Unklarer Beziehungsstatus?
Die KSZE-Schlussakte von Helsinki
Der Abschluss der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki 1975 bildete den Höhe- und Wendepunkt der Entspannungspolitik, die in den frühen 1960er-Jahren ihren Anfang genommen hatte. Mitte der 1970er-Jahre befand sich Honecker auf dem Gipfel seiner Macht. Die DDR erfuhr jetzt die Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft, die ihr lange Zeit – durch die Hallstein-Doktrin der Bundesregierung (siehe Abschnitt "Offizielle und private Kontakte" im Kapitel "
Doch die feierliche Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki, auch durch Honecker, stieß in Ost-Berlin nicht nur auf Begeisterung. So befürchtete das MfS langfristige Folgen für das SED-Regime, insbesondere durch den sogenannten Korb III (menschliche Kontakte, Kultur- und Informationsaustausch). Auf diese Bestimmungen, die unter anderem die Erleichterung von zwischenmenschlichen Kontakten über die Blockgrenzen hinweg betrafen, konnte sich nun auch die DDR-Bevölkerung berufen: Ein Jahr später stellten bereits 19 521 ostdeutsche Bürgerinnen und Bürger einen Antrag auf dauerhafte Ausreise. Deshalb verband Erich Mielke – inzwischen Mitglied des Politbüros – die Warnung vor einer Destabilisierung der DDR mit der Forderung nach einem Ausbau des Sicherheitsapparates.
Abgrenzungskurs Ost-Berlins
Die innerdeutschen Beziehungen kühlten ab, was in erster Linie die DDR zu verantworten hatte, die nun einen klaren Abgrenzungskurs gegenüber der Bundesrepublik verfolgte. Honecker formulierte bei einer Rede in Gera am 13. Oktober 1980 Maximalforderungen, die für Bonn inakzeptabel waren: Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft, Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften, Regelung der Grenzziehung in der Elbe nach SED-Vorstellungen sowie Auflösung der Zentralen Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter, die die Aufgabe hatte, in der DDR begangenes Unrecht aufzuklären.
Ende der 1970er-Jahre warfen zudem internationale Konflikte einen langen Schatten auf die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten. Denn die sowjetische Invasion in Afghanistan 1979 und die Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981 verringerten den Handlungsspielraum in Bonn und Ost-Berlin.
NATO-Doppelbeschluss und Friedensbewegung
Eine neue Eiszeit begann („Zweiter Kalter Krieg“), als mit der Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen ein neuer Rüstungswettlauf einsetzte, auf den das westliche Bündnis 1979 mit dem NATO-Doppelbeschluss antwortete.
Gegen die damit verbundene Nachrüstung formierte sich Protest nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in Westeuropa und den USA, der in einem Erstarken der Friedensbewegung seinen Ausdruck fand. Am 10. Oktober 1981 versammelten sich etwa 300.000 Menschen auf der Bonner Hofgartenwiese, um gegen die atomare Hochrüstung zu protestieren. Als US-Präsident Ronald Reagan (1911–2004) nach Bonn kam, um am NATO-Gipfel teilzunehmen, demonstrierten am 10. Juni 1982 circa 400.000 Menschen auf den Rheinwiesen in Bonn-Beuel.
Doch auch in den kommunistischen Diktaturen Osteuropas gab es gesellschaftlichen Widerspruch, der von den Sicherheitsbehörden nicht vollständig unterbunden werden konnte und der in der DDR unter dem Dach der evangelischen Kirche (siehe Abschnitt "Die Rolle der christlichen Kirchen" in Kapitel "
QuellentextDer NATO-Doppelbeschluss
Er war wohl eine der umstrittensten Entscheidungen, die die Nato, das Nordatlantische Verteidigungsbündnis, je getroffen hatte: Am 12. Dezember 1979 fassten die Außen- und Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten bei einer Konferenz in Brüssel den Nato-Doppelbeschluss. Dieser sah Verhandlungen mit der Sowjetunion über den Abbau der auf Westeuropa gerichteten SS-20-Raketen vor, die die UdSSR seit Mitte der siebziger Jahre zu stationieren begonnen hatte – als Ersatz für ältere Mittelstreckenraketen. Die westeuropäischen Nato-Mitgliedstaaten empfanden das als Bedrohung. Für den Fall eines Scheiterns der Gespräche mit der UdSSR vereinbarten sie daher im Nato-Doppelbeschluss außerdem, dass die USA nach vier Jahren, also Ende 1983, ebenfalls nukleare Mittelstreckenraketen (Pershing II) in Europa stationieren würden.
Dieses mit einer Aufrüstungsdrohung kombinierte Gesprächsangebot der Nato an die Sowjetunion stieß jedoch bei Teilen der Bevölkerung in den von einer Raketenstationierung betroffenen westeuropäischen Ländern auf Widerstand. Gerade in Deutschland löste die Angst vor einem Atomkrieg breite Proteste aus.
Auf die Friedensbewegung der fünfziger und sechziger Jahre, die seit den Ostermärschen Ende der sechziger Jahre an Bedeutung verloren hatte, folgte Anfang der achtziger Jahre eine neue, erstarkte Friedensbewegung: Hunderttausende konnte sie gegen einen „Rüstungswettlauf“ der Supermächte mobilisieren.
Zu bundesweit organisierten Demonstrationen wie auf der Bonner Hofgartenwiese im Oktober 1981 kamen bis zu 400.000 Menschen. Getragen wurde der Protest vor allem von den Grünen sowie kirchlichen und gewerkschaftlichen Gruppen. Aber auch Teile der SPD unterstützten die Forderung der Demonstranten, den Nato-Doppelbeschluss zurückzunehmen und Mitteleuropa zu einer „atomwaffenfreien Zone“ zu machen. […]
Den Organisatoren der Demonstration warf der CSU-Abgeordnete Friedrich Zimmermann als erster Redner der Plenardebatte am 9. Oktober 1981 Einseitigkeit vor: Der Protest richte sich hauptsächlich gegen die „Nachrüstung“ der USA, während die Sowjetunion ungeschoren davonkomme. Aber: „Die Gefahr für den Frieden kommt von den sowjetischen Raketen (...), die auf unsere Städte, unser Land gerichtet sind“, betonte der spätere Bundesinnenminister. […]
Als Wegbereiter und Befürworter des Nato-Doppelbeschlusses sagte Kanzler Helmut Schmidt sowohl an die Adresse der Opposition als auch an parteiinterne Kritiker und Demonstranten gewandt: „Ich werde mir das Wort Friedenspolitik und den Inhalt unserer Friedenspolitik von niemandem abhandeln lassen.“
Der Beschluss der Nato habe zu „Verhandlungen zwischen den Weltmächten“ geführt, zu denen es „sonst nicht gekommen wäre“, so der Kanzler. Er wolle sich dafür einsetzen, dass bei diesen Gesprächen das „Gleichgewicht der militärischen Kräfte“ gewahrt bleibe – allerdings auf „niedrigerem Niveau als bisher“. Dies sei eine „realistische Friedenspolitik“. […]
Rund sechs Wochen nach der Debatte im Bundestag und der Demonstration im Bonner Hofgarten begannen am 30. November 1981 in Genf die Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der UdSSR. Bis November 1983 blieben sie allerdings ohne jedes Ergebnis.
Der Bundestag, seit dem Erfolg des konstruktiven Misstrauensvotums gegen Schmidt und dem Regierungswechsel im Oktober 1982 von einer Koalition aus CDU/CSU und FDP dominiert, stimmte deshalb am 22. November 1983 der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik zu.
Einen Tag danach brach die Sowjetunion die Verhandlungen in Genf ab. Die Bemühungen der Friedensbewegung, mit Friedenscamps, Sitzblockaden und Menschenketten die Nachrüstung noch in letzter Minute zu verhindern, scheiterten: Noch im selben Jahr begannen die USA mit der Stationierung von Pershing-II-Raketen auf deutschem Boden.
Beendet wurde die Streitfrage um die amerikanischen und sowjetischen atomaren Mittelstreckenraketen erst durch die so genannte Doppel-Nulllösung von 1987: Der damalige US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow vereinbarten den Abbau aller nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa.
sas, Historische Debatten (9): Nato-Doppelbeschluss, Deutscher Bundestag/Dokumente, 14. August 2017. Online: Externer Link: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/natodoppelbeschluss-200098
Wettstreit in der Sportarena
Während die Auseinandersetzung über das bessere Wirtschaftssystem zunehmend an Relevanz verlor, rückte der innerdeutsche Wettbewerb auf einem ganz anderen Feld in den Vordergrund: dem Sport. Hier schienen Leistungen noch vergleichbar und messbar zu sein. Bei internationalen Wettkämpfen erlaubte der Medaillenspiegel ein schnelles und eindeutiges Urteil.
Eindeutige Bilanz?
Für Ost-Berlin bot sich die Gelegenheit, die Leistungsfähigkeit des staatssozialistischen Systems auf großer Bühne unter Beweis zu stellen. Die Bilanz war auf den ersten Blick beeindruckend: Das vergleichsweise kleine Land konnte in seiner vierzigjährigen Geschichte 755 olympische Medaillen, 768 Welt- und 747 Europameistertitel anhäufen (so die Historikerin Jutta Braun) und ließ die Bundesrepublik immer wieder hinter sich. Das SED-Regime richtete den Blick nur auf den Spitzensport, der zur Profilierung des ostdeutschen Staates nach außen diente. Dagegen wurde in der Bundesrepublik der Breitensport im Verlauf der 1970er-Jahre stark ausgebaut.
Damals hatte die öffentliche Debatte über Doping im Sport noch nicht die Bedeutung, die sie heutzutage einnimmt. Im Gegenteil: In Ost und West war die Überzeugung weit verbreitet, dass pharmakologische Unterstützung ein probates und legitimes Mittel zur Leistungssteigerung sei. Auch wenn es eklatante Unterschiede zwischen der Dopingpraxis in der DDR und der Bundesrepublik gab, waren westdeutsche Sportfunktionäre und Politikerinnen und Politiker nach 1990 vom „Sportwunder DDR“ doch so fasziniert, dass sie zunächst die Devise verfolgten: Von der DDR lernen, heißt siegen lernen. Darunter litt die Aufarbeitung des Dopingmissbrauchs.
Das Sparwasser-Tor bei der Fußball WM 1974
In beiden deutschen Staaten hatte der Fußball die stärkste gesellschaftliche Integrationskraft, wobei die DDR nicht an die gewohnten Erfolge wie in anderen Sportarten anknüpfen konnte. Während die DDR-Auswahl nur einmal bei den Olympischen Spielen ganz oben auf dem Treppchen stand (Goldmedaille 1976), konnte die DFB-Elf bis einschließlich 1990 mit insgesamt drei Weltmeister- und zwei Europameistertiteln glänzen. Als Nachteil erwies sich zweifellos die hermetisch abgeriegelte Lage des DDR-Fußballs, der von den ausländischen Impulsen (Ausnahme: Sowjetunion), die seit den 1960er-Jahren immer wichtiger wurden, kaum etwas mitbekam. Hinzu kamen Trainingskonzepte, die der langjährige Trainer der DDR-Auswahl Bernd Stange 1987 selbstkritisch auf den Punkt brachte: Man habe zu stark auf das Kollektiv gesetzt. Und weiter: „Fußball lebt aber von Individualisten.“
Während sich der überraschende Sieg im WM-Finale 1954 („Wunder von Bern“) tief in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik einbrannte, ist für viele ostdeutsche Fußballfans ein anderes Ereignis ein zentraler Erinnerungsort. Am 22. Juni 1974 standen sich im Hamburger Volksparkstadion im letzten Spiel der ersten Zwischenrunde der 10. Fußball-Weltmeisterschaft die Mannschaften der Bundesrepublik Deutschland und der DDR gegenüber. Die Partie hatte Prestigecharakter, aber keine große sportliche Bedeutung, da beide für die zweite Finalrunde bereits qualifiziert waren. Die DDR-Fußballer, die taktisch sehr gut eingestellt waren, gewannen das Duell (1:0) durch ein Tor von Jürgen Sparwasser. Die kleine Fußballnation DDR hatte den großen Favoriten geschlagen. Da viele DDR-Fußballfans aber auch mit der bundesdeutschen Mannschaft mitfieberten, konnten sie ein zweites Mal jubeln, als die Mannschaft von Bundestrainer Helmut Schön im Finale die Oranje Elftal aus den Niederlanden mit 2:1 bezwingen konnte.
Terrorismus und innere Sicherheit
Die 1970er-Jahre waren in der Bundesrepublik auch geprägt von Themen der inneren Sicherheit. Der westdeutsche Staat sah sich mit dem Terrorismus einer ganz neuen Herausforderung ausgesetzt: Die Rote Armee Fraktion (RAF) und die „Bewegung 2. Juni“ hatten sich Ende der 1960er-Jahre aus der extremen Linken der 68-Bewegung herausgebildet. Den ideologischen Hintergrund bildeten zum einen anarchistische Überlegungen und zum anderen die Praxis von Befreiungsbewegungen in Lateinamerika, die dem Konzept der Stadtguerilla folgten.
Der „Deutsche Herbst“ 1977
Die RAF (auch: Baader-Meinhof-Gruppe), zu deren führenden Köpfen Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe gehörten, begann im Sommer 1970 mit einer Serie von Brand- und Sprengstoffanschlägen. Die Gewalt der RAF, die für mindestens 34 Morde verantwortlich war, eskalierte schnell: Am 10. November 1974 wurde der Berliner Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann ermordet. Der am 27. Januar 1975 entführte Berliner CDU-Politiker Peter Lorenz wurde erst im Austausch gegen fünf inhaftierte Terroristen freigelassen.
Am 24. April 1975 überfiel eine Gruppe von Terroristen die deutsche Botschaft in Stockholm; zwei Botschaftsangehörige und zwei Terroristen starben. Der Terror erreichte seinen Höhepunkt 1977 („Deutscher Herbst“), als am 7. April Generalbundesanwalt Siegfried Buback mit seinem Fahrer und einem Justizwachtmeister sowie am 30. Juli der Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, ermordet wurden. Dann wurde auch noch Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt und seine vier Begleiter erschossen. Die Entführer verlangten die Freilassung von elf inhaftierten Terroristen.
Um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, wurde von einem palästinensischen Kommando kurz darauf ein Flugzeug der Lufthansa (die „Landshut“) auf dem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main gekapert. Die Bonner Regierung ging auf die Forderungen nicht ein und ließ die Maschine in Mogadischu (Somalia) von einem Sonderkommando des Bundesgrenzschutzes (GSG 9) stürmen. Daraufhin begingen Baader, Ensslin und Raspe in ihren Zellen in Stuttgart-Stammheim Selbstmord. Schleyer wurde ermordet und später tot im Kofferraum eines Pkws im elsässischen Mülhausen aufgefunden.
Hinweis der Redaktion: Ende 2020 erhielt die bpb vom Deutschen Bundestag den Auftrag, die „Landshut“ in politisch-historische Bildungskontexte einzubinden und öffentlich zugänglich zu machen. Über den Fortschritt des Projekts informiert:
Das Olympia-Attentat 1972
Dass der Terrorismus eine internationale Dimension besaß, war bereits auf erschreckende Weise bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München deutlich geworden, als acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September das israelische Herrenteam im Olympischen Dorf überfielen. Bei dem Anschlag und im Zuge eines missglückten Befreiungsversuchs durch die bayerische Polizei auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck starben elf Mitglieder der israelischen Mannschaft, ein deutscher Polizist und fünf Geiselnehmer. Das sorgsam inszenierte Image der „heiteren Spiele“, mit dem sich die Bundesrepublik als weltoffenes und modernes Land präsentieren wollte, war schlagartig zerstört. Während in Israel der Anschlag von München fest im Gedächtnis vieler Menschen verankert ist, hat die überfällige Aufarbeitung in Deutschland erst in jüngster Zeit begonnen.
Nachwirkungen des RAF-Terrors
Die Terrorwelle der RAF hatte Auswirkungen auf das politische und gesellschaftliche Klima des Landes, die über das tatsächliche Ausmaß der Bedrohung durch die Terroristen hinausgingen. Diese fanden in der Bevölkerung nicht den von ihnen erhofften Rückhalt und waren letztlich isoliert. Die Sicherheitsdienste wurden personell und technisch ausgebaut und die Fahndungskompetenz der Polizei erheblich erweitert (z. B. Rasterfahndung). Der Terror endete zwar an der innerdeutschen Grenze. Doch die SED, die die Aktivitäten der westdeutschen Linksterroristen aufmerksam verfolgte, gewährte zehn Terroristinnen und Terroristen Unterschlupf in der DDR. Das MfS verbarg sie vor der bundesdeutschen Fahndung und verschaffte ihnen neue Identitäten. Die Tarnung flog unmittelbar nach dem Mauerfall 1989 auf.
Die sogenannte dritte Generation der RAF, deren Mitglieder kaum bekannt sind, mordete aber noch weiter: beispielsweise Gerold von Braunmühl (1986, Diplomat im Auswärtigen Amt), Alfred Herrhausen (1989, Vorstandssprecher der Deutschen Bank) und Detlev K. Rohwedder (1991, Präsident der Treuhandanstalt). 1998 verkündeten die Terroristen schließlich die Selbstauflösung der RAF.
Das Oktoberfestattentat in München 1980
In der Geschichte der Bundesrepublik ist das Oktoberfestattentat vom 26. September 1980 in München der schwerste Terroranschlag, bei dem durch eine selbstgebaute Bombe 12 Personen und der Attentäter getötet und 221 verletzt wurden, davon 68 schwer. Der rechtsterroristische Anschlag wurde Gundolf Köhler zugeschrieben, der Mitglied der neonazistischen Wiking-Jugend und rechtsextrem-militanten „Wehrsportgruppe Hoffmann“ war. Aufgrund von Ermittlungsfehlern konnten weitere Personen als Anstifter, Mitwisser bzw. Mittäter nicht mehr identifiziert werden.
Gesellschaften in Bewegung
Von den „Neuen sozialen Bewegungen“ zu den Grünen
Obwohl die Zahl der persönlichen Begegnungen durch Reisen in den jeweils anderen Teil Deutschlands stetig zunahm (über sechs Millionen Reisen aus der Bundesrepublik und West-Berlin in die DDR 1972), entwickelten sich die beiden deutschen Staaten ab Mitte der 1970er-Jahre immer stärker auseinander. In der Bundesrepublik wuchs die Zahl der Bürgerinitiativen, die sich vor allem im lokalen Raum gebildet hatten und unter dem Begriff der „Neuen sozialen Bewegungen“ zusammengefasst werden. Inhaltlich standen Themen der Kommunalpolitik, Stadtplanung, Gleichstellung und des Umweltschutzes im Vordergrund.
Im Unterschied zur außerparlamentarischen Opposition („APO“) der 1960er-Jahre verfolgten die einzelnen Bewegungen nicht das Ziel einer fundamentalen Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft. Ihnen ging es in erster Linie um die Realisierung konkreter Ziele vor Ort und um die Abwehr staatlicher Großprojekte, wie beispielsweise der Flughafenerweiterung, des Autobahnbaus und der Errichtung von Atomkraftwerken. Insbesondere das Engagement zu ökologischen Themen fand seinen organisatorischen Ausdruck auf Bundesebene, und zwar in der Gründung der Partei Die Grünen. Dadurch veränderte sich langfristig das Parteienspektrum der Bonner Republik. Dieser Prozess war zwar mit Konflikten und Auseinandersetzungen verbunden, führte aber letztlich dazu, dass neue Gesellschaftsströmungen in das politische System integriert werden konnten.
Bürgerrechtsgruppen in der DDR
Solche Partizipationschancen wollte das SED-Regime der DDR-Bevölkerung auf gar keinen Fall gewähren. Dennoch konnte Ost-Berlin nicht verhindern, dass sich vereinzelt oppositionelle Gruppen – meist unter dem Dach der Kirchen – bildeten, die sich in ihren Anliegen durch die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte und die von tschechischen Oppositionellen formulierte Charta ’77 bestärkt sahen. Diese Gruppierungen, die umgehend ins Visier der Stasi gerieten, traten etwa für die Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte, aber auch für den Schutz der Umwelt vor Ort ein.
Ausreisebewegung und Botschaftsbesetzungen in der DDR
In den 1980er-Jahren bereitete vor allem die Ausreisebewegung dem SED-Politbüro großes Kopfzerbrechen. Honecker und Mielke befanden sich in einem Dilemma, denn durch die bewilligten Ausreisen wurde der Druck auf die ostdeutsche Staats- und Parteiführung nicht geringer. Im Gegenteil: Die Zahl der Antragstellenden stieg unvermindert an und versechsfachte sich von 21.500 (1980) auf 125.400 (Stichtag: 30. Juni 1989). Zwischen 1972 und 1989 konnten insgesamt 212.432 Menschen auf legalem Weg die DDR verlassen. Es ist davon auszugehen, dass die steigenden Zahlen auch zum Gesprächsstoff in der DDR-Bevölkerung wurden.
Die Ausreise von Freunden, Verwandten, Nachbarn und Arbeitskollegen ließ sich nicht weiter verheimlichen. Die Sicherheitsorgane verloren an Abschreckungskraft. So fand am 4. Februar 1988 in der Ost-Berliner Gethsemanekirche eine „Solidaritätsandacht“ statt, an der laut MfS „eine beträchtliche Anzahl Übersiedlungsersuchende“ teilnahmen. Einen Monat später meldete die Stasi einen „Schweigemarsch“ im Zentrum Ost-Berlins. Für die SED kam erschwerend hinzu, dass Ausreisewillige mit spektakulären Aktionen immer wieder für öffentliches Aufsehen sorgten. So besetzten am 9. September 1988 13 Erwachsene mit ihren fünf Kindern die Botschaft Dänemarks in Ost-Berlin, um ihre Ausreise aus der DDR zu erzwingen. Diese Botschaftsbesetzung blieb zum Leidwesen des MfS kein Einzelfall.
Quellentext„Wir haben abgetrieben“
Am 6. Juni 1971 erschien die damals auflagenstärkste Illustrierte der Bundesrepublik, „Stern“, mit den Gesichtern von 28 Frauen auf der Titelseite. Quer über sie ein gelber Balken, auf dem in großen Buchstaben stand „Wir haben abgetrieben!“. Darunter: „374 deutsche Frauen halten den § 218 für überholt und erklären öffentlich: ‚Wir haben gegen ihn verstoßen.‘“ Es wurde der wohl bekannteste Illustriertentitel der bundesrepublikanischen Geschichte.
Diese Ausgabe des „Stern“ war nicht der Beginn der neuen Frauenbewegung. Aber sie befeuerte den neu erwachten Kampf gegen den Paragrafen 218. Schon in der Weimarer Republik waren die Frauen Sturm gelaufen gegen das Abtreibungsverbot. Die DDR hatte den Paragrafen 218 abgeschafft, führte aber stattdessen das „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ ein. Abtreibung war unter bestimmten Bedingungen möglich, eine Indikationslösung. 1972 führte die DDR eine Fristenlösung ein. Das war nicht nur vernünftig, sondern auch geschickt. Die erste gesetzgeberische Reaktion auf die Auseinandersetzungen um eine Veränderung oder Abschaffung des Paragrafen 218 in der Bundesrepublik fand also in der DDR statt. Wikipedia erinnert daran, dass das „Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft“ das einzige in der Geschichte der Volkskammer war, das nicht einstimmig verabschiedet wurde. Es gab 14 Gegenstimmen und acht Enthaltungen.
Die Aktion des „Stern“ war eine Aktion von Alice Schwarzer. Sie lebte als Korrespondentin in Paris, als die linke Wochenzeitschrift „Le Nouvel Observateur“ im April 1971 eine von 343 Frauen unterschriebene Erklärung „Ich habe abgetrieben“ veröffentlichte. Unterschrieben hatten sie unter anderen Simone de Beauvoir und Catherine Deneuve. Alice Schwarzer wandte sich an die „Stern“-Redaktion, ob die nicht bereit sei, es dem „Nouvel Observateur“ nachzutun, wenn sie ebenso viele deutsche Frauen finden könne, die zu einer solchen Erklärung bereit wären.
Der „Stern“ erklärte sich einverstanden. Weil, so erzählt Alice Schwarzer in Interviews, niemand davon ausging, dass sich mehr als dreihundert Frauen an den Pranger stellen würden. Schließlich war ein Schwangerschaftsabbruch eine Straftat, die mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden konnte. Jeder Staatsanwalt würde nach einer solchen öffentlichen Selbstanzeige losschlagen können.
Es kam anders. Indem die 374 Frauen sich an den Pranger stellten, stand mit einem Male riesengroß ebendort der Paragraf 218 selbst. Es gab ihn seit 1871, und seitdem hatte es keine demokratische Bewegung in Deutschland gegeben, die nicht gegen ihn ankämpfte, und keine reaktionäre, die ihn nicht noch verschärft hätte. Die Debatte um den Paragrafen 218 konfrontierte die bundesrepublikanische Gesellschaft von 1971 mit der Einsicht, dass man längst vergessene, alte Kämpfe wieder aufnehmen musste, wenn man endlich in der Gegenwart ankommen wollte.
Die Frauen, die im „Stern“ damals bekannten „Ich habe abgetrieben“, stammten – darauf hatte Schwarzer geachtet – aus allen Schichten der Gesellschaft. Es waren Prominente darunter wie Senta Berger, Inge Meysel oder Romy Schneider. Die Aktion aber katapultierte ins bundesrepublikanische Bewusstsein, dass damals über eine Million Frauen pro Jahr abtrieben.
Abtreibung hieß damals in vielen Fällen: kein Arzt, sondern eine Kurpfuscherin. Es hieß auch „Ausschabung“. Die Frauenbewegung begann Hollandreisen zu organisieren. Im Nachbarland wurde die schonendere Absaugmethode verwendet, und es wurde vorgeführt, dass Abtreibung nicht Entwürdigung und Diskriminierung bedeuten musste.
1974 folgte – um es so auszudrücken – die BRD der DDR und ermöglichte ebenfalls eine Fristenlösung. Das Gesetz aber wurde vom Bundesverfassungsgericht kassiert. So kam es 1976 zu einer Rückkehr zur Indikationsregelung. Es folgten die ganze Gesellschaft und fast jede Familie erschütternde Diskussionen. 1993 kam es zu einer aberwitzigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es trat ausdrücklich für die Beibehaltung des Gesetzes ein und erklärte, der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen nach der Befruchtung (also bis zur 14. Schwangerschaftswoche) sei rechtswidrig, fügte dem aber schlitzohrig hinzu, er müsse aber strafrechtlich nicht verfolgt werden. Mit dieser Änderung trat nun in Deutschland eine faktische Fristenregelung in Kraft.
Der Paragraf 218 beginnt noch immer mit diesen Sätzen: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.“ […]
Wichtiger als Vernunft und Rechtsstaatlichkeit ist offenbar, dafür zu sorgen, dass die Frau nicht selbst darüber entscheiden darf, ob sie Mutter sein möchte oder nicht. Es geht nicht um den „Schutz des ungeborenen Lebens“ – darum ging es nie –, sondern um die Bevormundung der Frau. Ihr soll die Freiheit genommen werden, selbstständig eine der wichtigsten Entscheidungen ihres Lebens zu treffen. 1943, als Millionen in den sicheren Tod geschickt wurden, führte das Naziregime die Todesstrafe für Abtreibung ein. Man betont gerne den Ausnahmecharakter der NS-Zeit, man spricht gar vom „Zivilisationsbruch“, das mag stimmen oder nicht. Auf keinen Fall aber sollte man übersehen, was bei diesem Bruch sichtbar wird: Was wir Zivilisation nennen, ist immer auch der Versuch, das Individuum zu kontrollieren. Der Paragraf 218 und die mehr als 150-jährige Auseinandersetzung um ihn ist da nur ein besonders eindrückliches Beispiel. Was geschähe Schreckliches, wenn man ihn einfach abschaffte? […]
Arno Widmann, „50 Jahre nach der Aktion ‚Wir haben abgetrieben!‘: Die Frau muss immer noch bitte, bitte machen“, in: Frankfurter Rundschau vom 4. Juni 2021
Annäherung weiblicher Lebensverläufe
Trotz gegensätzlicher Gesellschaftsmodelle finden sich durchaus deutsch-deutsche Gemeinsamkeiten, etwa in der Frauen- und Familienpolitik. Hier hatte die DDR nur auf den ersten Blick die Nase vorn. Im Vergleich zum Westen war die Mehrzahl der ostdeutschen Frauen berufstätig. Die DDR wies weltweit eine der höchsten Frauenerwerbsquoten auf: Sie lag Ende der 1980er-Jahre knapp über 90 Prozent, wobei Studentinnen und Lehrlinge als Erwerbstätige in die DDR-Statistik eingerechnet wurden. Dagegen gingen in der Bundesrepublik 1989 nur 55 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter einer Arbeit nach.
Doch die unterschiedlichen Erwerbsquoten lassen keine direkten Rückschlüsse auf den Grad der Emanzipation in Ost und West zu. Von entscheidender Bedeutung ist vielmehr die Tatsache, dass sich eine Annäherung weiblicher Lebensverläufe über den Eisernen Vorhang hinweg beobachten lässt. Dazu gehört der Drahtseilakt, den die Frauen zwischen Familien- und Arbeitsleben in beiden deutschen Staaten vollführen mussten. Beide Teilgesellschaften rüttelten nur wenig an dem überkommenen Familienideal. Erziehung und Haushalt blieben Frauensache – trotz einer breit einsetzenden Diskussion in Westdeutschland.
Ähnlichkeiten zeigten sich auch bei der schlechteren Bezahlung und den geringen beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten. Gleichzeitig hatte die Einbindung in das Arbeitsleben für die ostdeutschen Frauen eine grundsätzlich andere Bedeutung, die mit dem Gleichstellungspostulat der SED und dem hohen Arbeitskräftebedarf in der DDR zusammenhing.
Unterschiede im Strafrecht zum Schwangerschaftsabbruch
Obwohl sich gemeinsame Liberalisierungstendenzen im Strafrecht zum Schwangerschaftsabbruch finden lassen, treten hier die Unterschiede deutlicher hervor. Dabei ging die DDR zeitlich voran und inhaltlich weiter als die Bundesrepublik. Während in Ost-Berlin 1972 die Fristenlösung beschlossen wurde, erklärte das Bundesverfassungsgericht das in Bonn 1974 verabschiedete Dreimonats-Fristenmodell, das der DDR-Regelung nicht unähnlich war, für verfassungswidrig. Am Ende stand in Westdeutschland 1976 ein Vier-Indikationen-Modell, das auch eine „soziale Indikation“ für zulässig erklärte.
Dieses Gesetz blieb – genauso wie die DDR-Regelung – bis in die 1990er-Jahre in Kraft, nachdem im Zuge der Verhandlungen zum Einigungsvertrag 1990 keine Einigung in dieser Frage erzielt werden konnte. Das Thema löste in der Öffentlichkeit erneut eine hochemotionale Debatte aus, die vor allem zwischen Ost und West geführt wurde. Die dahinterstehenden Frauen- und Familienbilder, die in Ost- und Westdeutschland aufgrund unterschiedlicher Prägungen und Erfahrungen nicht deckungsgleich waren, wirken teilweise bis in die Gegenwart nach.
Macht und Geist: die Ausbürgerung Wolf Biermanns und die Folgen
In der DDR bekamen Schriftstellerinnen und Schriftsteller und Intellektuelle ab Mitte der 1970er-Jahre die Macht des SED-Regimes immer stärker zu spüren. Die Hoffnung auf eine gewisse Liberalisierung im Kulturbereich, die viele Ostdeutsche mit dem Machtwechsel zu Honecker verknüpft hatten, zerplatzte endgültig. Mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns zeigte die SED-Führung ihr wahres Gesicht.
Das Konzert von Wolf Biermann in Köln 1976
Dem bekannten Liedermacher wurde nach einem Konzert am 13. November 1976 in der ausverkauften Kölner Sporthalle, das die IG Metall organisiert und der WDR-Hörfunk live übertragen hatte, die Wiedereinreise in die DDR verweigert. Biermann, der zwar ein überzeugter Marxist war, bei seiner Kritik an den politischen Verhältnissen in der DDR aber kein Blatt vor den Mund nahm, hatte bei seinem Auftritt in Köln unter anderem die wachsende Ausreisebewegung angesprochen. Ost-Berlin wollte an dem Regimekritiker nun ein Exempel statuieren.
Doch die Ausbürgerung, die das Politbüro wenige Tage später beschloss, drohte sich zu einem Desaster für die kommunistischen Machthaber zu entwickeln. Honecker und Mielke unterschätzten die öffentliche Reichweite der westdeutschen Medien, die über den Fall ausführlich berichteten. Der WDR sendete am 19. November über das Erste Programm der ARD die ungekürzte Aufzeichnung des Biermann-Konzerts, das nun auch in der DDR empfangen werden konnte.
Folgen der Ausbürgerung Biermanns
Die Ausbürgerung Biermanns hatte der SED-Führung langfristig mehr geschadet als genutzt. Besonders entlarvend war die Tatsache, dass Ost-Berlin mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft auf ein Instrument zurückgriff, mit dem das NS-Regime zwischen 1933 und 1945 Tausende Oppositionelle ins Exil getrieben hatte. Die Doppelmoral des Selbstverständnisses der DDR als antifaschistischer Staat zeigte sich hier, denn Biermann war der Sohn eines in Auschwitz ermordeten jüdischen Kommunisten.
In der Folgezeit waren in der DDR vorsichtige Ansätze einer von der SED unabhängigen Gegenöffentlichkeit zu erkennen. So meldete das MfS, „Biermann-Freunde“ hätten Aktivitäten „zur Organisierung gegenseitiger Absprachen und Zusammenkünfte“ entwickelt. Am 18. November erhielt das Politbüro die Information, die Ausbürgerung hätte „eine breite Resonanz besonders in Schriftstellerkreisen“ ausgelöst. Es kam zu Solidaritätsbekundungen in Ost und West.
Biermann war indes nicht der einzige prominente Kritiker des SED-Regimes, denn fast zeitgleich verschafften sich noch andere Intellektuelle Gehör, die einst der SED nahegestanden hatten. Ein Jahr später wies der ostdeutsche Philosoph Rudolf Bahro (1935–1997) in einem Buch („Die Alternative“), das nur in der Bundesrepublik erscheinen konnte, auf die Schwächen des „real existierenden Sozialismus“ hin. Bahro, der verhaftet und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, reiste nach seiner Amnestierung 1979 in den Westen und zählte 1980 zu den Gründungsvätern der Grünen.
Zu einer Ikone der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung wurde schließlich der Naturwissenschaftler Robert Havemann (1910–1982), der sich in den 1960er-Jahren vom glühenden Stalinisten und Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) des MfS zum Dissidenten entwickelt hatte. Havemann, der mit Biermann eng befreundet war und gegen dessen Ausbürgerung protestiert hatte, wurde Ende 1976 unter Hausarrest gestellt.
Die Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz 1976
Besonders dramatisch war die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz am 15. August 1976 in Zeitz. Mit seinem Selbstmord wollte dieser das kommunistische Herrschaftssystem öffentlich anklagen. Sein Tod weckte sofort das Interesse der Öffentlichkeit im Westen. Aus der Bundesrepublik reisten einige Korrespondenten und zwei Kamerateams zu den Beisetzungsfeierlichkeiten, an denen viele hochrangige Kirchenvertreter teilnahmen. Die Verleumdungskampagne, die die SED gegen Brüsewitz anzettelte, scheiterte. Die Kirchenleitung der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen protestierte gegen die verzerrte Darstellung und stellte sich hinter den verstorbenen Pfarrer. Das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Kirche und Staat war einer neuen Belastungsprobe ausgesetzt.
Kultureller Aderlass
Indem die SED mit ihren repressiven Maßnahmen Künstlerinnen und Künstler immer wieder vor den Kopf stieß, sorgte sie für einen Aderlass in Richtung Westen. Das betraf Schriftsteller wie Jürgen Fuchs (1950–1999) und Reiner Kunze und Schauspieler wie Manfred Krug (1937–2016), aber auch Maler und Bildhauer, von denen einige in die Bundesrepublik gingen. Letztere haben die westdeutsche Kunstszene maßgeblich geprägt und waren in der neuen Heimat äußerst erfolgreich, beispielsweise Georg Baselitz, A.R. Penck (1939–2017) und Gerhard Richter. Während Baselitz bereits 1958 zunächst nach West-Berlin übergesiedelt war, flüchtete Richter Anfang 1961 über West-Berlin in die Bundesrepublik. Penck zog nach seiner Ausbürgerung 1980 in die Nähe von Köln, bevor er seinen Wohnort 1983 nach London verlegte.
Kunst in der DDR
Obwohl die in der DDR verbliebenen Künstlerinnen und Künstler unter deutlich erschwerten Rahmenbedingungen arbeiteten und Vorsicht gegenüber den SED-Machthabern walten lassen mussten, konnten sie einen eigenständigen Stil entwickeln, der auch im Westen Anerkennung fand. Die international renommierte Kunstausstellung documenta in Kassel öffnete sich allerdings nur einmal (1977) für Kunst aus der DDR: Bernhard Heisig (1925–2011), Wolfgang Mattheuer (1927–2004), Willi Sitte (1921–2013) und Werner Tübke (1929–2004) konnten ihre Werke dort dem Publikum zeigen.
Tübke machte sich insbesondere durch das monumentale Gemälde (123 Meter lang und 14 Meter hoch) über die Bauernkriege im 16. Jahrhundert („Bauernkriegspanorama“) im thüringischen Bad Frankenhausen einen Namen, das er 1987 nach über zehnjähriger Arbeit vollendete. Ausgewanderte Künstler wie etwa Baselitz gehörten jedoch zu den schärfsten Kritikern der DDR-Kunst. Somit ging durch die ostdeutsche Künstler-Community ein Riss, der im vereinten Deutschland offen ausbrach und der 1999 durch den „Weimarer Bilderstreit“ weiter vertieft wurde.
QuellentextDer Weimarer Bilderstreit
Hier also endet die Kunst. „Eine Ruine“, sagt die Dame an der Kasse und zuckt hilflos mit den Schultern, blickt hinauf in den riesigen Raum ohne Fenster, zeigt auf die Wasserflecken an der Decke, auf rostige Träger. Mehrzweckhalle nennt sich dieses Haus in Weimar, das Adolf Hitler geplant hatte, um hier 12.000 Menschen zu versammeln, und das dann die DDR zu Ende baute, außen mit Betonlamellen kaschierte und als Fabrik nutzte für Lampen und Kinderkleidung. Zuletzt stand das Gebäudetrumm leer – bis es kürzlich einige Kuratoren für ihren Mehrzweck entdeckten und über 500 Bilder aus DDR-Zeiten hineintrugen. Es wurde die größte Ostkunst-Ausstellung seit der Wende. Und ist seit voriger Woche [Mai 1999, Anm. d. Red.] ein Kampfplatz der Künstler.
Ständig quengelte bei Achim Preiß das Telefon. Ich will da raus, brüllte ihm Neo Rauch ins Ohr. Sie bleiben drin, sagte Preiß. Das wäre noch schöner, schließlich ist er der Kurator dieser Jahrhundertschau über Aufstieg und Fall der Moderne, da läßt er sich nicht von irgendeinem aufgebrachten Künstler dreinreden. Dann komme ich halt vorbei, drohte Rauch, und schnappe mir das Bild. Nicht daß etwas dagegen spräche, daß es noch einmal öffentlich gezeigt wird – doch das Wiedersehen hatte er sich anders vorgestellt, nicht in dieser Ruine, wo es eingesperrt ist in einem Kessel aus Plasteplane, zusammengepfercht mit vielen anderen. Ich werde es befreien aus diesem Internierungslager für Kollaborateure, rief er. Die Wächter werden Sie hindern, sagte Preiß, wir holen die Polizei. Das war zuviel für Rauch: Verschanzen Sie sich nicht hinter Ordnungshütern, schrie er Preiß an, das machen wir unter uns aus, vor meinem Bild, Mann gegen Mann. […]
Thomas Föhl, der stellvertretende Leiter der Kunstsammlungen, […] ärgert sich, daß jetzt alle nur noch über die DDR-Kunst sprechen – dabei wollte die Ausstellung doch glänzen als Höhepunkt im Programm der europäischen Kulturhauptstadt. In drei großen Kapiteln sollte das Jahrhundert nochmals Revue passieren. […]
„Natürlich haben wir mit Kontroversen gerechnet“, sagt Achim Preiß. Vor allem die Nazimalerei sollte ein bißchen Wirbel in die Weimar-Idylle bringen. Aber die Adler über Helgoland, der blanke Busen an Seelandschaft sind viel zu belanglos, um Proteste anzustacheln. Statt dessen nun der Streit im Stockwerk drüber. […]
Da ballern die Wortgeschütze, und in den Augen vieler ostdeutscher Künstler scheint der lange schwelende Bilderstreit zum Bilderkrieg zu eskalieren. Doch stimmt das? Ist die Zeit der zähen Annäherung und Bewertung vorüber? Verbirgt sich in dem Kunstszenario der Plastestühle und Plasteplanen die finale Attacke auf eine ohnehin vom Markt verdrängte Kunst? Die letzte Schlacht des Westens gegen den Osten?[...]
Vor die Folie hängt er [Achim Preiß] kleine und große Bilder, zwei- und dreireihig, so dicht, daß gerade mal eine Handbreit zwischen die Rahmen paßt. Er ordnet sie nicht etwa chronologisch, nach Themen oder nach Stilen, sondern nach den Leihgebern – hier eine Gruppe Bilder aus dem Kunstfonds Dresden, dort Leihgaben des Sammelsuriums von der Burg Beeskow, dem Dokumentationszentrum für DDR-Kunst. Es ist eine Hängung, die nichts erklärt, keine Zusammenhänge herstellt, die Abklatsch neben Wagemutigem zeigt, die sich nicht um Künstler, Herkunft, Auftraggeber kümmert. Was zählt, ist Masse. […]
Davon, daß sich die Bilder gegenseitig die Luft nehmen, daß viele Besucher sich an das Weimar von 1938 erinnert fühlen, an die gedrängte Hängung der Propagandaschau über Entartete Kunst – davon will [Achim Preiß] nichts wissen. „Erst durch die Enge, durch den Kontrast gewinnen die Werke doch an Kraft“, sagt er. […]
Merkwürdig fahrig und wegwerfend erzählt Achim Preiß diese Geschichte seiner Ausstellung. Daß keine Skulpturen gezeigt werden, daß trotz der Fülle wichtige Namen wie Niemeyer-Holstein fehlen und andere wie Stürmer-Alex viel zu oft vorkommen – das ist ihm fast gleichgültig. Und genau dieser wurschtige Hochmut, die Lust eines Dilettanten an der dicken Geste, ist in der Ausstellung spürbar und kränkt viele der Künstler; sie fühlen sich mißbraucht vom geltungssüchtigen Kurator. „Wir liegen ohnehin am Boden“, sagt der Berliner Künstler Hans Vent, „und dann kommt einer und trampelt noch auf uns herum. Wann hört in diesem Land das Denunzieren auf?“
Viel zu oft hat man den ostdeutschen Malern und Bildhauern in den letzten Jahren zu verstehen gegeben, sie seien nichts wert – mit dem System sei auch ihre Kunst zerbrochen. Sie paßten nicht in das Künstlergetriebe des Westens, sollten sich gefälligst den gängigen Moden anpassen. Viel öfter als Künstler im Westen müssen sich die des Ostens fragen lassen, was sie denn überhaupt zum Künstler macht. Und ob sie je welche waren.
Stoß auf Stoß zusammengedrängt, in trübes Licht getaucht, so hatte sich bereits im vorigen Jahr eine Ausstellung der DDR-Kunst bemächtigt. Dort, auf der Burg Beeskow, sprachen die Kuratoren gar nicht mehr von Bildern, nur noch von Objekten: Restwerte einer abgeschlossenen Epoche. Und auch als es um die Ausstattung des Reichstages ging, wurde den Ostkünstlern vermittelt, daß sie nicht mehr dazugehören – erst nach heftigem Protest wurden einige von ihnen nachnominiert und an eher unscheinbaren Orten aufgehängt. So schlägt Preiß mit seiner zirzensischen Schau in eine offene Wunde. […]
Hanno Rauterberg, „Kesseltreiben in Weimar“, in: Die ZEIT vom 27. Mai 1999
Die sich auflehnende Jugend: Rock- und Pop-Kultur im geteilten Deutschland
Das SED-Politbüro war nach dem Abschluss des Grundlagenvertrages von der Angst getrieben, dass der westdeutsche Klassenfeind klammheimlich Einzug im Arbeiter-und-Bauern-Staat halten könnte. Nirgendwo schien die Gefahr so groß zu sein, wie in der Rock- und Popmusik. Auf diesem Feld drohte die SED den Einfluss auf die ostdeutsche Jugend zu verlieren.
Bunte Musikszene in der DDR
Die ostdeutsche Jugendkultur erschöpfte sich jedoch nicht nur in der Übernahme westlicher Vorbilder. Seit den späten 1950er-Jahren hatte sich eine durchaus eigenständige Musikszene in der DDR entwickelt, die auf Festivals präsent war, aber schnell ins Fadenkreuz der Staatsmacht geriet. Insbesondere in den 1980er-Jahren entstand eine Subkultur, die ganz verschiedene Stilrichtungen vom Punk bis zum Heavy Metal umfasste. Darüber hinaus erlangten einzelne Gruppen wie Silly, City oder Die Puhdys Kultstatus in der ganzen DDR. Die Gruppe Karat landete mit ihrer Langspiel-Schallplatte „Der blaue Planet“ 1982 einen großen Verkaufserfolg, der auch in Westdeutschland den Nerv der Zeit traf. Einzelne Lieder wurden sogar von westdeutschen Interpreten erfolgreich gecovert (z. B. Peter Maffay mit „Über sieben Brücken musst Du geh‘n“ von Karat).
Bruce Springsteen in Ost-Berlin 1988
Ende der 1980er-Jahre schien die SED-Führung kaum noch Kontrolle über die ostdeutschen Jugendlichen zu haben: Tausende junge Menschen versammelten sich Pfingsten 1987 auf der Ostseite des Brandenburger Tores, um westlichen Musikern und Bands zuzuhören, die bei einem großen Open-Air-Festival auf der großen Wiese vor dem Reichstagsgebäude auftraten. Angesichts eines massiven Aufgebots von Volkspolizisten und Stasi-Mitarbeitern wurden „Gorbi“-Rufe laut, in denen die Bewunderung für den jungen, seit März 1985 regierenden Kremlchef zum Ausdruck kam. Daraufhin gab die Staatsmacht nach und genehmigte ein Jahr später den Auftritt einzelner Rock-Ikonen in der DDR (u. a. Depeche Mode, James Brown, Joe Cocker und Bryan Adams). Das größte Konzertereignis in der Geschichte der DDR war der Auftritt des US-amerikanischen Rockmusikers Bruce Springsteen am 19. Juli 1988 auf der Radrennbahn in Berlin-Weißensee vor schätzungsweise 300.000 Zuschauerinnen und Zuschauern.
Zwei Staaten, eine Nation?
Die SED sah sich seit ihrer Gründung 1946 als einzige legitime Vertreterin der nationalen Interessen und beharrte trotz vieler Rückschläge auf ihrem gesamtdeutschen Anspruch. Gleichzeitig hatte ihre nationale Argumentation die Funktion, breitere Bevölkerungskreise anzusprechen und in die eigene Politik einzubinden. Die Bundesregierung und die im Bundestag vertretenen Parteien (bis auf die KPD) verfolgten auch einen Alleinvertretungsanspruch, wobei das im Bonner Grundgesetz fixierte Wiedervereinigungsgebot den Orientierungsrahmen für die politischen Akteure bot.
Die nationale Frage war in den 1950er-Jahren also ein zentrales Thema in beiden deutschen Staaten; sie schien jedoch in den folgenden Jahrzehnten zu verblassen. Daran konnte auch der in der Bonner Republik 1954 eingeführte „Tag der deutschen Einheit“ nicht viel ändern, der von großen Teilen der westdeutschen Bevölkerung immer mehr dazu genutzt wurde, um Familienfahrten ins Grüne zu unternehmen.
Anfang der 1970er-Jahre verschwanden im offiziellen Sprachgebrauch der DDR die Begriffe „Deutschland“ bzw. „deutsch“. Aus der Deutschen Akademie der Wissenschaften wurde die Akademie der Wissenschaften der DDR; der Deutschlandsender nannte sich jetzt Stimme der DDR. Schließlich kam es 1974 auch zu einer Verfassungsänderung, bei der die Selbstkennzeichnung der DDR als „sozialistischer Staat deutscher Nation“ durch „sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern“ ersetzt wurde. Die SED wollte alles Verbindende zwischen den beiden deutschen Staaten verschwinden lassen.
Tradition und Erbe
Umso überraschender war es, als sich Bundesrepublik und DDR in den 1980er-Jahren wieder verstärkt auf die Gemeinsamkeiten der deutschen Kulturnation beriefen, wobei ein zunehmendes Geschichtsinteresse in der Öffentlichkeit in Ost und West zu beobachten war.
Das zeigten Ausstellungen (z. B. die Preußen-Ausstellung 1981 im Martin-Gropius-Bau in West-Berlin), die Wiederaufstellung des Reiterstandbildes von Friedrich dem Großen in der Straße Unter den Linden 1980 sowie die gleichzeitig in Ost- und Westdeutschland veröffentlichte zweibändige Bismarck-Biografie aus der Feder des ostdeutschen, marxistischen Historikers Ernst Engelberg (1985 bzw. 1990), die ein äußerst wohlwollendes Urteil über den ersten Reichskanzler fällte. Daraufhin schrieb der westdeutsche Journalist Robert Leicht in einer Rezension des ersten Bandes für die Süddeutsche Zeitung: „Wenn die Deutschen in Ost und West sich über Bismarck einig geworden sind, wird die Sache bedenklich: […] Was trennt die Deutschen dann noch?“
Im Lutherjahr 1983 wurde der Reformator in der DDR offiziell als Wegbereiter der frühbürgerlichen Revolution gefeiert. Einen Höhepunkt bildeten schließlich die Feierlichkeiten zum 750-jährigen Bestehen Berlins, die 1987 in beiden Stadthälften mit großem Aufwand begangen wurden.