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Influencing und Verschwörungspropaganda

Jan Schnellbacher Sebastian Schneider

/ 7 Minuten zu lesen

Auf sozialen Netzwerken kursieren unzählige Verschwörungsmythen. Jan Schnellbacher und Sebastian Schneider von jugendschutz.net geben einen Überblick über die Strategien von verschwörungsgläubigen Influencerinnen und Influencern.

Verschwörungsgläubige Influencer und Influencerinnen verbreiten ihre Ideologien in sozialen Netzwerken auf subtile Weise. (© Malte Luk Externer Link: www.pexels.com )

Influencer*innen erreichen in sozialen Medien zum Teil Millionen von Menschen mit selbst produzierten Inhalten. Dabei erzielen sie nicht nur über das Abrufen ihrer Beiträge ein Einkommen über Werbeeinnahmen der entsprechenden Plattformen, sondern auch durch das aktive Bewerben von Fremd- und den Verkauf von Eigenprodukten. Sie inszenieren sich in Lifestyle-Beiträgen, die sie auch im Alltag zeigen, als authentische und nahbare Personen. Diese Merkmale des Influencings lassen sich nicht nur in unverfänglichem Content finden, sondern werden auch von Personen genutzt, die verschwörungsideologische Narrative verbreiten.

Zur Verbreitung dieser Narrative werden häufig aktuelle politische Ereignisse herangezogen. Dabei liegt der Fokus meist auf krisenhaften Situationen, deren Entstehung, Verlauf und Konsequenz unterkomplex dargestellt werden. Vereinfachte Freund-Feind-Dichotomien gehen damit ebenso einher wie aus dem Kontext gerissene Sachverhalte. Als erste Anknüpfungspunkte für das Etablieren von Feindbildern dienen in der Öffentlichkeit stehende Personen - allen voran Politiker*innen. Jedoch werden diese nicht als ursächlich gezeichnet, sondern gelten als Handlanger von vermeintlich mächtigen Einzelpersonen oder Gruppen, die im Verborgenen die Geschicke der Welt lenken würden.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bot und bietet vermehrt Anknüpfungspunkte für verschiedene verschwörungsideologische Narrative. So wird unter anderem behauptet, dass dieser Teil eines größeren Plans sei, um wahlweise die autochthone europäische Bevölkerung auszutauschen, wie es in der Verschwörungserzählung vom "Großen Austausch" propagiert wird, oder dass der Krieg von der "New World Order" (NWO) initiiert worden sei. Bei letzterem werden die Präsidenten der Ukraine und Russlands, Selenskyj und Putin, häufig lediglich als Gehilfen der angeblichen jüdischen Weltverschwörung dargestellt.

Kommunikationsstrategien verschwörungsgläubiger Influencerinnen und Influencer

Besonders auf den großen Social-Media-Plattformen sind Äußerungen von Influencer*innen, die explizit einzelne Gruppen als vermeintliche Verantwortliche für bestimmte Situationen darstellen, eher selten. Eine konkrete Verschwörungserzählung findet sich meist nur angedeutet wieder, um so etwaige Sperrungen oder Löschungen der Inhalte durch die Plattformen zu verhindern. Dafür wird beispielsweise das Mittel der Frageverkettung genutzt, bei der vage gehaltene Fragen aneinandergereiht werden, z.B. ob Deutschland ein souveräner Staat, eine Firma oder noch immer besetztes Gebiet sei, ohne diese zu beantworten. Die impliziten Antworten sind der eingeweihten Community bereits bekannt: Antisemitische Anschuldigungen, etwa dass „die Juden“ an verschiedenen Krisen schuld seien oder gar von ihnen profitieren würden, lassen sich ebenso in den Kommentarspalten finden wie Behauptungen, die Bundesrepublik Deutschland gäbe es nicht oder sei lediglich eine "BRD GmbH".

Expliziter wird es hingegen auf den kaum moderierten Ausweichplattformen, auf denen auch von den Influencer*innen selbst eindeutige Verschwörungserzählungen geäußert werden. Die Creator*innen thematisieren neben Verschwörungserzählungen auch Alltägliches wie Freizeitaktivitäten und sportliche Betätigungen oder veröffentlichen humoristische Inhalte, die den verschwörungsideologischen Statements ihre Drastik nehmen: Die Kombination aus Lifestyle-Content und ideologisch geprägten, zum Teil demokratiefeindlichen Inhalten lässt letztere unverfänglicher wirken und bietet so einen seichten Einstieg in verschwörungsideologische Weltanschauungen. Beispielsweise filmt sich ein Influencer bei Fitness-Übungen im Park und lässt dabei verlauten, dass dies Bestandteil eines "Anti-NWO-Lebens" sei, ein anderer leitet seine Videos mit Meditationsübungen ein und berichtet im Anschluss darüber, dass mit der Corona-Schutzimpfung Nanochips verabreicht würden. Es werden Inhalte präsentiert, die oberflächlich nicht mit Verschwörungserzählungen zusammenhängen und so auch von Personen angeklickt werden, die sich lediglich für Sport oder Meditation interessieren und über diese unverfänglichen Themen auch mit eben jenen Narrativen in Berührung kommen.

Etablierte Formate für Verschwörungspropaganda

Je nach Plattform – seien dies populäre wie Instagram, TikTok oder YouTube oder Ausweichplattformen wie Gettr oder Telegram – unterscheiden sich die genutzten Formate:

  • Das klassische Format ist hier der Podcast. Die Creator*innen nutzen die lange Dauer und die Regelmäßigkeit des Formats, um tiefgehend ihre Verschwörungserzählungen zu verbreiten. Die dabei entstehende parasoziale Situation – hierzu gehört die direkte Ansprache, aber auch das Einfließen persönlicher Geschichten – suggeriert den Hörer*innen eine Nähe zu den Creator*innen.

  • Dem Podcast verwandt sind Talking-Head-Videos. Die Creator*innen sitzen vor einer Kamera und erzählen mal länger, mal kürzer über ein selbst gewähltes Thema. Unterstützt werden die Ausführungen von eingespielten Bild- oder Tonaufnahmen.

  • Artverwandt ist das Just-Chatting-Format: Ursprünglich von der Streaming-Plattform Twitch kommend werden Just-Chatting-Sessions mittlerweile auch auf anderen Plattformen veröffentlicht. Zu einer anberaumten Zeit treffen sich Influencer*in und Publikum online, um miteinander über unterschiedliche Themen ins Gespräch zu kommen. Dabei können die Zuschauer*innen lediglich über Textnachrichten, die im Stream angezeigt werden, kommunizieren.

  • Mit der Trendplattform TikTok hielten sogenannte Short-Clips Einzug ins Internet. Die zwischen wenigen Sekunden und drei Minuten dauernden Videos folgen im Besonderen aktuellen Meme-Trends. Von Verschwörungsideolog*innen werden sie häufig als Werbevideos für ihre längeren Beiträge auf anderen Plattformen genutzt.

Kinder und Jugendliche für Verschwörungspropaganda auf Social Media sensibilisieren

Durch ihren komplexitätsreduzierenden und eine Gemeinschaft von "Gläubigen" konstruierenden Charakter schaffen es Verschwörungsideologien, die negativen psychosozialen Effekte von Entindividualisierungs- und Vereinzelungstendenzen moderner Gesellschaft, aber auch Ohnmachtsgefühle ob schwer zu überschauender gesellschaftlicher Prozesse abzuschwächen. Gerade Kinder und Jugendliche können von Ohnmachtsgefühlen betroffen sein, da sie aufgrund ihres Alters meist noch einen verhältnismäßig geringen Grad gesellschaftlicher Teilhabe besitzen. So ist es ihnen unter 18 Jahren verwehrt, an demokratischen Wahlen teilzunehmen. Außerdem erleben viele Kinder und Jugendliche den Umstand, von erwachsenen Gesprächspartner*innen nicht so ernst genommen zu werden, wie sie es zwischen Erwachsenen beobachten können. Auch von gesellschaftlichen Missständen sind Kinder und Jugendliche aufgrund ihres Abhängigkeitsverhältnisses zu anderen Personen bspw. ihrem Elternhaus im Besonderen betroffen.

Hinzu kommt, dass vor allem Kinder und Jugendliche die weiter oben beschriebenen Medienformate nutzen, also sehr viel eher mit verschwörungsideologischen Inhalten, die in der Form des Influencing kommuniziert werden, in Berührung kommen. Aus diesem Grund ist eine präventive Auseinandersetzung mit Alltagsproblemen sowie den Sorgen und Ängsten der Schüler*innen von großer Bedeutung. Je resilienter ein Individuum und sein Umfeld auf Krisenlagen reagieren können, desto gefeiter ist es gegenüber der Sogwirkung von Verschwörungsnarrativen. Daneben ist auch eine proaktive Aufklärung über aktuelle Verschwörungsnarrative wichtig. Wichtig ist es Kindern und Jugendlichen aufzuzeigen, in welchem Handlungsspielraum sie sich trotz ihres Alters doch bewegen.

Natürlich kann auch das Dagegenhalten von Fakten hilfreich sein. Jedoch ist gerade bei Personen, die sich bereits sehr tiefgehend mit einzelnen Verschwörungserzählungen beschäftigten, eine gewisse Faktenresistenz auszumachen. In diesen Fällen kann es hilfreich sein, Schüler*innen die Fatalität einzelner Verschwörungserzählungen aufzuzeigen, da diese nicht selten in demokratiegefährdende, gewaltvolle "Lösungsansätze" bis hin zu Vernichtungsphantasien münden können. Wichtig ist auch das direkte Umfeld von Verschwörungsgläubigen. Gerade nahe Freund*innen, Eltern, andere Verwandte und Partner*innen haben meist einen besseren Zugang als beispielsweise Lehrkräfte. Mit diesen Personengruppen kann gezielt ein Austausch oder auch das Einsetzen einer Unterstützungsgruppe gesucht werden.

Lehrkräfte können individuellen Krisenlagen ihrer Schüler*innen entgegenwirken, indem sie offen für individuelle Problemlagen ihrer Schüler*innen sind. Dazu gehört auch der Blick über den eigentlichen Schulkontext hinaus, um für Krisen außerhalb der Schule sensibel zu sein. Besonders wichtig ist es, den Schüler*innen auf Vertrauensbasis ein Gefühl des Begegnens auf Augenhöhe zu vermitteln. Schüler*innen wollen mit ihren Belangen ernst genommen werden, wobei ein "von oben herab" meist nicht förderlich ist. Dazu gehört ein transparenter Umgang mit der hierarchisch organisierten Schüler*in-Lehrer*in-Beziehung. Gerade diese hierarchische Beziehung ist es, die das positive und resilienzfördernde Einwirken von Lehrkräften auf ihre Schüler*innen erschwert. Hier hilft nur sich dieses Umstands bewusst zu sein, um im Zweifel andere, "gleichberechtigtere" Instanzen einschalten zu können. Auch die Verwendung pädagogischer Methoden, die die Hierarchie innerhalb der Schüler*in-Lehrer*in-Beziehung konterkarieren, kann hilfreich sein.

Ein erster Schritt für Lehrkräfte kann es sein, Wissen und Unterstützung von außen anzufordern, insofern sie auf Problemlagen bei Schüler*innen aufmerksam geworden sind. Nachfolgend sind Online-Angebote aufgelistet, die sich mit Verschwörungsideologien im Allgemeinen und der Thematik Kinder und Jugendliche und Verschwörungsnarrative im Besonderen befassen.

Weiterführende Informationsmaterialien und Literatur

Die Bundeszentrale für politische Bildung stellt Interner Link: Materialien bereit, die über Verschwörungsideologien informieren und Möglichkeiten des Entgegenwirkens aufzeigen. In der Mediathek der bpb findet sich auch eine Interner Link: Interviewreihe zu der Thematik.

Externer Link: jugendschutz.net ist Teil des Kompetenznetzwerkes gegen Externer Link: Hass im Netz und beschäftigt sich unter gesetzlichem Auftrag mit dem Kinder- und Jugendschutz im Internet. 2022 veröffentlichte jugendschutz.net einen Externer Link: Report zu der Thematik "Influencing und Verschwörungspropaganda".

Bundesweit agierende Stiftungen – ob parteinah oder unabhängig – informieren regelmäßig über Verschwörungsideologien und deren gesellschaftlichen Einfluss. Hier zu nennen sind bspw. die Externer Link: Amadeu Antonio Stiftung, die Externer Link: Friedrich Ebert Stiftung, die Externer Link: Heinrich Böll Stiftung oder die Externer Link: Rosa Luxemburg Stiftung.

Die politische Jugendbildungseinrichtung Externer Link: Bildungsstätte Anne Frank bietet themenverwandte Workshops und Veranstaltung zum Komplex Verschwörungsideologien an.

Auch die Externer Link: Sekten-Info NRW e.V. bietet Informationsmaterialien und Beratungsangebote bezüglich Verschwörungsideologien an.

Nocun, Katharina; Lamberty, Pia (2021): Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Quadriga Verlag; Köln.

Nymoen, Ole; Schmitt, Wolfgang M. (2021): Influencer. Die Ideologie der Werbekörper. Suhrkamp; Berlin.

Weitere Inhalte

Jan Schnellbacher studierte Geschichte und Soziologie in Mainz sowie in Frankfurt am Main. Seit 2021 arbeitet er als Fachreferent für Rechtsextremismus bei Externer Link: jugendschutz.net, wo er sich mit dem Auftritt rechtsextremer Akteurinnen und Akteure im Internet auseinandersetzt. Davor war er in der Jugendbildungsarbeit tätig, wo er unter anderem Workshops zum Thema Antisemitismus und Verschwörungsideologien begleitete.

Sebastian Schneider studierte Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn und Sofia sowie Internationales Informationsmanagement – Sprachwissenschaften und Interkulturelle Kommunikation in Hildesheim. Seit dem Masterstudium beschäftigt er sich mit den Kommunikationsformen rechtsextremer und neurechter Akteurinnen und Akteure. Nachdem er in der Erwachsenenbildung tätig war, arbeitet er seit 2020 als Fachreferent für Rechtsextremismus bei Externer Link: jugendschutz.net und vermittelt seine Erkenntnisse in Fachbeiträgen, Vorträgen und Workshops.