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Kommentar: Geteilt und geflüchtet in der Ukraine | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Geteilt und geflüchtet in der Ukraine Zwei Gruppen mit zwei unterschiedlichen Zukunftsperspektiven?

Vsevolod Kritskiy

/ 5 Minuten zu lesen

Die Flüchtlingssituation in der Ukraine verändert sich wegen der schnellen Entwicklung des Konflikts im Osten ständig. Was im Frühjahr mit den von der Krim flüchtenden Menschen als kleines Rinnsal begann, hat sich in eine veritable Flut verwandelt.

Ukrainische Flüchtlinge an einem Grenzübergang in der Region Rostov. (© picture-alliance/dpa)

Zwei Gruppen von Binnenflüchtlingen, zweierlei Zukunftsaussichten

Insgesamt gibt es mehr als 275.000 Binnenflüchtlinge im Land (s. Grafiken 1 u. 2 auf S. 12), die vor allem zwei unterschiedlichen Gruppen angehören. 257.000 Menschen sind aus der Ostukraine geflohen und 17.000 von der Krim, hauptsächlich in die östlichen an Donezk angrenzenden Regionen und nach Kiew.

Während die letztere Gruppe vor allem aus politisch aktiven Unterstützern der neuen ukrainischen Regierung besteht, sind die Angehörigen der ersteren in der öffentlichen Wahrnehmung Sympathisanten der Separatisten, die nicht arbeiten wollen und bereit sind, Ärger zu verursachen. Dieses Narrativ wird durch Aktionen lokaler Medien und Politiker verstärkt, die dazu neigen, Einzelfälle übersteigert darzustellen.

Ein Großteil der Flüchtlingsbewegungen auf der Krim wurde nach dem Unabhängigkeitsreferendum im März durch Drohungen und gewalttätige Übergriffe auf Grundlage politischer, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeiten losgetreten.

Die neuen russischen Behörden und ihre Unterstützer haben es dort besonders auf politisch aktive Unterstützer der Euromaidan-Bewegung abgesehen, die den letzten Präsidenten entmachtete, sowie auf die Krimtataren, eine ethnische Minderheit mit mehr als 240.000 Angehörigen auf der Halbinsel, deren Geschichte von antirussischen Gefühlen geprägt ist, da Stalin sie in der Vergangenheit von der Krim deportierte.

Viele der Binnenflüchtlinge von der Krim betrachteten ihre Flucht ursprünglich als vorübergehend, angesichts der momentanen Realitäten werden sie jedoch höchstwahrscheinlich länger auf dem ukrainischen Festland bleiben, denn sie sind zu einer Rückkehr auf die Krim nicht bereit, solange diese Teil Russlands ist. Zudem können sie wegen der Schließung der ukrainischen Banken auf der Halbinsel nicht auf ihre Ersparnisse zugreifen und auch ihre Vermögen können sie wegen neuer Systeme zur Registrierung von Eigentum nicht veräußern. Diese führen die russischen Behörden derzeit ein, um zu verhindern, dass die Binnenflüchtlinge ihren ursprünglichen Besitz verkaufen. Das wiederum erschwert einen langfristigen Neuaufbau ihrer Existenzen auf dem ukrainischen Festland. Die Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Osten der Ukraine hat dagegen bereits begonnen – 50.000 Menschen sind seit dem 22. September zurückgekommen. Die meisten der Binnenflüchtlinge aus dem Osten sind Frauen und Kinder, Männer sind seltener geflohen. Einige haben sich entschieden, den Familienbesitz zu beschützen, andere konnten Kontrollstellen der Separatisten oder der ukrainischen Armee nicht passieren; letztere zogen sie zum Kampf gegen die Armee ein, erstere misstrauten ihnen aus eben diesem Grund.

Diese Flüchtlingsgruppe, deren Rückkehr sich abzeichnet, plant keine Integration in die Regionen, in die sie geflüchtet ist. Das verschlechtert die Beziehung zur ortsansässigen Bevölkerung, die ohnehin schon mit Ressourcenmangel zu kämpfen hat. Dass einige der Binnenflüchtlinge aus dem Osten – anders als die Binnenflüchtlinge von der Krim – der ukrainischen Regierung und der ukrainischen Armee zudem kritisch gegenüberstehen und die separatistische Bewegung im Osten offen unterstützen, heizt den Konflikt noch weiter an.

Der Umgang mit den Binnenflüchtlingen

Die ukrainische Regierung, noch sehr mit der Bewältigung der Euromaidan-Ereignisse und der Entmachtung des früheren Präsidenten beschäftigt, hatte wenig Kapazitäten, um die Situation der Binnenflüchtlinge zu meistern. Zu unmittelbarer Hilfe und Betreuung einschließlich provisorischer Unterbringung waren lokale und regionale Behörden aber in der Lage.

Hauptsächlich waren es lokale NGOs, Freiwillige und internationale Organisationen, die den Binnenflüchtlingen bei der Suche nach Arbeit und Unterkunft, bei der finanziellen Versorgung sowie durch unmittelbare humanitäre Unterstützung geholfen haben. Außerdem öffneten Bürger vor Ort ihre Wohnungen und Häuser für die Binnenflüchtlinge.

"Der Großteil der Hilfe, die ortsansässige Bürger und Freiwillige leisten, läuft jedoch nach und nach aus“, so das Büro der Vereinten Nationen zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten. Ihre Ressourcen erschöpften sich und es entstünden Spannungen zwischen Binnenflüchtlingen und aufnehmenden Gemeinden.

Im Juni kündigte die Regierung an, ab Juli 75 Prozent der Unterkunftskosten für die Binnenflüchtlinge von der Krim zu übernehmen. Außerdem genehmigte sie einen Aktionsplan zur effizienteren Versorgung aller Binnenflüchtlinge mit Unterstützungsleistungen. Angesichts der wachsenden Zahl und der wachsenden Bedürfnisse der Binnenflüchtlinge hatten sich die bisherigen Maßnahmen als unzureichend erwiesen.

Daraufhin genehmigte das ukrainische Parlament ein Gesetz über Binnenflüchtlinge, das der Präsident jedoch als unzureichend ansah und mit einem Veto stoppte. Als nicht ausreichend betrachtete er es, weil es Unterbringung und Unterstützung nicht absicherte, keine Koordinationsmechanismen innerhalb der Regierung vorsah und internationalen Standards nicht entsprach.

Nach dem Veto begann eine aus Zivilgesellschaft, internationalen Organisationen und dem Büro des Präsidenten zusammengesetzte Arbeitsgruppe,eine neue Gesetzgebung zu Binnenflüchtlingen zu erarbeiten. Ihr Gesetzentwurf enthält Bestimmungen zur Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung für sechs Monate, zu einem verbesserten Zugang zu Sach- und Sozialleistungen und zu Kompensationen für zerstörtes oder verlorenes Eigentum. Außerdem sieht er zinsverbilligte Darlehen für Binnenflüchtlinge von der Krim vor. Sein vielleicht wichtigster Punkt ist die Abschaffung der Besteuerung der lokalen und internationalen humanitären Hilfe, die deren Umfang momentan deutlich verringert.

Trotz der sehr ernsthaften Situation der Binnenflüchtlinge hat es das ukrainische Parlament nicht geschafft, den Gesetzentwurf im August oder September anzunehmen, der letzte Versuch hierzu scheiterte am 16. September aus Zeitmangel; die Rada musste sich mit umstrittenen Gesetzen zur Lustration, mit einer Amnestie für die an den Ereignissen in Luhansk und Donezk beteiligten Personen und mit dem Gesetz über einen Sonderstatus einzelner Bezirke der Regionen Donezk und Luhansk befassen. Aufgrund der anstehenden Wahlen ist der nächste Zeitpunkt, zu dem die Gesetzgebung zu Binnenflüchtlingen angenommen werden kann, der 14. Oktober.

Bislang ist schwer abzusehen, welche Teile im Zuge der Diskussion in der Rada herausfallen werden und was zu dem Entwurf hinzugefügt werden wird. Änderungen wird es aber definitiv geben. Die parlamentarischen Gesetzgeber wollen den Abschnitt loswerden, der die Besteuerung der lokalen humanitären Hilfe abschaffen würde, der Zivilgesellschaft ist es wichtig, dass das Gesetz auch staatenlose Flüchtlinge und Bürger anderer Staaten begünstigt.

Die Gesetzgeber in der Rada sollten sicherstellen, dass die die Gesetzgebung zu Binnenflüchtlingen internationalen Standards entspricht und dass sie eine ausreichende Unterstützung für Binnenflüchtlinge vorsieht, die in nicht winterfesten Unterkünften leben. Das ist angesichts des bevorstehenden Winters momentan das drängendste Problem.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt

Fussnoten

Vsevolod Kritskiy ist Doktorand in Internationaler Geschichte am Genfer Hochschulinstitut. Er war Junior Fellow am Internal Displacement Monitoring Centre des Norwegischen Flüchtlingsrats, wo er sich auf die Ukraine-Krise konzentrierte. Seine Dissertation untersucht die Nationenbildung in der Sowjetunion in der Folge des Ersten Weltkriegs. Dieser Artikel enthält Informationen aus Interviews mit dem UNHCR, der Kharkiv Human Rights Protection Group und der Initiative SOS Krim.