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Analyse: Ukraine – mehr als eine Biokornkammer Europas | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Ukraine – mehr als eine Biokornkammer Europas

Tobias Eisenring Toralf Richter Natalie Prokopchuk

/ 11 Minuten zu lesen

Handgemachter Bio-Käse statt Massenprodukte? Noch liegt der Anteil der Biobetriebe an der gesamten landwirtschaftlichen Fläche in der Ukraine bei unter 1 %. (© picture alliance / NurPhoto)

Zusammenfassung

In der Ukraine gibt es circa 300 zertifizierte Bio-Betriebe, die eine Fläche von 289.000 Hektar bewirtschaften. Dies entspricht – bezogen auf die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche der Ukraine – einem Anteil von weniger als einem Prozent. Obwohl der biologische Landbau in der Ukraine bei Betrachtung der prozentualen Anbaufläche von verschwindender Bedeutung ist, entwickelt er sich mit Fokus auf Export und angesichts eines wachsenden einheimischen Markts zunehmend dynamisch. Könnte die Ukraine in den kommenden Jahren zur Biokornkammer Europas aufsteigen?

Landwirtschaft als zentraler Wirtschaftssektor der Ukraine

Die Ukraine war und ist auch heute noch einer der wichtigsten Agrarproduzenten Europas. Gemäß dem ukrainischen Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Handel und Landwirtschaft exportierte die Ukraine im Jahr 2018 Agrargüter im Wert von rund 17 Milliarden Euro. Von August 2018 bis Juli 2019 stiegen die Agrarexporte in die EU um 34 % auf 6,7 Mrd. US-Dollar, wie die Europäische Kommission kürzlich mitteilte. Die Ukraine gehört zu den weltweit wichtigsten Produzenten und Exporteuren von Sonnenblumen, Mais, Weizen, Raps, Gerste und Walnüssen. Rund 20 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung arbeitet im Agrarsektor.

Biologischer Landbau als lukrativer Wachstumsmarkt

Die biologische Produktion in der Ukraine ist in den letzten zwei Jahrzehnten stetig gewachsen. Primärer Anreiz für dieses Wachstum waren Exportmöglichkeiten insbesondere für den europäischen Markt. Ende 2017 wurden rund 289.000 Hektar Land biologisch bewirtschaftet. Viele Biobetriebe werden auf den Feldern ehemaliger Kolchosen betrieben. Sie werden mittlerweile privat geführt und arbeiten oft mit modernstem agronomischen Wissen und Technik.

Auch wenn derzeit noch weniger als ein Prozent der gesamten Landwirtschaftsfläche in der Ukraine für den biologischen Landbau genutzt wird, so wächst dieser Sektor stark. Lag die Zahl der biologisch zertifizierten Betriebe im Jahr 2002 erst bei 31, gab es Ende 2017 mit 304 bereits zehn Mal so viele Biobetriebe (siehe Grafik 1). Die große Mehrheit sind Ackerbaubetriebe ohne Tierhaltung. Dank der günstigen Marktbedingungen hat in den letzten drei Jahren aber auch die Anzahl der Betriebe mit Tierhaltung, besonders im Bereich der Honigproduktion, zugenommen.

Gemäß der EU-Importstatistik hat die Ukraine 2018 Agrarprodukte aus zertifizierter biologischer Erzeugung im Umfang von knapp 267.000 Tonnen in die Europäische Union (EU) exportiert (siehe Tabelle 1). Dies entspricht nach Schätzungen der ukrainischen Zertifizierungsstelle "Organic Standard" einem Wert von rund 95 Millionen Euro. Zu den wichtigsten Abnehmern gehören die Niederlande, Deutschland, Italien, England und die Schweiz. Ein Großteil des Bioexports sind unverarbeitete Rohwaren, insbesondere Getreide und Ölsaaten (siehe Tabelle 1). Der Anteil an teil- und weiterverarbeiteten Exporterzeugnissen, die auch das Potenzial haben, eine höhere Wertschöpfung direkt in der Ukraine zu generieren, ist nach wie vor gering.

Die Gründe für die positive Entwicklung des Biosektors in der Ukraine sind vielseitig. Einerseits war und ist die große Nachfrage aus Westeuropa, vor allem für Futtermittelzwecke, ein wichtiger Grund für die Umstellung auf eine biologische Produktion. Diese wird stark begünstigt durch die Abwertung der Hrywnja infolge der Wirtschaftskrise von 2014, als die Währung gegenüber US-Dollar und Euro binnen Wochen mehr als die Hälfte ihres Wertes einbüßte. Die schwache Währung macht Bio-Importe aus der Ukraine interessant für ausländische Händler. Gleichzeitig sah sich die konventionelle Landwirtschaft mit gestiegenen Importpreisen für synthetische Dünger und Spritzmittel konfrontiert, was für die Bio-Landwirtschaft nicht zutraf.

Mutige Pioniere prägen den Biosektor in der Ukraine

Einer der ersten Biopioniere der Ukraine, Semen Antonez, Eigentümer des landwirtschaftlichen Betriebs Agroecology in der Region Poltawa, hat bereits in den 1970er Jahren mit der sogenannten Direktsaat begonnen. Bei dieser Ackerbaumethode wird ohne Bodenbearbeitung die nächste Kultur gesät, mit dem Ziel, zusätzlichen Kohlenstoff im Boden zu binden und damit Erosions-, Wasser- und somit auch Klimaschutz zu erreichen. Antonez baut auf rund 7.000 Hektar verschiedene Getreidesorten an, darunter Weizen, Gerste, Sonnenblumen und Raps. Der Betrieb ist gemäß den offiziellen Biostandards der EU, Nordamerikas und der Schweiz zertifiziert. Noch heute hat Agroecology für viele Biolandwirte aus der Ukraine und Osteuropa Modellcharakter und ist einer der Demonstrationsbetriebe, auf dem jedes Jahr besucherstarke Biofeldtage stattfinden.

Daneben gibt es viele Quereinsteiger – die vormals Möbelbauer, Lehrer, Ingenieure oder Regionalpolitiker waren –, welche die junge Biobewegung prägen. Es sind soziale, ökologische und ökonomische Überlegungen, die diese Quereinsteiger dazu ermuntert haben, in den Biolandbau zu investieren. Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Biolandbaubetriebe, wie beispielsweise Galeks-Agro, EthnoProduct, Porytske oder Agrofirm Pole basiert meist auf – verglichen mit westeuropäischen Standards – größeren Bewirtschaftungsstrukturen. Entsprechend sind sie wichtige lokale Arbeitgeber. Mit der Umstellung auf eine biologische Produktionsweise und dem Aufbau zusätzlicher Verarbeitungsstrukturen, wie beispielsweise Biomolkereien oder Biomühlen, schaffen diese Betriebe diverse Beschäftigungsmöglichkeiten (z. B. in den Bereichen Qualitätssicherung oder Marketing) im ländlichen Raum.

Gesetzgebung angelehnt an EU-Normen

Der Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 sowie der intensive Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln in der Zeit der Sowjetunion und ihre negativen Auswirkungen auf die Natur und den Menschen haben die Bevölkerung sensibilisiert. Mehr Ökologie wird gefordert, auch seitens des ukrainischen Staates. Somit ist die Förderung des biologischen Landbaus ein Schwerpunkt der Reformstrategie "Landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung 2015–2020" und ihrer stärker konkretisierten Version, der sogenannten "3+5 Strategie" geworden. Eine wichtige Umsetzungsmaßnahme in diesem Zusammenhang ist, dass ab 2017 das damalige Ministerium für Agrarpolitik und Ernährung begonnen hat, Daten zum Biolandbau zu sammeln (siehe Grafik 1). Dies war der erste Schritt zu einer konsequenteren Kontrolle der 18 Biozertifizierungsstellen, die derzeit in der Ukraine aktiv sind.

Das ukrainische Gesetz "Über die Grundprinzipien und Anforderungen an die Herstellung, den Handel und die Kennzeichnung von biologischen Erzeugnissen" (Nr. 2496-VIII) wurde 2018 vom ukrainischen Parlament verabschiedet und ist seit dem 2. August 2019 in Kraft. Dieses Gesetz ist das Ergebnis einer mehr als zehn Jahre anhaltenden Diskussion zur Verabschiedung einer nationalen Biogesetzgebung, wobei über viele Jahre kein politischer Wille bestand, die Entwicklungen zu forcieren. Erst mit der Ratifizierung des Assoziationsabkommen zwischen der Ukraine und der EU entstand zusätzlicher Handlungsdruck. Derzeit arbeiten Politik, lokale Akteure und internationale Partner daran, entsprechende Verordnungen zur Umsetzung dieses Gesetzes zu entwerfen. Von zentraler Bedeutung ist die Akkreditierung und die effiziente Überwachung der Zertifizierungsstellen durch den ukrainischen Staat mit dem Ziel, die Verbraucher zu schützen und Betrug zu bekämpfen.

Die Ökologisierung der Landwirtschaft ist auch zunehmend von strategischer Wichtigkeit in den Regionen der Ukraine. In den letzten Jahren haben verschiedene Oblaste, darunter Schytomyr, Poltawa, Lwiw, Odesa, Tschernihiw und Sumy, begonnen, die Entwicklung des Biolandbaus zu forcieren. Sie unterstützen beispielsweise Produzenten bei der Umstellung auf biologische Landwirtschaft durch Informationsveranstaltungen oder mit Zuschüssen zu den Zertifizierungskosten. Die Agrarverwaltungen der Oblaste Poltawa und Lwiw haben Daten zur Entwicklung der biologischen Landwirtschaft in ihre Berichterstattung integriert oder unterstützen Reisen für Medienvertreter zu Bioproduzenten und tragen so zur Bewusstseinsbildung bei.

Zum jetzigen Zeitpunkt sind rund 95 Prozent aller Bioprodukte, die in der Ukraine produziert und auf dem heimischen oder dem Exportmarkt verkauft werden, mit dem grünen Bio-Logo der EU gekennzeichnet. Der Privatsektor hatte sich, mangels einer nationalen Biogesetzgebung und mit Blick auf den wichtigsten Exportmarkt, dazu entschieden, sich an den Kriterien des EU-Biolabels zu orientieren. Die Bekanntmachung des ukrainischen staatlichen Logos für zertifizierte biologische Produkte (siehe Grafik 2), mit dem in Zukunft biologische Produkte aus der Ukraine gekennzeichnet werden sollen, ist ein wichtiges Anliegen und Bestandteil der neuen Biogesetzgebung. Bisher sind noch keine ukrainischen Bioprodukte für den heimischen Markt mit dem nationalen Logo gekennzeichnet, da die Biogesetzgebung noch nicht implementiert ist. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass die Einführung eines nationalen Logos für Bioprodukte viel Zeit und Ressourcen braucht, so dass es auch in der Ukraine noch dauern könnte, bis das neue Logo eingeführt und etabliert ist.

Trotz höherer Preise liegt Bio im Trend

Der heimische Markt für Bioprodukte ist zunehmend zu einem zweiten Standbein für ukrainische Produzenten geworden. Anfänglich wurde vor allem importierte Bioware in der Ukraine verkauft, insbesondere Gemüse, Kindernahrung und Fruchtsäfte. Seit rund zehn Jahren stehen nun auch heimisch produzierte Bioprodukte in den Regalen der Supermärkte. Diese setzen ganz bewusst auf Bioprodukte, um kaufkräftige und wachsende Kundensegmente zu bedienen, insbesondere im städtischen Umfeld. Die wichtigsten Vertriebskanäle sind heute Supermärkte bzw. international agierende Einzelhandelskonzerne wie Auchan aus Frankreich oder Metro aus Deutschland sowie ukrainische Einzelhändler wie Goodwine, Fozzy Group und Novus. Neben diesen grösseren Unternehmen gibt es auch kleinere Läden, die zu den Pionieren im Verkauf von biologischen Produkten zählen und eine besonders gesundheitsbewusste Klientel ansprechen. Der Bioproduzentenverband "Organic Federation of Ukraine" schätzt den Umsatz mit biologischen Produkten auf dem ukrainischen Markt für das Jahr 2017 auf knapp 30 Millionen Euro (siehe Grafik 3).

Trotz dem noch relativ gering ausgeprägten Biobewusstsein in der breiten Bevölkerung gehört es inzwischen auch für viele jüngere Konsumenten in den Großstädten wie Kiew, Odesa, Charkiw und Lemberg zum guten Ton, Bioprodukte zu konsumieren. Glaubwürdigkeit, Transparenz und der Stolz auf die Ukraine als Produktionsstandort sind für diese neue Generation wichtige Werte, die sich auch in ihrem Kaufverhalten reflektieren.

Das Sortiment an Bioprodukten, die in der Ukraine angebaut, verarbeitet und verkauft werden, umfasst Milch- und Fleischprodukte, Mehl, Teigwaren, pflanzliche Öle, Getränke (Frucht- und Gemüsesäfte, Birkensaft, Kräutertee), Konserven (z. B. Beeren, Sirup, Marmelade), einige Gemüse, Früchte und Eier – insgesamt fast 180 Artikel.

Eine aktuelle Preisstudie von "Organic Ukraine", einem der zwei nationalen Bioproduzentenverbände, zeigt, dass Bioprodukte in der Ukraine ähnlich wie in westeuropäischen Ländern teurer sind als konventionelle Lebensmittel: Frischeprodukte wie Milchprodukte, Obst oder Gemüse im Durchschnitt um zwei Drittel. Doch die Preisunterschiede variieren zwischen den Produktgruppen stark. Während eine Bio-Wassermelone im Einzelfall zehn Prozent teurer sein kann als ein konventionell erzeugtes Vergleichsprodukt, können Blaubeeren aus dem Biolandbau fast 90 Prozent mehr kosten als herkömmlich erzeugte Beeren. Die Gründe liegen meist in den unterschiedlich hohen Produktionskosten.

Auch ein Preisvergleich von Bioprodukten in ukrainischen Supermärkten (durchgeführt im August 2019 durch "Organic Ukraine") mit Bioprodukten in deutschen Supermärkten ist interessant. Da in der Ukraine bisher relativ wenige Anbieter Bioprodukte für den heimischen Markt produzieren, sind die Preise für Bioprodukte im Vergleich zu Deutschland vergleichsweise hoch. Beispielsweise kostete zum Zeitpunkt der Umfrage die günstigste Biomilch in einem ukrainischen Supermarkt umgerechnet 1,27 Euro pro Liter (in Deutschland 1,05 Euro), Weizenmehl 1,77 Euro pro Kilogramm (in Deutschland 1,00 Euro) oder Joghurt 2,83 Euro pro Kilogramm (in Deutschland 1,70 Euro). Viele Bioprodukte in der Ukraine befinden sich also immer noch im Hochpreissegment. Mit einem zunehmendem Produktangebot werden aber vermutlich auch in der Ukraine Bioprodukte zukünftig günstiger.

Stetig steigende Diversifizierung von Exportprodukten

Wie bereits angesprochen, hat sich die Ukraine in den letzten zehn Jahren zu einem wichtigen Anbieter von Bioprodukten entwickelt. Die wichtigsten biologischen Exportprodukte sind nach wie vor ackerbauliche Erzeugnisse wie beispielsweise Getreide, Ölpflanzen und Hülsenfrüchte. Produkte aus der Wildsammlung, wie etwa Wildbeeren, Pilze, Kräuter, sind volumen- und wertmäßig stark gewachsen. Aber auch beim Honig, angebauten Beeren und Nüssen sind die Exportzahlen rasant gestiegen. Gemäß den Angaben der lokalen Zertifizierungsstelle "Organic Standard" wurde 2017 der erste Biohonig exportiert. Ein Jahr danach waren es bereits 300 Tonnen. Bei gefrorenen Himbeeren wuchs das Exportvolumen innerhalb kurzer Zeit auf 400 Tonnen und bei biologisch zertifizierten Zucker aus Zuckerrüben auf rund 800 Tonnen.

Inzwischen bieten die ukrainischen Exporteure mehr als 70 verschiedene Bioprodukte auf dem internationalen Markt an. Dazu zählen auch immer häufiger ganz- oder teilverarbeitete Produkte, wie zum Beispiel Sonnenblumenöl, Birkensaft, Apfelsaft (Konzentrat), Tiefkühlbeeren, Getreideflocken, etc. Es werden aber auch Futtermittelprodukte wie etwa Sonnenblumen- und Sojapresskuchen exportiert, die durch den wachsenden Biofleischkonsum in Europa zunehmend international nachgefragt werden.

EU-Marktzugang als Entwicklungsmotor

Ein wichtiger Faktor in der Entwicklung des Biosektors war das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine in 2014. Dieses ermöglicht es, dass ukrainische Unternehmen Waren zu vorteilhafteren Zollbedingungen in die EU exportieren können. Im Biobereich gibt es jedoch auch zusätzliche Auflagen, welche Exporte erschweren. Denn im Zusammenhang mit Betrugsfällen hat die EU die Importbedingungen seit 2015 für mehrere Staaten der ehemaligen Sowjetunion verschärft, darunter auch für die Ukraine. Bioproduktionsbetriebe müssen sich in diesen Ländern zusätzlichen Kontrollen unterziehen, welche nicht nur mehr Kosten implizieren, sondern auch die Logistik im Exportgeschäft aufwendiger machen. Mit den zusätzlichen Kontrollen möchte die EU vermeiden, dass gefälschte Bioware aus diesen Ländern auf den EU-Markt gelangt.

Verstärkter Fokus auf Wertschöpfungssteigerung

Der Anteil an landwirtschaftlichen Roherzeugnissen, welche westeuropäische Verarbeitungsbetriebe in der Ukraine kaufen, ist nach wie vor hoch. Doch wie bereits angesprochen, streben immer mehr landwirtschaftliche Unternehmen in der Ukraine an, in stärkerem Umfang verarbeitete Produkte mit einer höheren Wertschöpfung zu exportieren. Dieser Verarbeitungsschritt vor Ort ist aus volkswirtschaftlicher Sicht äußerst interessant und kann zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) hat 2018 eine Studie verfasst, welche die Schaffung von Arbeitsplätzen durch den Biolandbau in der Ukraine genauer untersucht. Dazu wurden mehr als 140 Akteure aus Produktion, Verarbeitung, Handel, Dienstleistungen, usw. befragt. Die Studie bestätigt, dass gerade im Bereich der Verarbeitung – als Teil einer Produktdifferenzierungsstrategie – qualitativ hochstehende und interessante Arbeitsplätze im Tandem mit Marketingaktivitäten geschaffen werden. Im Anbau sind die Beschäftigungswirkungen, angesichts der starken Mechanisierung der Ackerbaubetriebe, weniger stark ausgeprägt. Hier führen Investitionen, vor allem im Bereich der mechanischen Unkrautbekämpfung, tendenziell dazu, dass eher weniger Arbeitskräfte eingesetzt werden müssen. Dies ist anders als beim Aufbau eines neuen Verarbeitungsbetriebs oder bei arbeitsintensiven Kulturen, wie beispielsweise Gemüse, Beeren oder Kräuter.

Die lokale Verarbeitung macht auch zunehmend Sinn, um den lokalen Markt zu bedienen und importierte Bioprodukte durch vergleichbare einheimische Produkte zu ersetzen. Seit einigen Jahren kommen vor allem im Milch- und Fleischsektor immer mehr Produkte aus der Ukraine auf den einheimischen Markt, wie z. B. Bio-Eiscreme oder Sauerrahm.

Ausblick

Aufgrund der Nachfrageentwicklung nach Bioprodukten auf dem internationalen Markt und innerhalb der Ukraine kann davon ausgegangen werden, dass auch in den kommenden Jahren die biologische Produktion in der Ukraine weiter steigen wird. Eine FiBL-Studie zeigt, dass die befragten Akteure im ukrainischen Biosektor überzeugt sind, dass der biologische Anbau längerfristig nicht nur für die Umwelt, sondern auch wirtschaftliche Vorteile bringen wird. Zusätzlich gaben die Befragten auch an, dass sie weiterhin in diesen Bereich investieren werden. Das Inkrafttreten der nationalen Biogesetzgebung im August 2019 ist ein wichtiger Meilenstein und wird den Sektor sowie das Vertrauen in die Branche weiter stärken.

Eine Herausforderung für den Biosektor in der Ukraine ist das Vermeiden von Betrugsfällen, in Bezug auf den Export und den heimischen Markt. Die hohen Produktpreise für biologische Ware sind ein Anreiz für Betrug. Hier ist der Sektor als Ganzes gefordert, aber insbesondere die Kontrollstellen und die staatlichen Institutionen, welche auch in Zusammenarbeit mit der EU und einheimischen Bioverbänden die nötigen Maßnahmen anstoßen und umsetzen müssen, um das Betrugsrisiko einzudämmen. Wie in diesem Beitrag geschildert, hat das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Handel und Landwirtschaft erste Schritte in diese Richtung unternommen. Es sammelt seit 2017, auch auf ausdrücklichen Wunsch der ukrainischen Akteure, von den Zertifizierungsstellen Daten zur Entwicklung des Biosektors. Darüber hinaus sind neue Ansätze in der Zertifizierung und Überwachung, insbesondere auch das Verwenden von Satellitendaten und digitalen Rückverfolgbarkeitssystemen, vielversprechend. Diese können dazu beitragen, die Glaubwürdigkeit der ukrainischen Bioproduktion weiter zu verbessern und die Grundlage für ein solides Wachstum dieses zukunftsträchtigen Sektors zu schaffen.

Schafft es die Ukraine, diese Herausforderung zu meistern und zugleich die Produktqualität stetig zu steigern, steht der Ukraine nichts im Wege, nicht nur die Biokornkammer Europas zu werden sondern auch ein Benchmark für einen zukunftsgerichteten Biolandbau, der traditionelles Wissen mit moderner Technologie smart verknüpft.

Bibliographie

Fussnoten

Fußnoten

  1. Am 29. August 2019 beschloss das ukrainische Parlament, das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel mit dem Ministerium für Agrarpolitik und Ernährung zum Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Handel und Landwirtschaft zusammenzulegen.

Tobias Eisenring ist seit 2006 als Projektleiter und Berater am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Biosektor- und Marktentwicklung sowie dem Aufbau von Regionalmarken. Er leitet seit 2008 verschiedene von der Schweiz finanzierte Biomarktprojekte in der Ukraine.

Toralf Richter arbeitet seit 2014 als Berater am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) und hat in der Ukraine Biobauern unterstützt, ihre Produkte besser vermarkten zu können. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt im Marketing und der Konsumentenforschung.

Natalie Prokopchuk ist die lokale Vertreterin des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in der Ukraine und koordinierte zwischen 2008 und 2018 ein von der Schweiz finanziertes Biomarktprojekt in der Ukraine. Sie lebt und arbeitet in der Ukraine.