist an der Schule Ansprechpartner für aula und sowie SMV-Beauftragter am Regierungspräsidium Freiburg. Darüber hinaus gibt er Workshops und hält Vorträge zum Thema zeitgemäße Bildung im digitalen Wandel.

Jakob Schmidt besucht die 10. Klasse der Pestalozzi Realschule in Freiburg, ist Schulsprecher und Moderator beim aula-Projekt. Außerdem hat er am aula-Schulvertrag mitgearbeitet.

Mehr Informationen zum Projekt:

Das ProjektExterner Link:  aula - Schule gemeinsam gestalten ist ein digitales Bildungsprojekt, das Schülerinnen und Schülern ermöglicht, sich aktiv in die Gestaltung ihres Schulalltags einzubringen. Mit dem Projekt sollen unter anderem Kompetenzen wie Argumentation, Diskussion, Kompromissfindung, Minderheitenschutz und Antidiskriminierung, der Umgang mit digitalen Medien und demokratische Überzeugungsarbeit geschult werden. Aktuell wird aula an vier weiterführendenden Pilotschulen in Deutschland getestet, am Externer Link: Rupert-Neudeck-Gymnasium Nottuln, der Stadtteilschule am Hafen in Hamburg, der Jenaplan-Schule in Jena und an der Pestalozzi-Realschule in Freiburg. Nach einer Evaluations- und Bearbeitungsphase sollen die Software und das didaktische Begleitmaterial ab dem schuljahr 2018/19 allen Schulen frei verfügbar sein. aula ist ein Projekt von politik-digital e.V., es wird von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert und und technisch mit Hilfe von Liquid Democracy e.V. umgesetzt.

Interner Link: Digitale Partizipation in der Schule

Das Projekt "aula" ermöglicht Schülerinnen und Schülern, sich aktiv in die Gestaltung ihres Schulalltags einzubringen. Warum es so wichtig ist, bereits in der Schule das demokratische Prinzip der Partizipation zu erlernen und welche Potenziale digitale Medien in dieser Hinsicht mit sich bringen, erklärt Projektleiterin Marina Weisband im Interview auf der re:publica.

Interner Link: Zum Interview



Theresa Samuelis ist seit Oktober 2016 Redakteurin für werkstatt.bpb.de. Sie studierte Theaterwissenschaft, Französische Philologie und Angewandte Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin und an der Université Laval Quebec in Kanada. Während des Studiums hospitierte und arbeitete sie unter anderem für die Pressestelle der Schaubühne Berlin sowie die Onlineredaktionen des ZDFtheaterkanals und des Suhrkamp Verlags. Neben ihrer Tätigkeit für die KOOPERATIVE BERLIN ist sie als freie Autorin für Online und Hörfunk tätig.