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Quartiermanagement in der Sozialen Stadt

Uwe-Jens Walther

/ 11 Minuten zu lesen

Mit Quartiermanagement hat die Politik auf Tendenzen sozialräumlicher Ausgrenzung reagiert. Was charakterisiert diesen Ansatz? Eine Einordnung von Uwe-Jens Walther.

(@ Meike Fischer)

Stadt und Partizipation: Quartiermanagement in der „Sozialen Stadt“

Die Diskussion um Partizipation in der Stadtplanung ist keine 60 Jahre alt, die Vorstellung von einer sozialen Stadt dagegen wesentlich älter. Als ein Bund-Länder-Gemeinschaftsprogramm allerdings gibt es „Die Soziale Stadt“ erst seit 1999. Mit dem Programm reagierte die Politik auf Tendenzen sozialräumlicher Spaltung und Ausgrenzung in den Städten. Das Quartiermanagement ist der eigentliche organisatorische Kern der Umsetzung des Programms. Die Erfahrungen mit Partizipation in der Stadtplanung gehen dabei in die Arbeit der Quartierbüros vor Ort ein.

Angesichts von Millionen Flüchtlingen ist die Orientierung des Programms auf Integration heute wichtiger denn je. Worin bestehen die zentralen Elemente einer solchen sozialen Stadtentwicklungspolitik, die sowohl soziale Ungleichheit als auch basisdemokratische Ziele adressiert, und wie sind sie einzuordnen?

Gefährdete Integration – Hintergrund der Bemühungen um eine „Soziale Stadt“

Bund, Länder und Gemeinden legten 1999 ein gemeinsames Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ auf. Schon der Titel signalisiert, dass die Integrationsfähigkeit der Stadtgesellschaften als gefährdet angesehen und diese Gefährdung vor allem in den Armuts- und Zuwanderungsquartieren der Städte verortet wird.

Der Hintergrund des Programms ist die sozialräumliche Ungleichheit in den Städten. Stadtviertel der Armen gab es zwar immer schon, genauso wie die Quartiere der Mittel- und Oberschichten. Sie bilden die sozialstrukturellen Ungleichheiten der Gesellschaft ab, die bereits Autoren wie Friedrich Engels vor über 150 Jahren in den Elendsquartieren Englands in der Frühphase der Industrialisierung beschrieben. Doch dieses städtische Gesicht der Ungleichheit hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt.

Die moderne Stadt – eine gefährdete soziale Stadt?

Die moderne Stadt im Westdeutschland der Nachkriegszeit galt lange als eine soziale Stadt, weil die Arbeitsmärkte einen Aufstieg ermöglichten und der Sozialstaat regulativ und umverteilend eingriff. Die Vision einer sozial gerechten Stadt schien daher realisierbar und zukunftsfest. Kommunale Daseinsfürsorge und Stadtplanung, sozialer Wohnungsbau und öffentliche Infrastruktur wurden von einträglicheren Bereichen quersubventioniert, etwa aus Überschüssen aus Monopolgewinnen der kommunalen Strom-, Gas- und Wasserversorgung.

Heute hingegen stoßen die hochverschuldeten Gemeinden die Sozialwohnungen ab und veräußern notgedrungen manches Tafelsilber der kommunalen Infrastruktur an private Träger. Die Arbeitsmärkte versperren europaweit vor allem Menschen mit geringen formalen Qualifikationen, darunter vielen Jüngeren und Migranten, langfristig den Einstieg. Diese sammeln sich in wenigen Quartieren: Dort, wo die Mieten aus verschiedensten Gründen noch relativ günstig sind. Die Polarisierung der Einkommen und Lebenschancen wird somit auch räumlich in den Städten sichtbarer – oder auch weniger sichtbarer, wenn, wie in den Banlieues in Frankreich, viele Einkommensschwächere auf die großen Siedlungen am Rande der Städte ausweichen müssen.

Abwärtsspiralen in den Stadtquartieren verstärken Ausgrenzung

Armut konzentriert und verfestigt sich in einigen Stadtvierteln, während in anderen der Wohlstand zunimmt – auf diese Formel lassen sich seit geraumer Zeit die aktuellen Tendenzen der Stadtentwicklung, insbesondere in den wieder wachsenden Großstädten, bringen. Die Viertel mit hohen Anteilen von armen Haushalten werden häufig als „Problemquartiere“ bezeichnet, weil in ihnen ein „Teufelskreis“ von schlechten Wohnverhältnissen, mangelnder Ausstattung mit Läden und Infrastruktur befürchtet wird, der die bereits prekären Lebensumstände ihrer Bewohner weiter erschwert. Die Stichworte Polarisierung und Spaltung der Stadt beschreiben, wie sich aus dem Mosaik der Stadtteile und Nachbarschaften einige herauslösen, weil sie den Weg eines sozialen wie wirtschaftlichen Niedergangs gehen. Jahrzehnte hoher Arbeitslosigkeit haben so aus manchen Arbeiter- und Zuwanderungsvierteln längst Viertel der Deklassierten und Ausgegrenzten gemacht. Auf- und abgewertete Wohngebiete existieren wie Inseln der Armut und des Reichtums nebeneinander. Die einen sind auf dem Weg nach unten, die anderen auf dem Weg nach oben.

Der Grundgedanke des Programms „Soziale Stadt“ und seine Umsetzung in der Tradition der Städtebauförderung

Die Vision einer Stadt der Chancengleichheit wird unter diesen Bedingungen auf eine Vision von Problemquartieren verengt, die der besonderen Behandlung bedürfen. Begründet wird dies damit, dass die räumlich verfestigten Milieus der Ausgrenzung drohen, ganze Stadtquartiere ins gesellschaftliche Abseits zu ziehen, wenn nicht eine sozialverantwortliche Stadtentwicklung gegensteuert. Diese Viertel aufzuwerten und den dort wohnenden und arbeitenden Menschen wieder den Anschluss an die durchschnittlichen Chancen in anderen Quartieren zu geben, ist der Grundgedanke des Programms „Soziale Stadt“.

Dieser Grundgedanke wird über rechtliche und finanzielle Instrumente umgesetzt, die in der Tradition der Stadtsanierungsprogramme der 1970er Jahre und deren gesetzlicher Grundlage, der Städtebauförderung, stehen: Das Programm „Soziale Stadt“ ist nur eines von mehreren Programmen der Städtebauförderung, die seit dem Städtebauförderungsgesetz von 1971 aufgelegt wurden.

Dieses Gesetz hatte für zwei wichtige Voraussetzungen einer „modernisierten“ sozialen Stadtentwicklung gesorgt: Zum einen gab es den Gemeinden die Möglichkeit, ihre lokalen, kleinräumig begrenzten Sanierungs- und Entwicklungsaufgaben in einem gemeinsamen finanziellen und rechtlichen Rahmen mit den Ländern und dem Bund zu tragen („Gemeinschaftsaufgabe“; Mehrebenenpolitik). Zum anderen machte es Bürgerbeteiligung zu einem Standard in der Stadtplanung (Partizipation).

Auch wenn das Gesetz vor allem die Voraussetzungen für das Wirtschaftswachstum in den Städten sichern sollte: Mit der Einführung von Partizipationsmöglichkeiten in der Stadtplanung reagierte es auch auf die politischen und sozialen Folgen der sogenannten Flächensanierungen. Deren massive Eingriffe in die Lebenswelt der Bürger hatten häufig breite Proteste hervorgerufen. Der Bevölkerung in den sanierungsbetroffenen Quartieren verschaffte das Gesetz einklagbare Informations-, Schutz- und Mitwirkungsrechte. Diese Rechte sollten sie vor willkürlichen Eingriffen und unangemessenen Folgen schützen sowie unbillige Härten ausgleichen.

Das Programm in Zahlen: Die Gebiete

Im Jahr 2003 gab es bereits über 300 Programmgebiete in 214 Städten und Gemeinden, etwa ein Viertel davon in Ostdeutschland, drei Viertel in Westdeutschland. Bis Ende 2013 waren doppelt so viele Gesamtmaßnahmen in das Bund-Länderprogramm aufgenommen worden: 617 in 378 Städten und Gemeinden. Davon lagen laut Städtebauförderungsdatenbank des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) 303 Kommunen in den alten und 75 in den neuen Bundesländern. Gemeinsames Merkmal der Programmgebiete ist eine gegenüber der Gesamtstadt überdurchschnittliche „Problemdichte“. Zwei Gebietstypen treten dabei besonders häufig auf: Zum einen gründerzeitliche Altbaugebiete mit altindustrialisierter Prägung und einem vielfältigen Nebeneinander kleinteiliger Siedlungsstrukturen, zum anderen überwiegend industriell gefertigte Neubausiedlungen der Sechziger- bis Achtzigerjahre (also die westlichen Großtafel- und die östlichen Plattenbausiedlungen). 2003 lag mehr als die Hälfte der geförderten Gebiete in Neubaugebieten (in den neuen Bundesländern weit überwiegend), während Altbaugebiete nur 20 Prozent ausmachten. 2013 bildeten die Neubaugebiete immer noch fast die Hälfte aller Gebiete; der Anteil von Gebieten mit Bebauung vor 1949 blieb bei 20 Prozent.

Städtebauliche Erneuerung, Partizipation und Bekämpfung von sozialer Ungleichheit

Das Städtebauförderungsgesetz von 1971 war das doppelte Instrument einer wachstumsorientierten Innenstadtentwicklung und einer sozialstaatlichen Abfederung, die die Lebensverhältnisse generell verbessern sollte. Rund 30 Jahre später allerdings stellte sich die Situation verändert dar: Das Programm „Soziale Stadt“ sollte die Lebenssituation in den problembehafteten Stadtquartieren ohne solche externen Potenziale angehen, „von innen“ heraus verbessern und bürgerschaftliche Ressourcen für kleine und kleinste Verbesserungen in allen Bereichen mobilisieren helfen. Das Quartiermanagement ist hier selbst Beispiel des Rückzugs des Sozialstaates, indem es auf „Selbsthilfe“ orientiert ist (und entsprechend wenig direkt tun kann).

Im Selbstverständnis dieses Programms wurden die sozialen Verhältnisse in den Städten jetzt selbst zum Gegenstand von Maßnahmen. Es ging nun nicht nur darum in bessere Straßen, Freiräume und Gebäude, sondern ebenso in Menschen zu investieren. Auch die Vorstellung von Partizipation änderte sich damit: Aus einer unmittelbar politischen, basisdemokratischen Abwehr von unbilligen Eingriffen in die Quartiere wurde der Versuch, Planung auf die Beine vieler zivilgesellschaftlicher Akteure zu stellen, die bisher nicht in dieser Weise engagiert waren. Nicht Partizipation als Frontstellung Bürger vs. Staat, sondern Partizipation als weitest mögliche Einbindung und Partnerschaften vor allem zivilgesellschaftlicher Akteure bildet das Zentrum der Bemühungen. Kurz gesagt: Es geht nicht um Beteiligung als Mobilisierung gegen, sondern um Beteiligung als Aktivierung für Projekte, die sonst gar nicht erst entstehen würden. Die Bürger sollen ihr Verhalten und ihre Erwartungen an den Staat praktisch ändern. Die Standards des lokalen Sozialstaates sollen nicht als Leistungen abgerufen, sondern vor Ort selbst praktisch hergestellt werden – im Sinne eines aktivierenden oder kooperierenden, gewährleistenden statt versorgenden Staates. Dem entspricht die doppelte Zielsetzung des Programms.

Das Doppelziel des Programms: Stabilisierung von Quartieren, Erneuerung der Stadterneuerung

(@ Meike Fischer)

Das Programm „Soziale Stadt“ verbindet ein materielles und ein politikbezogenes Ziel. Das primäre, materielle Ziel, benachteiligte Quartiere zu stabilisieren, soll nun auf neuen Wegen, nämlich mit einem integrierten Instrumentarium, erreicht werden. Dieses zweite, politikbezogene Ziel („Erneuerung der Stadterneuerung“) meint die „innovative, nachhaltige Stadtentwicklung“ durch integriertes Handeln aller beteiligten Ressorts und Akteure: Die Aufgaben sollen auf viele Schultern verteilt und dazu neue Konstellationen von Akteuren und Finanzierungen mobilisiert werden.

Pioniere, die bereits vorher vergleichbare Programmansätze in der Stadtplanung verfolgten, waren in Deutschland die Bundesländer Nordrhein-Westfalen (1993) und Hamburg (1994). Ebenso zu nennen sind Hessen (1995), Bremen (1998) und Berlin (1999). Es handelt sich bei dem Programm „Soziale Stadt“ nicht um ein eigenes Gesetz, sondern um eine zwischen Bund und Ländern jährlich zu schließende „Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die Länder nach Artikel 104a Absatz 4 des Grundgesetzes zur Förderung städtebaulicher Maßnahmen“ (VV). Der neue Programmansatz wurde erstmals 1999 in die Städtebauförderung integriert.

Von der Partizipation als Basisdemokratie zu partnerschaftlichen Organisationsformen

Während in den ersten Jahren des Programms „Soziale Stadt“ noch ein experimenteller Charakter vorherrschte, gibt es inzwischen relativ stabile Verfahren und Bausteine. Die Grundlage dafür legten Modellvorhaben und eine Programmbegleitung, die auf Erfahrungsaustausch, Monitoring und Evaluation setzt.

Allein diese Begriffe weisen bereits darauf hin, wie weit gefasst dort der partizipative Ansatz inzwischen verstanden wird: Es handelt sich inzwischen um ein partnerschaftliches Grundverständnis. Denn alle Akteure sind eingebunden in Dialog- und Kommunikationsroutinen, die sie auf die Entwicklungsziele für das Quartier und deren Überprüfung verpflichten und die möglichst wirksame Koordination fördern sollen. Nicht allein „vertikal“, sondern quer durch die beteiligten staatlichen Ebenen wie Bund, Länder und Gemeinden („multi-level“) sollen Akteure miteinander reden und sich abstimmen. Vor allem für die „horizontale Kommunikation“ vor Ort gilt, dass sehr unterschiedliche Akteure – etwa aus städtischen Ämtern, der Polizei, den Kirchen, der Wohlfahrtspflege, der lokalen Wirtschaft und aus Vereinen sowie Initiativen – miteinander ins Gespräch kommen sollen.

Ein so weites, eher partnerschaftliches Verständnis von kollaborativer Planung scheint allerdings weit entfernt von der ursprünglichen Vorstellung von Partizipation als basisdemokratischer Planung zu sein, die an einer weitgehenden örtlichen Selbstbestimmung orientiert ist und möglichst allen im Gebiet Wohnenden weitgehende Mit- und Selbstbestimmung einräumt. Doch vor Ort ist die Arbeit der Quartiermanager und -managerinnen gerade auf Mit- und Selbstbestimmung angewiesen. Dies zeigt sich in der Umsetzung: Die typischen Bausteine des Programms „Soziale Stadt“ sind Quartiermanagement, integrierte Handlungskonzepte und quartierbezogene Projekte.

Quartiermanagement

Quartiermanagements veränderten die Art und Weise, wie Stadterneuerung durchgeführt wurde. Anders als bei einer rein technisch und auf bauliche Änderungen orientierten Planung sollen die Teams in den Büros vor Ort sicherstellen, dass die großen Ziele der Programme der verschiedenen Institutionen und Akteure auf den verschiedensten Ebenen auch in ihrem Quartier „ankommen“: Sie sollen wirksam im Sinne der Bedürfnissen und Interessen der Bewohner integrierte Handlungskonzepte und Quartierprojekte konkretisieren und umsetzen helfen – keine leichte Aufgabe, weil sie zugleich Fachkunde, Moderation und Koordination erfordert. Das Quartiermanagement wurde deswegen schon früh ironisch als „eierlegende Wollmilchsau“ bezeichnet, also als ein seltsames Wesen, von dem täglich Unmögliches erwartet wird – und das noch dazu in solchen Stadtteilen, in denen die bisher üblichen Maßnahmen nicht griffen. Auch wegen dieser anspruchsvollen Querschnittaufgabe setzt sich ein Quartiermanagement meist als ein Team aus verschiedenen Berufen (z.B. aus Sozialarbeit/-pädagogik, Architektur/Stadtplanung, Ökonomie usw.) zusammen. Quartiermanager und -managerinnen arbeiten in der Regel im Auftrag der Stadtverwaltung.

Die Kritik am Programm

Seit Beginn erntete das Programm neben breiter Zustimmung auch Kritik. Sie richtete sich zunächst auf die Ziele. Statt Armut würden allenfalls die Symptome und Erscheinungsformen in den Quartieren, nicht aber deren Ursachen bekämpft. Aus dieser Sicht erscheint das Programm als „zweitbeste Lösung“; als soziales Feigenblatt legitimiere es lediglich eine neoliberale, auf Wirtschaftswachstum orientierte Stadtpolitik. Die im Vergleich zu anderen Förderprogrammen relativ geringe Mittelausstattung sei „nur Spielgeld“. Andere Kritiker erkennen an, dass die Quartiere nicht bloß Armut und Ausgrenzung widerspiegeln, deren Ursachen ökonomisch verursacht sind, sondern viele Ursachen haben. Benachteiligende Effekte, die sich aus der Konzentration in benachteiligenden Quartieren ergeben (sogenannte Kontexteffekte), könnten deswegen durchaus mit Mitteln von Stadtplanung und –politik bearbeitet werden.

Damit rückte die Kritik an den Mitteln in den Vordergrund. Ist ein investives „Leitprogramm“ des Städtebaus überhaupt geeignet, soziale Ziele mit baulich-investiven Mitteln zu erreichen, wenn die Gelder für die sozialen Projekte extern eingeworben werden müssen? Denn Investitionen in neue Straßen und Gebäude allein schaffen kein anderes soziales Klima. Dazu bedarf es vielmehr der Investitionen in Menschen – also etwa über soziale Programme. Hier helfen Programme anderer Bundesministerien, vor allem aber seit vielen Jahren die Europäische Union aus, die beispielsweise Mittel für berufliche Qualifizierung- und Wiedereingliederung zur Verfügung stellt. Indessen lehrt die Erfahrung des sogenannten Ressortegoismus der Ministerien auch: Der Charakter eines reinen Fachprogramms der Städtebauforderung droht integrierte Ansätze der „Sozialen Stadt“ eher strukturell zu unterminieren und ihrer Verbreitung Hürden in den Weg zu stellen. Daran schließlich schließt die Kritik am „Tunnelblick“ des Programms an, wie sie etwa der Stadtsoziologie Hartmut Häußermann formuliert hat. Demnach sei das Programm nur auf die Elendsquartiere gerichtet, statt die „Unteilbarkeit der Stadt“ zu berücksichtigen. Eine solche Verengung begrenze die Wirksamkeit des Programms, weil sie die Verantwortlichen eher von ihrer Gesamtverantwortung entlaste.

Fazit

Mit dem Bund-Länder-Gemeinden Programm „Soziale Stadt“ wird eine alte Vorstellung von der Stadt der gleichen Chancen auf wenige Problemquartiere eingegrenzt, um diese vor dem sozialen und wirtschaftlichen Abseits zu bewahren. Problematisch bleibt dieser Ansatz, wenn es bei dem „Tunnelblick“ auf wenige Quartiere bleibt und der Blick nicht auch auf die Gesamtstadt gerichtet wird, wie es der Titel des Programms verspricht. Der gesetzliche Rahmen der Städtebauförderung und das Planungsrecht sichern und bringen den Grundgedanken der Bürgerbeteiligung hinzu. Der Geburtsfehler eines zunächst rein investiven Programms, das auf externe Mittel für soziale Programme angewiesen ist, wird in der Praxis der Bündelung verschiedener zusätzlicher Programme in den Gebieten mit hohem administrativen und personellen Aufwand weitgehend geheilt. Wenig Klarheit herrscht nach wie vor darüber, wann und ob Quartiermanagement in Bezirken mit Gentrifizierungsprozessen den betroffenen benachteiligten Zielgruppen etwas gebracht hat. Sie könnten bereits aus dem Viertel verdrängt worden sein. Dazu bedürfte es zielgruppenbezogener, nicht gebietsbezogener Untersuchungen.

Das Quartiermanagement hat von Beginn an die anspruchsvolle Aufgabe, diese Ziele am Ort umzusetzen, indem es basisdemokratische Modelle der Beteiligung mit Befähigung, Motivation, Koordination und Kooperation vieler Akteure verbindet.

Die ohnehin anspruchsvolle Aufgabe des Quartiermanagements ist inzwischen nicht leichter geworden, obwohl auch neue Chancen für das Gelingen erwachsen. Die gelingende Aufwertung einstiger sogenannter „Problemgebiete“ und die zunehmende Verknappung und Verteuerung von Wohnraum drohen allerdings, die Arbeit des Quartiermanagements zu konterkarieren. Einer gesamtstädtischen Wohnungs- und Wirtschaftspolitik käme bei der Verbesserung von Benachteiligung hier die bedeutende Rolle zu, die Reichweite des jeweiligen Quartiermanagements zu erhöhen. Gleiches gilt für eine integrierte Stadtentwicklung, wenn städtebauliche Aufwertung ganze Innenstadtbezirke und „Ränder“ betrifft und nicht mehr allein einzelne Kieze: Sie könnte die soziale Inklusion besser fördern, indem sie nicht nur mit „Tunnelblick“ wenige Quartiere, sondern den gesamten Stadtraum im Auge, kurz: eine „Soziale Stadt“ im Blick hätte.

Quellen / Literatur

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BMVBS – Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (2016): Soziale Stadt. Online unter Externer Link: http://www.staedtebaufoerderung.info/StBauF/DE/Programm/SozialeStadt/soziale_stadt_node.html (09.12.2016).

DIFU – Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2003): Strategien für die Soziale Stadt. Erfahrungen und Perspektiven. Berlin.

Eltges, M.; Kocks, M. (2015): Integrierte Ansätze in der räumlichen Planung – das Programm Soziale Stadt. Ein Blick zurück und nach vorne. In: BBSR im BBR (Hrsg.): Innovationen in der räumlichen Planung. Informationen zur Raumentwicklung, Heft 3/2015. Bonn-Bad Godesberg: 287–300.

Friedrichs, J. (2014): Nachbarschaftseffekte in Wohngebieten. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (Suppl) 66: 287-316.

Güntner, S. (2007): Soziale Stadtentwicklungspolitik. Berlin.

ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (Hrsg.) (2000): Analyse der Umsetzung des integrierten Handlungsprogramms für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. ILS-Schriften, Bd. 166. Dortmund.

Kronauer, M.; Siebel, W. (Hrsg.) (2013): Polarisierte Städte. Frankfurt am Main.

Sampson, R. J. (2012): The great American city. Chicago and the enduring neighbourhood effect. Chicago.

Walther, U.-J. (Hrsg.) (2002): Soziale Stadt – Zwischenbilanzen: ein Programm auf dem Weg zur Sozialen Stadt? Opladen.

Weiterführende Literatur



Häussermann, H.; Kronauer, M.; Siebel, W. (Hrsg.) (2001): An den Rändern der Städte. Frankfurt am Main.

Krummacher, M.; Kulbach, R.; Waltz, V.; Wohlfahrt, N. (2003): Soziale Stadt – Sozialraumentwicklung – Quartiersmanagement. Herausforderungen für Politik, Raumplanung und soziale Arbeit. Opladen.

IfS – Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik GmbH (Hrsg.) (2004): Die soziale Stadt. Ergebnisse der Zwischenevaluierung. Berlin.

Fussnoten

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Uwe-Jens Walther für bpb.de

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Prof. i.R. Dr. Uwe-Jens Walther, geb. 1948, war bis 2011 Professor für Stadt-und Regionalsoziologie am Institut für Soziologie und am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin. Dort lehrt er weiterhin im Studiengang Urban Development am TU Campus El Gouna. Er arbeitete an den Universitäten Oldenburg (Promotion 1987) und Bremen und der BflR/BBSR (1985-99). 2013-15 Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner. Zu seinen Forschungs- und Veröffentlichungsschwerpunkten gehört seit langem die sozialorientierte Stadtpolitik.