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Analyse: Gerade noch rechtzeitig reformiert? Wie das ukrainische Gesundheitssystem mit der Covid-19-Pandemie zurechtkommt | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Gerade noch rechtzeitig reformiert? Wie das ukrainische Gesundheitssystem mit der Covid-19-Pandemie zurechtkommt

Tetiana Stepurko Pavlo Kovtoniuk Kyjiw) Kyjiw) Pavlo Kovtoniuk (Kyiv School of Economics Tetiana Stepurko (Nationale Universität Kyjiw-Mohyla-Akademie

/ 13 Minuten zu lesen

Die Reform des ukrainischen Gesundheitssystems von 2018 hat in der Corona-Pandemie für positive Effekt gesorgt. Trotzdem waren die politischen Maßnahmen gegen das Virus unzureichend.

Mitte März 2020, als die Ukraine in einen Lockdown ging, war der Reformprozess des Gesundheitswesens zwar im Gange, aber noch nicht hinreichend abgeschlossen. (© picture-alliance/dpa)

Zusammenfassung

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Ukraine im Gesundheitssektor keine gute Regierungsführung gezeigt. Die Covid-19-Pandemie hat zwar keine neuen Schwachstellen geschaffen, sondern verschärfte eher die bestehenden. Die Regierung hat es nicht vermocht, ein effektives System zum Testen und Rückverfolgen von Kontakten einzurichten; auch wurde eine nur recht schleppende Impfkampagne gestartet, während die dritte Welle der Pandemie langsam, aber sicher anrollt. Die Reform der Gesundheitsfinanzierung im Jahr 2018 hat jedoch einige Instrumente für mehr Transparenz und Verantwortlichkeit geschaffen. Das trug bereits erste Früchte und half dabei, eine bessere Antwort auf die Pandemie zu finden. Auch die wachsende Zivilgesellschaft in der Ukraine trug in den schwierigsten Phasen der Pandemie massiv zur Stützung des Gesundheitssystems bei.

Einleitung

Den Governance-Indikatoren der Weltbank (WGI) zufolge schneidet die Ukraine im Bereich "Regierungseffektivität" eher schlecht ab: der Wert liegt bei 40 von 100, gegenüber 73 in Polen und 93 in Deutschland. Bei der "Korruptionskontrolle" liegt der Wert in der Ukraine bei 26, während er in Polen 71 und in Deutschland 95 beträgt (siehe Grafik 1 auf S. 7). Mit Blick auf das vergangene Jahrzehnt kann die Ukraine in diesen Bereichen zwar Verbesserungen vorweisen (der Wert verdoppelte sich), doch gibt es aufgrund der politischen Veränderungen seit Sommer 2019 keine Anzeichen, dass das Land die positive Entwicklung beibehält.

Die Impfbereitschaft der Bevölkerung ist in den letzten Jahrzehnten eher schwach ausgeprägt gewesen, insbesondere seit Mitte der 2000er Jahre, als eine massive Anti-Impf-Kampagne die ukrainische Gesellschaft erfasste. Die Folge war, dass die Ukraine einige Ausbrüche von Krankheiten erlebte, unter anderem 2015 von Polio und 2018 der Masern (siehe Interner Link: Ukraine-Analysen 237). Die Impfskepsis hat angesichts des Schweigens des Gesundheitsministeriums weite Verbreitung gefunden, da die Bewegung zugunsten von Impfungen durch keinerlei Informationskampagnen oder andere Maßnahmen unterstützt wurde. Allerdings hat sich die Haltung der Ukrainer zum Impfen zuletzt wieder positiv verändert (siehe Grafik 2 auf S. 8) – internationale Organisationen und das Gesundheitsministerium haben Ressourcen, Aufmerksamkeit und Fachwissen eingesetzt, um diese Impflücken zu schließen.

Somit sah sich die Ukraine mit einer Reihe nicht aufgearbeiteter problematischer Bereiche im Gepäck der neuen Corona-Realität gegenüber. Dieser Beitrag zeichnet sowohl die vor der Corona-Pandemie erfolgten Veränderungen im Gesundheitssystem nach, die die Grundlage für die Reaktion auf Covid-19 bildeten, wie auch die zentralen Entscheidungen und Meilensteine des ersten Corona-Jahres und den Beginn der Impfkampagne gegen Covid-19.

Die Situation im Gesundheitssystem und Reformen vor der Corona-Pandemie

In den mehr als 25 Jahren seit der Unabhängigkeit führte die Ukraine die Traditionen des sowjetischen Gesundheitssystems fort. In der Verwaltung und dem Betrieb von medizinischen Einrichtungen wurden keine neuen und effizienten Ansätze verfolgt. Allerdings konnten nach dem Maidan sehr wichtige Durchbrüche erreicht werden (siehe Interner Link: Ukraine-Analysen Nr. 193). Insbesondere sind zwischen 2017 und 2019 einige radikal neue Vorschriften und Richtlinien eingeführt sowie neue Institutionen geschaffen worden. Im Laufe des ersten Pandemiejahres haben diese Institutionen ihre Bedeutung und ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt und bei den Notmaßnahmen eine erhebliche Rolle gespielt.

Erstens haben sich die Instrumente zur Finanzierung des Gesundheitssystems von Einzelposten-Budgets staatlich kontrollierter Institutionen zu einer leistungsbasierten Finanzierung autonomer Gesundheitseinrichtungen gewandelt (seit 2018 können sowohl private wie öffentliche Einrichtungen öffentliche Mittel erhalten). Der Nationale Gesundheitsdienst der Ukraine ist (wie der National Health Service im Vereinigten Königreich) zum einzigen Zahler geworden, der die Haushaltsmittel unter den Gesundheitsanbietern verteilt, und zwar auf Grundlage der erbrachten Dienstleistungen und nach dem Prinzip "eine Regel für alle".

Die neuen Finanzierungsprinzipien (also Pro-Kopf-Zahlungen) sind 2018 ursprünglich für die medizinische Grundversorgung eingeführt worden. In der Ukraine ansässige Personen erhielten das Recht, sich für Hausärzte ihrer Wahl zu entscheiden und eine Erklärung zu unterschreiben, die diese Wahl festschreibt. Dadurch erhalten die Anbieter vom Nationalen Gesundheitsdienst der Ukraine eine Finanzierung, die dem Prinzip "das Geld folgt dem Patienten" unterliegt. Das ermöglichte es einigen Einrichtungen, bessere Dienstleistungen anzubieten und sich strategisch weiterzuentwickeln. 2020 traten ähnliche Regelungen auch für Fachärzte und Krankenhausbehandlungen in Kraft.

Für viele Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, zu denen auch die Ukraine gehört, ist die Verbesserung der Ineffizienzen bei der Finanzierung des Gesundheitswesens eine vorrangige Aufgabe. Laut WHO-Daten hat die Ukraine 2018 pro Kopf rund 228 US-Dollar für das Gesundheitswesen ausgegeben, gegenüber Polen mit 979 US-Dollar und Deutschland mit einem sehr viel höheren Wert (5.472 US-Dollar; siehe Grafik 3 auf S. 9). Angesichts des hohen Anteils der Zahlungen, die privat aus der eigenen Tasche geleistet werden (in der Ukraine sind es 50 Prozent aller Ausgaben, während es in Polen 21 Prozent und in Deutschland 13 Prozent sind) und der erheblichen Auswirkungen auf die Verarmung der Patienten, werden diese Änderungen und die gestärkte Rolle der primären Gesundheitsversorgung als eine der tiefgreifendsten Verschiebungen im Gesundheitssystem der Ukraine seit der Unabhängigkeit betrachtet.

Zweitens stellten sich drastische Veränderungen bei der Beschaffung von Medikamenten durch die öffentliche Hand ein. Dieser Bereich des ukrainischen Gesundheitswesens ist wohl am stärksten von Korruption betroffen. Daher wurde 2015 als Notmaßnahme gegen die endemische Korruption das gesamte Beschaffungswesen an internationale Organisationen übergeben.

Nach dieser Transformationsphase von 2015 bis 2019, als internationale Agenturen im Auftrag der Ukraine die Medikamentenbeschaffung übernahmen, wurde diese in die Hände des neu geschaffenen staatlichen Unternehmens Medical procurement of Ukraine ("Medikamentenbeschaffung der Ukraine", MPU) übergeben, die mehr Transparenz in das Beschaffungswesen brachte.

Drittens wurde das "Zentrum für öffentliche Gesundheit" aufgebaut, das den Gesundheitsdienst sowjetischen Stils ablösen und modernere Ansätze für das Gesundheitswesen einführen sollte. Es wurde ein Wechsel von Kontrolle zu Monitoring festgeschrieben und es wurde ein Fokus auf gesundheitliche Aufklärung gelegt.

Es hat darüber hinaus weitere für die Entwicklung des Gesundheitswesens wichtige Veränderungen gegeben, die zum Beispiel die Dezentralisierung im Gesundheitssektor anstoßen und sicherstellen sollten; diese Entwicklungen wären allerdings in einem eigenen Beitrag zu beschreiben.

Mitte März 2020, als die Ukraine die ersten Corona-Fälle meldete und in einen Lockdown ging, war der Reformprozess zwar auf den Weg gebracht, aber noch nicht hinreichend abgeschlossen, um das System reaktionsschnell und nachhaltig funktionieren zu lassen.

Darüber hinaus wurde die Spitze des Gesundheitsministeriums im Laufe des Jahres 2020 drei Mal neu besetzt, was die Kontinuität in der Gesundheitspolitik nicht gerade erhöhte. Immerhin boten die neugeschaffenen Institutionen, wie noch zu zeigen sein wird, dem Land während der Corona-Krise eine relativ gute Grundlage, um auf Covid-19 reagieren zu können.

Die neue Corona-Realität

Die von der Regierung von März 2020 bis Februar 2021 beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 umfassten vor allem die Bereitstellung eines speziellen Corona-Fonds, die Verhängung, Ausgestaltung und Verlängerung des Lockdowns sowie die Organisation neuer Gesundheitsdienstleistungen für Patienten mit Corona-Symptomen. In Bezug auf die Frage, wie kohärent die Beschlüsse kommuniziert werden, inwieweit die neu entworfene Politik mit der Faktengrundlage abgeglichen wird und ob die effektivsten Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 (Tests und Rückverfolgung der Kontakte) ergriffen werden, sind weniger Anstrengungen unternommen worden.

Die Ukraine reagierte auf die Pandemie mit der rechtzeitigen Entscheidung, im März 2020 einen landesweiten Lockdown zu verhängen. Das half einen exponentiellen Anstieg der Fallzahlen und eine hohe Mortalität zu vermeiden, wie es in vielen europäischen Ländern im Frühjahr 2020 der Fall war. Nachdem die Beschränkungen im Mai aufgehoben wurden, stiegen die Ansteckungszahlen jedoch sofort an. Der Grund hierfür war, dass die Zeit während des ersten Lockdowns nicht zur Schaffung eines effizienten Test- und Rückverfolgungssystems genutzt worden war. Auch die Krankenhäuser wurden nicht auf die Pandemie vorbereitet.

In den ersten Monaten bestand das größte Versagen der Regierung wohl darin, dem medizinischen und Pflegepersonal in ausreichendem Maße die notwendige individuelle Schutzausrüstung bereitzustellen. Das Gesundheitsministerium versuchte, die transparenten Verfahren des staatlichen Beschaffungsunternehmens MPU zu umgehen und die Beschaffung selbst zu übernehmen. Dadurch traf die Ausrüstung zu spät ein und kostete den Haushalt viel mehr Geld. In dieser kritischen Phase wurden die individuellen Schutzausrüstungen in großer Anzahl von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen (z. B. der NGO "Patienten der Ukraine") organisiert, die auch für eine bessere Kommunikation mit den öffentlichen Einrichtungen sorgten.

Im April 2020 zog die Ukraine einen beträchtlichen Anteil der Haushalte für Bildung, Kultur und andere Bereiche ab und widmete die Mittel in einen gesonderten Haushaltsposten zur Bekämpfung von Covid-19 um. Allerdings ist nur ein kleiner Teil dieser Mittel im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung ausgegeben worden, etwa zur Bezahlung des medizinischen Personals, das "an vorderster Front" tätig ist (siehe Grafik 9 auf S. 13), oder zum Ankauf von Testsystemen oder medizinischer Ausrüstung. Ebenso wenig wurden diese Mittel eingesetzt, um Verträge über Impfstoffe abzuschließen. Der Großteil der Gelder bleibt ungenutzt oder wurde zum Einsatz für andere Zwecke umdefiniert, etwa für die Reparatur von Straßen oder für die Nationalpolizei. Dass rund die Hälfte des Budgets für den Straßenbau ausgegeben wurde, war nicht unumstritten und wurde damit begründet, dass diese Maßnahme die Wirtschaft ankurbelt, die Arbeitslosigkeit senkt und die Fahrzeit für die Krankenwagen reduziert, um Patienten zu erreichen.

Der neugeschaffene Nationale Gesundheitsdienst der Ukraine hingegen hat als Instrument zur zügigen Verteilung der Mittel seine Effizienz unter Beweis gestellt. Er unterhielt direkte Verträge mit den meisten medizinischen Einrichtungen im Land und konnte schnell Mittel an Corona-Krankenhäuser überweisen. Über das elektronische System des Dienstes erfolgten die notwendigen Rückmeldungen und der Informationsrücklauf aus den Krankenhäusern.

Zur Koordination der Epidemiebekämpfung auf staatlicher Ebene wurde eine Reihe Koordinierungsstäbe eingerichtet. Das hat jedoch nicht verhindern können, dass es den Maßnahmen und Beschlüssen an Effizienz, Konsistenz und Koordination mangelte. Im Kontext der Dezentralisierung erhielten die kommunalen Behörden mehr Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse. Deren Antworten auf die Epidemie fielen angesichts unzureichender Koordination und Führung auf der zentralstaatlichen Ebene sehr unterschiedlich aus; die Versorgung mit Sauerstoffgeräten und die Unterstützung durch Fachpersonal variierte stark von Region zu Region.

Das System zur Testung und Rückverfolgung wurde vernachlässigt und stellte sich als sehr schwach heraus (zum Vergleich: im benachbarten Polen wurde etwa doppelt so viel getestet, in Deutschland etwa dreimal so viel). Das führte dazu, dass die Regierung nicht rechtzeitig über die aktuelle Lage informiert wurde und auf die Folgen der Epidemie reagieren musste, anstatt vorbeugend aktiv zu werden.

Die Indikatoren, die zur Entscheidung für einen regionalen Lockdown führten, sind inkonsistent gewesen und spiegelten nicht immer die aktuelle epidemiologische Lage wider.

Zu Beginn der Maßnahmenkampagne gegen Covid-19 startete das Gesundheitsministerium als zuständiges Fachressort seine täglichen Presskonferenzen, auf denen die Fallzahlen, andere Statistiken und wichtige Beschlüsse bekanntgegeben wurden. Auf dem Höhepunkt der Inzidenzwerte im November 2020 berichtete das Gesundheitsministerium über täglich 16.000 Neuinfektionen bei erfolgten 40.000 Tests. Das entspricht einen Positivanteil von 25–30 Prozent (einen der weltweit höchsten Werte; der empfohlene Positivanteil, bei dem die Ansteckungen weitestgehend erfasst und somit unter Kontrolle gehalten werden können, liegt bei 5 Prozent). Das tatsächliche Ausmaß der Ansteckungen lag jedoch vermutlich höher, weshalb die Validität und Zuverlässigkeit der epidemiologischen Daten in Zweifel geraten sind. Durch die "Ferien-Quarantäne" zu Jahresbeginn 2021 sanken die Fallzahlen zwar auf täglich rund 4.000 Neuinfektionen, doch durch die anschließenden Lockerungen gingen die Zahlen Mitte März wieder in die Höhe (15.850 gemeldete Neuinfektionen am 19. März 2021), so dass die Ukraine wie andere Länder auch in der dritten Pandemiewelle ist (Grafik 1, S. 14).

Komplizierte klinische Richtlinien, die schlechte Infrastruktur des Gesundheitswesens und die langen Wartezeiten bei den Testergebnissen haben dazu geführt, dass die Menschen unwillig sind, sich in einer öffentlichen Einrichtung impfen zu lassen, oder aber leichter verfügbare private Labore wählen, bei denen die Kosten aus der eigenen Tasche beglichen werden müssen.

Anstelle von Investitionen in Tests und den Aufbau eines breiten Netzes von Testzentren, stützte sich das Gesundheitsministerium lange Zeit auf "mobile Teams", also Gruppen von medizinischem Personal, die über sämtliche notwendige Ausrüstung und Hilfsmittel zum Testen, zur Behandlung von Personen mit Covid-19 usw. verfügen. Gleichzeitig bleiben die Familien- oder Hausärzte – die im ersten Monat der Corona-Krise nur sehr begrenzte Ressourcen für ihre Dienste zur Verfügung hatten – die erste und wichtigste Anlaufstelle für Patienten. Dank der Veränderungen von 2018 haben die meisten Hausärzte mit einer Fernbetreuung ihrer Patienten begonnen (über den Chat- und Telefoniedienst Viber oder andere Kanäle). Die Patienten gehen somit nicht direkt zu verschiedenen Fachärzten, sondern haben einen vertrauenswürdigen ärztlichen Kontakt, der sie zur weiteren Behandlung überweist, empfiehlt, ob ein Krankenwagen vonnöten ist oder nicht, sie ins Krankenhaus einweist usw. Gleichwohl hätte die operative und administrative Unterstützung für die medizinischen Grundversorgung effizienter organisiert und letztere besser in die Bekämpfung von Covid-19 eingebunden werden können.

In der Gesellschaft konnten wir im März 2020 eine Stigmatisierung von Covid-19-Patienten beobachten. Die Nachrichten nahmen die negativen Reaktionen auf Stadtteile in den Blick, in denen Covid-19-Infektionen festgestellt wurden. Eine dringend benötigte staatliche Aufklärungs- und Informationspolitik fehlte entweder, kam zu spät, war nicht auf die Bedürfnisse der verschiedenen Zielgruppen abgestimmt oder widersprüchlich. Tägliche Pressekonferenzen des Ministers könnten als Informationsquelle sicherlich durch eine Website ersetzt werden. Auf den Presseterminen werden meist Zahlen genannt und Beschlüsse verkündet. Zielgerichtete Botschaften an bestimmte Bevölkerungsgruppen hingegen, die aktuelle Fragen aufgreifen oder neuesten Mythen begegnen würden, werden nicht kommuniziert. Die Kommunikation der Regierung war oft widersprüchlich, und es mangelte ihr an einem stimmigen Narrativ oder einer Strategie. So wurde beispielsweise über längere Zeit versucht zu vermitteln, dass die Schließung von Parks epidemiologisch notwendig sei; später wurde erklärte, dies sei des "psychologischen Effekts" wegen erfolgt. Es waren die Zivilgesellschaft, internationale Projekte für technische Hilfe und internationale Institutionen, mitunter in Zusammenarbeit mit Analysezentren, die mit umfassenden aktuellen Lageberichten das allgemeine Bewusstsein förderten.

Späte und schleppende Impfkampagne gegen Covid-19

Die Impfkampagne erinnerte hinsichtlich des schlechten Timings und der Ineffizienz der Regierung im Großen und Ganzen an die anderen Maßnahmen von 2020. So ist bis Ende 2020 nichts unternommen worden, um sich Verträge über Impfstofflieferungen zu sichern; das Gesundheitsministerium hatte MPU bis Mitte Dezember 2020 keinen Auftrag oder Vorgaben zur Impfstoffbeschaffung übermittelt. Erst im Dezember 2020, als die Mitgliedsstaaten der EU ihre Impfkampagne gestartet hatten, berichteten der Präsident, der Premierminister und andere hochrangige Vertreter des ukrainischen Staates der Öffentlichkeit von Verhandlungen mit globalen Impfstoffproduzenten. Im Februar 2021 wurden die ersten 500.000 Dosen des Impfstoffs Covishield von Oxford-AstraZeneca in die Ukraine geliefert, was angesichts der Gesamtbevölkerung von 42 Millionen eine eher bescheidene Menge darstellt. Mit Stand von Ende Februar 2021 und nach Angaben des Ministerkabinetts erwartet die Ukraine folgende Impfstofflieferungen noch in diesem Jahr: über 100.000 Dosen von Pfizer , rund 2 Mio. Dosen von Sinovac , knapp 4 Mio. Dosen von Astra-Zeneca (CoviShield ) und 15 Mio. Dosen von NovaVax. Das Gesundheitsministerium deutet an, dass viele Impfstoffe nicht vor der zweiten Hälfte 2021 verfügbar sein könnten.

Die Regierung hat die folgende Strategie zur Immunisierung der Bevölkerung verkündet: In der ersten Phase der Impfkampagne sollen Ärzte, die mit Covid-19-Patienten arbeiten, Krankenwagenbesatzungen, Laborangestellte, die auf Corona testen, Bewohner und Mitarbeiter von Pflegeheimen sowie Militärangehörige im Einsatz "an vorderster Front" geimpft werden. Angesichts der Impfskepsis in der Bevölkerung wurde zusätzlich eine neue Impfgruppe eingeführt ("öffentliche Person"), die mit der ersten Welle geimpft werden können, um die Impfbereitschaft in der Bevölkerung zu fördern (um Vertrauen zu schaffen war Präsident Selenskyj unter den ersten Ukrainern, die geimpft wurden). Verschiedenen Umfragen führender ukrainischer Meinungsforschungsinstitute zufolge sind zwischen 47 und 65 Prozent der Ukrainer gewillt sich impfen zu lassen.

Die erste Impfung in der Ukraine fand am 24. Februar 2021 statt. Mit Stand vom 14. März haben 53.155 Personen die erste Impfdosis erhalten. Allerdings müssten, um schnell eine Immunisierung der vorrangigen Bevölkerungsgruppen zu erreichen, rund 70.000 Dosen pro Tag verimpft werden. Beim gegenwärtigen Tempo sind es täglich rund 2.300.

Die Infrastruktur für die Impfungen stützt sich auf die erwähnten "mobilen Teams" (aus medizinischen Fachkräften), die die Dosen verimpfen. Sie sind vom Zentrum für öffentliche Gesundheit der Ukraine und internationalen Organisationen Ende Februar 2021 instruiert worden, als die Impfdosen in der Ukraine eintrafen.

Die durchschnittliche Zahl der verimpften Dosen pro 1.000.000 Einwohner liegt für die ersten 14 Tage der Impfkampagne in der Ukraine bei 56 Impfungen. Nach Albanien ist das der zweitniedrigste Wert in Europa; in Polen beträgt er 548 und in Deutschland 558.

Es war somit keine kluge Entscheidung der Regierung, auf mobile Teams zu setzen und nicht auf die medizinische Grundversorgung, bei der Impfpraxen verfügbar sind und somit die Reichweite größer wäre.

Jene Ukrainer, die nicht zur ersten Priorisierungsgruppe gehören, können sich über das Kontaktzentrum des Gesundheitsministeriums und seit dem 1. März über die Smartphone-App "Dija" für eine Impfung anmelden. Bis zum 7. März 2021 hatten so rund 155.000 Ukrainer ihre Impfbereitschaft bekundet und einen Platz auf der Warteliste erhalten. Die e-Government App "Dija" ist Teil des von Präsident Selenskyj forcierten Projektes "Der Staat im Smartphone" und bietet zahlreiche staatliche Dienstleistungen an und wird unter anderem bereits zur Überwachung der Selbstquarantäne eingesetzt.

Zwar gibt es somit die elektronische Warteliste bei "Dija" und jene beim Kontaktzentrum, doch werden bisher noch keine Impftermine vergeben. Die Regierung plant, bis Ende 2021 rund 16 Millionen Menschen zu impfen, doch bietet das derzeitige Impftempo keine realistische Grundlage für derlei Pläne und es wird wohl längere Zeit brauchen, bis wenigstens die Hälfte der Bevölkerung geimpft ist.

Während dieser Beitrag verfasst wurde, verkündete Israel seinen Sieg über Covid-19, der dank einer effizienten Impfkampagne erreicht wurde. Gleichzeitig weist die Ukraine in Europa eines der höchsten Niveaus von Personen auf, die aufgrund von Covid-19 hospitalisiert werden müssen. Es ist zu erwarten, dass die Ukraine länger unter Corona leiden wird als die meisten EU-Mitgliedsstaaten.

Fazit

Katastrophenszenarien im Gesundheitswesen und bei der Sterblichkeit konnten in der Ukraine bisher vermieden werden. Die Corona-Pandemie hat keine neuen Ineffizienzen geschaffen, aber die bestehenden verstärkt. Die Regierung hat es nicht vermocht, ein effizientes Test- und Rückverfolgungssystem zu errichten, das viele Ressourcen und Leben hätte bewahren können.

Andererseits haben die jüngsten Reformen (vor allem der Finanzierung) des Gesundheitssystems dazu beigetragen, dass eine bessere Reaktion auf die Pandemie organisiert werden konnte: Die primäre Gesundheitsversorgung wurde gestärkt und es sind transparentere und vertragsbasierte Beziehungen zwischen dem Staat und den medizinischen Einrichtungen institutionalisiert worden. Darüber hinaus unterstützt die Zivilgesellschaft in der Ukraine, die aus der Revolution der Würde gestärkt hervorging, die Bedürftigen, beispielsweise Ärzte mit Schutzausrüstungen oder Patienten mit Sauerstoff. Internationale Organisationen, Projekte und die Zivilgesellschaft haben die Kommunikation mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Fachgruppen wie Ärzten, bestimmten Patientengruppen oder dem Pflegepersonal verbessert.

Die Impfkampagne war weder gut vorbereitet noch nimmt sie wirklich Fahrt auf, und das, während die dritte Pandemie-Welle im März 2021 langsam, aber sicher einsetzt. Covid-19 wird die Ukraine somit noch länger beschäftigen – und die die langfristigen Folgen der Pandemie (etwa im Bildungswesen) werden erst in Jahren oder Jahrzehnten sichtbar sein und bedürfen der eingehenden Erforschung.

Übersetzung aus dem Englischen von Hartmut Schröder

Bibliografie

Holt, E.: The alliance for public health, Ukraine, in: The Lancet HIV , 5. 2018, Nr. 6, e276
Wadman, M.: Measles epidemic in Ukraine drove troubling European year, in: Science, 363.2019, Nr. 6428, 15. Februar 2019, S. 677–678, DOI: 10.1126/science.363.6428.677

Fussnoten

Dr. Tetiana Stepurko ist Associate Professor an der Nationalen Universität Kyjiw-Mohyla-Akademie. Sie ist außerdem Projektleiterin des schweizerisch-ukrainischen Projekts "Medical education development", das vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut betrieben wird. Ihre Forschungsschwerpunkte sind informelle Zahlungen im Gesundheitssektor, medizinische Bildung und Gesundheitsdienstleistungen. Zuletzt erschien von ihr Levenets, O.; T. Stepurko, M. Pavlova, W. Groot: Coping mechanisms of Ukrainian patients: bribes, gifts, donations, and connections, in: Governance Beyond the Law: The Immoral, The Illegal, The Criminal, 2019, S. 125–143.

Pavlo Kovtoniuk hält einen Magister in Gesundheitsmanagement und leitet das Zentrum für Gesundheitsökonomie der Kyiv School of Economics (KSE). Zuvor war er stellvertretender Gesundheitsminister der Ukraine (2016 – 2019) und Berater der WHO (2019 – 2020).