Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Dezentral, dynamisch, demokratisch: Sind föderierte Plattformen wie Mastodon besser? | Digitale Tools und Technik im Bildungsalltag | bpb.de

Digitale Tools und Technik im Bildungsalltag "Im besten Fall schauen junge Menschen TikTok und merken nicht, dass sie etwas lernen" Bildungsplattformen: Wie funktionieren MUNDO und Co.? Bildnerinnen und Bildner empfehlen… Apps/Web-Anwendungen für den Unterricht Bildnerinnen und Bildner empfehlen… Tools für kollaboratives Arbeiten Staunen, Schmökern, Spielen: Neun Bildungstipps für zu Hause Virtual und Augmented Reality im Klassenraum? Ein Überblick bildungsrelevanter Angebote Von Lernbots und Übersetzungsmaschinen Algorithmisches Denken verstehen Lernen jederzeit und überall: die Schul-Cloud Coding in der Schule mit Scratch Sicher Twittern im Bildungsbereich edutags: Lesezeichen für Unterrichtsmaterial im Internet Plattform Formative – Lernstandbeobachtung und Feedback in Echtzeit Sicher ist sicher: Was man beim Einsatz von Facebook in der Bildungsarbeit beachten sollte Mit dem Umfrage-Tool PINGO den Unterricht interaktiv gestalten Twitter in der Bildung Scratch: Programmieren im Unterricht Facebook in der Bildung OpenStreetMap im Unterricht: Einsatzmöglichkeiten, Potenziale und Herausforderungen Das Internet der Dinge in der Bildung Per Screencast Lernvideos mit geringem Aufwand produzieren Digitale Tools & Technik im Bildungsalltag

Dezentral, dynamisch, demokratisch: Sind föderierte Plattformen wie Mastodon besser?

Matthias C. Kettemann

/ 4 Minuten zu lesen

Plattformen wie Twitter, TikTok und Co. sind zentralisiert aufgebaut – ihre Regeln bestimmt ein Unternehmen. Mastodon funktioniert dezentral – Matthias C. Kettemann erklärt Vorteile und Schwächen.

Was sind Vorteile und Schwächen der dezentral aufgebauten, digitalen Plattform Mastodon? (© battenhall, Externer Link: unsplash)

Wer hat die Macht auf Online-Plattformen?

Viele der großen Online-Plattformen gehören einem Unternehmen. Meta betreibt Facebook und Instagram. YouTube gehört zu Alphabet (Google). ByteDance entscheidet, was bei TikTok passiert. Diese Plattformen sind zentralisiert aufgebaut. Schlussendlich entscheidet der Vorstand des jeweiligen Unternehmens, welche Regeln gelten. Bei Elon Musks Twitter sieht man das aktuell sehr eindrücklich: was er sagt, gilt. Natürlich gibt es Grenzen: Staatliches Recht und europäisches Recht. Insbesondere der Interner Link: neue Rechtsakt zu digitalen Diensten ("Digital Services Act"), setzt auch Musk Schranken. Aber systemische "Vermachtung", also eine überdurchschnittliche Interner Link: Macht der Plattformen, lässt sich durch Gesetze nicht lösen. Manche Stimmen plädieren daher für einen anderen technischen Aufbau von Online-Plattformen. Anders als "Autoritäten" wie Twitter oder Facebook, die zentral über deren Server organisiert sind, verfügen föderierte Plattformen über viele kleine Server.

Was ist bei Mastodon (und im Fediverse) anders?

Föderierte Plattformen wie Externer Link: Mastodon sind dezentral aufgebaut. Verschiedene Server (sogenannte Instanzen) erlauben es Nutzerinnen und Nutzern sich dort zu registrieren, wo sie wollen. Beispielsweise bei der Instanz ihrer Stadt, ihres Berufsstands oder ihres Hobbies. Wenn eine Person eine Instanz betreibt, entscheidet sie auch bei Mastodon bzw. über die Regeln auf ihrem Server. Die verschiedenen Instanzen beruhen auf quellenoffener Software und gehören unterschiedlichen Personen oder Gemeinschaften, vor allem Freiwilligen, die sich häufig durch Spenden finanzieren. Gemeinsam bilden Plattformen wie Mastodon oder auch die Video-Plattform PeerTube und das Fotonetzwerk Pixelfed das Fediversum oder englisch Fediverse – ein Netzwerk verteilter (föderierter), voneinander unabhängiger sozialer Netzwerke und Online-Dienste. Der Clou dabei: Die Nutzerinnen und Nutzer können Nachrichten oder auch Dateien mit anderen (föderierten) System austauschen und sind damit nicht an eine Plattform gebunden. Sie müssen sich deshalb im Idealfall auch keine eigenen Accounts für jeden Dienst anlegen.

Das Fediverse teilt damit auch viele Merkmale des sogenannten Metaversums oder englisch Metaverse. Dabei handelt es sich um ein Konzept bei dem ein digitaler Raum durch das Zusammenwirken virtueller, erweiterter und physischer Realität entsteht. Auch hier gibt nicht nur ein Metaverse, sondern viele verschiedene virtuelle Welten, in denen beispielsweise Bildungsinhalte produziert und konsumiert werden können. Die nahtlose Kommunikation dieser Welten oder Dienste untereinander ist wichtiger Teil des Metaversums – ebenso wie die Dezentralität. Zwar ist das Metaverse des amerikanischen Unternehmens Meta ein wichtiger Zugang, aber Inhalte können auf unterschiedlichen Metaversen ausgespielt werden.

Was ist der Vorteil von dezentralen Plattformen?

Die jeweiligen Inhaber der Instanzen legen selbst fest, welche Moderationsregeln auf ihrem Server gelten sollen. Der Feed der Nutzenden auf Mastodon ist chronologisch, nicht algorithmisch organisiert. Beides reduziert die Abhängigkeit von großen Unternehmen und deren häufig nicht transparenten Empfehlungssystemen. Auch die Daten werden bei Plattformen wie Mastodon nicht zentral gesammelt. Dadurch, dass Inhalte instanzübergreifend schwieriger auffindbar sind, verlangsamt sich die Konversation, was beispielsweise die Verbreitung von Desinformation erschwert. Da gleichzeitig Instanzen bestimmte Themen bedienen, können etwa Bildungsinhalte gezielter angeboten werden.

Gibt es auch Nachteile?

Die innere Demokratisierung von Mastodon steckt noch in den Kinderschuhen. Auch die Mitteilung von Moderationsentscheidungen erfolgt meist nicht transparent. Aufgrund des weitgehenden Fehlens algorithmischer Empfehlungen ist die Struktur des Netzwerks für diejenigen, die an stark kuratierte Netzwerke wie Twitter gewöhnt sind, deutlich unübersichtlicher. Das Auffinden interessanter Accounts ist deshalb schwieriger, neue Features, die eine solche Suche vereinfacht hätten, wurden von der Mastodon-Community abgelehnt.

Wie würde es besser gehen?

Die Plattform Mastodon kann zu einem Experimentierraum auch für demokratische Diskurse werden. Doch die Herausforderungen sind substanziell. Nicht auf allen Mastodon-Instanzen wird der Datenschutz großgeschrieben. Da die jeweiligen Instanzen-Betreiber für den Privatsphärenschutz zuständig sind, ist dieser teilweise löchrig. Eine Inhalte-Regulierung findet oft nur punktuell statt, ohne dass Transparenz- und Rechtsschutzanforderungen erfüllt würden.

Vor allem erfüllt Mastodon bislang nicht das größte Versprechen, das in der Dezentralisierung eigentlich liegen sollte, nämlich die Demokratisierung der Regelsetzung und -durchsetzung. Schließlich wäre es wünschenswert, wenn mehr gesellschaftliche Gruppen in die Entwicklung von Regeln einbezogen würden – etwa bei der Verständigung darüber, was online gesagt werden darf und was nicht. Die deutschen Akademien der Wissenschaften forderten kürzlich die Beteiligung von "Vertretern staatlicher und zivilgesellschaftlicher Stellen sowie (...) von Nutzern (...) an Entscheidungen über Grundsätze und Verfahren der Inhaltskuration." Auch die deutschen Regierungsparteien bekannten sich im Koalitionsvertrag dazu, "die Einrichtung von Plattformräten" (d.h. Institutionen, die die Regeln und Praktiken der Plattformen überwachen) voranzutreiben. Solche Plattformbeiräte sind beratende Institutionen, die etwa von Menschen aus dem Bildungssektor, von Jugendlichen und jungen Menschen besetzt sein können.

Mastodon könnte eine solche Demokratisierung von Plattformregeln pilotieren, indem es Nutzerinnen und Nutzer niederschwellig in die Moderation mit einbezieht. Föderierte Netzwerke haben großes demokratisches Potenzial, das sie erst dann einlösen können, wenn die Nutzenden stärker in die Entscheidungsfindung integriert werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Mittlerweile plant laut Berichten auch Meta die Entwicklung eines "dezentralen sozialen Netzwerks für Text-Mitteilungen", das ans Fediverse angebunden ist: https://www.heise.de/news/Dezentrales-soziales-Netzwerk-Meta-prueft-Twitter-Alternative-im-Fediverse-7541471.html

  2. https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2021_Stellungnahme_Digitalisierung_und_Demokratie_web_01.pdf

  3. https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf , S. 14.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-SA 4.0 - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International" veröffentlicht.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Matthias C. Kettemann hat die Professur für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts am Institut für Theorie und Zukunft des Rechts der Universität Innsbruck inne. Er leitet das Forschungsprogramm "Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen" am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut. Am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin ist Matthias C. Kettemann Forschungsgruppenleiter des Projektes "Globaler Konstitutionalismus und das Internet" sowie "Völkerrecht des Netzes". Er war mehrfach als Sachverständiger für digitales Recht im Bundestag und hat u.a. den Europarat, die UNESCO und die OSZE beraten.