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Analyse: Rentenreform in der Ukraine – auf dem Weg zu einem tragfähigeren System der Altersvorsorge | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Rentenreform in der Ukraine – auf dem Weg zu einem tragfähigeren System der Altersvorsorge

Oleksandra Betliy Kiew) Von Oleksandra Betliy (Institute for Economic Research and Policy Consulting

/ 9 Minuten zu lesen

In den vergangenen Jahren wurden bereits mehrere Versuche unternommen, das ukrainische Rentensystem zu stabilisieren. Welche Veränderungen bringt die aktuelle Rentenreform mit sich und warum stellt auch sie erst den Beginn für eine dauerhafte Verbesserung dar?

Die Durchschnittsrente in der Ukraine ist eine der niedrigsten in Europa. (© picture-alliance/dpa, EPA)

Zusammenfassung

Im Oktober 2017 wurde in der Ukraine eine umfassende Rentenreform verabschiedet. Das Rentensystem war zuvor nicht tragfähig. Die Durchschnittsrente in der Ukraine ist eine der niedrigsten in Europa, die Rentenverpflichtungen sind im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt hoch und die Defizite der Rentenkasse werden aus dem Staatshaushalt ausgeglichen. In den letzten 15 Jahren wurden zahlreiche Versuche unternommen, die Tragfähigkeit des Rentensystems zu erhöhen. Der vorliegende Beitrag blickt auf diese Versuche zurück, stellt die aktuelle Rentenreform vor und liefert eine Einschätzung ihrer Erfolgsaussichten.

Einleitung

Die Ukraine ist seit Langem von einer ungünstigen demografischen Entwicklung mit einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung betroffen. Diese Situation wird sich wahrscheinlich in naher Zukunft nicht verändern. Außerdem hat die Ukraine kein tragfähiges Rentensystem. Die für 2017 geplante Rentenreform stand daher unter beträchtlichem Erfolgsdruck. Im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Ukraine sind die Rentenverpflichtungen hoch, wobei jedoch die Durchschnittsrente eine der niedrigsten in Europa ist. Seit vielen Jahren werden die hohen Defizite der Rentenkasse aus dem Staatshaushalt ausgeglichen, was zu einer Einschränkung des finanzpolitischen Spielraums des Landes führt. Daher war es nicht überraschend, dass eine Rentenreform zu den Vereinbarungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), gestützt von der Erweiterten Fondsfazilität (EFF), gehörte. Sowohl dieser Umstand als auch die Ungerechtigkeit des Rentensystems bewegten die Regierung 2017 dazu, eine Rentenreform zu verabschieden.

Rückblick auf die Rentenreform von 2003

Der letzte größere Versuch, eine umfassende Rentenreform mit dem Ziel der finanziellen Konsolidierung des Rentensystems umzusetzen, wurde 2003 unternommen. Die "Säule der Solidarität" (obligatorische umlagefinanzierte Rentenversicherung) sollte reformiert und durch eine zweite kapitalgedeckte Säule ("Säule der Akkumulation", ebenfalls obligatorisch) und durch eine dritte Säule (freiwillige private Rentenversicherung) ergänzt werden. Die Einführung der zweiten Säule wurde aufgrund hoher Defizite der Rentenkasse mehrmals verschoben, da ein ausgeglichenes Budget der umlagefinanzierten Rentenversicherung als eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Einführung der Säule der Akkumulation gesehen wurde.

Private Rentenversicherungen, Banken und Lebensversicherungen nahmen ihre Tätigkeit als Repräsentanten der dritten Säule des Rentensystems im Jahr 2004 auf. Dieser Bereich ist – obwohl er direkt nach der Einführung schnell wuchs – noch unterentwickelt. Er wurde 2009 und dann 2014 stark von Konjunkturabschwächungen getroffen. Laut Sozialministerium beläuft sich das Gesamtvermögen der privaten Rentenversicherungen derzeit auf 2,1 Milliarden Hrywnja, wovon 50 Prozent auf Vermögenswerte der privaten Rentenkasse der Nationalbank der Ukraine entfallen.

Mit der Reform von 2003 wurde eine formelbasierte Rentenberechnung eingeführt. Sie verknüpfte die Höhe der Rente mit der Rentenversicherungszeit, das heißt mit der Anzahl der Jahre, in denen Rentenbeiträge gezahlt wurden, sowie mit der Höhe der Beiträge. Gleichzeitig blieben einige Schwächen des Rentensystems bestehen, darunter eine schmale Beitragsbasis, Vorruhestandsregelungen und Rentenprivilegien für bestimmte Berufsgruppen (Betliy/Giucci 2011, Externer Link: http://www.ier.com.ua/files/publications/Policy_papers/German_advisory_group/2011/PP_01_2011_eng.pdf). Diese Schwächen des Rentensystems sowie eine schnelle Erhöhung der Mindestrente, die wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen war, haben die Rentenreform scheitern lassen. Der plötzliche Anstieg der Mindestrente in den Jahren 2004 und 2005 führte zu einem hohen Prozentsatz von Rentnern mit Renten unterhalb des Mindestbetrags oder um ihn herum. Wenn die berechnete Rente unter dem Mindestniveau lag, glich die Regierung die Differenz mit einer speziellen staatlichen Transferleistung an die Rentenkasse aus. Die Lage verschlechterte sich 2009, als die realen Mindestrenten stiegen, obwohl der reale Durchschnittslohn sank. So wurde die Ausdifferenzierung der Renten, die sich eigentlich aus der eingeführten formelbasierten Rentenberechnung ergeben sollte, wesentlich eingeschränkt.

Defizite der Rentenkasse

Die schnelle Erhöhung der Mindestrente, die nicht der wirtschaftlichen Entwicklung entsprach, führte zu einem ganz und gar nicht tragfähigen Rentensystem. Die Rentenkasse schreibt seit 2004 rote Zahlen. Die Defizite werden mit besonderen Transferleistungen aus dem Staatshaushalt ausgeglichen. Außerdem glich die Rentenkasse das Defizit zwischen 2006 und 2013 auch mit Krediten aus der Staatskasse aus, die ursprünglich für die Behebung von kurzfristigen Zahlungsschwierigkeiten gewährt worden waren (insgesamt schuldet die Rentenkasse dem Staat immer noch 48,1 Milliarden Hrywnja, und das obwohl ein Teil der Kredite abgeschrieben wurde). Die staatlichen Transferleistungen an die Rentenkasse zur Finanzierung besonderer Rentenprogramme erhöhten sich teils auch aufgrund der Notwendigkeit, die Renten derjenigen Rentner, deren berechnete Renten unter dem Mindestniveau lagen, auf diesen Mindestbetrag aufzustocken.

Anhebung von Renteneintrittsalter und Mindestversicherungszeit – Veränderungen ab 2011

Im Jahr 2011 unternahm die Regierung einen weiteren Versuch, die Tragfähigkeit des Rentensystems zu erhöhen. Nach langen Debatten stimmte sie schließlich der Anhebung des Renteneintrittsalters von Frauen zu. Deren Renteneintrittsalter sollte über einen Zeitraum von zehn Jahren (ab September 2011) stufenweise von 55 auf 60 Jahre angehoben werden. Dies hatte kurzfristig keine bedeutenden Auswirkungen auf die Defizite der Rentenkasse; mittel- und langfristig jedoch dürfte dieser Schritt zu einem langsameren Anwachsen der Rentenverpflichtungen führen. Gleichzeitig erhöhte die Regierung die Mindestversicherungszeit, nach der Menschen beim Erreichen des Rentenalters eine Rente beziehen können, von fünf auf 15 Jahre. Die Mindestversicherungszeit für den Erhalt einer Altersrente auf Mindestniveau (oder auf höherem Niveau) wurde für Frauen auf 25 Jahre (zuvor 20 Jahre) und für Männer auf 35 Jahre (zuvor 30 Jahre) angehoben. Sonderrenten blieben allerdings überwiegend bestehen. Zudem bekam ein großer Teil der Rentner weiterhin eine Rente in Höhe des Mindestlohns, da die Formel für die Rentenberechnung nicht überarbeitet wurde.

Verschlechterung der Lage ab 2014

Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich im Jahr 2014, als sich die Ukraine mit der Wirtschaftskrise und dem militärischen Konflikt im Osten konfrontiert sah, und Russland die Krim annektierte. Die Regierung musste Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung ergreifen, was unter anderem dazu führte, dass die Mindestrente 2014 nicht erhöht wurde. Zwischen 2014 und 2016 schränkte die Regierung die Rentenprivilegien leicht ein, zum Beispiel durch Festsetzung einer maximalen Rentenhöhe, Senkung der angesetzten Lohnbasis bei der Festlegung der Sonderrenten von Richtern, Staatsanwälten, Beamten und Abgeordneten sowie durch Beschneidung der Vorruhestandsregelungen. Die Renten von berenteten Personen, die weiterhin arbeiteten, wurden um 15 Prozent reduziert. Diese Maßnahmen waren jedoch nur Stückwerk und konnten die Tragfähigkeit des Rentensystems nicht langfristig gewährleisten. Gleichzeitig führten das langsame Wachstum der Mindestrenten und die fehlende Indexierung der Renten an die Inflation zwischen 2014 und 2017 zum Rückgang der realen Durchschnittsrenten. Die Regierung veränderte auch nicht den in der Rentenberechnungsformel berücksichtigten Durchschnittslohn (was praktisch die Bindung der Renten an das Lohnwachstum bedeuten würde; diese Indexierung war vor 2014 mehrere Jahre lang nicht vorgenommen worden). Das führte zu geringeren Verpflichtungen der Rentenkasse, aber vergrößerte gleichzeitig die Ungleichheit zwischen Rentnern, die vor längerer Zeit in den Ruhestand getreten waren, und jüngeren Rentnern. Die Lage von älteren Rentnern verschlechterte sich deutlich.

Die Tragfähigkeit des Rentensystems ist auch deshalb in Gefahr, weil auf einen Rentner ein Beitragszahler kommt. Dies ist teilweise auf eine vergleichsweise hohe Zahl informeller Beschäftigungsverhältnisse zurückzuführen. Darüber hinaus kommt es vor, dass selbst regulär Beschäftigte offiziell einen Lohn etwa in Höhe des Mindestlohns erhalten und der Rest dann inoffiziell ausgezahlt wird, was die Beitragsbasis der Rentenversicherung untergräbt. Davon abgesehen zahlen Unternehmer, bei denen das vereinfachte Steuersystem zur Anwendung kommt, den einfachen Sozialversicherungsbeitrag nur auf Mindestniveau (gleich dem Beitrag bei Mindestlohn). Die fehlende echte Differenzierung der Renten auf Grundlage der Erwerbstätigkeit verringert den Anreiz, am umlagefinanzierten Rentensystem teilzuhaben (laut Sozialministerium erhielten im September 2017 70 Prozent der Rentner Renten in Mindesthöhe). Das Rentenniveau betrug im Jahr 2017 laut Sozialministerium 34 Prozent – das ist im internationalen Vergleich ein niedriger Wert, was ebenfalls zu geringen Anreizen führt, sich am System zu beteiligen.

Gleichzeitig führte ein starker Rückgang der Zahlungen des einfachen Sozialversicherungsbeitrags zu einem bedeutenden Anstieg staatlicher Transferleistungen an die Rentenkasse, die im Jahr 2016 6 Prozent des BIP ausmachten. Angesichts all dieser Herausforderungen erarbeitete die Regierung eine Rentenreform, die Veränderungen am Umlagesystem vornahm. Mit der Reform wird das Ziel verfolgt, die Tragfähigkeit des Rentensystems durch ein höheres Renteneintrittsalter, das Gewähren stärkerer Anreize für die erwerbstätige Bevölkerung, Beiträge zu zahlen, und durch eine Begrenzung von Rentenprivilegien zu erhöhen. Eine umfassende Rentenreform gehörte auch zu den Vereinbarungen mit dem IWF über Reformen, die von der Erweiterten Fondsfazilität (EFF) gestützt wurden.

Die Rentenreform von 2017

Daher stimmte das Parlament am 3. Oktober 2017 der Novelle zum Rentengesetz zu. Der verabschiedete Gesetzentwurf stellte einen Kompromiss zwischen der Gesetzesvorlage der Regierung und Hunderten Änderungen der Abgeordneten dar. Zu den am Ende angenommenen Punkten gehörten sowohl Rentenerhöhungen für derzeitige Rentner als auch etwas geringere Renten für zukünftige Rentner.

Besonders die Renten der derzeitigen Rentner wurden ab Oktober 2017 angepasst, und zwar durch die Anhebung des bei der Berechnung der Rentenhöhe angesetzten Durchschnittslohns. Rentner, die vor längerer Zeit in den Ruhestand getreten waren, erhielten Anspruch auf eine stärkere Rentenerhöhung. Gleichzeitig wurde einigen Rentner keine oder eine sehr geringe Rentenerhöhung gewährt: Das traf auf diejenigen zu, die vor kurzem in Rente gegangen waren, oder auf Menschen, bei denen die neuberechnete Rente geringer als der gesetzlich definierte Mindestwert war oder diesem Mindestwert in etwa entsprach.

Ab 2018 wurde die Mindestversicherungszeit für einen Anspruch auf Altersrente von 15 auf 25 Jahre erhöht. Die Mindestversicherungszeit ist dann bis zum Jahr 2028 stufenweise von 25 auf 35 Jahre zu erhöhen. Das reguläre Renteneintrittsalter für Personen mit kompletter Versicherungszeit wird bei 60 Jahren bleiben. Gleichzeitig wird es Personen mit einer unvollständigen Versicherungszeit, die aber länger ist als 15 Jahre, möglich sein, mit 63 Jahren in Rente zu gehen. Wer nicht 15 Jahre lang versichert war, wird mit 65 Jahren in Rente gehen können und eine Sozialrente in Höhe des Existenzminimums erhalten, die auch für Menschen die ihre Erwerbsfähigkeit verloren haben, gedacht ist. Die Mindestaltersrente wird 40 Prozent des Mindestlohns betragen. Wer nicht über die erforderlichen Rentenversicherungszeiten verfügt, kann einen Pauschalversicherungsbeitrag entrichten, um Anspruch zu erlangen.

Die Rentenreform legte weiterhin fest, dass für das Rentenkonto nur die Zeiten berücksichtigt werden, in denen Rentenversicherungsbeiträge (zumindest in Mindesthöhe) gezahlt wurden. Allerdings wurden einige Differenzierungen in Bezug auf die Rentenversicherungszeit unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen vorgenommen, wobei die veränderte Gesetzgebung der vergangenen Jahre berücksichtigt wurde.

Gleichzeitig werden neue Rentner, wenn sie in den Ruhestand treten, geringere Renten erhalten – vergleicht man diese Renten mit den alten Regelungen. Jedes Versicherungsjahr bringt nun eine Rente in Höhe von 1 Prozent des Jahreslohns ein (indexiert durch den wachsenden Durchschnittslohn), im Gegensatz zu vorher 1,35 Prozent. Die Regierung führte aber eine automatische Indexierung der Renten an den Mittelwert von Verbraucherinflation und Lohnwachstum ein, was Rentner vor einem starken Rückgang der Kaufkraft in Zeiten makroökonomischer Instabilität schützen wird. Die Regierung schaffte außerdem die Sonderrenten für Beamte, Wissenschaftler, Abgeordnete und so weiter ab.

Nach Schätzungen der Regierung wird die im Jahr 2017 verabschiedete Rentenreform das Defizit der Rentenkasse bis 2028 beheben. Das erscheint zu optimistisch, besonders da die offizielle Schätzung vorgenommen wurde, bevor die Einigung im Parlament erzielt wurde, die neben weiteren Änderungen eine höhere als ursprünglich geplante Mindestrente zur Folge hatte.

Einführung der zweiten Säule des Rentensystems – Planungen für 2019

Die 2017 verabschiedete und eingeführte Rentenreform stellt eine Reform der umlagefinanzierten Alterssicherung dar. Sie wird die Tragfähigkeit des Rentensystems der Ukraine wahrscheinlich erhöhen, was in Zukunft stabile Rentenzahlungen an Menschen im Ruhestand gewährleisten wird. Dennoch wird das Rentenniveau nach offiziellen Schätzungen weiter niedrig bleiben (bei 35 Prozent im Jahr 2028). Um höhere Renten für zukünftige Rentner gewährleisten zu können, hat die Regierung daher angekündigt, die zweite Säule des Rentensystems (Säule der Akkumulation) einzuführen. Erste Schritte zur Umsetzung sollen bereits 2019 unternommen werden. In den Diskussionen über die Einführung der zweiten Säule des Rentensystems geht es zurzeit um verschiedene Fragen, unter anderem um den Zeitpunkt der Einführung und um die Ausgestaltung des Systems. Einer der Hauptkritikpunkte, was die Einführung der zweiten kapitalgedeckten Säule im Jahr 2019 betrifft, ist vor allem der Mangel an Anlageinstrumenten auf dem Markt aufgrund der unterentwickelten Börse. Die Weiterentwicklung der Börse erfordert neben weiteren Maßnahmen den Schutz der Eigentumsrechte. Diese Maßnahmen sollten vor der Einführung der zweiten Säule des Rentensystems ergriffen werden. Was die Ausgestaltung des Systems angeht, gibt es unterschiedliche Vorstellungen darüber, wer diese Komponente der Rentenversicherung anbieten soll: eine staatseigene – Kapital ansammelnde – Rentenkasse oder verschiedene Akteure der privaten Rentenversicherungen.

Fazit

Daher ist der Startschuss für die Rentenreform in der Ukraine gerade erst gefallen, sie ist nun auf ihrem Weg. Noch ist nicht bekannt, wohin die Reise genau geht. Es ist jedoch klar, dass die Rentenkasse für die Entwicklung von Tragfähigkeit Wirtschaftswachstum benötigt. Die Ukraine sollte weiter in verschiedenen Bereichen Reformen durchsetzen. Das schließt auch die Justizreform mit ein, die zu einem guten Schutz der Eigentumsrechte beitragen wird. Die Regierung sollte in den Haushaltsplan einen mittelfristigen Ausgabenrahmen einführen und für längerfristigen Erfolg damit beginnen, die Haushaltsausgaben mit Blick auf die alternde Gesellschaft zu planen. Die Finanzmarktreform sollte weiterverfolgt werden. Davon abgesehen sollte die Regierung die Deregulierung fortsetzen, was zu besseren Rahmenbedingungen für die Wirtschaft beitragen wird. Die zu erledigenden Hausaufgaben sind umfangreich. Aber sie sind machbar.

Übersetzung aus dem Englischen: Katharina Hinz

Im Text zitierte Literatur:

Oksana Betliy und Ricardo Giucci: Pension reform in Ukraine. Comments on the main features of the current Draft Law, Policy Paper Series [PP/01/2011], IER/GAG, February 2011, Externer Link: http://www.ier.com.ua/files/publications/Policy_papers/German_advisory_group/2011/PP_01_2011_eng.pdf">

Fussnoten

Oleksandra Betliy ist seit 2002 Leading research fellow am Institute for Economic Research and Policy Consulting in Kiew. Sie war an internationalen Forschungsprojekten (unter anderem folgender Institutionen: Europäische Stiftung für Berufsbildung (ETF), Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und Weltbank) beteiligt. Ihre Forschungsinteressen sind Finanzpolitik und Steuerprognosen sowie soziale Fragen, einschließlich der Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik. Sie ist außerdem Länderexpertin beim SFB 1342 "Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik" an der Universität Bremen, wo sie vor allem mit dem Teilprojekt B06 "Externe Reformmodelle und interne Debatten bei der Neukonzipierung von Sozialpolitik in der post-sowjetischen Region" kooperiert. Dieser Beitrag entstand in Vorbereitung auf die Auftaktkonferenz des SFB.