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Kommentar: Selenskyj symbolisiert die Krise der politischen Repräsentation | Ukraine-Analysen | bpb.de

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März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? 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Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? 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Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. 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Kommentar: Selenskyj symbolisiert die Krise der politischen Repräsentation

Dr. Wolodymyr Ischtschenko Von Wolodymyr Ischtschenko (Technische Universität Dresden)

/ 4 Minuten zu lesen

Die postsowjetischen Eliten haben es nicht geschafft, ein schlüssiges Projekt zur Entwicklung der Ukraine vorzulegen. Selenskyjs Erfolg war ein Symptom dieser Krise der politischen Repräsentation.

Selenskyj konnte bisher die Krise der politischen Präsentation nicht lösen, sondern er geriet schnell in die gleiche verfahrene Position wie sein Vorgänger Poroschenko. (© picture-alliance/dpa, TASS | Arkhip Vereshchagin)

Der erdrutschartige Sieg des politisch unerfahrenen Comedian Wolodymyr Selenskyj im Jahr 2019 war eine Antwort auf die postsowjetische Krise der politischen Repräsentation, die der Euromaidan-Aufstand 2014 zugespitzt hatte. Der Maidan konnte diese Krise allerdings nicht lösen, sondern reproduzierte und verstärkte sie noch.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die postsowjetischen Eliten eine tiefe Krise der politischen Repräsentation durchlitten und es nicht geschafft, ein schlüssiges Projekt zur Entwicklung der Ukraine zu formulieren und auf den Weg zu bringen. Stattdessen stellten sie ihre jeweiligen Partikularinteressen als Gesamtinteressen des Landes dar und mobilisierten die aktive Einwilligung in ihr Regieren. Symptome der Krise waren ein massives Misstrauen gegenüber Staat und regierender Klasse, die als korrupt empfunden wurden, die Ablehnung der formulierten Ideologien und der politischen Institutionen, die Verbreitung populistischer Diskurse und Mobilisierungen, kombiniert mit einem geringen Maß an Partizipation in politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

In vielen postsowjetischen Staaten konservierten autoritäre bonapartistische Führungsfiguren wie Putin oder Lukaschenka die Krise der Repräsentation. In einer demnächst erscheinenden Veröffentlichung mit Oleg Zhuravlev zeigen wir, inwiefern die multiplen, beschleunigten und eskalierenden ukrainischen Maidan-Revolutionen eine weitere Pseudolösung derselben Krise darstellten. Diese massive eigenständige und dabei nur lose strukturierte Mobilisierung war eine Antwort auf die Krise der Repräsentation – und reproduzierte und verstärkte genau diese Krise. Besonders im Rahmen des letzten, längsten und gewaltsamsten Euromaidan-Aufstands von 2014 wurde die nationale Einheit ausgerufen, womit die berüchtigte "Ost-West-Spaltung" der ukrainischen Gesellschaft angeblich überwunden war. Dass die legitimen Unterschiede innerhalb der ukrainischen Nation allerdings weder anerkannt noch thematisiert wurden, befremdete die vielen Ukrainer, die dem Euromaidan ohnehin skeptisch gegenüberstanden.

Der Euromaidan beflügelte die Hoffnungen auf eine "revolutionäre" Transformation; tatsächlich kamen die Interessen und Wünsche der verschiedenen sozialen Gruppen innerhalb der ukrainischen Gesellschaft, die durch die Revolution realisiert werden sollten, nicht einmal zur Sprache. Stattdessen verstärkte sich das Gegenüber von schwacher Zivilgesellschaft und geschwächtem ukrainischen Staat weiter. Letzterer bekam mehr Ressourcen und Möglichkeiten, um seine nationalistisch-neoliberale Agenda voranzutreiben, und agierte damit fern der Hoffnungen der meisten Ukrainer. Letztlich wurde die "korrupte" oligarchische zugunsten einer "authentischen" Politik der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung zurückgewiesen. Diese etablierte jedoch keine politische Alternative, sondern blieb darauf beschränkt, die politische Repräsentation als solche abzulehnen. Das ist auch der Grund, warum sich nach dem Sturz des oligarchischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch mit Petro Poroschenko ein konkurrierender Oligarch das revolutionäre Erbe aneignete.

Ziemlich schnell geriet Poroschenko in eine Falle: Zwischen den schlecht artikulierten und schlecht organisierten Erwartungen auf soziale Veränderungen einerseits und der gut artikulierten, aber meist unpopulären neoliberal-nationalistischen Agenda einer gestärkten und zunehmend geschickter agierenden Zivilgesellschaft andererseits. Die antirussische Rhetorik und immer radikalere politische Maßnahmen entlang der spaltenden "Ost-West"-Thematik (Sprache, Religion Erinnerungspolitik) kompensierten den mangelnden sozialen Fortschritt und fehlende Dringlichkeit bei den "Antikorruptions"-Reformen, die den Interessen Poroschenkos und seiner Geschäftspartner zuwiderlaufen könnten. Poroschenko hatte zu Beginn des Wahlkampfs kaum eine andere Wahl, als weiter auf die spaltende Devise "Armee! Sprache! Glaube!" zu setzen, mit der er sich letzten Endes selbst absägte.

Selenskyjs Erfolg war ein formvollendetes Symptom der besagten Krise der politischen Repräsentation. Zu seinem Sieg verhalf ihm nicht die Kraft, die der vage Reiz des "neuen Gesichts" ausübte, sondern das extreme Misstrauen gegenüber den "alten" Eliten. Die Abstimmung für Selenskyj brachte diejenigen, die enttäuscht über das Ausbleiben sozialer Fortschritte nach dem Euromaidan waren, mit denen zusammen, die der zunehmende radikalisierte Nationalismus befremdete. Selenskyjs atemberaubende 73 Prozent starke Wahlkoalition war deutlich "einender" als der Euromaidan mit seinem Überbügeln der politischen Spaltungen in der Ukraine – als eigenständige politische Kraft war die Koalition jedoch umso fragiler und schwächer.

Ohne eine echte Partei, eine Bewegung oder auch nur ein funktionierendes Team mit einem klaren Plan ließ Selenskyj den politischen Moment von 2019 ungenutzt vorüberziehen. Stattdessen geriet er schnell in Poroschenkos Falle, eingezwängt zwischen die mächtigen Interessen der ukrainischen Politik: verschiedener oligarchischer "Clans", der westlichen Partner und der nationalistischen Zivilgesellschaft. Selenskyjs Rhetorik zur Überwindung der Spaltung blieb vage und wurde weder institutionell verankert noch über politische Maßnahmen im Sinne einer inklusiven Nationalstaatsbildung realisiert. Er ist noch immer der beliebteste Politiker des Landes, hat allerdings viel Vertrauen und Unterstützung bei den Wählern verloren, während oppositionelle Anti-Maidan-Parteien erfolgreich die "schweigende Mehrheit" ansprechen, die von der "aggressiven Minderheit" nicht vertreten werde.

Selenskyj ist nicht in der Lage, die Abhängigkeit der Ukraine vom Ausland zu beenden und die unpopuläre Agenda seines Vorgängers und der Zivilgesellschaft zu überwinden, und kompensiert die von den Interessen seiner oligarchischen Verbündeten verursachten Widersprüche ähnlich wie Poroschenko: durch symbolpolitische antirussische Züge und Unterdrückung der Opposition. Im Zuge dieser politischen Spiele bleiben die Erwartungen der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung auf sozialen Fortschritt unerfüllt. Die Krise der politischen Repräsentation entwickelt sich weiter – mitsamt ihrer tödlichen Gefahren in einem wirtschaftlich und geopolitisch so fragilen Land.

Aus dem Englischen von Sophie Hellgardt

Fussnoten

Dr. Wolodymyr Ischtschenko ist Postdoc am Institut für Slawistik der Technischen Universität Dresden. Seine Forschungsschwerpunkte sind Proteste und soziale Bewegungen, Nationalismus und Zivilgesellschaft. Aktuell arbeitet er an einer Monographie mit dem Titel "Der Maidan Aufstand: Mobilisierung, Radikalisierung und Revolution in der Ukraine, 2013–14".