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Kommentar: Im Donbas – keine Aussicht auf Frieden | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Im Donbas – keine Aussicht auf Frieden

Gerhard Simon

/ 4 Minuten zu lesen

Auch nach vier Jahren verhärten sich die Fronten im Ukraine-Konflikt zusehends. Während die Volksrepubliken sich scheinbar Russland annähern, rüstet die Ukraine militärisch auf. Wenn keine der Konfliktparteien Zugeständnisse machen und Kompromisse eingehen will, scheint ein Frieden unerreichbar.

Die Gräben zwischen den sogenannten Volksrepubliken und der unbesetzten Ukraine werden tiefer: Ein Grenzübergang an den Kontrollpunkten ist oft mühsam und langwierig. (© picture-alliance/AP)

Einleitung

Ein Blick auf die Wirklichkeit zum Jahreswechsel 2017/18 erlaubt keinen Optimismus, es sei denn, man überlässt sich dem Wunschdenken. Noch nicht einmal ein Waffenstillstand im Donbas ist realistisch, geschweige denn Frieden. Die vereinbarte "Waffenruhe" zum orthodoxen Weihnachtsfest am 7. Januar hielt kaum 24 Stunden, obwohl in Minsk eine "Waffenruhe" für die Feiertage vom 23. Dezember bis zum orthodoxen Neujahr am 14. Januar verabredet worden war. Noch vor dem Ende der Feiertage erreichte das Kriegsgeschehen wieder seinen "normalen" Umfang: für die Woche vom 5. bis 11. Januar wurden vier Tote und 14 Verwundete auf Seiten der ukrainischen Armee gemeldet.

Die Minsker Vereinbarungen und ihre Grenzen

Die Minsker Vereinbarungen von 2014 und 2015 haben gewiss ihre Verdienste: Sie gewährleisten die Internationalisierung des Krieges, und sie haben wohl eine Ausweitung der Kampfhandlungen auf weitere Gebiete der Ukraine verhindert. Als Instrumente zur Beendigung des Krieges taugen die Vereinbarungen aber offenbar nicht. Bislang ist keine einzige Bestimmung vollständig umgesetzt worden. Zwar hat im Dezember 2017 ein größerer Austausch von Gefangenen stattgefunden, aber der seinerzeit in Minsk vereinbarte Austausch "alle gegen alle" kam bislang nicht zustande.

Wenn schon die Vereinbarungen im humanitären Bereich nur teilweise und schleppend umgesetzt wurden, so muss eine Verwirklichung der politischen Vereinbarungen gegenwärtig als ganz unrealistisch eingeschätzt werden: Russland hat wiederholt erklärt, dass eine Wiederherstellung der Kontrolle der Ukraine über die russisch-ukrainische Grenze im Donbas und damit die Restitution des Völkerrechts nicht in Frage kommt. Die Ukraine ihrerseits wird den jetzt besetzten Gebieten keinen Sonderstatus als de facto russisches Protektorat gewähren, ebenso wenig wie eine allgemeine Amnestie für alle, die die Waffen gegen Kiew erhoben haben. Die Ukraine sieht darin eine nachträgliche Legitimierung der Aggression.

Phantome und Realien

Eine international abgesicherte Friedensregelung müsste also über eine Fortentwicklung von "Minsk" weit hinausgehen. Als eine Option gilt eine militärisch und politisch mit einem umfassenden Mandat ausgestattete internationale Friedensmission. Sie ist bislang ein Phantom bzw. ein Propagandainstrument. Russland sieht in einer bewaffneten Friedensmission ein Instrument zum Einfrieren des Status quo, die Ukraine im Gegenteil einen Weg, an dessen Ende die Wiederherstellung der Grenze von 2013 steht. Wegen dieser unvereinbaren Zielvorstellungen erscheint eine bewaffnete Friedensmission derzeit unwahrscheinlich.

Welche Auswirkungen wird die bevorstehende Lieferung moderner amerikanischer Abwehrwaffen an die ukrainische Armee haben? Die Ukraine hatte die Vereinigten Staaten seit langem um die Lieferung dieser Waffen gebeten, um den eigenen technischen Rückstand gegenüber der russischen Artillerie und Panzern auszugleichen. Die ukrainische Zufriedenheit über die amerikanische Zusage wird durch die Vorbehalte der europäischen Partner, insbesondere Deutschlands getrübt, die aus friedensfördernden Motiven gegen eine Aufrüstung der ukrainischen Armee sind. Die ukrainische Diplomatie muss eine Balance zwischen ihren Partnern beiderseits des Atlantiks finden, auf deren Unterstützung sie angewiesen ist.

Bisher hat sich die Befürchtung, die angekündigten neuen Waffen würden zu einer Ausweitung der Kriegshandlungen führen, nicht bestätigt. Die ukrainische Seite hofft im Gegenteil auf eine abschreckende Wirkung und dadurch einen Rückgang der Kampfhandlungen, sobald die neuen Waffen einsatzbereit sind.

Die Gräben werden tiefer

Durch den bald vier Jahre dauernden Krieg haben sich die besetzten Gebiete ökonomisch und politisch von der Ukraine entfernt; diese Tendenz wird anhalten. Die sog. Volksrepubliken Donetzk ("DNR") und Luhansk ("LNR"), in denen mehr als 2 Millionen Menschen leben, haben de facto offene Grenzen nach Russland, und sind mit der unbesetzten Ukraine nur durch mühsam passierbare Checkpoints verbunden. Es vollzieht sich eine schleichende ökonomische und politische Integration nach Russland, ohne dessen wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung die "DNR" und "LNR" nicht lebensfähig sind. Der Rubel ist die vorrangige Währung. Waren kommen zunehmend aus Russland; der Warenaustausch mit der Ukraine ist nicht zuletzt durch ukrainische Boykottmaßnahmen geschrumpft. Der Schwarzmarkt über die Frontlinie trägt zur Kriminalisierung bei.

Russland erkennt die von den sog. Volksrepubliken ausgestellten Pässe an und erleichtert die Einbürgerung. Dennoch gibt es wohl unter der verbliebenen Restbevölkerung (Hunderttausende haben die besetzten Gebiete verlassen) keine Mehrheit für einen Anschluss an Russland. Ebenso wenig allerdings optieren die Menschen für eine Rückkehr unter die Souveränität von Kiew; wobei zu bedenken ist, dass jede offene politische Parteinahmen oder gar politische Aktivität für Kiew derzeit in den "Volksrepubliken" lebensgefährlich ist. Die politische Loyalität der Bevölkerung scheint im Wesentlichen eine Funktion der Versorgung zu sein: Wer die Menschen ernährt, dem folgen sie, denn aus eigener Kraft können sie es wegen der Kriegsfolgen nicht.

Nicht nur der Krieg, sondern auch ein allfälliger Friede und eine Wiedereingliederung der jetzt besetzten Gebiete in die Ukraine würde für das Land eine enorme ökonomische und politische Herausforderung auf viele Jahre bedeuten. Auch Russland zahlt für den Krieg einen hohen politischen und wirtschaftlichen Preis. Was motiviert Russland, diese Kosten und Nachteile in Kauf zu nehmen? Russland führt einen postkolonialen Krieg gegen die Ukraine ähnlich wie 2008 gegen Georgien und vergleichbar mit der fortdauernden russischen militärischen Präsenz in Transnistrien, einem Teil von Moldova. Russland wehrt sich gegen das Ende des Imperiums und den Verlust seiner Jahrhunderte alten Machtpositionen. Wo immer sich Gelegenheiten ergeben, betreibt Russland eine Politik der Revision.

Nichts hat das russische Selbstbewusstsein so schmerzlich verletzt, wie der "Verlust" der Ukraine. Hier schien sich 2014 nach dem Majdan die Möglichkeit zu ergeben, die Ukraine entweder durch die Abtrennung des Ostens und Südens und die Kreierung von "Neurussland" massiv zu verkleinern oder das Land insgesamt wieder unter die Hegemonie Russlands zurückzuführen. Zwar sind diese Pläne bislang insgesamt gescheitert, sie zeigen aber, wie hoch der Einsatz ist und sie erklären, weshalb Russland so viele Ressourcen für die Aggression gegen die Ukraine mobilisiert.

Fussnoten

Prof. Dr. Gerhard Simon ist Historiker. Er war Leitender Wissenschaftlicher Direktor im Bundesinstitut für ostwis­senschaftliche und internationale Studien in Köln und lehrte an den Universitäten Köln und Bonn.