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Analyse: Erdgas für die Ukraine im Winter 2015/16: Wie viel, zu welchem Preis, von wem? | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Erdgas für die Ukraine im Winter 2015/16: Wie viel, zu welchem Preis, von wem?

Roland Götz Berlin Von Roland Götz

/ 11 Minuten zu lesen

Wie schon im Herbst 2014 steht die Ukraine auch ein Jahr später vor der Frage, wie die Versorgung mit Erdgas im Winterhalbjahr gewährleistet werden soll. Bis Ende September oder spätestens im Oktober wollen beide Seiten jedoch ein erneutes »Winterpaket« schnüren.

Ein Wärmekraftwerk in Kiew, Ukraine: Auch diesen Winter muss die Ukraine wieder um ein "Paket" mit Gazprom verhandeln. (© picture-alliance/dpa)

Wie viel Gas muss die Ukraine im Winter 2015/16 importieren?



Der Gasverbrauch in der Ukraine hat sich seit 2012 vor allem deswegen vermindert, weil die Industrieproduktion sank. 2014 wirkten sich insbesondere die Kriegshandlungen in der Ostukraine negativ auf den Gasverbrauch aus. In den Privathaushalten und kommunalen Einrichtungen war der relative Verbrauchsrückgang jedoch nicht derart ausgeprägt wie in der Industrie (s. Tabelle 1). Da auch 2015/16 der Produktionsrückgang in der Industrie anhalten wird, dürfte der Gasbedarf dieses Wirtschaftszweigs von Oktober 2015 bis März 2016 noch niedriger liegen als im Vorjahr. Dagegen könnte, wenn die Prognosen britischer Meteorologen zutreffen (die jedoch von ihren ukrainischen Kollegen nicht geteilt werden), der Gasbedarf für die Beheizung und die Warmwasserzubereitung in Wohnungen und kommunalen Einrichtungen deutlich höher ausfallen als im vorigen Winterhalbjahr. Ob die Gasversorgung der Ukraine im bevorstehenden Winter gesichert ist, hängt neben dem zu erwartenden Gasverbrauch von der einheimischen Gasförderung, den Gasimportmöglichkeiten und nicht zuletzt vom Füllstand der unterirdischen Gasspeicher ab, der Ende August 14,5 Milliarden Kubikmeter betrug. Er lag damals weit unterhalb der kritischen Grenze von 18 bis 19 Milliarden Kubikmeter, bei welcher der Gastransit von der Ukraine in die EU im Winter ohne Risiko erfolgen kann.

Der ukrainische Minister für Energie und Kohle, Wolodymyr Demtschischin, machte im August 2015 folgende Rechnung auf: Während die Ukraine im Sommer pro Tag 40 Millionen Kubikmeter Erdgas verbraucht, beläuft sich der Tagesverbrauch in einem durchschnittlichen Winter auf 200 Millionen Kubikmeter, in einem sehr kalten sogar auf bis zu 300 Millionen Kubikmeter. Die tägliche Förderleistung der ukrainischen Gasfelder beträgt 55 Millionen Kubikmeter, aus den EU-Ländern könnten täglich bis zu 60 Millionen Kubikmeter bezogen und aus den Gasspeichern in der Ukraine bis zu 120 Millionen Kubikmeter pro Tag entnommen werden – das ergibt zusammen ein tägliches Gasaufkommen von bis zu 235 Millionen Kubikmeter und damit um 35 Millionen Kubikmeter mehr, als in einem durchschnittlich kalten Winter benötigt werden. In diesem Fall müsste kein Gas aus Russland gekauft werden, so Demtschischin. Anders wäre die Lage in einem besonders kalten Winter, in dem der Gasverbrauch auf 300 Millionen Kubikmeter hochschnellen könnte. Dann käme man ohne Gaslieferungen aus Russland nicht aus.

Die in dieser Rechnung verwendeten Kennziffern für den Gasverbrauch und die einzelnen Positionen des Gasaufkommens erfordern allerdings Korrekturen in beide Richtungen. Unbestreitbar ist nur der Wert für die tägliche Förderleistung (55 Millionen Kubikmeter), aus dem sich eine Jahresproduktion von rund 20 Milliarden Kubikmetern errechnet, die dem langjährigen Durchschnitt entspricht. Der Wert für den Import aus der EU (60 Millionen Kubikmeter pro Tag) ist weniger sicher. In den ersten siebeneinhalb Monaten des Jahres 2015 hatte die Ukraine 7,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus der EU importiert, davon 6,9 Milliarden Kubikmeter aus der Slowakei, 0,4 Milliarden Kubikmeter aus Ungarn und 0,1 Milliarden Kubikmeter aus Polen. Die gesamte tägliche Importmenge betrug im Durchschnitt 33 Millionen Kubikmeter, die aus der Slowakei 31 Millionen Kubikmeter. Da die Kapazität der Vojany-Uzhgorod-Pipeline, die aus der Slowakei in die Ukraine führt, 40 Millionen Kubikmeter pro Tag beträgt, könnte sie einen erhöhten Import erlauben. Wenn auch mit höheren Gaseinfuhren aus Ungarn und Polen gerechnet wird, können 45 Millionen Kubikmeter pro Tag aus der EU erwartet werden.



Aus den Gasspeichern können nach Demtschischins Angaben bis zu 22 Milliarden Kubikmeter entnommen werden, was jedoch doppelt so viel wäre, wie der Speicherfüllstand erlaubt. Da sich Ende August 2015 in den zwölf ukrainischen Speichern (den Speicher auf der Krim nicht mit eingerechnet) rund 14,5 Milliarden Kubikmeter befanden und im September 2015 bei einer täglichen Einspeicherung von 50 Millionen Kubikmetern 1,5 Milliarden Kubikmeter hinzukommen, werden sie Anfang Oktober 2015 mit 16 Milliarden Kubikmeter gefüllt sein. Allerdings sind davon rund sechs Milliarden Kubikmeter "technisches Gas", das zur Aufrechterhaltung des Gasdrucks in den Speichern notwendig ist. Zur Entnahme verfügbar sind daher zehn Milliarden Kubikmeter und täglich können maximal 56 Millionen Kubikmeter ausgespeichert werden (s. Tabelle 2). Das Aufkommen an Erdgas ohne Importe aus Russland beträgt bei realistischer Betrachtung somit nur 156 Millionen Kubikmeter und nicht 235 Millionen Kubikmeter pro Tag, wie aus der Berechnung des ukrainischen Energieministers folgt.



In Demtschischins Rechnung wird andererseits der Gasverbrauch überschätzt. Legt man die amtliche Heizperiode von Anfang Oktober bis Ende März zugrunde, ergibt sich aus dem von ihm angegebenen Koeffizienten (im durchschnittlichen Winter: 200 Millionen Kubikmeter pro Tag) ein winterlicher Gasverbrauch von 36 Milliarden Kubikmeter. Im – allerdings ungewöhnlich warmen – Winterhalbjahr 2014/15 wurden in der Ukraine jedoch nur 28 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbraucht (s. Tabelle 1). Ein realistischer Wert für den Tagesverbrauch in einem durchschnittlichen Winter 2015/16 dürfte daher unter Berücksichtigung des sinkenden Industrieverbrauchs bei rund 160 Millionen Kubikmetern liegen, also um 20 Prozent niedriger als von Demtschischin angesetzt. In diesem Fall müsste, um die Gesamtbilanz auszugleichen, kaum Gas aus Russland importiert werden. In einem sehr kalten Winter (bei einem gegenüber den Angaben des Energieministers ebenfalls um 20 Prozent auf 240 Millionen Kubikmeter verminderten Tagesbedarf) beträgt unter sonst gleichen Annahmen der Importbedarf aus Russland in der Winterperiode dagegen rund 15 Milliarden Kubikmeter (s. Tabelle 3).

Die Preisfrage

Die ukrainische Führung will Gas aus Russland auf jeden Fall nur dann beziehen, wenn "der Preis stimmt". In der Preisfrage gehen beide Seiten jedoch von unterschiedlichen Prinzipien aus, wobei sie jeweils die eigene Position als die einzig marktgerechte darstellen. Die ukrainische Seite möchte, dass Gazprom für die Lieferungen in die Ukraine die niedrigen Preise berechnet, die für westeuropäische Abnehmer gemäß ihren langfristigen Gasverträgen gelten, und verweist darüber hinaus auf den europäischen Spotmarkt für Erdgas, wo Erdgas kurzfristig gehandelt wird und sich der Preis durch Angebot und Nachfrage bildet. Gazprom lehnt die Orientierung an Spotmarktpreisen generell als unrealistisch ab, weil diese angeblich für große Transaktionen nicht aussagekräftig seien, hält Vergleiche von Gaspreisen in Ländern mit anderen Marktverhältnissen nicht für schlüssig und verweist auf den im Januar 2009 mit Naftogaz Ukrainy abgeschlossenen, noch bis Ende 2019 laufenden Gasvertrag. Dieser enthält eine Preisformel, nach der ein Basispreis (450 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter) mit zwei gleich gewichteten, um neun Monate verzögerten Preisindizes für Gasöl und Schweröl multipliziert wird, die beide Platt’s Oilgram Price Report entnommen sind. Der Basispreis soll die Wettbewerbsverhältnisse auf dem ukrainischen Gasmarkt wiedergeben, während die Ölpreisbindung die Preisentwicklung auf dem Weltmarkt für Erdöl mit einer dreivierteljährlichen Verzögerung nachvollzieht. Der so berechnete Preis gilt gemäß Vertrag jeweils für ein Vierteljahr. Die Gaslieferungen müssen bis zum 7. Tag des Folgemonats bezahlt werden, sonst kann Gazprom Vorauszahlung fordern. In dem Vertrag mit der Ukraine ist, wie auch in den Verträgen mit westeuropäischen Gaskunden, eine Revisionsklausel enthalten, nach der die Preisformel bei grundlegenden Änderungen der Marktverhältnisse im gegenseitigen Einvernehmen abgeändert werden kann.



Der nach der Preisformel des Gasvertrags für die Ukraine berechnete Preis wurde allerdings von Anfang an durch Preisabschläge vermindert. Zunächst galt 2009 eine Übergangsregelung, dann verzichtete Russland 2010 als Gegenleistung für die Verlängerung des Stationierungsvertrags für seine Schwarzmeerflotte durch die Ukraine auf den Gasexportzoll, was einen Preisabschlag von 100 US-Dollar auf den sonst fälligen Preis zur Folge hatte, so dass der Preis im Jahresdurchschnitt 2010 bei 257 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter verblieb. Weil Erdölprodukte immer teurer wurden, stieg auch der Gaspreis trotz des weiter gewährten Preisabschlags an und lag 2012 und 2013 über 400 US-Dollar. Dies bedeutete eine schwere Bürde (14 bzw. elf Milliarden US-Dollar) für die ukrainische Volkswirtschaft, die in den beiden Jahren stagnierte (s. Tabelle 4).

In der zweiten Jahreshälfte 2013 hatte sich die Wirtschaftslage in der Ukraine, die durch den Preisverfall beim Exportprodukt Stahl und das schwache Wirtschaftswachstum in Russland beeinträchtigt war, weiter verschlechtert – es trat ein untragbares "Zwillingsdefizit" in Staatshaushalt und Leistungsbilanz in Höhe von rund acht Prozent des BIP auf. Seit August 2013 befand sich die Ukraine für das von Gazprom gelieferte Gas im Zahlungsrückstand, der sich bis Ende 2013 auf 1,45 Milliarden US-Dollar summierte. Gazprom verzichtete aber darauf, Vorauszahlung auf seine Gaslieferungen zu fordern. Im dritten Quartal 2013 verkaufte Gazprom sogar fünf Milliarden Kubikmeter Gas an die Ukraine zu einem auf 268,5 US-Dollar erniedrigten Preis, damit diese die Gasspeicher auf das für die Gewährleistung des Gastransits erforderliche Mindestniveau von 18 Milliarden Kubikmeter auffüllen konnte. Um einen Staatsbankrott abzuwenden, suchte die ukrainische Führung im Herbst 2013 nach ausländischen Kreditgebern. Während IWF und EU keine Kredite an das reformunwillige Land vergeben wollten, war Moskau dazu bereit – nicht zuletzt um das Land weiterhin wirtschaftlich an Russland zu binden. Am 17. Dezember 2013 unterzeichneten die Präsidenten Wladimir Putin und Wiktor Janukowitsch ein Abkommen, das den Ankauf ukrainischer Staatsanleihen im Volumen von 15 Milliarden US-Dollar durch Russland sowie für 2014 die Senkung des Gaspreises auf 268,5 US-Dollar vorsah. Von dem Kredit wurden 2013 noch drei Milliarden US-Dollar ausbezahlt, von denen die Ukraine ihre bestehenden Schulden bei Gazprom begleichen sollte. Der Sonderpreis für das Gas sollte, so die Vereinbarung, allerdings nur solange gelten, wie die Ukraine ihre Gaslieferungen pünktlich bezahlte. Nachdem jedoch Naftogaz Ukrainy bis zum Ende des ersten Quartals 2014 gar keine Schulden aus 2013 und auch die laufenden Gaslieferungen nur zum geringen Teil bezahlt hatte, strich Gazprom den Sonderrabatt und verlangte ab dem 1. April 2014 den vertragsgemäßen Preis unter Berücksichtigung des Preisrabatts von 100 US-Dollar, der sich damit auf 385,5 US-Dollar belief. Einen Tag später machte die Regierung Russlands jedoch auch den Verzicht auf den Gasexportzoll rückgängig, da sie nach der im März 2014 erfolgten Annexion der Krim den Stationierungsvertrag für die Schwarzmeerflotte als gegenstandslos betrachtete, und Gazprom forderte ab April 2014 den ungekürzten Gaspreis von 485 US-Dollar. Dieser wurde von der Ukraine nicht akzeptiert, sie bezog aber weiterhin erhebliche Gasmengen von Gazprom, bis Gazprom Mitte Juni 2014, als sich die Schulden der Ukraine auf 5,3 Milliarden US-Dollar summiert hatten, die Gaslieferungen an die Ukraine einstellte (s. Tabelle 4). Zweifellos spielte die negative Entwicklung im Gassektor der Ukraine Moskaus Ukrainepolitik in die Hände, jedoch hat die Ukraine zumindest den formalen Grund dafür geliefert, dass Gazprom den im Dezember 2013 vereinbarten, für die Ukraine sehr günstigen Gaspreis kündigen konnte.

Das Winterpaket 2014/15

Seit Mitte Juni 2014 kaufte die Ukraine Erdgas nur noch aus EU-Ländern, strebte jedoch, weil man eine Gasknappheit befürchtete, die Wiederaufnahme der Lieferungen aus Russland an. Für das "Winterpaket" für 2014/15 hatten sich die Energieminister beider Seiten (Gazprom nahm an den Verhandlungen nicht teil) samt Energiekommissar Oettinger am 31. Oktober 2014 auf einen Gaspreis geeinigt, der aus dem ukrainisch-russischen Gasvertrag von 2009 abgeleitet sowie durch einen Preisabschlag vermindert wurde. Bei einem Gaspreis von 333,33 Dollar pro 1000 Kubikmeter und höher sollte er 100 US-Dollar und bei einem unter dieser Grenze liegenden Gaspreis 30 Prozent betragen. Da der nach dem Vertrag von 2009 berechnete Gaspreis für das vierte Quartal 478 US-Dollar betrug, belief sich der Abschlag demnach auf 100 US-Dollar und der Preis für November und Dezember 2014 auf 378 US-Dollar. Für das erste Quartal 2015 wurde der Preis wegen des gesunkenen Ölpreises nach der gleichen Methode auf 365 US-Dollar gesenkt. Beide Seiten einigten sich darauf, dass die Ukraine für offene Gasrechnungen im November und Dezember 2013 sowie zwischen April und Mitte Juni 2014 insgesamt 3,1 Milliarden US-Dollar bezahlen würde, wobei Naftogaz Ukrainy von dem Preis von 268,5 US-Dollar für das erste Quartal 2014 (was dem von Janukowitsch im Dezember 2013 ausgehandelten Preisnachlass entsprach) ausging, während Gazprom den Vertragspreis zugrunde legte und die Zahlung als Teilzahlung betrachtete.

Die Ukraine benötigte wegen des milden Winters im Rahmen des "Winterpakets" 2014/15 zwischen November 2014 und März 2015 nur 2,7 Milliarden Kubikmeter aus Russland, während sie im ersten Halbjahr 2014, als sie ihre Gasspeicher zu einem günstigen Preis oder auch ohne zu bezahlen füllen konnte, 14 Milliarden Kubikmeter aus Russland bezogen hatte.

Für ein "Sommerpaket" im zweiten Quartal 2015 einigten sich beide Seiten auf das gleiche Preisbildungsmodell wie für das "Winterpaket", wobei der dann geltende Ausgangspreis von 347 US-Dollar durch Verzicht auf den Gasexportzoll um 100 US-Dollar auf 247 US-Dollar gesenkt wurde.

Das Winterpaket 2015/16

Gazprom wollte den Preis des "Sommerpakets" von 247 US-Dollar auch im dritten Quartal 2015 beibehalten. In diesem lag der vertragliche Ausgangspreis als Folge des im Vorjahr erfolgten Ölpreisrückgangs nur noch bei 287 US-Dollar, weswegen der Preis von 247 US-Dollar einen Verzicht auf den Gasexportzoll in Höhe von 40 US-Dollar und seine Reduzierung um 14 Prozent gegenüber dem Ausgangspreis bedeutete, während der von der Ukraine verlangte volle Verzicht auf den 30%igen Gasexportzoll einen um 86 US-Dollar verminderten Preis von 201 US-Dollar ergeben hätte. Dass die Ukraine auf das Angebot Gazproms nicht einging, lag nach den Worten des ukrainischen Energieministers nicht nur daran, dass man einen Preis um 200 US-Dollar für angemessen hielt, sondern auch daran, dass Gazprom nur bereit war, seinen Preis für jeweils ein Vierteljahr zu garantieren, während die ukrainische Seite ein verbindliches Angebot für die gesamte Heizperiode verlangte. Zumindest die zweite Forderung hatte wenig Aussicht auf Erfolg, da Gazprom seine Exportpreise generell vierteljährlich an die Entwicklung des Ölpreises anpasst und keine Veranlassung sieht, für die Ukraine eine Ausnahme zu machen.

Für das vierte Quartal 2015 nannte Gazprom-Chef Miller am 1. September 2015 einen Ausgangspreis von 252 US-Dollar, der wiederum durch einen Teilverzicht auf den Gasexportzoll vermindert werden soll, dessen Höhe von der russischen Regierung bis Mitte September noch nicht benannt wurde. Er soll sich, so Russlands Regierung, nach den Erfordernissen des Staatsbudgets richten sowie die Situation auf dem westeuropäischen Gasmarkt berücksichtigen. Russlands Energieminister Alexander Nowak sowie Ministerpräsident Dmitri Medwedjew kündigten an, dass der Preisabschlag so bemessen werde, dass Gazproms Preis 20 bis 30 US-Dollar niedriger liegen werde als der für Lieferungen aus westlichen Ländern an die Ukraine. Die Ukraine müsste am Zustandekommen einer derartigen Vereinbarung interessiert sein, da sie das Gas aus Russland, das an den weiterhin niedrigen Ölpreis gebunden ist, voraussichtlich weniger kosten wird als kurzfristig auf dem EU-Markt beschafftes Gas. Gazprom befürwortet, so Gazprom-Chef Alexander Miller, die Wiederaufnahme der Gaslieferungen mit dem Ziel der Sicherung des Gastransits in die EU – jedoch nicht aus kommerziellen Gründen, weil das Gas, das die Ukraine aus ihren Nachbarländern in der EU importiert, faktisch ebenfalls aus Russland kommt und Gazprom daran verdient.

Jede Milliarde Kubikmeter Gas aus Russland könnte die Ukraine voraussichtlich ab dem vierten Quartal 2015 unter Anrechnung eines vom russischen Staatsbudget getragenen Preisabschlags von 30 US-Dollar ungefähr 220 Millionen US-Dollar kosten. Wenn das "Winterpaket" 2015/16 für einen sehr kalten Winter bemessen würde, hätte es einen Umfang von 15 Milliarden Kubikmetern und würde sich auf 3,3 Milliarden US-Dollar belaufen. Eine solche Summe kann die Ukraine, obwohl die Gaspreise für die Endverbraucher 2015 erheblich erhöht wurden – so unisono der Ministerpräsident und sein Energieminister – nicht aufbringen. Die ukrainische Regierung legte, weil sie von der EU, der EBRD und der Weltbank finanzielle Hilfen für die Bezahlung der Gaslieferungen erwartete, Wert darauf, dass über ein "Winterpaket" 2015/16 im Format Ukraine-Russland-EU verhandelt wurde.

Perspektiven für 2016 und danach

Auch wenn 2015, wie schon im Vorjahr, im letzten Augenblick ein "Winterpaket" vereinbart werden wird, bleiben grundsätzliche Probleme im Gashandel zwischen Russland und der Ukraine bestehen. Gazproms Preisberechnung geht von dem im Vertrag von Januar 2009 fixierten Basispreis (450 US-Dollar) aus, der von den damals hohen Gasimportpreisen für Deutschland und Polen abgeleitet wurde. Die auf diesem Basispreis beruhenden und an die Ölpreisentwicklung angepassten Vertragspreise mussten mit Rücksicht auf die Zahlungsfähigkeit der Ukraine jedoch mehrmals auf Kosten des Staatsbudgets Russlands nach unten korrigiert werden. Damit wurde Gazprom seinem eigenen Anspruch nicht gerecht, mit seinem Preismodell für die Ukraine "marktgerechte" Preise zu bestimmen. Spätestens 2014, als die Importe aus der EU den Umfang von fünf Milliarden Kubikmetern angenommen hatten, wodurch sich die im Vertrag von 2009 als Revisionsgrund genannten wirtschaftlichen Voraussetzungen wesentlich geändert hatten, war die Herabsetzung des dort fixierten Basispreises überfällig gewesen. Die Ukraine hat zwar auch eine derartige Revision verlangt, aber vor allem 2014 und 2015 erfolglos versucht, gegenüber Gazprom ein gänzlich neues Preismodell – die Orientierung an westeuropäischen Spotmarkt-Preisen – durchzusetzen, wozu Gazprom jedoch auch gegenüber seinen anderen Kunden bislang nicht bereit war und wofür der Ukraine die Verhandlungsmacht fehlte. So verbleibt für die Ukraine nur die Hoffnung, dass der Spruch des von beiden Seiten angerufenen Stockholmer Schiedsgerichts, der für 2016 zu erwarten ist, neben einem Urteil zu den Gasschulden der Ukraine und ihren Gegenforderungen an Gazprom unter anderem eine (möglicherweise rückwirkende) Korrektur des von Gazprom berechneten Gaspreises enthalten wird.

Tabellen zum Text

Lesetipps

Fussnoten

Dr. Roland Götz hat sich am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BIOst) in Köln und bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin mit der Sowjetwirtschaft und der Wirtschaft Russlands beschäftigt.