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Kommentar: Für die Ukraine sind Transparenz und Rechtstaatlichkeit wichtiger als De-Oligarchisierung | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Für die Ukraine sind Transparenz und Rechtstaatlichkeit wichtiger als De-Oligarchisierung

Heiko Pleines

/ 6 Minuten zu lesen

In seinem Kommentar beschreibt Heiko Pleines die ukrainischen Oligarchen nur als die Spitze eines Eisbergs, bestehend aus einem System von Einflussnahme mächtiger Akteure und Korruption. Das Einzige, was diesen Berg zum Schmelzen bringen könnte, ist die Förderung von Transparenz und Rechtsstaatlichkeit.

Wie weit die politische Einflussnahme ukrainischer Oligarchen gehen kann, zeigt die Laufbahn Petro Poroschenkos. Er ist nicht nur amtierender Präsident des Landes sondern auch Leiter eines der führenden Unternehmen der Ukraine. (© picture-alliance/dpa)

Oligarchen haben den ukrainischen Staat gekapert. Sie sind aber eher ein Symptom als die Ursache der Krise des Landes. Deshalb würde eine erfolgreiche De-Oligarchisierung keinen wirklichen Fortschritt bringen, sondern die alten Oligarchen nur durch neue ersetzen. Was die Ukraine stattdessen braucht, ist eine Kultur der Transparenz und Rechtstaatlichkeit.

Oligarchen an der Macht

Bereits über ein Jahrzehnt werden Oligarchen, politische einflussreiche Großunternehmer, trotz aller Umbrüche in der Ukraine als mächtigste Akteure gesehen. Wie in einigen anderen post-sozialistischen Staaten hatten sie – so die Formulierung von Joel Hellman, einem leitenden Wirtschaftswissenschaftler der Weltbank – den Staat "gekapert". Obwohl die derzeitige politische Führung der Ukraine eine De-Oligarchisierung angekündigt hat, sehen viele Wähler und auch Experten die Ukraine weiterhin in den Fängen der Oligarchen.

Petro Poroschenko, einer der führenden Unternehmer des Landes, ist zum Präsidenten gewählt worden und hat entgegen seiner Wahlversprechen sein Unternehmen nicht verkauft. Ihor Kolomojskyj, ein weiterer ukrainischer Milliardär, der 2014 relativ früh auf die Seite des Euro-Maidans wechselte, hat es geschafft auch nach seinem Streit mit Poroschenko seinen Zugriff auf staatliche Gelder zu verteidigen. Selbst Oligarchen, die dem geflohenen Präsidenten Viktor Janukowitsch nahestanden, wie Rinat Achmetow und Dmitro Firtasch sind weiterhin gut im Geschäft.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist das zentrale Problem mit den Oligarchen, dass ihr Geschäftsmodell nicht auf Wettbewerb auf freien Märkten basiert, sondern Gewinne über undurchsichtige Deals mit Staatsvertretern erreicht. Die britische Zeitschrift Economist hat in ihrem "crony-capitalism"-Index geschätzt, das 2016 insgesamt 85 % des Vermögens der ukrainischen Milliardäre aus Wirtschaftsbranchen stammte, in denen der Staat die Profite verteilt. Im weltweiten Vergleich liegt die Ukraine damit auf dem dritten Platz. Die hohe Abhängigkeit von illegitimer und oft auch illegaler staatlicher Unterstützung bedeutet, dass die Oligarchen alle Mittel, einschließlich Korruption, einsetzen, um ihren politischen Einfluss zu verteidigen.

Wer genau ist ein Oligarch?

Es sind sich zwar fast alle einig, dass Oligarchen schlecht für die Ukraine sind, wer genau ein Oligarch ist, ist aber weniger klar. Wenn Präsident Poroschenko eine De-Oligarchisierung verspricht, denkt er dabei offensichtlich nicht an seine eigene Entmachtung. In ukrainischen politischen Debatten scheinen immer nur die anderen Oligarchen zu sein oder mit Oligarchen zusammenzuarbeiten. Die typische Definition für Oligarchen ist dann: Reiche Leute in der Politik, die wir nicht mögen.

Eine politikwissenschaftliche Definition beschreibt Oligarchen präziser als Großunternehmer, die politischen Einfluss zur Förderung ihrer Geschäftsinteressen nutzen. Sie unterscheiden sich damit von korrupten Politikern, die ihr Amt nutzen um Kontrolle über Unternehmen zu erhalten und um sich, ihre Familie und ihre Freunde reich zu machen. Dementsprechend ist der Lackmustext für Oligarchen, ob ihre Macht von ihrem Unternehmen oder von einem politischen Amt abhängt. Als Janukowitsch sein politisches Amt verloren hatte, verlor er sofort seine Macht und den größten Teil seines Vermögens. Dasselbe gilt für seine Familie und Freunde. Achmetow hingegen ist weiterhin einflussreich, da er als echter Oligarch seinen Einfluss auf seine Unternehmen und nicht auf politische Ämter gründet.

Dementsprechend kann argumentiert werden, dass der beste Weg die Oligarchen loszuwerden die Verstaatlichung ihrer Unternehmen ist. So einfach ist es aber nicht.

Systemrelevanz

Das erste Problem besteht darin, dass die Oligarchen viele Unternehmen kontrollieren, die in der aktuellen Sprache der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise als systemrelevant bezeichnet werden können. Wenn der ukrainische Staat die Privatbank von Kolomojskyj verstaatlicht, muss er die damit verbundenen finanzielle Risiken übernehmen, da sie die Kunden der Bank mehr betreffen als den Oligarchen selbst. (Die Verstaatlichung der Privatbank wird ein Thema in der nächsten Ukraine-Analyse sein.) Wenn der Staat versucht, den Einfluss der Oligarchen im Energiesektor zurückzudrängen, können diese ihre Verbündeten in Unternehmensleitungen und ihr Insider-Wissen nutzen, um sich zu wehren und dem Staat mit dem Zusammenbruch wichtiger Infrastruktur zu drohen. Wer würde sich in dieser Situation darauf verlassen, dass die Oligarchen sich genug um die Ukraine sorgen, um nicht ihren Zusammenbruch zu provozieren? Im Ergebnis bedeutet dies, das nicht alles was für die Oligarchen schlecht ist, automatisch für die Ukraine gut ist.

Nur ein Symptom

Aber das eigentliche Problem ist deutlich größer. Die Oligarchen sind nur die Spitze des Eisbergs. Im Grunde funktioniert fast die gesamte Ukraine nach der Logik der Oligarchen, selbst wenn keine Oligarchen beteiligt sind. Auch hier gibt es einen einfachen Test: Wenn die Oligarchen das zentrale Problem sind, dann sollten Reformen in Bereichen, die die Oligarchen nicht interessieren, klare Erfolgsgeschichten sein. Wie die großen Widerstände gegen Reformen im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich oder beim Wahlrecht zeigen, ist dies aber nicht der Fall. Es gibt viele einflussreiche Interessengruppen, die Reformen verhindern wollen und dazu undurchsichtige politische Verbindungen nutzen.

Das führt zu einer anderen Schlussfolgerung. Das ukrainische Regierungssystem ist zu einem Selbstbedienungsladen für jeden mit einem Hauch von Einfluss verkommen. Nicht nur Oligarchen, sondern auch politische Parteien, Hochschulrektoren und Chefärzte, Zollbeamte und Richter sehen den Staat vor allem als Quelle zusätzlicher Einkommen. Wenn in so einem System Oligarchen ihren politischen Einfluss verlieren, werden sie einfach von anderen ersetzt. Nicht nur auf der Seite der Wirtschaft, sondern auch auf der Seite des Staates suchen so die meisten nach Möglichkeiten sich selber zu bereichern, statt das Land zu entwickeln. Das ist traurig, aber nicht ungewöhnlich. Genau diese Erwartung, dass Macht korrumpiert, war schon der Ausgangspunkt der ersten demokratischen Verfassungsdebatte.

Die Demokratie kann zurückschlagen

Die Federalist Papers, die 1787/88 von drei Gründungsvätern der USA verfasst wurden, argumentieren, dass politische Macht jeden korrumpieren kann und dass ein verantwortungsvolles Regierungssystem deshalb verlangt, dass alle Amtsinhaber kontrolliert werden. Eine Voraussetzung für funktionierende Kontrollen sind Transparenz und Rechtstaatlichkeit. Um diese zu gewährleisten, reicht es offensichtlich nicht aus, die Oligarchen zu entmachten. Ein selektives Vorgehen gegen einflussreiche Oligarchen kann sogar kontraproduktiv sein, wenn der Eindruck entsteht, alle anderen dürften sich weiter bereichern wie bisher.

Transparenz ist jedoch eine schwere Belastung für die politische Kultur eines Landes im Demokratisierungsprozess. Im Fall der Ukraine zeigt sich dies deutlich bei den elektronischen Vermögensdeklarationen führender Politiker und Beamter, die in der vorhergehenden Ausgabe der Ukraine-Analysen dokumentiert wurden. Die Vermögensdeklarationen sind natürlich ein wichtiger Schritt in Richtung Transparenz und können dem Kampf gegen Korruption neuen Schwung verleihen. Gleichzeitig führten die Vermögensdeklarationen aber dazu, dass Medienberichterstattung und öffentliche Debatten derzeit noch stärker auf Korruption konzentriert sind als unter Präsident Janukowitsch. Obwohl Transparenz und die erfolgreiche Aufdeckung von Korruptionsfällen eigentlich ein Fortschritt sind, führt die Vielzahl der bekanntwerdenden Fälle so dazu, dass die Bevölkerung resigniert die Allgegenwart von Korruption konstatiert. So entsteht anstelle einer breiten Unterstützung für die Bekämpfung von Korruption schnell eine politische Kultur des Zynismus, die alle Politiker für gleich korrupt hält und sehr anfällig für Populisten ist, die statt konkreter Strategien vor allem laute Vorwürfe und einfache Parolen bieten.

In dieser Situation ist dringend eine neue politische Kultur erforderlich, die verlangt, dass Transparenz durch Rechtstaatlichkeit ergänzt wird und die versteht, dass Demokratie als "Volksherrschaft" bedeutet, dass das Volk nicht nur bei Wahlen und "Revolutionen" politisch aktiv werden muss, sondern fortwährend informiert und aktiv sein muss, um durch politischen Druck Machtmissbrauch zu verhindern. Wenn, wie in der Ukraine, die im politischen System vorgesehenen Kontrollen durch Parlament und Justiz nicht wirklich funktionieren, kann nur die öffentliche Forderung nach konkreten, klaren und konsistenten Reformen durch die Wähler selber ein Gegengewicht zur Selbstbedienungsmentalität in Politik und Wirtschaft sein. EU und IWF können in Einzelfällen Forderungen Nachdruck verleihen, wie etwa bei ProZorro und Vermögensdeklarationen. Ohne dauerhafte Unterstützung der ukrainischen Zivilgesellschaft bleiben dies aber Einmaleffekte.

Regeln, nichts als Regeln!

Dementsprechend ist die zentrale Herausforderung nicht die Zurückdrängung des oligarchischen Einflusses in konkreten Unternehmen. Die Vermögensdeklarationen und das staatliche Beschaffungssystem ProZorro sind viel wichtigere Schritte in Richtung Transparenz und Rechtstaatlichkeit. Wenn diese Reformen erfolgreich sind, werden die Oligarchen sie früher oder später akzeptieren müssen und sich an transparente und rechtskonforme Geschäftstätigkeit gewöhnen müssen. Auch die "robber barons", politisch einflussreiche Großunternehmer, die vor einem Jahrhundert in den USA Politik und Wirtschaft manipulierten, wurden nicht durch den Feldzug eines Präsidenten entmachtet, sondern durch die Anwendung des für alle Unternehmen gültigen Kartellrechts.

Die englische Originalfassung des vorliegenden Beitrags ist auf Externer Link: Vox Ukraine veröffentlicht worden.

Eine russische und ukrainische Übersetzung ist von Novoe Vremya publiziert worden.

Lesetipps

Fussnoten

Prof. Dr. Heiko Pleines leitet die Abteilung Politik und Wirtschaft der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Er ist am EU-geförderten Graduiertennetzwerk "Post-Soviet Tensions" beteiligt.