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Analyse: Die Ukraine im Sicherheitsradar 2019 | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Die Ukraine im Sicherheitsradar 2019

Simon Weiß

/ 9 Minuten zu lesen

Die jüngsten Konflikte in der Ukraine tragen zu der angespannten Sicherheitslage in Europa bei. Trotz geringem Vertrauen in staatliche Institutionen spricht sich die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung für eine inländische Lösung des Konflikts aus. Gleichzeitig wird eine verstärkte europäische Integration befürwortet.

Die europäische und ukrainische Flagge nebeneinander. Viele Ukrainer wünschen sich eine stärke Zusammenarbeit mit der EU. (© picture alliance/blickwinkel/McPHOTO/K. Steinkamp)

Zusammenfassung

Die Europäische Sicherheit ist nicht erst seit der Annexion der Krim, die sich in diesen Tagen zum fünften Mal jährt, fragil. Der neue "Sicherheitsradar 2019: Weckruf für Europa" des FES Regionalbüros für Zusammenarbeit und Frieden in Europa zeigt anhand ausgewählter Staaten, welche Risiken für Frieden und Sicherheit aus Sicht von Bürgern und Experten bestehen. Für die Ukraine zeigt der "Sicherheitsradar", dass sich eine deutliche Mehrheit eine Annäherung an die EU wünscht, während Russland überwiegend als Bedrohung aufgefasst wird. Ein zentraler Befund ist, dass für die Lösung des Donbas-Konflikts eine inländische Konfliktlösung einer vielfach diskutierten internationalen Blauhelmmission vorgezogen wird.

Einleitung

Der Ukraine-Konflikt ist nicht die einzige Ursache der aktuellen Unruhen in der Europäischen Sicherheit; viele weitere Streitpunkte, die zum Teil wesentlich weiter als fünf Jahre zurück reichen, liegen dieser Situation zugrunde. Dennoch wurden die letzten fünf Jahre sicherheitspolitisch durch den russisch-ukrainischen Konflikt geprägt. Bewältigt ist im Wesentlichen nichts. Gleichzeitig verliefen in der Ukraine institutionelle und identitäre Umwälzungen, die ähnliche Prozesse nach der Unabhängigkeit 1991 und nach der "Orangen Revolution" 2004/05 in den Schatten stellen. Der aktuelle und durch kriegerische Auseinandersetzungen im Donbas radikalisierte Ansatz der Nationenbildung speist sich aus unterschiedlichen Quellen, gleichwohl ist die sichtbarste Form, die Ablehnung allen Russländischen und allem was an die gemeinsame Geschichte erinnert, gerade in Zeiten des aktuellen Wahlkampfes besonders sichtbar.

Aufgrund dieser gesellschaftlichen und politischen Spezifika wurde die Ukraine in die Länderauswahl für die Studie "Sicherheitsradar 2019: Weckruf für Europa" des Regionalbüros für Zusammenarbeit und Frieden in Europa der Friedrich Ebert Stiftung (FES), aufgenommen. Zusätzlich ist es das größte Land im Rahmen der Östlichen Partnerschaft mit den entsprechenden Abkommen. Die Basis der Studie besteht einerseits aus einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage in sieben Staaten (Deutschland, Frankreich, Lettland, Polen, Russland, Serbien, Ukraine), die in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut Ipsos im Sommer und Herbst 2018 durchgeführt wurde. Die Umfrage untersucht systematisch die Haltungen und Werte bezüglich der aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Situation in Europa. Anderseits wurden begleitend zur Umfrage Gruppendiskussionen mit lokalen Experten und Politikberatern durchgeführt. Das Ziel war, die typische Denkweise der lokalen Expertengemeinschaft zu ermitteln: Wie evaluieren Experten die aktuelle sicherheitspolitische Situation, und welche Maßnahmen empfehlen sie entsprechend? Wie unterscheidet sich die Denkweise der Experten von der öffentlichen Meinung? In jedem Land nahm eine kleine Gruppe von ungefähr fünf Personen an einer angeleiteten offenen Diskussion teil.

Die Ukraine im Vergleich

Die Umfrage zeigt, dass Europas Bürger besorgt sind: 69 Prozent aller Befragten glauben, dass auch ihr Land von potenziellen neuen Kriegen und Konflikten betroffen sein könnte. In der Ukraine ist die Kriegsangst eine direkte Folge der bewaffneten Gewalt im Osten des Landes. In Deutschland und Frankreich ist die Kriegsangst eher diffus. Als Gegner werden sowohl die USA als auch Russland genannt. Für Polen hingegen stellt eindeutig Russland eine Bedrohung dar, Deutschland rangiert als Gegner vor den USA. Auch Lettland fürchtet Russland am meisten. In Serbien erinnert man sich an die Jugoslawienkriege und den Einsatz der NATO im Kosovo-Konflikt. Insofern werden in erster Linie Albanien, die USA und Kroatien als Gegner genannt. In Russland sieht man die USA als Hauptgegner.

Eine große Herausforderung für die Sicherheit in Europa ist die Unzufriedenheit mit dem politischen Status einiger Staaten. Insbesondere Serben (85 Prozent), Ukrainer (74 Prozent) und Polen (67 Prozent) halten ihr Land für nicht angemessen anerkannt, während Deutsche (71 Prozent) und Franzosen (59 Prozent) mit dem politischen Stellenwert des eigenen Landes zufrieden sind. Vor allem Serben (75 Prozent) und Russen (69 Prozent) sind der Meinung, dass andere Staaten die Entwicklung ihres eigenen Landes aktiv behindern. Daraus folgt vor allem in Serbien (77 Prozent) das politische Ziel, die Militärausgaben zu erhöhen, aber auch in Polen (68 Prozent) und der Ukraine (61 Prozent) werden höhere Militärausgaben befürwortet. Hingegen wünschen sich nur 43 Prozent der Deutschen eine solche Entwicklung.

Die Befragten halten für die entscheidenden Faktoren, die das Verhältnis zu Russland ausmachen, den Ukraine-Konflikt (72 Prozent) und die USA (68 Prozent). Dabei sind die Meinungsunterschiede zwischen Deutschen und Polen in beiden Fragen gering. 69 Prozent aller Befragten sind überzeugt, dass zu wenig Kooperation mit Russland ebenso ein Faktor ist. Interessant ist, dass gerade Letten (84 Prozent) und Polen (77 Prozent) über diesem Durchschnitt liegen, Deutsche (68 Prozent) knapp darunter. Für die Zukunft stellt sich mehr als die Hälfte der insgesamt Befragten eine tiefere Kooperation mit Russland vor, wobei dieser Wert sogar in der Ukraine noch bei 27 Prozent liegt.

Ukraine im Fokus

Selbstwahrnehmung

Nach fünf turbulenten Jahren lässt sich eine Anpassung an die neuen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen beobachten. Die Ukrainer sind angesichts steigender Preise und insgesamt erschwerter Lebensbedingungen nach 2014 ziemlich gelassen, was ihre wirtschaftlichen Aussichten betrifft. Nur 44 Prozent glauben, dass sich ihre wirtschaftliche Lage, oder die ihrer Familie in der Zukunft verschlechtern wird. Dennoch äußern sich 83 Prozent der Befragten angesichts der Entwicklungen in der Ukraine und in der Welt allgemein besorgt über ihre persönliche Zukunft.

Die Ergebnisse der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen Ende März und der Parlamentswahlen im Herbst werden als entscheidend für den weiteren Entwicklungspfad des Landes angesehen. Unabhängig davon, wer sich letzten Endes durchsetzt – die neuen und möglicherweise alten Verantwortlichen werden es schwer haben, wie die Ergebnisse der Umfrage zeigen. Die Ukrainer sind mit dem internationalen Status ihres Landes unzufrieden. 74 Prozent glauben, dass ihr Land nicht den Status in der Welt hat, den es verdient. Ein weiterer, sehr besorgniserregender Punkt, ist der fragile Vertrauenszustand in die wichtigsten inländischen Institutionen. Von allen befragten Gesellschaften ist das Vertrauen in staatliche Institutionen in der Ukraine am niedrigsten. Gleichzeitig gibt es die größte Diskrepanz zwischen den "Silowiki-Institutionen", die relativ gut abschneiden, und den demokratischen Institutionen, die deutlich schlechter wegkommen. Die einzige Institution, der die Ukrainer mehrheitlich vertrauen (68 Prozent), ist die Armee.

Die Ukrainer gehören zu den stärksten Befürwortern einer vertieften europäischen Integration (76 Prozent), basierend auf dem Glauben an eine gemeinsame europäische Kultur (79 Prozent). In der Ukraine zeigt sich dies am deutlichsten Bekenntnis aller untersuchten Länder für eine verstärkte Zusammenarbeit mit der EU (79 Prozent). Allerdings sprechen sich auch 27 Prozent für eine stärkere Zusammenarbeit mit Russland aus, was abermals den Blick auf eine Besonderheit der heutigen Ukraine lenkt. Schätzungsweise 25–30 Prozent der Bevölkerung folgt in punkto Russlandpolitik nicht der aktuellen Regierungslinie. Das sieht man ebenfalls an anderen Fragen im Sicherheitsradar aber auch an Diskussionen vor Ort.

Wahrnehmung der Europäischen Sicherheit

Ukrainischen Experten zufolge spielen Mehrdeutigkeit und Unsicherheit eine große Rolle für die Sicherheitslage der Euro-Atlantischen Zone. Ein Hauptproblem ist die Uneinigkeit über klare Bedrohungswahrnehmungen im westlichen (EU / NATO) Lager. Experten in Kiew zufolge sollte die ukrainische Regierung ihre Beziehungen zu allen regionalen Partnern verbessern, da unter den gegenwärtigen Umständen kein Partner unwichtig ist. Dies gilt insbesondere für die Beziehungen zu Ungarn, die angespannt sind. Insgesamt betonen die Experten jedoch die Bedeutung von "Schwergewicht"-Partnern wie den Vereinigten Staaten, Kanada, Polen und Deutschland, was umgekehrt einen geringeren Einfluss des eigenen Landes impliziert. Russland wurde in keiner Weise als Partner genannt, obwohl es immer noch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit gibt, die derzeit sogar wächst.

Die ambivalente Haltung der Ukraine gegenüber Russland, ein möglicher Beitritt zu westlichen Organisationen und der Konflikt im Donbas werden durch die folgenden Daten veranschaulicht. Für die Befragten in der Ukraine ist der Hauptfeind Russland (73 Prozent) mit großem Abstand gegenüber anderen genannten Staaten, gefolgt von den Vereinigten Staaten (11 Prozent).

Das zentrale außenpolitische Thema der Ukraine war in den letzten Jahren das Streben nach Mitgliedschaft in verschiedenen internationalen Institutionen, was für weite Teile der herrschenden Elite die Zugehörigkeit zum Westen und zugleich eine grundlegende Abgrenzung von Russland symbolisiert. Bei den namentlich genannten Organisationen unterscheiden Ukrainer recht deutlich zwischen der EU, deren Beitritt von 73 Prozent befürwortet wird, und der NATO, die nur zu 56 Prozent befürwortet wird. In Polen wünschen sich sogar mehr Menschen eine ukrainische NATO-Mitgliedschaft – ganze 67 Prozent. In Deutschland sind es weitaus weniger: Nur 23 Prozent unterstützen die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und 26 Prozent einen EU-Beitritt des Landes. In Russland, das überrascht kaum, wird die EU- und vor allem die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine mit 55 bzw. 75 Prozent deutlich abgelehnt.

Gleichzeitig glauben 52 Prozent der Befragten in der Ukraine, dass die Osterweiterung der EU und der NATO für die derzeitige Spannung zwischen dem Westen und Russland verantwortlich ist, und dass speziell die NATO-Osterweiterung Richtung russischer Grenzen eine Bedrohung für die europäische Sicherheit darstellt (37 Prozent). Die verhaltene gesellschaftliche Zustimmung zum NATO-Beitritt (56 Prozent) unterscheidet sich auffallend von der hohen Zustimmung der Expertengemeinde in Kiew, die den Beitritt sowohl zur EU als auch zur NATO als außenpolitische Priorität betrachtet. Trotz der jüngst erfolgten Verankerung des Beitrittsziels in der ukrainischen Verfassung wird die Akzeptanz in der Bevölkerung und vor allem die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Aufnahme nicht wachsen.

Der Weg nach vorne

Um aus der angespannten Sicherheitslage in Europa einen Ausweg zu finden, muss eine tragfähige Lösung für den gesamten Donbas gefunden werden.

Dieser Konflikt steht im Sicherheitsradar mit einigen Fragen im Vordergrund, daher ist es besonders interessant, den Stimmen aus der ukrainischen Gesellschaft einen speziellen Platz einzuräumen. Schließlich sagen 54 Prozent der Ukrainer, dass ihr Land für die Eskalation des Konfliktes selbst verantwortlich ist. Aus Sicht der ukrainischen Fokusgruppenteilnehmer jedoch liegt sowohl der Schlüssel zur Lösung als auch die Verantwortung für den Donbas-Konflikt in Moskau. Aufgrund der Feindseligkeit des Kremls wurde auch Skepsis gegenüber einer möglichen Blauhelm-Mission im Donbas geäußert. Betrachtet man die Aussagen der Bevölkerung zum Konflikt im eigenen Land, sieht das Bild anders aus.

Bemerkenswert ist, dass nur 52 Prozent eine UN-Blauhelmmission befürworten, hingegen 63 Prozent eine inländische Konfliktlösung ("es sollte der Ukraine überlassen werden"). Das könnte sowohl eine "De-Okkupation" der unkontrollierten (separatistischen) Gebiete als auch Verhandlungen mit Vertretern der sogenannten "Volksrepubliken" zwecks Reintegration der abtrünnigen Region bedeuten.

Da weder die Experten, noch die breite Öffentlichkeit eine militärische Konfliktlösung für einen Ausweg halten, bedeutet dies, dass eine Regionalisierung des Konflikts einer Internationalisierung vorgezogen werden sollte. In diesem Zusammenhang war es auch für die ukrainischen Experten wichtig, dass ein "transnistrisches Szenario" – in dem einseitige Zugeständnisse an die separatistische Seite gemacht werden würden – auf alle Fälle verhindert werden sollte. Es würde nur den Einfluss Russlands festigen. In Anbetracht der Tatsache, dass Kiew die separatistischen Regionen reintegrieren will (wenn man den vielen öffentlichen Bekundungen trauen möchte), wird die Einleitung eines politischen Dialogs mit Akteuren in den abtrünnigen Regionen ebenso entscheidend sein, wie sein Wirkungsbereich.

In Bezug auf die Zukunft der europäischen Sicherheit sahen Experten die Initiierung eines umfassenderen Dialogs über Bedrohungswahrnehmungen – in allen möglichen Bereichen, einschließlich der Migration und des Einflusses Russlands und Chinas – als vielversprechende Maßnahme, um das gegenseitige Verständnis zwischen den europäischen Akteuren zu fördern.

Die Ukrainer befürworten stark eine aktive Außenpolitik (78 Prozent), welche auf nationale Interessen ausgerichtet ist (88 Prozent). Dies stellt zumindest eine solide Basis für die Suche nach komplementären sicherheitspolitischen Interessen dar, sowohl regional als auch international. Unabhängig des Ausganges der diesjährigen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wäre es vorteilhaft, wenn die neue politische Führung tatsächlich verantwortungsvoll und mit Blick auf die Sorgen und Wünsche der eigenen Bevölkerung agieren würden. Das gilt natürlich auch für die anderen sechs Staaten im Sicherheitsradar 2019. Aber die Ukraine ist aus den bekannten Gründen in besonderem Maße gefordert, innen- und außenpolitisch den Status quo positiv zu verändern.

Weiterführende Literatur

Fussnoten

Simon Weiß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Regionalbüro für Zusammenarbeit und Frieden in Europa der Friedrich Ebert Stiftung in Wien. Nach einem Studium der Politikwissenschaft und Soziologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg lehrte er dort von 2011–2015 Internationale Beziehungen und Russische Außenpolitik. Aktuell beschäftigt er sich mit sicherheits- und verteidigungspolitischen Aspekten in Russland und Osteuropa und mit Fragen der Rüstungskontrolle in Europa.