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Analyse: Sozialunternehmertum: Ein effektives Instrument zur Bewältigung sozialer Herausforderungen in der Ukraine? | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Sozialunternehmertum: Ein effektives Instrument zur Bewältigung sozialer Herausforderungen in der Ukraine?

Dr. Bohdan Androshchuk Dr. Artem Kornetskyy

/ 9 Minuten zu lesen

Relativ neu ist in der Ukraine ein Geschäftsfeld, dass sich der Lösung sozialer Probleme zuwendet: das Sozialunternehmertum. Was ist nötig um die nachhaltige Entwicklung dieses Geschäftsfeld vor dem Hintergrund der Herausforderungen einer Kriegs- und Reform-geschüttelten Ukraine sicher zu stellen?

Das Sozialunternehmertum stellt seine Ideen in die Dienste der Gesellschaft und sucht nach Lösungen sozialer Probleme. (© picture-alliance/AP)

Zusammenfassung

In den vergangenen Jahren entwickelte sich das Sozialunternehmertum zu einem äußerst relevanten und effektiven Instrument zur Lösung sozialer Probleme, sowohl für die Zivilgesellschaft als auch für kleine und mittlere Unternehmen. Die gestiegene Relevanz dieses für die Ukraine relativ neuen Geschäftsfelds ergibt sich aus der Reaktion der Gesellschaft auf die Herausforderungen infolge der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine und den Beginn eines umfassenden Reformprozesses im Land. Um die nachhaltige Entwicklung des sozialen Unternehmertums, das zur Demokratisierung und Stabilisierung der Ukraine beiträgt, sicherzustellen, ist eine konsolidierte Unterstützung durch den ukrainischen Staat und internationale Förderer erforderlich.

Sozialunternehmertum als Instrument zur Lösung sozialer Probleme

Das Sozialunternehmertum ist ein noch eher junges Geschäftsfeld in der Ukraine, das sozialen Herausforderungen mit innovativen Konzepten begegnet, gesellschaftlichen Mehrwert schafft und gleichzeitig Einkommen generiert. Gesellschaftliche Anerkennung und sozialer Einfluss zählen zu den größten Erfolgen für soziale Unternehmen.

Einem Verzeichnis für Sozialunternehmen nach gab es 2016/17 etwa 150 soziale Unternehmen unterschiedlicher Rechtsformen (von NGO bis GmbH) im Land. Einige Experten beziffern die Zahl ukrainischer Sozialunternehmen sogar auf bis zu 1.000. Die Differenz lässt sich dadurch erklären, dass nicht alle Sozialunternehmen sich in das Verzeichnis haben eintragen lassen bzw. nicht alle die Kriterien erfüllten, um darin aufgenommen zu werden (z. B. öffentliche Berichterstattung bzw. Offenlegung des Jahresabschlusses).

Bisher gibt es keine umfassende Analyse des sozialunternehmerischen Sektors in der Ukraine. Eine beträchtliche Anzahl der Sozialunternehmen wurde in den letzten vier Jahren gegründet. Sie engagieren sich in verschiedenen Bereichen wie z. B. der Inklusion, Ökologie oder Korruptionsbekämpfung. Zum Beispiel setzen sich die Pizzeria "Pizza Veterano" und das Café "Veterano Coffee" in Kiew für die Integration ehemaliger Soldaten in die Gesellschaft ein, die nach 2014 an militärischen Aktivitäten im Osten der Ukraine teilgenommen haben. Die Bäckerei "Good Bread from Good People" in Kiew integriert Menschen mit Behinderungen und bietet ihnen Beschäftigungsmöglichkeiten an. Sogenannte "öffentliche" Restaurants wie das "Urban Space 100" in Iwano-Frankiwsk (2015 gegründet) und "Urban Space 500" in Kiew (in Gründung) haben 100 bzw. 500 soziale Investoren um sich versammelt, von denen jeder 1.000 Dollar Startkapital beitrug. Dabei verzichteten die Investoren auf eine Rückerstattung und auf Anteile zukünftiger Erträge der Restaurants. Stattdessen werden 80 Prozent der Gewinne der Restaurants in lokale kulturelle und soziale Projekte investiert. Auch das Wohltätigkeitsgeschäft "Laska" in Kiew und die Bäckerei "Walnut House" in Lwiw geben einen Teil ihrer monatlichen Einkünfte für Sozial- und Gemeindeprojekte aus.

Soziale Unternehmen haben somit einen direkten Bezug zu bestehenden sozialen Herausforderungen in der ukrainischen Gesellschaft, die schnelle und innovative Lösungen benötigen. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Entwicklung der post-Maidan Ukraine und der Konsolidierung emotionaler und intellektueller menschlicher Ressourcen.

Die Entwicklung des Sozialunternehmertums in der Ukraine

Die Entwicklung des Sozialunternehmertums in der Ukraine lässt sich in drei Phasen einteilen. Die erste Phase lässt sich dabei auf den Zeitraum von 1991 bis 2010 datieren. Internationale Geldgeber wie USAID führten das Konzept in der Ukraine ein und sorgten für eine langsame, jedoch kontinuierliche Etablierung des Sektors. Im Jahr 1991 verabschiedete die Ukraine das noch heute gültige Gesetz Nr. 875-12 "Über Grundlagen des sozialen Schutzes von Menschen mit Behinderungen in der Ukraine". Es sieht Begünstigungen für Menschen mit Behinderungen vor, die unternehmerische Tätigkeiten ausüben. Infolge dieses Gesetzes wurde ein spezieller Fonds zur finanziellen Unterstützung von Geschäftsaktivitäten ukrainischer Bürger mit Behinderung eingerichtet. Das war zwar ein wichtiger Impuls für die Entwicklung sozialer Unternehmen, verankerte den Begriff "Sozialunternehmertum" jedoch nicht als Geschäftstätigkeit von Menschen mit Behinderungen in der breiten Gesellschaft.

Im Zuge der Umsetzung des Projektes "Ukraine Citizen Action Network" (UCAN) 2004-2008 fand der Begriff "Sozialunternehmertum" zum ersten Mal öffentliche Anwendung. Aus dem durch die United States Agency for International Development (USAID) geförderten und durch das Institute for Sustainable Communities (ISC) umgesetzten Schulungsprojekt gingen 28 finanziell unterstütze Sozialunternehmen hervor, von denen einige bis heute bestehen. Eines davon ist das "Michail Bulgakow Literatur- und Gedenkmuseum", dessen Einnahmen das Museum refinanzieren und einem Wohltätigkeitsfonds zugutekommen.

Die zweite Phase der Entwicklung des Sozialunternehmertums fand im Zeitraum zwischen 2010 und 2016 statt. Sie ist durch die Bildung von wichtigen Kooperationsprojekten, die einzelne Programme entwickelten, sowie von ersten Publikationen zum Thema, gekennzeichnet. So wurde 2010 in Kooperation von British Council, Eastern Europe Foundation, International Renaissance Foundation, PricewaterhouseCoopers und Erste Bank das Projekt "Förderung der Entwicklung des Sozialunternehmertums in der Ukraine" ins Leben gerufen. Im Rahmen der Kooperation wurden Trainings für Trainer in Sozialunternehmen entwickelt, drei Förderzentren in Kiew, Donezk und Lwiw eröffnet und ein spezielles Programm für die Kreditvergabe an Sozialunternehmen auf den Weg gebracht.

In dieser Entwicklungsphase war Wasyl Nazaruk als "Pionier" für Forschung und Ausbildung von großer Bedeutung. Er war 2012 Mitbegründer des wichtigen Ressourcenzentrums "Soziale Initiativen" in Kiew. Er ist Gründungsmitglied von "socialbusiness.in.ua", dem 2013 online gegangenen und derzeit einzigem Online-Portal dieses Sektors in der Ukraine. Er ist Co-Autor des ersten Verzeichnisses von Sozialunternehmen im Land. Außerdem leitet er das seit 2015 bestehende soziale Investitionsprogramm Western NIS Enterprise Fund, welches Unternehmensdarlehen mit Zinssätzen von 5 – 10 Prozent pro Jahr vergibt.

2014 erschien die erste ukrainische Veröffentlichung zum Thema. Das von Kateryna Smagli verfasste Buch "Jeder von uns schafft Veränderungen: Soziales Unternehmertum und strategische Philanthropie" wurde vom Fonds für Förderung der Demokratie der US-Botschaft in der Ukraine unterstützt und vom Fulbright-Programm in der Ukraine veröffentlicht.

Die dritte Entwicklungsphase des Sozialunternehmertums setzte um 2016 ein. Die Branche verzeichnete einen starken Zuwachs und immer mehr Akteure und internationale Geldgeber, darunter Deutschland, die EU und ukrainische Universitäten, zeigten Interesse an der Thematik. So unterstützt z. B. ChildFund Deutschland e. V., mit finanzieller Förderung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), gemeinsam mit der ukrainischen NGO East Europe Foundation, den Ausbau des Sozialunternehmertums in den östlichen und südlichen Regionen der Ukraine im Rahmen des dreieinhalbjährigen Projektes "Förderung der zwischensektoralen Zusammenarbeit um der Kinder willen: IDPs zu aktiven Beteiligten machen". Das Projekt fördert und stärkt in den Gebieten Donezk, Luhansk, Charkiw und Odessa Kooperationen zwischen NGOs, lokalen Regierungen und Privatunternehmen, die sich für vom Krieg betroffene Kinder und Menschen in Hinsicht auf Rehabilitation, Bildung, Konflikt- und Korruptionsbekämpfung und wirtschaftliche Resilienz engagieren. Das Ukrainische Forum der Philanthropen fördert mithilfe der EU ein zweijähriges Programm, um den sozialunternehmerischen Sektor auszubauen und zu popularisieren. Führende Universitäten des Landes, darunter die Nationale Universität "Kiew-Mohyla-Akademie" und die Ukrainische Katholische Universität in Lwiw, nahmen das Thema zum ersten Mal in den Lehrplan auf. Mehrere Bücher (z. B. "Soziales Unternehmertum: Von der Idee zum sozialen Wandel") wurden veröffentlicht und dutzende Trainings und Finanzierungsprogramme geschaffen.

Überdies schrieb der Europäische Ausschuss der Regionen, eine beratende Einrichtung der EU, in seinem Entwurf der Stellungnahme "Ziele der Östlichen Partnerschaft für 2020: Beitrag der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften" vom 4./5. Juli 2018 dem Sozialunternehmertum eine zentrale Rolle zu. Zudem forderte er "konkrete Maßnahmen zur Entwicklung des sozialen Unternehmertums als eine Form der non-formalen Bildung unter Jugendlichen und Erwachsenen auf lokaler und regionaler Ebene, welches lokale Probleme löst, Einkünfte generiert, Arbeitsplätze schafft und soziale Innovationen vor Ort fördert".

Bis dato ist der sozialunternehmerische Sektor in der Ukraine auf ausländische Förderung angewiesen. Bedeutendster internationaler Förderer sind die USA, wobei auch die Förderung durch andere Staaten, darunter Deutschland, an Bedeutung gewinnt.

Stand des Sozialunternehmertums in Gesetz und Gesellschaft

Trotz seiner Relevanz ist der Begriff "Sozialunternehmertum" im juristischen Kontext der Ukraine nicht eindeutig definiert. Die Gesetzesentwürfe "Über Sozialunternehmertum" (Projekte 10610 vom 14.06.2012 und 2508 vom 11.03.2013) können als Versuche dazu gewertet werden, wurden jedoch nicht verabschiedet. Zu groß waren die Risiken der steuerlichen Begünstigungen der Unternehmensform, z. B. weil unklar war, nach welchen Kriterien die Vergabe von Begünstigungen reguliert werden sollte. Angesichts der Korruptionsanfälligkeit gab es die Befürchtung, dass nach der Verabschiedung des Gesetzes "Über Sozialunternehmertum" alle Unternehmen zu Sozialunternehmen werden wollen, um steuerliche Begünstigungen zu erhalten. Zusätzlich gab es Zweifel an effektiven Kontrollen und Prüfungen, wer die Kriterien eines Sozialunternehmens erfüllt und wer nicht, sodass die Gefahr des Missbrauchs bestand. Daher gibt es in der Ukraine kein öffentliches Dokument, das den Begriff "Sozialunternehmen" verwendet, obwohl er manchmal in staatlichen oder regionalen Entwicklungsprogrammen auftaucht.

In der Gesellschaft wird der Begriff "Sozialunternehmen" zuweilen fehlinterpretiert und mit sowjetischen Sozialprogrammen assoziiert, was zu Missverständnissen führt. Viele Trainer bringen Erfahrungen aus der Wirtschaft mit, jedoch nur wenige aus dem Bereich des Sozialunternehmertums. In Gesprächen wird oft deutlich, dass erfolgreiche Sozialunternehmer ihre Bedeutung und ihren Status selbst oft nicht verstehen und sich erst mit der Zeit als Sozialunternehmer sehen, statt als Wohltäter, Freiwillige oder klassische Geschäftsleute.

Die Sozialunternehmen in der Ukraine lassen sich in drei Gruppen einteilen, die verschiedenen Geschäftsmodellen folgen:

  • Ein festgesetzter Prozentsatz des Unternehmensgewinns kommt einem sozialen Zweck zugute, d. h. den Aktivitäten einer öffentlichen Organisation, einer gemeinnützigen Stiftung, eines sozialen Projekts usw. Ein Beispiel für ein solches Geschäft ist "Urban Space 100".

  • Ein bestimmter Prozentsatz der Beschäftigten eines Unternehmens entstammt benachteiligten Gruppen (Menschen mit Behinderungen, Binnenvertriebene, Veteranen, alleinerziehende Mütter usw.). Ein Beispiel dafür ist die "Veterano Group".

  • Ein Unternehmensprodukt oder eine Dienstleistung schafft einen sozialen Mehrwert. Dazu gehören Dienste zur Korruptionsbekämpfung oder umweltfreundliche Produkte, wie zum Beispiel im Bereich der Korruptionsbekämpfung das einheitliche staatliche Beschaffungssystem "ProZorro" oder im Bereich der umweltfreundlichen Produkte (Zelenew Recycling Lab), das durch innovative Lösungen aus Plastikmüll kreative und nützliche Designobjekte herstellt.

Trotz aller bestehenden Probleme wirkt sich die Herausbildung des Sozialunternehmertums in der Ukraine positiv auf die gesellschaftliche Kohäsion aus und hat gerade dort großes Potenzial zur effektiven Bewältigung sozialer Probleme, wo schwerfällige staatliche Institutionen angesichts der enormen Herausforderungen für das krisengebeutelte Land aktuell keine Lösungen parat haben.

Ausblick

Das Sozialunternehmertum hat sich nach längerer Anlaufzeit in der Ukraine etabliert und entwickelt sich insbesondere seit 2014 sehr dynamisch. Davon zeugen die große Anzahl von Projekten, Organisationen und Publikationen sowie zahlreiche Bildungs- und Förderprogramme. Problematisch ist allerdings, dass diese Entwicklungen vollständig auf einzelne internationale Förderer zurückgehen. Eine staatliche Förderung des Sozialunternehmertums oder eine Unterstützung durch unabhängige nationale oder transnationale Förderorganisationen fehlen dagegen. Damit besteht das Risiko, dass das Sozialunternehmertum sich rückläufig entwickelt, sobald die internationale Förderung eingestellt wird.

Um das Sozialunternehmertum als wirksames Instrument zur Schaffung von Arbeitsplätzen und der Bewältigung sozialer Probleme vor Ort zu erhalten und weiterzuentwickeln, werden eine aktivere Beteiligung internationaler Förderer, Implementierungspartner sowie relevante Netzwerke benötigt. Auch staatliche Unterstützung sowie ein Beitrag seitens der Wirtschaft sind zur Entwicklung des sozialunternehmerischen Sektors weiterhin unabdingbar. Diese müssen nicht zwingend monetärer Natur sein, sondern können auch in Form einer Bevorzugung von Waren und Dienstleistungen von Sozialunternehmern gewährleistet werden. Ebenso sollten junge Generationen in den Förderungsprozess des sozialunternehmerischen Sektors einbezogen werden, um eine nachhaltige Entwicklung des Sozialunternehmertums in der Ukraine effektiv zu unterstützen. So könnte die Einführung sozialer/nachhaltiger Schülerfirmen in das Bildungssystem, ähnlich wie in Deutschland, als eigenständiges Modell des praxisnahen, non-formalen Lernens an Schulen gefördert werden.

Fortwährende Unterstützung des Sozialunternehmertums kann auch dazu führen, dass dieses Konzept zur Norm des Denkens, Handelns, verantwortungsvoller Entwicklung und sozialer Verpflichtung wird. Durch Transparenz im Sozialunternehmertum können Vertrauen zueinander und in soziale Innovationen sowie Toleranz, z. B. gegenüber Menschen mit Behinderung, gefördert werden, was wichtig für die ukrainische Gesellschaft wäre.

Die rechtliche Absicherung (und damit Aufwertung) des Begriffs wäre entscheidend, damit das Sozialunternehmertum eine sichere Stellung in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft erfahren kann. Auch ein nationaler Fonds sowie ein wissenschaftliches Zentrum (Think Tank) sollten geschaffen werden, um die Entwicklung des Sozialunternehmertums umfangreich zu analysieren und effektiv zu unterstützen. Das Sozialunternehmertum könnte somit einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichem Zusammenhalt, Stabilität sowie einer nachhaltigen Förderung der demokratischen Prozesse in der Ukraine leisten.

Lesetipps:

Fussnoten

Dr. Bohdan Androshchuk ist Programmkoordinator für die Ukraine/Moldau bei ChildFund Deutschland e. V., Nürtingen/Berlin. Zu seinen thematischen Schwerpunkten gehören die Entwicklungsförderung der Kinder- und Jugendarbeit, die Unterstützung der Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung, die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen sowie der Aufbau des Sozialunternehmertums und des Jugendunternehmertums (Schülerfirmen) in der Ukraine. 2013 promovierte er an der Humboldt-Universität zum Thema "Die Metapher als ideologisches Instrument der Persuasion im deutschsprachigen politischen Diskurs".

Dr. Artem Kornetskyy ist Mitbegründer und Geschäftsführer der "School of Mindful Entrepreneurship" in Kiew und außerordentlicher Professor an der Ukrainischen Katholischen Universität (UKU), Lwiw. Er promovierte 2015 zum Thema "Regionale Politik der Entwicklung des Kleinunternehmertums" an der Staatsakademie für Bauingenieurwesen und Architektur in Dnipro und ist Trainer für Sozialunternehmertum und Reviewer des wissenschaftlichen Journals "Management Decision".