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Kommentar: Selenskyj vom kreativen Spieler zum Getriebenen | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Selenskyj vom kreativen Spieler zum Getriebenen

Mattia Nelles

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Der historische Sieg Selenskyjs vor etwas mehr als einem Jahr kam einem politischen Erdbeben gleich. Im Wahlkampf hatte der Polit-Novize unter anderem versprochen, der Straflosigkeit der wirtschaftlichen und politischen Eliten endlich ein Ende zu setzen. Was hat Selenskyj in seinem ersten Amtsjahr im Kampf gegen die Oligarchie erreicht?

Kiev im März 2019: Während des Präsidentschaftswahlkampfes 2019 haben Aktivisten in der Innenstadt Pappaufsteller von den Kandidaten Selenskyj und Timoschenko neben dem Oligarchen Ihor Kolomoysky (links) aufgestellt. (© picture-alliance, NurPhoto)

Selenskyjs Wahlerfolg gründete auf einer Allianz mit dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj, der es Selenskyj durch seinen Fernsehkanal 1+1 ermöglichte, ein breites Massenpublikum zu erreichen. Dass ausgerechnet der ruchloseste Oligarch entscheidend zum Sieg Selenskyjs beitrug, kümmerte erstaunlicherweise nur wenige Ukrainer. Zu groß war der Frust mit der etablierten politischen Elite.

Bei einigen Beobachtern gab es die Befürchtung, dass diese Allianz dazu führen könnte, dass Selenskyj fortan Politik im Sinne Kolomojskyjs machen würde. Würde er es etwa wagen, die 2016 verstaatliche PrivatBank an Kolomojskyj zurückzugeben? Selenskyjs Kritiker sahen sich in der Ernennung Andrij Bohdans zum Leiter des Präsidentenbüros bestätigt, der lange als Anwalt für den Oligarchen gearbeitet hatte. Auch die Tatsache, dass Kolomojskyjs Vertraute wie Oleksandr Dubinskyj, Olga Wasylewska-Smaglyuk und Oleksandr Tkatschenko für die eilig zusammengestellte Partei Diener des Volkes kandidierten, gab zu bedenken. Trotzdem wurden keine Günstlinge von Kolomojskyj zu Ministern ernannt oder konnten die Kontrolle über lukrative Staatsunternehmen übernehmen.

Bei den Parlamentswahlen im Juli 2019 konnte Selenskyj eine historische Mehrheit erringen. Unter Hochdruck begann die erste Phase der Selenskyj-Präsidentschaft, die des Turboregimes : In den ersten acht Monaten der Präsidentschaft wurden 188 Gesetzte durchgepeitscht, ein reformerisches Kabinett und ein geschätzter Generalstaatsanwalt eingesetzt.

Statt auf Konfrontation mit den Oligarchen des Landes zu setzen, versuchte sich der Präsident in dieser Zeit eher als Mediator zu inszenieren. Selenskyj empfing Oligarchen offen in seinem Präsidentenbüro. In seiner pragmatischen Interaktion mit den Wirtschaftsbossen des Landes ähnelte sein Führungsstil dem von Ex-Präsident Leonid Kutschma. Dieser Balanceakt geriet erst ins Wanken, als Kolomojskyj zunehmend zum Problem für Selenskyj wurde – und die komfortable Mehrheit von Selenskyjs Partei sich allmählich als fragil entpuppte.

Grund dafür war unter anderem der schwelende Konflikt um die PrivatBank. Im Gegenzug für dringend benötigte Hilfskredite fordert der Internationale Währungsfonds (IWF) die Verabschiedung eines Bankengesetzes, welches es Kolomojskyj unmöglich machen würde, Kompensationen für seine verlorene Bank zu erhalten. Die informelle "Kolomojskyj-Fraktion" im Dienste des Oligarchen – mittlerweile rund 30 Abgeordnete – versuchte, die Lex Kolomojskyj mit allen Mitteln und legislativen Winkelzügen (darunter mehr als 16.000 Änderungsvorschläge) zu verhindern. Im April musste das Gesetz in erster Lesung mit Stimmen der Opposition verabschiedet werden – ein herber Machtverlust für Selenskyjs "Monomajorität". [Am 13.05.2020 wurde das Gesetz in zweiter Lesung verabschiedet, Anm. d. Red.]

Ob und inwiefern die Auseinandersetzung weiter eskaliert, ist offen. Klar ist jedoch, dass Selenskyj wegen des Verlustes seiner Mehrheit anfälliger für Avancen anderer Oligarchen geworden ist. Hinzu kommt, dass seine Hire und Fire -Personalpolitik der von US-Präsident Donald Trump in nichts nachsteht. Aufgrund der Kaderschwäche in den eigenen Reihen der Partei und im überschaubaren Umfeld der Vertrauten des Präsidenten gestaltet sich die Rekrutierung von fähigem Personal als kompliziert. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie verstärken Selenskyjs Schwäche noch einmal.

Als besonders "hilfreich" hat sich wieder einmal der mächtige Oligarch Rinat Achmetow erwiesen. Das politische Wochenmagazin Externer Link: Nowoe Wremja titelte vor Kurzem "Präsidenten kommen und gehen, aber Rinat bleibt" und sieht derzeit ein Comeback des 2019 noch abgeschriebenen Oligarchen. Anders als Kolomojskyj setzt Achmetow auf die Durchsetzung seiner Interessen im Stillen. Achmetows Fernsehsender berichten seit wenigen Monaten im Gegensatz zu Kolomojskyjs 1+1 ausgesprochen positiv über die Selenskyj-Regierung. Das ist angesichts des Fehlens eines Haus- und Hofsenders des Präsidenten von zentraler Bedeutung. Dass vor kurzem mit Premierminister Denys Schmyhal, der früher für ein Unternehmen von Achmetow gearbeitet hatte, und Energieministerin Olha Buslawez, der eine mangelnde Distanz zum Oligarchen nachgesagt wird, zwei Personen aus Achmetows Netzwerk in Schlüsselpositionen gelangt sind, schwächt sein Gehör beim Präsidenten sicher nicht.

Ähnlich wie zu Beginn der Präsidentschaft Selenskyjs muss jetzt genauestens beobachtet werden, ob und wie der Präsident Politik im Sinne eines bestimmten Oligarchen macht, ihnen gar lukrative Aufträge oder Posten zuschanzt. Eins ist aber nach einem Jahr Selenskyj klar: Der einstige Polit-Novize ist in der ukrainischen Politik angekommen. Wie seine Vorgänger muss Selenskyj sich in einen intransparenten Geflecht von Beziehungen und Interessen zurechtfinden. Ob es ihm gelingt, diesen Balanceakt zugunsten weiterer tiefgreifender Reformen zu nutzen, bleibt abzuwarten. Die gescheiterte Justizreform, eine mögliche politische Verfolgung Poroschenkos und die Entlassungen mehrerer reformistischer Kräfte in den vergangenen Wochen werfen aber zumindest große Zweifel auf.

Fussnoten

Mattia Nelles ist Programmdirektor für die Ukraine am Zentrum Liberale Moderne in Berlin und Redakteur der Website Externer Link: www.ukraineverstehen.de.