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Feministische Außenpolitik | Deutsche Außenpolitik | bpb.de

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Feministische Außenpolitik Hintergründe und Praxis

Marieke Fröhlich Anna Hauschild

/ 14 Minuten zu lesen

Nachdem Schweden 2014 vorgelegt hat, verfolgt seit 2021 auch die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag eine "Feminist Foreign Policy". Was genau ist feministische Außenpolitik, wie hat sich dieses Konzept entwickelt und wie schlägt es sich in der politischen Praxis?

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einigten sich in ihrem Koalitionsvertrag 2021 darauf, eine "Feminist Foreign Policy" zu verfolgen, und beriefen mit Annalena Baerbock erstmals eine Frau an die Spitze des Auswärtigen Amtes. 2014 hatte Schwedens Außenministerin Margot Wallström die erste offizielle feministische Außenpolitik eines Staates verkündet. Seitdem haben sich mindestens zehn Staaten zu feministischer Außenpolitik, feministischer internationaler Zusammenarbeit oder feministischer Diplomatie bekannt beziehungsweise die Absicht hierzu erklärt. Was genau bedeutet feministische Außenpolitik, wie hat sich dieses Konzept entwickelt und wie schlägt es sich in der politischen Praxis?

Keine der bisher staatlich formulierten feministischen Außenpolitiken erwähnen, wie genau sie das "feministische" an ihrer Politik definieren. Es gibt für das Konzept auch keine allgemeingültige Definition, die auf unterschiedliche politische und historisch gewachsene Kontexte angewandt werden kann, weil Feminismus unterschiedliche Bedeutungen für unterschiedliche Akteur*innen und Kontexte hat. Grundsätzlich ist feministische Außenpolitik eine menschenrechtsbasierte Friedenspolitik, die Geschlechtergerechtigkeit und die Überwindung internationaler Herrschafts- und Gewaltverhältnisse als eine Voraussetzung für Frieden versteht. Somit verfolgt sie das Ziel eines feministischen Friedens, also eines positiven Friedens, der nicht nur der Beendigung direkter physischer Gewalt und Kriegshandlungen bedarf, sondern auch einer Überwindung von struktureller Gewalt insbesondere mit Blick auf Diskriminierung. Feministische Außenpolitik kommt also der gesamten Gesellschaft zugute. Diesem Beitrag liegt ein Verständnis von feministischer Außenpolitik als normativem, friedenspolitisch orientiertem Politikansatz zugrunde, der machtkritisch eine Transformation internationaler Herrschaftsverhältnisse anstrebt, insbesondere militarisierter, patriarchaler, rassifizierter und neokolonialer Gewaltstrukturen.

Feministische Außenpolitik richtet den Fokus auf die am meisten marginalisierten Menschen mit dem spezifischen Ziel, intersektionale menschliche Sicherheit und Gerechtigkeit herbeizuführen. Ein intersektionales Verständnis berücksichtigt das Zusammenwirken verschiedener Unterdrückungs- und Diskriminierungsmechanismen, etwa aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Rassifizierung. Menschliche Sicherheit bezieht sich auf die Erweiterung des Sicherheitsverständnisses, weg von einem Fokus auf das Sichern von Grenzen. Stattdessen steht die Sicherheit von Menschen als Individuen und in Gemeinschaften im Mittelpunkt. Intersektionale menschliche Sicherheit bedeutet eine Erweiterung des Verständnisses der sieben Dimensionen menschlicher Sicherheit – gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische, gesundheitliche, persönliche sowie Ernährungs- und Umweltsicherheit –, um unsichtbare normalisierte Gewaltstrukturen und Diskriminierungen zu überwinden, die für marginalisierte Menschen in Unsicherheit münden.

Grundsätzlich verfolgt eine feministische Außenpolitik also nicht nur die Gleichstellung der Geschlechter oder gar nur die Beteiligung von Frauen im Sinne eines Reformansatzes, sondern eine Transformation von existierenden gewaltvollen Strukturen und ungerechten Machtverhältnissen im internationalen System – und damit eine Disruption.

Geschichtliche Einordnung

Die Geburtsstunde feministischer Außenpolitik wird oft mit der Erklärung Schwedens 2014 datiert, dabei reicht die Geschichte der aktivistischen Entwicklung entsprechender Ansätze viel weiter zurück. Feministische Friedensaktivistinnen, antikoloniale und antiimperiale Bewegungen befassen sich schon seit mehreren Hundert Jahren mit den Inhalten feministischer Außen- und Friedenspolitik.

Die erste spezifische Formulierung ihrer Grundsätze erfolgte im Rahmen des Internationalen Frauenfriedenskongresses 1915 in Den Haag. Der Kongress, auf dem sich über tausend Frauen aus zwölf Ländern trafen, um über einen Ausweg aus dem Ersten Weltkrieg hin zu einer nachhaltigen Friedensordnung zu beraten, mündete neben zwanzig Forderungen an politische Entscheidungsträger auch in die Gründung der heute ältesten Frauenfriedensorganisation: die Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF, deutsch: Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit). Die Forderungen der Aktivistinnen umfassten die sofortige Beendigung des Krieges, eine universelle Abrüstung, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, eine Demokratisierung von Außenpolitik, ein Plädoyer für Friedens- statt Kriegspolitik, Multilateralismus sowie eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft. Die Friedensaktivistinnen waren ihrer Zeit weit voraus: Wurden ihre Forderungen 1915 noch kaum beachtet, fand ein Großteil von ihnen mehr als drei Jahrzehnte später Eingang in die Gründungscharta der Vereinten Nationen. Die Zivilgesellschaft spielte auch in der weiteren Entwicklung von feministischer Außenpolitik eine zentrale Rolle.

Feministische Außenpolitik baut heute neben dem Frauenfriedenskongress von 1915 auf eine Reihe von Meilensteinen auf internationaler Ebene auf, darunter die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau von 1979, die Erklärung von Beijing der Vierten UN-Weltfrauenkonferenz von 1995 sowie die Millennium- beziehungsweise Sustainable Development Goals aus dem Jahr 2000 und 2015. Zentrales Fundament für die Praxis feministischer Außenpolitik ist die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2000 mit der Agenda "Frauen, Frieden und Sicherheit". Die Agenda erwähnt erstmals die geschlechtsspezifischen Dynamiken und Folgen von Kriegen und Konflikten und verpflichtet die Staatengemeinschaft zur Prävention von Konflikten und deren geschlechtsspezifischen Folgen, insbesondere sexualisierter Kriegsgewalt, zum Schutz von Frauen und Mädchen in Konflikten sowie zur gleichberechtigten Partizipation von Frauen und Mädchen bei der Beilegung von Konflikten. Die einstimmig angenommene Resolution legte einen neuen normativen Grundstein, auf dem feministische Außenpolitik aufbaut und an dessen Implementierung sie sich mindestens orientieren muss.

Die Weiterentwicklung dieser existierenden Werkzeuge ist das Alleinstellungsmerkmal von feministischer Außenpolitik: Durch eine Ausweitung feministischer Perspektiven auf weitere sich gegenseitig beeinflussende Themenbereiche wie Handelspolitik, Migrationspolitik, Klimapolitik oder Rassismuskritik erfordert feministische Außenpolitik eine übergreifende und kohärente feministische Politikpraxis.

Feministische IB-Theorien

Zeitgleich zu den internationalen politischen Entwicklungen für mehr Gleichberechtigung entwickelten sich auch im Forschungsfeld Internationale Beziehungen (IB) feministische Ansätze. Diese stehen im Gegensatz zu Perspektiven der realistischen Schule, die in der Disziplin den Mainstream ausmachen: Wo feministische Ansätze insbesondere eine Transformation von Herrschaftsverhältnissen hin zu egalitärer und emanzipatorischer Politik adressieren, befasst sich der Realismus-Ansatz mit der Erhaltung des Status quo, etwa durch internationalen Machtausgleich. Anstatt einer Konfrontationslogik ist in feministischer Außenpolitik eine Friedenslogik verankert.

Feministische, antikoloniale und andere kritische Forscher*innen hinterfragen und denken seit Jahrzehnten die Grundannahmen der IB neu. Dabei stellen sie heraus, wie Theorie und Praxis internationaler Beziehungen von einem patriarchalen und (post)kolonialen Projekt herrühren, dessen Auswirkungen und Ausläufer auch heute internationale Machtdynamiken strukturieren. Beispielsweise bauen die Vereinten Nationen als Institution grundlegend auf Machtungleichheiten und dem Erbe eines kolonialen Machtgefälles auf, wie etwa die Mitgliederkonstellation des Sicherheitsrates illustriert. Angesichts dieser rassifizierten und (post)kolonialen Herrschaftsverhältnisse darf eine solche antikoloniale Perspektive in der feministischen Außenpolitik nicht fehlen.

Kritische feministische IB-Theorien fragen also nicht nur nach der Sichtbarkeit von Frauen, sondern auch, von wem, wo, wie und in welcher Form Macht ausgeübt wird. Werden diese Fragen im Diskurs, im Verständnis und in der Praxis internationaler Politik ignoriert, besteht das "Risiko, diese Beziehungen von Dominanz und Unterdrückung zu perpetuieren". Dabei reicht es nicht, einfach mehr Frauen in existierende Institutionen zu bringen. Denn ohne strukturelle Veränderungen in Institutionen internationaler Politik besteht die Gefahr, dass weibliche Diplomat*innen hier für Symbolpolitik herhalten müssen. Die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse sind von Grundannahmen wie jenen der (neo)realistischen IB-Theorien geprägt, also männlich und "weiß"-europäisch. Feministische Außenpolitik stellt diese strukturellen Machtdynamiken infrage und setzt sich für ihre Dekonstruktion und Überwindung ein.

Als noch relativ junges, sich rapide entwickelndes, aber dennoch marginalisiertes Forschungsgebiet fließt feministische Forschung mit diversen Schulen in feministische außenpolitische Ansätze ein, je nachdem, welche Schwerpunkte gesetzt werden. Grundsätzlich muss eine Außenpolitik, die feministisch gestaltet werden soll, aber an den Perspektiven, Bedarfen und Lebensrealitäten der am meisten marginalisierten Menschen orientiert sein. Dafür sind kritische Reflexivität, also ein kontinuierliches Hinterfragen und Reflektieren des eigenen Handelns, sowie ein "ethischer Kosmopolitismus" notwendig. Feministische Außenpolitik orientiert sich demnach an einem inklusiven Multilateralismus, der intersektionale menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt stellt und in einer Friedenslogik denkt. Damit diese friedenspolitische Orientierung Früchte trägt, müssen Staaten eine gemeinwohlorientierte Politik verfolgen. Menschliche Sicherheit steht hier über dem Sichern von Staatsgrenzen. Zugleich muss das Verständnis menschlicher Sicherheit im feministischen Sinne erweitert werden, um geschlechtsspezifische und intersektionale Aspekte von Sicherheit zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass strukturelle Gewaltverhältnisse wie Frauenfeindlichkeit und Rassismus aus sicherheitspolitischer Sicht überwunden werden müssen.

Geschlechtergerechtigkeit und eine Transformation internationaler politischer Strukturen und Praktiken in Richtung feministischer Ansätze werden nicht nur aus normativen Gründen angestrebt, sondern auch, weil sich die Belege mehren, dass dadurch andere Ziele demokratischer internationaler Beziehungen unterstützt werden. So gibt es etwa Erkenntnisse darüber, dass Staaten weniger in bewaffnete Konflikte involviert sind, wenn die Geschlechtergerechtigkeit dort hoch ist. Der Umkehrschluss scheint auch wahr zu sein: Je mehr Geschlechterungerechtigkeit in einem Staat herrscht, desto eher werden internationale Konflikte mit Waffen ausgetragen. Aus einer feministischen Forschungsperspektive ist das keine Überraschung, denn Systeme patriarchaler, rassistischer oder wirtschaftlicher Unterdrückung und Militarismus bedingen sich gegenseitig und führen zu Gewalt – ob in struktureller oder physischer Form.

Als Korrektiv zu akademischer Theorie und staatlicher Praxis wirkt die Zivilgesellschaft. Sofern sie in die Politikgestaltung eingebunden ist, kann sie zu Reflexivität beitragen. Zivilgesellschaft zu stärken und einzubeziehen, insbesondere kritisch-emanzipatorische, Graswurzel- und feministische Akteure, ist daher ein Grundpfeiler feministischer Außenpolitik. Denn das Vernetzen und Engagieren in der Zivilgesellschaft macht es marginalisierten Menschen möglich, ihren Stimmen breiteres Gehör zu verschaffen. Außerdem verfügen zivilgesellschaftliche Akteure über das notwendige Wissen, die Erfahrungswerte und das Netzwerk, um die Bedürfnisse und Stimmen von marginalisierten Menschen hörbar zu machen.

Praxisbeispiel Schweden

Feministische Außenpolitik als Staatspolitik nahm 2014 in Schweden den Anfang. Tatsächlich rief Schweden 2014 auch eine feministische Regierung aus, also auch eine innenpolitisch orientierte feministische Politik. Ende 2022 verkündete der neue Außenminister Tobias Billström, dass Schweden nun das feministische Label ablegen, die Politik inhaltlich jedoch weiterverfolgen werde. Inwiefern dies tatsächlich der Fall ist, muss abgewartet werden. Inzwischen haben unter anderem auch Kanada (2017), Frankreich (2019), Mexiko (2020), Libyen (2021), Spanien (2021), Luxemburg (2021) und Chile (2022) wenigstens die Absicht erklärt, eine feministische Außenpolitik zu verfolgen. Interessant ist zu hinterfragen, welche Funktion eine offizielle Verkündung feministischer Außenpolitik für diese Staaten erfüllt, insbesondere im Kontext internationaler Machthierarchien. Denn diverse Staaten praktizieren feministische Prinzipien, betiteln ihre Politik jedoch nicht als solche. Diskursive Wirkmacht und internationale Machtpositionierungen spielen hier eine wichtige Rolle.

Schwedens feministische Außenpolitik verfolgte den "3R-Ansatz": die Rechte und gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Mädchen sollten sichergestellt und zudem die nötigen Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt werden. Ein viertes "R" für Realität folgte mit der Begründung, dass die feministische Außenpolitik in der Lebenswirklichkeit von Frauen verankert sein müsse. Dieser Ansatz hat sich als eine Art Standard durchgesetzt, wird von feministischen Forscher*innen und Teilen der Zivilgesellschaft jedoch als reformistisch und nicht transformativ kritisiert.

Schwedens Bilanz aus acht Jahren feministischer Außenpolitik ist gemischt. Einerseits war der whole of government approach ein wichtiges Zeichen für die notwendige Kohärenz zwischen innen- und außenpolitischer Umsetzung feministischer Politik. Die schwedische Regierung hat starke Erfolge bei der gleichberechtigten Repräsentanz von Frauen in gesellschaftlichen Strukturen und Politik erzielt. Das Mainstreaming von Gleichberechtigung im politischen System hat gut funktioniert und wurde auch in multilateralen Kontexten erfolgreich vertreten. Es gibt jedoch auch schwerwiegende Kritikpunkte: Konzeptionell griff die Strategie Schwedens für feministische Außenpolitik zu kurz, da sie an einem binären Geschlechterverständnis orientiert war und LGBTQI-Perspektiven nicht spezifisch verfolgt wurden. Auch Bereiche wie die strikte Asylpolitik sind als besonders gewaltvoll für Frauen und Mädchen einzustufen. Außerdem werden die kontinuierliche und sogar gestiegene Waffenproduktion sowie die Waffenexporte Schwedens kritisiert, insbesondere nach Saudi-Arabien. Das bezieht sich nicht nur auf die problematische politische Praxis Saudi-Arabiens, insbesondere mit Blick auf Frauenrechte, sondern vielmehr darauf, dass Schweden als Produktionsstätte und Lieferant von Kriegsmaterialien stark von der politischen Ökonomie von Krieg und Militarisierung profitiert.

Praxisbeispiel Deutschland

Die feministische Außenpolitik der Bundesregierung orientiert sich ebenfalls am 3R-Ansatz. Im Koalitionsvertrag 2021 formulierte die neue Bundesregierung den Anspruch: "Gemeinsam mit unseren Partnern wollen wir im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern." Die Konkretisierung der deutschen feministischen Außenpolitik erfolgte insbesondere durch die kontinuierliche öffentlichkeitswirksame Thematisierung durch Außenministerin Annalena Baerbock sowie die Veröffentlichung der Leitlinien für feministische Außenpolitik im März 2023 durch das Auswärtige Amt.

Die Leitlinien dienen als Richtschnur zur Zielsetzung und Umsetzung der feministischen Außenpolitik des Auswärtigen Amtes. Sie sind aufgeteilt in eine Erläuterung des 3R-Ansatzes und in Ausführungen zu sechs außenpolitischen Bereichen: Friedens- und Sicherheitspolitik, humanitäre Hilfe und Krisenmanagement, Menschenrechtspolitik, Klima- und Energieaußenpolitik, Außenwirtschaftspolitik sowie Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Außerdem beinhalten die Leitlinien eine interne Dimension, die sich auf Arbeitsweisen und Strukturen innerhalb des Ministeriums sowie im diplomatischen Dienst bezieht und wie diese diverser und inklusiver gestaltet werden können. Feministische Außenpolitik soll in all diesen Themenbereichen und Arbeitsabläufen mitgedacht und ein "feministischer Reflex" ausgebildet werden.

Im Einklang mit dem Anspruch von Reflexivität verstehen sich die Leitlinien als work in progress. Inwieweit feministisches Wissen und Erfahrungswerte aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft als Korrektiv auch in der Umsetzung einbezogen werden, wird über die Glaubwürdigkeit des selbst auferlegten Anspruchs der Selbstreflexion entscheiden.

Die Leitlinien zeigen bereits eine Weiterentwicklung des Verständnisses feministischer Außenpolitik. Im Koalitionsvertrag wurden nur Frauen und Mädchen als Adressat*innen feministischer Außenpolitik benannt und somit ein binäres Geschlechterverständnis aufrechterhalten. Die Leitlinien aber benennen auch weitere marginalisierte Gruppen und verweisen damit auf Intersektionalität. Allerdings finden patriarchale und (post)koloniale Machtstrukturen, die Außenpolitik weiterhin prägen, weniger explizit Erwähnung. Daher spiegeln die Leitlinien eher ein liberal-feministisches als ein umfassendes intersektional-transformatives feministisches Verständnis von feministischer Außenpolitik.

Der Prozess der Erarbeitung der Strategie für feministische Außenpolitik umfasste einzelne Dialogformate und Konsultationen mit (feministischen) Akteuren aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Dies ist zu begrüßen, denn ein feministischer Anspruch in außenpolitischen Prozessen braucht auch eine feministische Ausgestaltung genau dieser Prozesse. Das heißt, sie sollten so dialogisch, hierarchiearm und transparent wie möglich gestaltet werden: Das Einbeziehen von feministischer Expertise, Erfahrung und Wissen in der Formulierung, Umsetzung und Evaluation einer feministischen Außenpolitik ist dabei entscheidend. Jedoch können auch in diesen Dialog- und Konsultationsprozessen exkludierende patriarchale, rassistische und klassistische Hierarchien und Machtdynamiken wirken, die es durch kritische Selbstreflexion zu überwinden gilt.

Spannungsfelder in der praktischen Umsetzung

Bei der Umsetzung feministischer Außenpolitik müssen Ambivalenzen und die Notwendigkeit von Komplexität anerkannt werden. Das Unterfangen, feministisches Denken und Handeln in außenpolitischen Prozessen zu etablieren, findet zwangsläufig innerhalb derselben Strukturen statt, die überwunden werden sollen. Gleichzeitig ist der Vorwurf, feministische Außenpolitik wäre ein utopisches, theoretisches oder abstraktes Konzept, das in der sogenannten Realpolitik keine Anwendung finden kann, nicht haltbar. Denn feministische Außenpolitik verfolgt den Anspruch, marginalisierte Perspektiven in den Mittelpunkt zu stellen und als Ausgangspunkt politischer Entscheidungen zu sehen, also ist sie auch immer realitätsnah, praxisorientiert und kontextuell. Nichtsdestotrotz ist die Umsetzung von feministischer Außenpolitik von Spannungsfeldern geprägt, die es zu navigieren gilt.

Es zeigt sich beispielsweise ein Spannungsfeld zwischen Anspruch und Praxis feministischer und sozialer Bewegungen einerseits und der Möglichkeit der Umsetzung feministischer Außenpolitik als Staatspolitik andererseits. Staaten sind selbst durch patriarchale Hierarchien gekennzeichnet und existieren wiederum in einem patriarchalen, (post)kolonialen internationalen System. In diesem System zeigt sich weiterhin eine Tendenz zu steigenden Rüstungsausgaben oder ein Festhalten an Logiken wie jener der nuklearen Abschreckung. Ein feministischer und friedenspolitischer Anspruch richtet sich jedoch gegen Aufrüstung und für eine gendersensitive restriktive Rüstungskontrolle sowie Demilitarisierung. Vor diesem Hintergrund stellen auch Entwicklungen im deutschen Kontext wie das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr einen Widerspruch dar, insbesondere angesichts der deutlich geringeren Investitionen in sozialpolitische, geschlechtergerechte oder klimapolitische Maßnahmen.

Daraus ergibt sich ein weiteres Spannungsfeld: Hat feministische Außenpolitik per se einen pazifistischen Anspruch? Feministische Außenpolitik unterscheidet zwischen der Notwendigkeit kurzfristiger feministischer Intervention zugunsten Betroffener direkter Gewaltausübung sowie langfristiger feministischer und friedenspolitischer Transformation. Daher ist es durchaus möglich, ambivalente Realitäten anzunehmen, die sich daraus ergeben, bewaffneten Widerstand und das Recht auf Selbstverteidigung anzuerkennen und sich gleichzeitig langfristig für Abrüstung auszusprechen.

Durch feministische Außenpolitik werden Leerstellen in internationalen Sicherheitsfragen sichtbar gemacht, denen umfassend mit der Implementierung und Weiterentwicklung schon bestehender Instrumente und Mechanismen wie der UN-Agenda "Frauen, Frieden und Sicherheit" begegnet werden kann. Dabei handelt es sich beispielsweise um das Herausstellen der Bedeutung reproduktiver Rechte und des Zugangs zu medikamentösen Schwangerschaftsabbrüchen als Folge konfliktbezogener sexualisierter Gewalt oder der Notwendigkeit geschlechtersensibler humanitärer Hilfe. Dabei ist die Förderung feministischer zivilgesellschaftlicher Organisationen und Netzwerke entscheidend, da diese besonders niedrigschwellige und unmittelbare Aufgaben humanitärer Hilfe, Versorgung und Care-Arbeit übernehmen. Sie überlegen auch bereits während Kriegen und Konflikten, wie ein geschlechtergerechter Wiederaufbau ihrer Gesellschaften gestaltet werden kann. Eine zusätzliche Herausforderung in der Umsetzung ist deshalb verbunden mit der Frage nach der Kontinuität feministischer Außenpolitik. Um sie auch über die derzeitige Legislaturperiode hinaus zu gewährleisten, gilt es, sich insbesondere auf die Stärkung und kohärente Umsetzung existierender multilateraler Instrumente zu fokussieren sowie feministische und emanzipatorische Zivilgesellschaft zu fördern, damit sie im Falle eines Regierungswechsels und der Zunahme von antifeministischen Tendenzen als Korrektiv wirken kann. Außerdem ist es notwendig, dass ein feministischer Politikstil in allen Ressorts und Politikbereichen Anwendung findet, denn ungerechte Machtstrukturen wirken und bedingen sich auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene und in allen miteinander verwobenen Politikfeldern.

Ein weiteres Spannungsfeld wird sichtbar in der Frage, inwieweit das Framing als "feministisch" selbst Machtstrukturen zementiert. Hierbei ist wichtig, dass in der Umsetzung einer feministischen Außenpolitik kritisch mit eurozentrischem, weißem und westlichem Feminismus umgegangen wird. Die Existenz und das Wirken verschiedener Feminismen, insbesondere in unterschiedlichen lokalen Kontexten, müssen anerkannt werden und Verständnisse und Widerstände feministischer zivilgesellschaftlicher Akteure aus den jeweiligen Kontexten im Zentrum feministischen außenpolitischen Handelns stehen.

ist Ko-Vorstandsvorsitzende der Deutschen Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF) in Berlin.
E-Mail Link: froehlich@wilpf.de

ist als Forschungsassistenz für Feministische Außenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin tätig.
E-Mail Link: hauschild@dgap.org