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"Review 2024"? | Deutsche Außenpolitik | bpb.de

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"Review 2024"? Für eine Zeitenwende im Auswärtigen Amt

Sarah Brockmeier

/ 16 Minuten zu lesen

Die öffentliche Debatte rund um die "Zeitenwende" konzentriert sich auf notwendige Reformen bei der Bundeswehr. Aber wie müsste sich eigentlich das Außenministerium verändern, um dem Anspruch einer Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gerecht zu werden?

Krieg in Europa, Debatten über Waffenlieferungen, "Zeitenwende" – Außen- und Sicherheitspolitik ist knapp ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die gesamte Ukraine wohl präsenter in öffentlichen Debatten in Deutschland als je zuvor in den vergangenen Jahrzehnten. Schon vor dem Krieg war klar: Wenn Deutschland dazu beitragen möchte, dass Europa weniger abhängig ist von den USA, wenn Berlin langfristig zu europäischer Souveränität beitragen möchte, muss es stärker führen, müssen mehr Ideen, Initiativen und Strategien aus Deutschland kommen. Dabei ist es mit mehr Geld, einem höheren Verteidigungshaushalt oder auch notwendigen Mehrausgaben für Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit oder humanitäre Hilfe nicht getan – hier sind sich die meisten Expert*innen einig. Auch die Mentalität in allen relevanten Ministerien, die Strukturen der Außen- und Sicherheitspolitik brauchen ein Update. Während sich die öffentlichen Debatten hierbei auf notwendige Reformen bei der Bundeswehr konzentrieren, fehlt in den Diskussionen im Bundestag, in der Fachcommunity und in den Medien fast gänzlich die Frage, wie sich eigentlich das Außenministerium verändern müsste, um dem Anspruch einer Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gerecht zu werden. Dabei geht es um das Selbstverständnis des Ministeriums in Zeiten, in denen alle Fachministerien und das Bundeskanzleramt internationale Politik betreiben, sowie um die Fragen, welche Aufgabe das Außenministerium in der Koordinierung der Außenpolitik noch innehat – und wie es sich vor allem verändern muss, um die wichtigste Ressource besser einzusetzen, die es im 21. Jahrhundert zu bieten hat: die eigenen Diplomat*innen.

Mehrwert des Auswärtigen Amtes

Es ist kein Zufall, dass die interne Aufstellung des Auswärtigen Amtes selbst in der Fachöffentlichkeit kaum eine Rolle spielt. Immer mehr außenpolitische Themen werden in Fachministerien bearbeitet, und auch in Deutschland trifft der oder die Regierungschef*in die wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen. 2020 verfügten die Fachministerien in der Bundesregierung zusammengenommen über fast dreimal so viele Referate, die sich mit internationalen Fragen befassten, als es Referate im Auswärtigen Amt gab. Die Relevanz des Außenministeriums ist vor diesem Hintergrund in den Augen vieler stark gesunken. Auch die Globalisierung, moderne Kommunikationstechnologie und soziale Medien sowie die Vielzahl nicht-staatlicher Akteure, die sich immer stärker in Außenpolitik einmischen, stellen mindestens seit den 1990er Jahren ein Modell von Diplomatie und Außenpolitik infrage, in dem die Außenministerien für ihren Mehrwert auf ihr Hoheitswissen verweisen konnten.

Doch gerade wegen der gestiegenen Komplexität von Außenpolitik werden Außenministerien heute gebraucht. Neben ihren zentralen logistischen Aufgaben – Unterstützung für die eigenen Bürger*innen im Ausland, Konsularwesen – ist ihre politische Kernaufgabe die Vernetzung: das Zusammenführen von Wissen aus den Botschaften aus aller Welt sowie aus dem Austausch mit nationalen und internationalen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren und anderen Ministerien. Zu diesem Schluss kommen seit über zwei Jahrzehnten nicht nur Wissenschaftler*innen, sondern das ist auch das Ergebnis von Reformdebatten zu Außenministerien in anderen Ländern.

Für das Auswärtige Amt fasste der damalige Planungsstabsleiter Thomas Bagger diese Aufgabe 2013 als "Netzwerkaußenpolitik" zusammen und empfahl dem eigenen Ministerium, die Aufgabe der "Systemintegration" zu übernehmen. Zusammen mit seinem Stellvertreter Wolfram von Heynitz wies Bagger damals auch darauf hin, dass die Lösung globaler Probleme es erfordere, in Paketlösungen zu denken, für die allein es aber eine Institution brauche, die den Überblick behält: "Zugeständnisse in der Emissionsminderung können so bspw. ‚eingetauscht‘ werden gegen Zugeständnisse in ganz anderen Politikfeldern und Verhandlungsforen. Wo aber sollen die unterschiedlichen Interessenlagen analysiert werden und wo können Linkages entwickelt und getestet werden, wenn nicht dort, wo die Informationen aus den Hauptstädten dieser Welt zusammenlaufen?" In der Tat gibt es dafür keinen anderen Ort in der Bundesregierung, und das würde sich für einen ganz wesentlichen Teil der Außenpolitik auch nicht ändern, würde das Kanzleramt eine stärkere Koordinierungsrolle als bisher übernehmen. Den Mehrwert, den ein Außenministerium wie das Auswärtige Amt heute bieten kann, ist, die Informationen von über 220 Auslandsvertretungen und der Fachministerien zusammenzuführen und daraus mehr zu machen als die Summe aus vielen einzelnen Politiken von 14 anderen Ressorts.

Koordinierungsblockade

Statt diesen Mehrwert voll auszuschöpfen und die eigene Kohärenz-Kompetenz gegenüber den anderen Ressorts in der Praxis spürbar zu machen, sieht sich das Auswärtige Amt seit mindestens zwanzig Jahren in erster Linie in Konkurrenz zu den Fachministerien und dem Kanzleramt. Spitze und Mitarbeiter*innen des Hauses werden nicht müde, auf das "Gesetz über den Auswärtigen Dienst" von 1990 zu verweisen, das für das Außenministerium unter anderem die Aufgabe vorsieht, "die außenpolitische Beziehungen betreffenden Tätigkeiten von staatlichen und anderen öffentlichen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland im Rahmen der Politik der Bundesregierung zu koordinieren". In der Realität verfügt das Ministerium aber schon lange nicht mehr über die Autorität, um diese Koordinierung effektiv auszuführen. Andere Ressorts schauen auf das Kanzleramt, um die Koordinierung in wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Fragen sicherzustellen. Dort wiederum wird diese Rolle selten übernommen. Alle Versuche, über die Einführung eines "Nationalen Sicherheitsrates" oder eines andersgenannten Gremiums die Koordinierungsfrage zu klären, scheiterten vor allem daran, dass immer derjenige Koalitionspartner, der gerade das Auswärtige Amt besetzte, solche Reformen aus Sorge vor einem Machtverlust des Amtes blockierte. So drohten auch im März 2023 die Verhandlungen um die Einführung neuer Koordinierungsstrukturen im Rahmen der Entwicklung der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands zu scheitern.

Ein Weg aus der Koordinierungsblockade könnte es sein, in zukünftigen Koalitionen das Auswärtige Amt immer der gleichen Partei wie das Kanzleramt zuzuteilen und eine Amtsspitze zu ernennen, die sich eher auf das Implementieren als auf die politische Profilierung konzentriert. Abgesehen davon, dass dies politisch eher unrealistisch ist – das Außenamt bleibt durch die Medienberichterstattung über die vielen Reisen der Hausspitze attraktiv für politische Profilierung –, könnte dies auch für eine aktivere Außenpolitik Deutschlands problematisch sein. Denn der oder die Außenminister*in ist das einzige Mitglied der Bundesregierung, bei dem alle internationalen Themen zusammenlaufen – wenn Außenpolitik im politischen Gefüge der Bundesregierung und in den politischen Debatten in Deutschland nicht untergehen soll, macht es also einen Unterschied, ob das Amt von einer ehrgeizigen Spitzenpolitikerin geführt wird oder nicht.

Im Sinne einer aktiven und strategischeren Außenpolitik könnte es im nächsten Koalitionsvertrag ein Kompromiss sein, dem Kanzleramt eine größere Koordinierungsrolle zuzusprechen, dabei aber gleichzeitig eine starke Rolle des Auswärtigen Amtes zu berücksichtigen. In der genauen Umsetzung dieser neuen Architektur böten sich konkrete Möglichkeiten, der Angst vor einem Machtverlust im Auswärtigen Amt entgegenzutreten: So könnte die Leitung eines Kabinettsausschusses mit den relevanten Minister*innen gemeinsam von Kanzler*in und Außenminister*in ernannt werden. Auch könnte ein überproportionaler Teil des zusätzlich benötigten Personals für das im Kanzleramt angesiedelte Sekretariat für diesen Ausschuss aus dem Auswärtigen Amt entsendet werden.

Einen Machtverlust für das Außenministerium könnte eine solche Architektur bedeuten, wenn der oder die Außenminister*in nur noch als eine von vielen statt als "die" Stimme der deutschen Außenpolitik wahrgenommen würde. Die Bilder von Auslandsreisen, die den Außenminister*innen zu Beliebtheit in der Bevölkerung und damit auch zu politischer Macht verhelfen, blieben aber bestehen. Und für das Außenministerium selbst sowie vor allem für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wäre einiges gewonnen, wenn die Architektur der Bundesregierung zumindest Anreize dazu setzen würde, Konflikte zwischen den Koalitionspartnern schneller anzugehen. Wenn öfter und schneller verbindliche Entscheidungen zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen getroffen würden, würde gerade das Auswärtige Amt profitieren, das für deren Umsetzung zuständig ist. Es würde dem Ministerium und seinen über 220 Auslandsvertretungen die Möglichkeit bieten, deutsche Außenpolitik effektiver zu erklären. Und neben der wichtigen und heute fehlenden Koordinierung auf höchster politischer Ebene zur Aushandlung von Kompromissen, Prioritäten und Entscheidungen bliebe dem Auswärtigen Amt, den eigenen Mehrwert für die alltägliche Netzwerkarbeit, die Außenpolitik erfordert, stärker zum Tragen zu bringen.

Reformbedarf innerhalb des Auswärtigen Amtes

Wenn der wichtigste Mehrwert des Außenministeriums die Vernetzung und das Wissen der eigenen Diplomat*innen im In- und Ausland ist sowie das Entwickeln und Nachhalten von Strategien und neuen Initiativen, dann braucht das Ministerium eine Kultur, die Anreize setzt für neue Ideen, ein adäquates Wissensmanagement und ein Personalmanagement, das die eigenen Mitarbeiter*innen optimal unterstützt und die besten Leute anzieht. Hier gibt es noch dringenden Reformbedarf.

Von Konformismus zu Teamarbeit und Befähigung

Der wichtigste und vielleicht schwierigste Schritt wäre ein tiefgreifender Kulturwandel im Ministerium mit Blick auf die Art und Weise, wie die eigenen Diplomat*innen zusammenarbeiten. Bereits im September 2000 forderte der damalige Außenminister Joschka Fischer ein "neues Selbstverständnis" des Amtes, flachere Hierarchien und mehr "konzeptionell-strategische[s] Denken". Doch mehr als zwei Jahrzehnte später sind die Strukturen und Hierarchien im Ministerium weiterhin eher auf das Verwalten und Umsetzen von Ideen anderer ausgelegt statt auf Kreativität, der Förderung neuer Ideen oder Widerspruch.

Das ließe sich durch eine Vielzahl von Maßnahmen ändern. So könnte die Hausleitung das Vorlagesystem so umstellen, dass ihr von den eigenen Mitarbeiter*innen mehrere gleichwertige Optionen zur politischen Entscheidung unterbreitet werden, statt wie derzeit eine "Hausmeinung", die zwischen etlichen Referaten und Abteilungen abgestimmt wurde. Denn im Moment, so formuliert es ein Diplomat, "schreibst du immer für den Konsens".

Um Räume für strategisches Denken zu öffnen, wären "Redteam"-Übungen, bei denen eine Gruppe von Diplomat*innen die explizite Aufgabe hat, die Ideen einer anderen Gruppe herauszufordern, oder Planspiele hilfreich, bei denen immer wieder die Diplomat*innen mit dem relevanten Wissen zusammengezogen werden, um Handlungsoptionen für verschiedene Szenarien zu durchdenken. Auch hier steht vor allem die Kultur im Weg: Oft wird schon allein deswegen nicht diskutiert, in Szenarien gedacht oder dies gar verschriftlicht, weil im Ministerium eine große Angst herrscht, dass Informationen nach außen gelangen könnten. Der vermehrte Einsatz von Planspielen und das gezielte Leaken ihrer Ergebnisse, wie es etwa in den USA üblich ist, könnten jedoch dazu beitragen, diese Art von Beschäftigung mit verschiedenen Szenarien zu normalisieren. Auch Dissens-Kanäle wie im US-Außenministerium wären eine Möglichkeit, Warnungen und unbequeme Positionen zur Not schnell und unbürokratisch an die Leitungsebene zu kommunizieren. Insgesamt müsste aber auch das Beurteilungssystem des Ministeriums darauf ausgelegt sein, neue Ideen, Kreativität, Teamarbeit, Widerspruch und das Teilen von Informationen zu belohnen.

Ferner müssten die Auslandsvertretungen insgesamt gestärkt und den Diplomat*innen in den Vertretungen mehr Vertrauen auch seitens der Leitungsebene des Hauses entgegengebracht werden. Zwar stellte das Auswärtige Amt in den vergangenen Jahren immer mehr Personal ein. Dieses wird aber überproportional in Berlin eingesetzt. Auch nutzt das Ministerium die Ressourcen und das Urteilsvermögen der eigenen Leute vor Ort nicht systematisch. Eine im "Spiegel" berichtete Anekdote, nach der die zuständige Staatssekretärin einem Bericht der Botschaft in Afghanistan über einen Bombenanschlag in Kabul erst glaubte, als der Anschlag als Tickermeldung in den Medien war, ist vielleicht besonders extrem, aber symptomatisch.

Wissen teilen und fördern

Auch das Wissensmanagement müsste ausgebaut werden. Nach langen Verzögerungen gibt es inzwischen eine – wenn auch noch nicht von allen genutzte – elektronische Aktenführung und ein neues Intranet. Laut dem Digitalisierungsbeauftragten des Ministeriums steht auch eine Modernisierung der Übergabe bei Postenwechseln an. Das ist überfällig, denn welches Wissen und welche Kontakte genau bei Wechseln übergeben werden, hängt immer noch zu sehr von den einzelnen Personen ab – und dies, obwohl jedes Jahr etwa 1500 Mitarbeiter*innen rotieren. Gleichzeitig führt die Fokussierung darauf, wer im Amt welchen Posten innehat, dazu, dass jemand, der vier Jahre in Afghanistan gearbeitet hat, einige Tage nach seinem Postenwechsel in der Regel schon nicht mehr für einen inhaltlichen Austausch zu Afghanistan herangezogen wird. Auch die IT, Geheimschutzvorgaben und fehlende abhörsichere Systeme stehen teilweise dem Teilen von Wissen im Wege. So kann es passieren, dass ein Länderreferat nicht die Akten der Botschaft für genau dieses Land einsehen kann. Um Informationen mit anderen Ressorts zu teilen, müssen teilweise Ausdrucke von Ministerium zu Ministerium gefahren werden.

Eine weitere Herausforderung ist die Frage, wie das Wissen der Diplomat*innen über ihre gesamte Laufbahn hinweg systematisch aufgebaut und immer wieder sinnvoll eingesetzt werden kann. Wie viel Spezialisierung ist sinnvoll – zum Beispiel auf bestimmte Regionen, Sprachen und technische Kenntnisse? Mit der Einführung einer "nicht-technischen Verwaltungslaufbahn" außerhalb des Rotationssystems des Auswärtigen Dienstes vollzog das Ministerium im Januar 2023 möglicherweise eine kleine Revolution. Mit zunächst 40 bis 60 Stellen wird eine Laufbahn geschaffen, die es Spezialist*innen für bestimmte Themen erlaubt, längerfristig für das Auswärtige Amt zu arbeiten, ohne alle paar Jahre ins Ausland zu wechseln. Das lässt nicht nur eine inhaltliche Spezialisierung zum Beispiel im Bereich der Klimapolitik oder der Rüstungskontrolle zu, sondern könnte auch im Bereich der Kommunikation und der Personalverwaltung eine stärkere Professionalisierung erlauben.

Gerade in der Personalabteilung könnte mehr Konstanz dazu beitragen, die Karriereentwicklung aller Diplomat*innen stärker zu fördern und planvoller zu gestalten. Gerade mit der Einführung der Beamt*innenlaufbahn ohne Rotation ist es wichtig, die Laufbahn von rotierenden Diplomat*innen attraktiv zu halten, indem eine individuelle Begleitung von Karrieren gewährleistet wird und die Möglichkeit besteht, sich trotz Rotation und Generalistenprinzip auf bestimmte Themen und Regionen zu spezialisieren.

Diverse Belegschaft und Attraktivität als Arbeitgeber

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie es dem Ministerium gelingen kann, eine diverse Gruppe an möglichst guten Mitarbeiter*innen anzuziehen. Bei der Geschlechtergerechtigkeit hat das Amt in den vergangenen Jahren spürbare Fortschritte gemacht, sowohl in den Ausbildungsjahrgängen als auch bei der Beförderung in Führungspositionen. Im Vergleich zu anderen Bundesbehörden lag das Ministerium laut Gleichstellungsindex des Statistischen Bundesamtes 2022 mit 29,8 Prozent Frauenanteil in Leitungspositionen aber weiterhin auf dem letzten Rang unter den Ressorts. Die im März 2023 veröffentlichten Leitlinien "Feministische Außenpolitik gestalten" kündigen hier Verbesserungen an – auch für die Diversität des Auswärtigen Dienstes in anderer Hinsicht: Nur 14,7 Prozent der Mitarbeiter*innen des Auswärtigen Amts haben aktuell einen Migrationshintergrund, bei 27 Prozent in der deutschen Gesellschaft.

Sowohl für die Gleichstellung als auch für die Attraktivität des Auswärtigen Dienstes insgesamt müsste das Ministerium die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch stärker fördern – in der Zentrale wie in den Auslandsvertretungen. So zeigt etwa der Gleichstellungsindex, dass 2022 nur 4,8 Prozent der Beschäftigten im Auswärtigen Amt in Teilzeit arbeiteten – 82 Prozent davon Frauen und nur 0,3 Prozent der Beschäftigten in Führungspositionen. Während die Leitlinien für feministische Außenpolitik auf zwei Botschaften verweisen, die im Job-Sharing von einem Ehepaar geleitet werden, vermissen viele Diplomat*innen eine stärkere Unterstützung der Berufstätigkeit der Partner*innen bei Einsätzen im Ausland.

"Review 2024"?

Dass es dieser Änderungen und noch vieler mehr bedarf, ist bereits seit über zwei Jahrzehnten klar. Gerade in den vergangenen Jahren bewegt sich auf verschiedenen Ebenen auch einiges, wie die Anstrengungen zur Gleichstellung, die Einführung E-Akte oder die neue Spezialist*innenlaufbahn zeigen. Sowohl bei den sogenannten Pleuger-Reformen unter Joschka Fischer als auch bei dem vom damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier 2014 angestoßenen "Review-Prozess" scheiterten aber gerade die Maßnahmen, die es wirklich bräuchte, um Kulturwandel, Netzwerkpolitik und Strategieentwicklung umzusetzen.

Das mag an Beharrungskräften auf allen Ebenen des Ministeriums gelegen haben, aber vor allem an Widerständen auf der Führungsebene direkt unter den jeweiligen Außenminister*innen sowie dem fehlenden Anreiz für den oder die Minister*in und die Führungsebene, wirklich etwas zu verändern. Für umfassende Reformen müsste ein*e Außenminister*in den politischen Willen haben, das Haus umzukrempeln, aber auch ganz praktisch eine*n Staatssekretär*in ernennen, der oder die sich dieser Aufgabe annimmt. In der Praxis sind Erfolg des oder der Minister*in – gemessen an der Wahrnehmung in den Medien und der Beliebtheit in der Bevölkerung – und Erfolg und Effektivität des Ministeriums als solches zu sehr entkoppelt. Die Führungsebene des Amtes, die im bestehenden System aufgestiegen ist, fokussiert sich vor allem darauf, wie der oder die Minister*in wahrgenommen wird.

Ohne Druck von außen sind wesentliche Veränderungen deswegen unwahrscheinlich. Sowohl im Parlament als auch in der Fachöffentlichkeit ist das Thema in Deutschland aber unterrepräsentiert. Das zeigt ein Vergleich mit Entwicklungen in den USA. Im Januar 2023 verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das nicht nur für Ausbildung, Diversity und Personalmanagement konkrete Reformen des State Department forderte, sondern auch eine 16-köpfige Kommission für Reform und Modernisierung des State Department einberief, die aus Mitgliedern aus beiden Parteien besteht.

In den Debatten der vergangenen Jahre zum Haushalt des Auswärtigen Amtes – die einzigen Gelegenheiten, bei denen im Bundestag ausführlicher über das Ministerium gesprochen wird – brachte dagegen kaum jemand mögliche Reformen zur Sprache. Auch hier fehlen Anreize: Abgeordnete der Regierungskoalition müssten die eigene Regierung kritisieren. Oppositionspolitiker*innen versprechen sich – wahrscheinlich zu Recht – mehr davon, die Substanz der Außenpolitik zu beklagen als die bürokratischen Prozesse dahinter.

Dass das Thema im Bundestag kaum eine Rolle spielt, kann aber auch daran liegen, dass es weder aus der Fachcommunity noch aus der organisierten Zivilgesellschaft Nachfragen oder entsprechenden Druck gibt. In den USA veröffentlichten vor oder zu den Präsidentschaftswahlen 2020 renommierte Institutionen wie der Council on Foreign Relations, die Kennedy School an der Harvard University, das Truman Center und der Atlantic Council 50- bis 70-seitige Berichte mit Forderungen notwendiger Reformen im State Department. In Deutschland wird alle vier Jahre zum Regierungswechsel die Zusammenlegung des Auswärtigen Amtes und des Entwicklungsministeriums in den Raum gestellt, aber es gibt keine einzige veröffentlichte schriftliche Analyse eines Think Tanks oder Forschungsinstituts zu den Vor- und Nachteilen oder zur Umsetzung einer solchen Megareform. Auch detaillierte Auseinandersetzungen mit der Sicherheitsarchitektur oder der internen Aufstellung des Auswärtigen Amtes existieren kaum.

Eine Möglichkeit, mehr Reformdruck aufzubauen, wäre die Einrichtung einer parteiübergreifenden Kommission aus dem Bundestag oder einer durchmischten Gruppe aus Abgeordneten, Expert*innen aus dem In- und Ausland und Vertreter*innen des Auswärtigen Amtes, die sich mit möglichen Reformen beschäftigen und Empfehlungen ausarbeiten könnte. Zehn Jahre nach dem "Review 2014" könnte sich eine solche Kommission etwa im Rahmen eines "Review 2024" dezidiert mit der internen Aufstellung des Amtes beschäftigen. Dabei wären zusätzlich zu den erwähnten Themen noch viele weitere Fragen drängend: Wie gelänge eine bessere Prioritätensetzung im Amt, von der auch viele strukturelle und personelle Entscheidungen abhängen? Sind die Abteilungsstrukturen des Amtes noch angemessen und wenn nein, wie könnten diese anders aufgestellt werden? Braucht es eine Novellierung des Gesetzes für den Auswärtigen Dienst und wie könnte diese aussehen? Wie sollte vor dem Hintergrund von Desinformation und eines globalen Wettbewerbs der Narrative die Kommunikation des Ministeriums in die heimische Öffentlichkeit und ins Ausland verbessert werden? Wie könnte das Amt Klischees und potenziell rassistische Einstellungen in der eigenen Arbeit stärker aufarbeiten, wie etwa zuletzt in den Niederlanden geschehen? Welche weiteren Investitionen braucht das IT-System kurz- und mittelfristig? Wie könnte der Personalaustausch mit anderen Ministerien und die Durchlässigkeit zwischen Ministerium, Wissenschaft oder Wirtschaft verstärkt und ermöglicht werden? Und wie könnte das Amt mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst oder einzelnen Partnerländern eine bessere Arbeitsteilung finden? Wie sollte das Training in der Postenvorbereitung verändert, wie ein lebenslanges Lernen systematisch gefördert werden? Die Beantwortung vieler dieser Fragen wäre auch die Grundlage für eine Antwort auf die Frage, ob das Ministerium eigentlich mehr Personal braucht, um die Zeit für strategisches Denken und Initiative einzuräumen, und wenn ja, an welchen Stellen.

Richtig aufgesetzt, könnte eine solche Kommission den politischen Druck für Veränderungen erhöhen, indem sie die Lücke aufzeigt zwischen der Realität des Auswärtigen Amtes einerseits und der Möglichkeiten des Ministeriums und der deutschen Außenpolitik als Ganzes andererseits, würde man den Diplomat*innenstab effektiver nutzen. Denn den viel beschworenen Mentalitätswandel und die strukturellen Reformen, die es braucht, damit die Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik Realität wird, braucht es auch im Auswärtigen Amt. Mit einem Krieg vor der Haustür, mit gestiegener öffentlicher Aufmerksamkeit und dem damit verbundenen politischen Druck gäbe es den Rückenwind dafür, dass sich das Auswärtige Amt und dessen Führung, der Bundestag und die Fachcommunity in Deutschland ernsthaft mit Reformen im Außenministerium auseinandersetzen.

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt am Main und Non-Resident Fellow am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.
E-Mail Link: brockmeier@prif.org