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Analyse: Vom Jäger zum Gejagten? Eine Analyse der Auseinandersetzungen um das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Vom Jäger zum Gejagten? Eine Analyse der Auseinandersetzungen um das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU)

Mattia Nelles

/ 12 Minuten zu lesen

Das Nationale Antikorruptionsbüro scheint der ukrainischen Regierung ein Dorn im Auge zu sein. Zuletzt bewiesen durch einen Vorschlag, das Büro unter Aufsicht des Parlamentes zu stellen. Diese Analyse nimmt die Arbeit der Behörde genauer unter die Lupe und klärt über Gründe der Sabotage auf.

Nach einer verdeckten Ermittlung gegen den staatlichen Migrationsdienst der Ukraine kam es zu Befragungen und Hausdurchsuchungen mehrerer NABU-Mitarbeiter. Der Chef der Behörde, Artem Sytnik, stellte daraufhin die Ermittlungen aus Sorge vor weiteren Übergriffen ein und bezeichnet die Aktion als "Sabotage". (© picture-alliance/dpa)

Zusammenfassung

Das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) ist Ende letzten Jahres verstärkt unter Druck geraten. Generalstaatsanwaltschaft und Inlandsgeheimdienst versuchten, alle verdeckten Ermittlungen des NABU zu unterbinden. Die Fraktionschefs der beiden Regierungsparteien brachten einen Gesetzentwurf ins ukrainische Parlament ein, der das NABU faktisch unter die Kontrolle des Parlaments stellen würde. Die vorliegende Analyse verortet diese Entwicklungen in politischen Machtkämpfen und den Konflikten mit Zivilgesellschaft und internationalen Geldgeber. Dabei wird auch auf die Diskussion um die Schaffung eines separaten, unabhängigen Antikorruptionsgerichtes eingegangen.

Einleitung

Anfang Dezember 2017 spielten sich dramatische Szenen in Kiew ab. Mehrfach versuchten Spezialkräfte des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes zusammen mit der Polizei den Oppositionspolitiker Michail Saakaschwili festzunehmen. Ihm wird vorgeworfen, mit Geld aus dem Umfeld von Ex-Präsident Wiktor Janukowytsch einen Staatsumsturz zu planen. Nach zwei gescheiterten Versuchen gelang es den ukrainischen Behörden dann doch Saakaschwili festzunehmen. Nur drei Tage später entschied ein Kiewer Gericht auf die Untersuchungshaft während der Ermittlungen gegen den Politiker zu verzichten und ihn unmittelbar freizulassen. Der Zirkus rund um den im Westen bekannten Oppositionspolitiker sorgte international für ein großes Medienecho. Viele ukrainische Beobachter betrachten den Fall jedoch eher als Nebenschauplatz.

Im Schatten dieser Ereignisse fanden nämlich weitaus folgenreichere Ereignisse statt, die den Kampf gegen die grassierende Korruption um Jahre zurückwerfen könnten. Zuerst brachten die Fraktionschefs der beiden Regierungsparteien einen Gesetzentwurf ins ukrainische Parlament ein, der die einzige unabhängige Antikorruptionsbehörde, das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU), faktisch unter die Kontrolle des Parlaments stellen würde. Erst auf massiven internationalen Druck wurde der Gesetzentwurf von der Tagesordnung des Parlaments genommen. Zuvor hatten die Generalstaatsanwaltschaft und der Inlandsgeheimdienst in einer gemeinsamen Aktion eine verdeckte Operation des NABU unterbrochen und einen Angriff auf dessen gesamte verdeckte Ermittlungen unternommen.

Beide Ereignisse bilden den traurigen Höhepunkt in einer Reihe von besorgniserregenden Übergriffen gegen das NABU und die Zivilgesellschaft, die 2017 eine bisher nicht gekannte Intensität erreichten und ernsthafte Zweifel am Reformwillen der Regierung und des Präsidenten aufkommen lassen.

Ziel dieser Analyse ist es, eben diese Entwicklungen und die Beharrungskräfte des Systems gegen effektive Antikorruptionsbemühungen im Geflecht des Drucks der ukrainischen Zivilgesellschaft und der internationalen Geldgeber einzuordnen. Dabei liegt der Fokus primär auf dem Druck gegen die Exekutivorgane, wie das NABU, und der Diskussion um die Schaffung eines separaten, unabhängigen Antikorruptionsgerichtes.

Schockierendes Ausmaß der Korruption

Die Amtsenthebung von Präsident Janukowytsch am 22. Februar 2014 wurde zunächst als Sieg der "Revolution der Würde" gefeiert. Damals waren die Hoffnungen großer Teile der Bevölkerung hoch, endlich ein weniger korruptes und an westeuropäischen Demokratieidealen orientiertes Staatswesen aufbauen zu können.

Noch während der Krimkrise und der anschließenden Annexion der Halbinsel durch die Russische Föderation sowie der Eskalation des Krieges im Osten des Landes, wurde das Ausmaß der grassierenden Korruption des geflohenen Präsidenten deutlich. Die Meschyhirja, das opulente Anwesen des Präsidenten – das umgeben ist von einem Park, der fast halb so groß ist wie der New Yorker Central Park und dazu mit Golfanlage, Zoo, Jagdgrund und Yachtanleger ausgestattet ist – dient heute als Symbol einer schier unbegrenzten Raffgier des Präsidenten und seiner Clique.

Der amtierende Justizminister Pavlo Petrenko schätzte im Jahr 2017, dass das Janukowytsch Regime mindestens 40 Mrd. US-Dollar aus dem Staatsbudget gestohlen habe. Diese Summe entspricht in etwa einem Fünftel des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts von 2013. Im jährlichen Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International wurde die Ukraine 2013 – zusammen mit Russland – als das korrupteste Land Europas geführt.

Die Sandwich-These

Noch während die Übergangsregierung 2014 gegen den drohenden Staatsbankrott kämpfte, eröffnete sich ein ideales "Window of Opportunity" für verschiedene Reformer. Ein schwacher Staat, der mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen hatte, stand einem gut organisierten Netzwerk der Zivilgesellschaft gegenüber. Beispielhaft für den hohen Mobilisierungsgrad steht das Bündnis "Reanimation Package for Reforms", ein Bündnis aus NGOs, Experten und Journalisten. Gleichzeitig war der ukrainische Staat von internationalen Finanzhilfen abhängig. Genau dieses Zusammenspiel von internationalen Geldgebern und zivilgesellschaftlichen Akteuren wurde schnell "Sandwich-Modell" getauft. Es schien als würde der Druck von unten, also der Zivilgesellschaft, und von oben, also von den internationalen Geldgebern, die Regierung zu weitreichenden Reformen bewegen.

Internationales Geld

Seit 2014 hat die Ukraine vom IWF 13 Mrd. US-Dollar an gering verzinsten Hilfskrediten erhalten. Die Finanzspritzen wurden für die dringend benötigte makroökonomische Stabilisierung, wie die fast ausgeschöpften Fremdwährungsreserven, verwendet. Nach Angaben des Europäischen Rechnungshofes wurden der Ukraine von Seiten der EU für den Zeitraum von 2014 bis 2020 Zahlungen von bis zu 12 Mrd. Euro in Aussicht gestellt. Darunter 8 Mrd. Euro an Darlehen der EIB (Europäischen Investitionsbank) und der EBWE (Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung). Gleichzeitig wurden 3,41 Mrd. Euro als Kredite im Rahmen der Makrofinanziellen Unterstützung (MFA) gezahlt, um die Ukraine unmittelbar zu stabilisieren. Die drei MFA-Pakete bilden jeweils die mit Abstand größten Kredite, die die EU jemals an nicht Mitgliedsstaaten gezahlt hat. Die USA stellten dreimal Stabilisierungskredite im Wert von je 1 Mrd. US-Dollar zur Verfügung. Zahlreiche weitere Institutionen und Länder, wie die Weltbank oder Deutschland, stellten Millionenkredite zur Verfügung.

Antikorruptionsreformen

Der Kampf gegen die grassierende Korruption nahm von Anfang an einen wichtigen Platz auf der internationalen Reformagenda ein. Das Versprechen, eine robuste investigative Ermittlungsbehörde zu gründen, findet sich in den verschiedenen Selbstverpflichtungen der Ukraine gegenüber IWF und EU wieder.

Noch vor den Parlamentswahlen, die am 26. Oktober 2014 stattfanden, verabschiedete das "alte Parlament" eine Reihe von Antikorruptionsgesetzen. Unter anderem wurde die erste Ukrainische Antikorruptionsstrategie 2014–2017 und die Gründung eines unabhängigen Antikorruptionsermittlungsbüros (des NABU) verabschiedet, eine zentrale Forderung sowohl der ukrainischen Zivilgesellschaft und als auch der internationalen Geldgeber.

Nationales Antikorruptionsbüro der Ukraine

Die Gründung des NABU war von großer Bedeutung, da sie einen Bruch mit der Tradition unter politischer Kontrolle stehender Staatsorgane, wie Polizei oder Generalstaatsanwaltschaft, darstellt. Das Mandat des NABU zielt speziell auf die Bekämpfung politischer Korruption. Unter die Jurisdiktion des NABU fallen ranghohe Politiker, Minister und ihre Stellvertreter, Parlamentsabgeordnete, Gouverneure, Leiter von Rechtsschutzorganen und Richter. Des Weiteren ermittelt das NABU in Korruptionsfällen mit einem Schaden von mehr als 1 Mio. Hrywna (zum aktuellen Wechselkurs knapp 30.000 Euro).

Der Auswahlprozess für die Leitung des NABU unter Beteiligung internationaler Experten wurde unter anderem von der OECD ausdrücklich gelobt. Das Verfahren selbst wurde in den Externer Link: Ukraine-Analysen Nr. 153 im Detail beschrieben. Am 27. April 2015 ernannte Präsident Petro Poroschenko den damals 35-jährigen Artem Sytnyk zum Vorsitzenden des NABU. Im August 2015 wurden dann die ersten NABU-Detektive eingestellt. Heute verfügt das NABU über rund 650 Mitarbeiter von denen rund 250 Ermittler sind, die in einem harten Auswahlverfahren ausgewählt wurden. Alle Mitarbeiter werden deutlich besser bezahlt als entsprechende Mitarbeiter in anderen Behörden. Das Budget des NABU lag trotzdem 2016 bei nur 487 Mio. Hrywna (zum damaligen Wechselkurs etwa 17 Mio. Euro) – ein Bruchteil der Staatsausgaben, die 2016 insgesamt 28 Mrd. Euro betrugen.

Spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft

Im April 2015 verabschiedete das Parlament im Gesetz zur Generalstaatsanwaltschaft (Nr. 76-VIII) die Gründung einer spezialisierten Antikorruptions-Staatsanwaltschaft (SAP) als unabhängiger Abteilung innerhalb der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine. Die SAP besteht aus rund 30 Mitarbeitern und begleitet die Ermittlungen des NABU. Sie ist bevollmächtigt, die Fälle vor Gericht zur Anklage zu bringen, die unter die Jurisdiktion des NABU fallen. Mit der Ernennung von Nasar Cholodnyzkyj zum Leiter der SAP Ende November 2015 konnte das NABU offiziell seine Arbeit aufnehmen.

Nachdem das NABU seine Ermittlungen abgeschlossen hat und die SAP Anklage erhoben hat, landen die Fälle jedoch nach wie vor bei den alten Gerichten. Welche Problematik das im Kontext der andauernden Justizreform ergibt, beleuchten die Externer Link: Ukraine-Analysen 191. Innerhalb von zwei Jahren haben die Ermittler des NABU 461 Fälle abgeschlossen, von denen jedoch nur 97 zur Anklage gebracht werden konnten. Nach Angaben des International Anti-Corruption Advisory Board (IACAB) vom 30.11.2017 werden drei Viertel dieser Fälle von den ukrainischen Gerichten ohne nachvollziehbare Begründung verzögert. Das IACAB ist seit September 2017 Teil der EU-Antikorruptionsinitiative in der Ukraine und besteht aus renommierten internationalen Experten, wie dem ehemaligen Leiter der europäischen Anti-Korruptionsbehörde OLAF, Giovanni Kessler, oder dem früheren Richter Carlos Castresana.

Ermittlungserfolge?

2016 kritisierten manche Beobachter, dass das NABU vor den großen systemrelevanten Verdächtigen zurückzuschrecken würde. Das änderte sich 2017, als das NABU eine Reihe von hochrangigen Politkern und Staatsdienern verhaftete. Die meisten Aktionen des NABU wurden medial begleitet und es schien, als ob die Anti-Korruptionsbehörde durch öffentlichkeitswirksame Verhaftungen um das Vertrauen der Bürger warb. Jede Verhaftung glich einem Medienspektakel.

Im März 2017 wurde der Leiter der staatlichen Steuerbehörde, Roman Nasirow, der bis 2016 Abgeordneter der Regierungspartei Block Petro Poroschenko war, wegen Korruptionsverdachts festgenommen. Im April 2017 wurde dann Mykola Martynenko, ehemaliger Abgeordneter der Volksfront und ein enger Vertrauter des ehemaligen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk, wegen Veruntreuung verhaftet. Im Juni wurden zwei Parlamentsabgeordnete festgenommen und die Aufhebung ihrer Immunität beantragt. Maksym Poljakow (Volksfront) und Boryslaw Rosenblat (ehemalig Block Petro Poroschenko) wurden des Amtsmissbrauchs beschuldigt. Im Oktober stieß das NABU auf Korruption im Verteidigungssektor. Der stellvertretende Verteidigungsminister Ihor Pawlowskyj wird des Missbrauchs bei der Beschaffung von Kraftstoffen beschuldigt. Ende Oktober verhaftete das NABU den ehemaligen stellvertretenden Innenminister Serhij Tschebotar, als auch Aleksandr Awakow, den Sohn des einflussreichen Innenministers Arsen Awakow. Beiden wird Korruption im Beschaffungswesen vorgeworfen. Trotzdem halten 80 % der befragten Ukrainer in einer Umfrage der Ilko Kucheriv Democratic Initiatives Foundation vom 11. Januar 2018 den Kampf gegen die Korruption für gescheitert. Die Gründe dafür sind höchstwahrscheinlich in der geringen Anzahl der Verurteilungen zu suchen.

Legislative Angriffe auf die NABU

Je stärker sich die Mächtigen bedroht fühlten, desto stärker schien der Druck gegen das NABU. Mitte Mai 2017 wurde ein Gesetzentwurf (Nr.6220) ins Parlament eingebracht. Die vorgeschlagenen Änderungen im Strafrecht hätten es dem NABU verboten zu ermitteln, wenn in diesen Fällen von anderen Behörden bereits Ermittlungen eingeleitet wurden. Nach Protesten der Zivilgesellschaft vor dem Parlament und erheblichem Druck der internationalen Geldgeber, einer Stellungnahme der G7 Botschafter Gruppe und einem Brief des IWF wurde der Gesetzesentwurf zurückgezogen.

Anfang Oktober 2017 wurde dann ein Gesetz (2147-VIII) verabschiedet, das verschiedene Änderungen der ukrainischen Strafprozessordnung bewirkte. Im Verlauf der Verabschiedung des Gesetzes versuchten mehrere Abgeordnete, die Dauer von Ermittlungen bei Straf- und Korruptionsfällen auf drei bzw. bei schweren Fällen sechs Monate zu verringern. Dies hätte eine erhebliche Beeinträchtigung der Korruptionsermittlungen bedeutet. Nach zähem Tauziehen im Parlament wurde die Frist auf 12 bzw. 18 Monate angehoben.

Ein weiterer legislativer Angriff konnte im November 2017 abgewendet werden. Ein Gesetzentwurf (Nr.6232) hätte die rund 250 NABU-Ermittler mit knapp 3.500 Fällen, die zu dem Zeitpunkt noch bei anderen Ermittlungsbehörden lagen, überflutet. Nach Einschätzungen verschiedener Beobachter hätte das zur Handlungsunfähigkeit des NABU führen können.

2017 erreicht im März auch der Druck gegen zivilgesellschaftliche Akteure mit den Änderungen am Anti-Korruptionsgesetz (Nr. 6172) und mehreren Schmutzkampagnen gegen NGOs und Aktivsten. einen Höhepunkt. Beide Entwicklungen sind in den Externer Link: Ukraine-Analysen 183 und Externer Link: 189 beschrieben.

Probleme um die NABU-Überprüfung

Seit 2016 ergaben sich Konflikte um die Überprüfung des NABU. Laut Gesetz muss eine dreiköpfige Kommission das NABU bzw. die Arbeit des NABU-Vorsitzenden überprüfen. Bei einem negativen Ergebnis kann der Vorsitzende entlassen werden. Damit wird die Auswahl der Prüfer zu einem wichtigen potentiellen Machtinstrument im Umgang mit dem NABU. Bisher hat nur die Regierung einen Kandidaten ausgewählt. Präsident Poroschenko will mit seiner Nominierung bis zur Entscheidung des Parlaments warten. Seit Februar 2017 konnte sich das Parlament jedoch nicht auf einen Kandidaten einigen.

Am 06. Dezember 2017 wählte eine Mehrheit aus Block Poroschenko, Volksfront und einigen Abgeordneten des Oppositionsblocks den im Westen und in der Zivilgesellschaft geschätzten Jehor Sobolew als Vorsitzenden des parlamentarischen Antikorruptions-Ausschusses ab. Sobolew hatte sich monatelang gegen Versuche gewehrt, unbekannten beziehungsweise unqualifizierten Kandidaten den Weg zur Nominierung als NABU-Prüfer zu ebnen.

Andere Angriffe auf das NABU

Die Neugründung des NABU im Jahr 2015 bedeutete unmittelbar einen Machtverlust für die traditionell wichtigste ukrainische Ermittlungsbehörde, die Generalstaatsanwaltschaft, die über ca. 15.000 Mitarbeiter in der ganzen Ukraine und breite Ermittlungsbefugnisse verfügt. Sie hatte zuvor das Monopol auf Strafverfahren gegen Staatsbedienstete und Staatsanwälte. Erste Behinderungen und handfeste Zusammenstöße des NABU mit der Generalstaatsanwaltschaft fanden 2016 statt. Sie wurden in den Externer Link: Ukraine-Analysen 173 gut beschrieben.

Im Mai 2017 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen Gizo Uglava, den ersten stellvertretenden Leiter des NABU und seinerseits einer der wenigen ehemaligen Georgier die noch in den ukrainischen Behörden verblieben. Ihm wird vorgeworfen, illegal zwei Staatsangehörigkeiten zu besitzen.

Die Dezember-Affäre

Anfang Dezember 2017 erreichten die Angriffe auf das NABU ihren bisherigen Höhepunkt. Der Geheimdienst (SBU) ließ zusammen mit der Staatsanwaltschaft eine verdeckte Operation des NABU platzen.

Seit April 2017 hatte das NABU verdeckt gegen den staatlichen Migrationsdienst der Ukraine ermittelt. In der geheimen Operation wurde aufgedeckt, dass hohe Bedienstete angeblich gegen Bestechungsgelder ukrainische Pässe verkaufen. Am 29. November wurde der beteiligte NABU-Geheimagent zusammen mit mehreren NABU-Mitarbeitern vom SBU 30 Stunden festgehalten und befragt. Der SBU durchsuchte mehrere Wohnungen von NABU-Mitarbeiten. Das NABU stellte daraufhin unmittelbar alle verdeckten Ermittlungen aus Sorge vor weiteren Übergriffen ein. Sytnik, der Chef des NABU, verurteilte die Aktion als "Sabotage" und nach Angaben der Pressestelle des NABU vom 30.11.2017 war das der jüngste Versuch, das Netz der verdeckten Operationen des NABU nachhaltig zu zerschlagen.

Am 06. Dezember 2017 brachten die Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition von Block Poroschenko und Volksfront einen Gesetzentwurf (Nr. 7362) ins Parlament ein. Dieser Entwurf sieht unter anderem vor, dass das Parlament mit einer einfachen Mehrheit den Vorsitzenden des NABU entlassen kann. Damit würde die einzige unabhängige Antikorruptionsbehörde effektiv unter Kontrolle des Parlaments gebracht. Nach großem internationalen Aufschrei und Druck von allen relevanten Akteuren, wie EU, IWF, Weltbank und US-Außenministerium - die Statements sind in den Externer Link: Ukraine-Analyse 193 dokumentiert – wurde der Gesetzentwurf von der Tagesordnung des Parlaments genommen. Zurückgezogen wurde er jedoch nicht.

Mangelnde Gerichtsbarkeit

Das verhältnismäßig kleine NABU und die noch kleinere SAP haben in den letzten zwei Jahren zwar zwar fast 100 Fälle zur Anklage gebracht, doch die große Mehrheit wird von den bestehenden Gerichten verzögert. Im Lichte der kritisch zu beurteilenden Justizreformen, die in den Externer Link: Ukraine-Analysen 191 genauer beleuchtet werden, ruht die Hoffnung der lokalen Zivilgesellschaft auf der Gründung eines Antikorruptionsgerichts.

Im Oktober 2017 hatte sich die Venedig-Kommission des Europarates nach Prüfung zweier ukrainischer Gesetzentwürfe für die Gründung eines unabhängigen Korruptionsgerichts ausgesprochen. Am 22. Dezember 2017 brachte der Präsident dann einen Gesetzesentwurf (Nr. 7440) ein, der die Gründung eines Antikorruptionsgerichts ermöglichen würde. Das Bündnis "Reanimation Package of Reforms" wies den Entwurf bereits am 27.12.2017 als unzureichend zurück. Das Bündnis kritisierte unter anderem, dass internationalen Experten bei der Auswahl der Richter lediglich eine beratende Funktion eingeräumt würde und dass das Gesetz das neue Gericht mit einer breiten Masse an Fällen von Korruption, Geldwäsche bis zur organisierten Kriminalität überlasten würde.

In einem veröffentlichen Brief von Ron van Rooden, dem IWF-Delegationsleiter in Kiew, an die ukrainische Präsidialverwaltung vom 11. Januar 2018 wird deutlich, dass der IWF die Kritik des Reanimation Package of Reforms teilt. Van Rooden betont in dem Brief, dass der IWF die jetzige Form des Gesetzentwurfs nicht unterstützen kann. Gleichzeitig betont er, dass die zeitnahe Gründung eines Antikorruptionsgerichts, das den Empfehlungen der Venedig-Kommission entspricht, für die Fortsetzung der IWF-Kredite eine kritische Rolle einnimmt. Satu Kahkonen, die u. a. für die Ukraine zuständige Länder-Direktorin bei der Weltbank, schloss sich dieser Kritik in einem Brief an die Präsidialverwaltung und das ukrainische Parlament an und machte Unterstützungskredite von 800 Mio. Euro davon abhängig, ob die Änderungsvorschläge umgesetzt werden. Die internationale Staatengemeinschaft scheint in Bezug auf diese wichtige Reform mit einer Stimme zu sprechen. Damit liegt der Ball wieder beim ukrainischen Präsidenten.

Ausblick

Heute halten 80 % der Befragten in einer Umfrage der Ilko Kucheriv Democratic Initiatives Foundation vom 11. Januar 2018 den Kampf gegen die Korruption für gescheitert. Trotzdem verfügt die Ukraine erstmals seit 1991 über eine unabhängige Ermittlungsbehörde, die nicht vor großen Fällen zurückschreckt. Die letzten zwei Jahre haben gezeigt, dass das NABU auf politische Unterstützung angewiesen ist. Die häufigen legislativen Versuche, die Ermittlungsfunktionen des NABU einzuschränken, belegen die hohe Zahl von Feinden, die das NABU hat.

Die Entwicklungen im letzten Jahr dämpfen außerdem die Hoffnung auf eine schnelle Gründung eines effektiven Antikorruptionsgerichts. Der politische Wille, den Forderungen der Zivilgesellschaft und internationalen Geldgeber zeitnah nachzukommen, ist spürbar gering. Realistisch erscheint vielmehr, dass sich die Verhandlungen um die Gründung weiter verzögern und das Gericht nicht vor den Präsidentschaftswahlen im März 2019 eingeführt wird. Mit einer ähnlichen Verzögerungstaktik hatte Präsident Petro Poroschenko auf die Aufhebung der Immunität von Parlamentsabgeordneten reagiert. Mit schnellen Veränderungen in der immer noch korrupten Ukraine ist daher zunächst leider nicht zu rechnen. Fast vier Jahre nach der "Revolution der Würde" werden die Beharrungskräfte gegen Reformer und damit die Zweifel immer größer, ob der Präsident und das Parlament an wirklichen Reformen interessiert sind, die das Wirken der immer noch korrupten Elite nachhaltig beeinträchtigen könnten.

Lesetipps

Fussnoten

Mattia Nelles ist seit September 2017 als DAAD-Sprachassistent an der Kyiv-Mohyla Akademie tätig. Gleichzeitig engagiert er sich ehrenamtlich für das Anti-Corruption Research and Education Centre in Kyiv. Sein Masterstudium absolviere er in Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin mit Studienaufenthalten in der Ukraine und Kasachstan und seine Masterarbeit verfasste er zu den ukrainischen Anti-Korruptionsbemühungen seit 2014.