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Amerikas Ölrausch – höchste Zeit für eine Entzugskur | Energiepolitik | bpb.de

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Amerikas Ölrausch – höchste Zeit für eine Entzugskur

Josef Braml

/ 6 Minuten zu lesen

Der Ölverbrauch der USA muss drastisch reduziert werden. Hohe Ölpreise lähmen die Wirtschaft und schränken die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Weltmacht ein. Zudem ist mit China ein mächtiger Konkurrent um knappe Energieressourcen erwachsen. Eine transatlantische Umwelt- und Energiepartnerschaft könnte Abhilfe schaffen.

Rush Hour in Los Angeles. Der Verkehrssektor ist mitverantwortlich für die hohe Öl-Nachfrage in den USA. Ein Umdenken und neue Technologien sind gefordert, um die negativen Auswirkungen des hohen Ölpreises auf die Wirtschaft zu reduzieren. (© picture-alliance/AP)

Öldorado?

Wer den Hurrah-Meldungen der Medien Glauben schenkt, wähnt Amerika vor einem "goldenen Zeitalter": Dank neuer Bohrtechniken zur Gewinnung von Öl aus Schiefergestein, dem so genannten fracking, seien die USA auf dem Weg zur "Energieunabhängigkeit", sie betrieben einen "finanziellen und politischen Kraftakt", um zur "Ölmacht" zu werden. Ehedem vom Aussterben bedrohte Prärieregionen erlebten nunmehr einen wahren "Ölrausch" und "Wirtschaftsboom". Nüchtern betrachtet ergibt die Analyse der Fakten ein anderes Bild: Wirtschaft und Transportsektor in den USA sind massiv vom Erdöl abhängig, das auf absehbare Zeit zu einem Gutteil aus instabilen Weltregionen wie dem Mittleren Osten und Afrika importiert werden muss.

US-Mineralöleigenproduktion und -import, 1950-2011 Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Denn der ständig steigende Ölbedarf in den USA kann nicht annähernd durch die inländische Produktion gedeckt werden. Zwischen 1950 und 2011 erhöhte sich der Anteil amerikanischen Mineralöls zwar von 5,9 auf 7,8 Millionen Fässer pro Tag, doch bei insgesamt 18,9 Millionen Fässern, die heute in den USA täglich benötigt werden, ist dieser Anstieg viel zu gering. Allein der amerikanische Transportsektor, dessen Fahrzeugflotte fast ausschließlich mit Flugbenzin, Benzin und Diesel angetrieben wird, verbrauchte 2011 knapp 13,2 Millionen Fässer Erdöl pro Tag. Auf den Verkehrssektor entfallen mittlerweile über 70 Prozent des gesamten Ölverbrauchs. Bei der starken Abhängigkeit des amerikanischen Transportwesens von fossilen Kraftstoffen und der Zeit, die es kostet, neue markttaugliche Technologien zu entwickeln, ist abzusehen, dass die Vereinigten Staaten noch für mehrere Dekaden auf den Import von Öl angewiesen sein werden.

Die Abhängigkeit der Weltmacht USA vom Import des Erdöls hat – anders als beim Energieträger Gas – deutlich zugenommen: Deckten die USA 1950 ihren Bedarf noch überwiegend durch die Gewinnung eigener Ressourcen, so wurden 2011 knapp 60 Prozent des Gesamtölverbrauchs importiert, insbesondere aus den Nachbarstaaten der westlichen Hemisphäre und aus den Ländern am Persischen Golf.

US-Energieverbrauch nach Energieträgern, 1950–2011 (in Quads) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die amerikanische Energiebehörde prognostiziert zwar, dass durch die Kombination von einerseits erhöhter Eigenproduktion von fossilen und Biokraftstoffen und andererseits vermindertem Verbrauch, die Abhängigkeit von importiertem Öl bis 2035 reduziert werden könnte. Doch selbst wenn es der Weltmacht gelänge, ihren Importanteil merklich zu verringern, bliebe ihre Wirtschaftskraft verwundbar durch steigende und volatile Preise, die nicht auf vollkommenen Märkten gebildet, sondern von der OPEC, dem 1960 gegründeten Kartell der Organisation erdölexportierender Länder, bestimmt werden, dem neben den Golfstaaten mit Venezuela und Nigeria weitere für die USA wichtige Energielieferanten angehören.

Der Preis der Abhängigkeit: Sicherheit für Öl

Das OPEC-Mitglied Saudi-Arabien genießt eine Sonderstellung als sogenannter swing producer: Der Wüstenstaat ist der einzige Öllieferant, dessen Kapazitäten so hoch sind, dass er problemlos ohne längere Vorbereitungszeit zwei Millionen Fässer pro Tag zusätzlich zu fördern in der Lage ist, um auf Förderengpässe in anderen Ländern oder plötzlich steigende Nachfragen zu reagieren. So kann die Ölmonarchie die so genannten "vitalen Interessen" der USA vor den Ansinnen anderer, weniger wohlgesinnter OPEC-Staaten schützen – zum Preis seiner Regimestabilität .

Doch selbst wenn dieser amerikanisch-saudische Pakt ("Sicherheit für Öl") von den Umwälzungen in der Region unberührt bleiben sollte, werden die weltwirtschaftlichen Entwicklungen und die daraus resultierenden geopolitischen Machtverschiebungen die Vereinigten Staaten nötigen, umzusteuern: weg von fossilen Kraftstoffen, hin zu erneuerbaren Energien und energiesparenden Umwelttechnologien.

US-Hauptimportländer von Mineralöl, 2011 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die teuren Energie-Importe belasten die seit mehreren Jahren ohnehin schlechte amerikanische Außenhandelsbilanz in Besorgnis erregendem Maße. Die unausgewogene Außenhandelsbilanz ist neben der hohen Staatsverschuldung ein strukturelles Problem der amerikanischen Wirtschaft. Es macht diese verwundbar. Solange die Lieferanten ihre Erlöse in den USA reinvestierten, stellt das steigende Handelsdefizit die USA vor keine größeren Schwierigkeiten. Doch wenn die Investoren Zweifel an der Produktivität, Wirtschaftskraft und Geldwertstabilität der USA hegen und ihre Erlöse für Waren und Dienstleistungen auf anderen internationalen Finanzmärkten sichern, geraten Währung und Wirtschaft der USA massiv unter Druck. Mittlerweile geben die OPEC-Staaten ihre Petro-Dollars vermehrt in Asien aus.

Längst beeinträchtigen teure Energie-Importe die amerikanische Wirtschaft. Hohe Energiepreise betreffen in erster Linie energie-intensive Wirtschaftssektoren und verursachen indirekt zusätzliche Kosten für andere Wirtschaftszweige. Auch die Konsumenten bekommen den Anstieg der (Energie-)Preise zu spüren, denn sie sind bei sinkender Kaufkraft gezwungen, an anderen Ausgaben zu sparen.

Interner Link: Längerfristig angelegte Studien verdeutlichen, dass hohe Ölpreise durchaus im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Rezessionen stehen, denn zehn der elf amerikanischen Wirtschaftsrezessionen nach dem Zweiten Weltkrieg gingen signifikante Ölpreiserhöhungen voraus. Zwar sind für Einbrüche der wirtschaftlichen Entwicklung stets viele Faktoren von Belang, doch hohe Ölpreise können der sprichwörtlich letzte Tropfen sein, der das mit anderen Problemen bereits bis zum Rande gefüllte Fass zum Überlaufen bringt.

Dieses dialektische Auf und Ab, das Aufeinanderfolgen von hohem Ölpreis – Wirtschaftseinbruch – niedrigerem Ölpreis – wirtschaftlicher Erholung – Anziehen des Ölpreises und den damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Problemen wird sich wiederholen, solange es den energiehungrigen Industriemächten nicht gelingt, sich aus diesem Teufelskreis zu befreien. Befreiung aber heißt, die Wirtschaft auf einen möglichst niedrigen Verbrauch fossiler Brennstoffe einzustellen.

Wachsender Handlungsdruck

Der Problemdruck wird noch wachsen, denn ehemalige Entwicklungsländer wie China und Indien verbrauchen im Zuge ihrer wirtschaftlichen Aufholjagd immer mehr Energie. Nach den Daten der Internationalen Energieagentur hat China die USA schon 2009 als weltweit größter Energieverbraucher überflügelt. Interner Link: Durch seine merkantilistische, zunehmend auch militärisch flankierte Energiesicherungspolitik bedroht das Reich der Mitte zunehmend die Energieressourcen und damit das, was Sicherheitsexperten die vitalen Interessen Amerikas nennen.

Auch wenn aus geostrategischer Perspektive die Bedrohung der nationalen amerikanischen Interessen überzeichnet scheint, so ist doch nicht zu bestreiten, dass die hohen Kosten für Energie und die zu ihrer Sicherung aufgewendeten externen Kosten die wirtschaftliche Genesung der Weltmacht beeinträchtigen.

Mittlerweile sehen Experten zahlreicher Think Tanks und Politiker beider Parteien in der Entwicklung erneuerbarer Energien einen für die USA gangbaren Weg, sich aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus problematischen Weltregionen zu befreien. Angesichts der Verwundbarkeit der amerikanischen Wirtschaft und des Transportsektors sei es dringend erforderlich, Biokraftstoffe und andere Alternativen zu entwickeln für die auf fossile Brennstoffe angewiesenen Wirtschaftszweige.

Was können wir tun?

Einen Wandel in der globalen Energie- und Klimapolitik – und damit auch nachhaltiges Wirtschaften – wird es ohne die USA nicht geben. Hier muss ein Kurswechsel erfolgen. Um das zu erreichen, darf die deutsche wie die europäische Politik ihre Aufmerksamkeit nicht allein auf die amerikanische Exekutive und den Präsidenten richten, sondern sollte zugleich über die Ebene der Bundesstaaten und über den Transmissionsriemen der nationalen Legislative ihre Politikvorstellungen in die öffentliche Debatte der USA hineintragen.

Eine transatlantische Umwelt- und Energiepartnerschaft sollte Forschung und Investitionen im Bereich neuer Technologien und den freien Handel alternativer Kraftstoffe im multilateralen Rahmen fördern. Technische Innovationsvorsprünge hierzulande stellen für deutsche und europäische Politiker gute Argumente dar, wenn sie bei amerikanischen Meinungsführern und Entscheidungsträgern für eine transatlantische Energie- und Umweltpartnerschaft werben als Grundlage für eine multilaterale, umweltverträgliche Energiesicherheitspolitik.

Die in den Zukunftsmärkten technologisch (noch) führenden westlichen Industrienationen sollten schnell handeln und weltweite Standards in den Bereichen Energie- und Umwelttechnologie entwickeln. Bilaterale Verabredungen der USA etwa mit Brasilien und Indien gibt es bereits. Darüber hinaus sollte man die Bemühungen des Transatlantic Economic Council auf dieses Kernthema fokussieren und weltweit nach Lösungen suchen. Da zahlreiche Länder Interesse an alternativen Kraftstoffen und der Entwicklung von marktfähigen Technologien haben, bestehen reichlich Anreize für multilaterales Handeln.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Ein Fass entspricht 159 Litern; Energy Information Administration (EIA), Annual Energy Review 2011, Washington, D.C., September 2012; Tabelle 5.1b, S. 121.

  2. Ebd., Tabelle 5.13c, S. 148.

  3. Die USA beziehen netto derzeit nur etwa 14 Prozent ihres Gasverbrauchs von außerhalb; siehe ebd., Abb. 6.1, S. 178.

  4. Energy Information Administration, Annual Energy Outlook 2012, Washington, D.C., Juni 2012, S. 96.

  5. International Energy Agency, World Energy Outlook 2010, Paris, Zusammenfassung, S. 5-6.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Josef Braml für bpb.de

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Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Eine ausführlichere Analyse der energetischen Auswirkungen auf die Wirtschaft und Außenpolitik der USA hat er soeben beim Siedler-Verlag unter dem Titel "Der amerikanische Patient“ veröffentlicht. Das Werk, das auf der Frankfurter Buchmesse mit dem renommierten International Book Award ausgezeichnet wurde, ist auch über die Bundeszentrale für Politische Bildung erhältlich: http://www.bpb.de/125337