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Analyse: Strategischer Wandel im ukrainischen Geflügelsektor: Vom Nettoimporteur zum Nettoexporteur | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Strategischer Wandel im ukrainischen Geflügelsektor: Vom Nettoimporteur zum Nettoexporteur Ukraine-Analysen Nr. 259

Olga Polonska Oleksandr Perekhozhuk Halle (Saale)) Von Olga Polonska und Oleksandr Perekhozhuk (beide Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien – IAMO

/ 11 Minuten zu lesen

Die Geflügelwirtschaft der Ukraine ist äußerst rentabel. Einheimischer Futtermittelanbau, niedrige Arbeitskosten und der direkte Hafenzugang sorgen für einen Wettbewerbsvorteil auf dem internationalen Markt.

Hühner in einem Stall in Nyschne Selyschtsche im Westen der Ukraine. (© picture-alliance, Serhii Hudak )

Zusammenfassung

Mit Beginn der wirtschaftlichen Transformation in den 1990er Jahren ist die Produktion in der ukrainischen Fleischindustrie stark zurückgegangen. Dies hatte zur Folge, dass die Ukraine noch bis Anfang 2010 ein Nettoimporteur von Fleisch und Fleischerzeugnissen einschließlich Geflügelfleisch blieb. Der einzige Bereich in der tierischen Veredelungswirtschaft, der den drastischen Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaft überwinden und im letzten Jahrzehnt sogar ein exportorientiertes Wachstum verzeichnen konnte, ist die Geflügelwirtschaft. Damit stimuliert die Geflügelbranche gegenwärtig nicht nur die Entwicklung des ukrainischen Agrar- und Ernährungssektors, sondern auch der gesamten nationalen Wirtschaft. Eine Reihe von Faktoren sind dabei von Bedeutung: Zum einen ist der Geflügelsektor wichtig für die nationale Ernährungssicherheit, da Geflügelfleischprodukte insbesondere für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen die Hauptquelle für tierisches Eiweiß sind. Zum anderen verfügt der Sektor über eine hohe Exportkapazität mit entsprechenden Deviseneinnahmen und hat dank der ausreichenden Verfügbarkeit von einheimischem Getreidefutter (wie etwa Mais und Sojabohnen) einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der ausländischen Konkurrenz. Darüber hinaus bieten die im Vergleich zur Europäischen Union (EU) oder USA niedrigeren Arbeits-, Material- und Transportkosten zusätzliche Kostenvorteile. Gleichzeitig ermöglicht der gute Zugang zu internationalen Häfen am Schwarzen und Asowschen Meer Aussichten auf weitere Expansion.

Aufstieg in die TOP-10 der weltweit größten Geflügelfleischexporteure

Trotz vorübergehender Einbrüche infolge der weltweiten COVID-19-Pandemie und des Ausbruchs der hochpathogenen aviären Influenza (HPAI) – besser bekannt als Geflügelpest, umgangssprachlich auch als "Vogelgrippe" bezeichnet – zählt die Ukraine seit 2020 zu den zehn größten Geflügelfleischexporteuren der Welt. Nach den Angaben der internationalen Handelsdatenbank der Vereinten Nationen (UN Comtrade) exportierte die Ukraine 2020 insgesamt 433.500 Tonnen "Geflügelfleisch und genießbare Schlachtnebenerzeugnisse von Hausgeflügel" (klassifiziert unter dem HS-Code 0207) – im Weiteren kurz Geflügelfleisch genannt – im Wert von rund 558 Millionen US-Dollar (Grafiken 1a und 1b auf Seite 12/13 im Zahlenteil am Ende dieses Beitrags). Dies entspricht einem Anteil von 2,4 Prozent an den weltweiten Geflügelfleischexporten (Tabellen 1a und 1b auf Seite 13/14) und rund 1,2 Prozent an den gesamten Warenausfuhren des Landes. Damit erreichte die Ukraine den 9. Platz auf der Weltrangliste und zählte so im Jahr 2000 zu den TOP-10 der weltweit größten Geflügelfleischexporteure. Zu dieser TOP-10 Gruppe gehören auch fünf Länder aus der Europäischen Union (Polen, Niederlande, Deutschland, Belgien, Frankreich) sowie Brasilien, USA, Thailand und China.

Zunehmende Konzentration versus Wettbewerb auf dem Weltexportmarkt

Gleichzeitig verdeutlichen Tabelle 1a und 1b die zunehmende Konzentration auf dem internationalen Geflügelfleischexportmarkt. Allein in den letzten fünf Jahren stieg der Exportanteil der TOP-10 Exportnationen von 78 Prozent auf insgesamt 82 Prozent. Brasilien und die USA, mit Exportanteilen von knapp 24 Prozent bzw. rund 16 Prozent, sind hier die zentralen Akteure. Mit Blick auf Europa zeigen sich unterschiedliche Marktkonstellationen. Die Geflügelfleischexporte Polens und der Niederlande liegen deutlich über denen ihrer Nachbarstaaten. Damit sind diese beiden Länder die führenden Geflügelfleischexporteure Europas. Im Jahr 2020 erzielten die Geflügelfleischexporte der beiden Länder zusammen einen Wert von rund 5,2 Milliarden US-Dollar, also fast so viel wie der Weltmarktführer Brasilien oder wie Deutschland, Belgien, Frankreich zusammen bzw. fast zehnmal mehr als die Ukraine.

Dreißigfacher Zuwachs in der industriellen Geflügelfleischerzeugung

Traditionell halten ländliche Haushalte in der Ukraine Geflügel. In den ersten Jahren der wirtschaftlichen Transformation wurde Geflügelfleisch hauptsächlich von ländlichen Privathaushalten für den Eigenbedarf produziert. Damals wie heute werden geringe Mengen auf den naheliegenden städtischen Märkten angeboten. Nach Angaben des Staatlichen Statistikdienstes der Ukraine wurden im Jahr 2000 von den privaten Haushalten etwa 157.000 Tonnen Geflügelfleisch erzeugt, was zu diesem Zeitpunkt mehr als 81 Prozent der gesamten inländischen Produktion ausmachte (Grafik 2 auf Seite 14). Obwohl die Geflügelfleischerzeugung der ländlichen Privathaushalte in den letzten zwanzig Jahren sogar leicht anstieg, verringerte sich ihr Anteil an der Gesamtproduktion deutlich und sank auf rund 12 Prozent im Jahr 2020. Damit macht die Haushaltsproduktion zwar nach wie vor einen relativ großen Teil der Gesamterzeugung aus, aber sie konkurriert nicht mit der industriellen Geflügelproduktion, da sie ganz überwiegend Subsistenzzwecken dient. Parallel dazu gewann die industrielle Produktion stark an Bedeutung: Wurden im Jahr 2000 knapp 36.000 Tonnen bzw. knapp 19 Prozent der gesamten inländischen Produktion durch Agrarunternehmen erzeugt, so stieg dieser Anteil kontinuierlich und erreichte 2020 mit 1,2 Millionen Tonnen einen Produktionsanteil von knapp 88 Prozent. Das entspricht einem dreißigfachen Zuwachs innerhalb von 20 Jahren.

Aufgrund des Bevölkerungsrückgangs und nur langsam wachsender Einkommen ist der Geflügelfleischverbrauch in der Ukraine nicht annähernd so stark gewachsen wie die dortige Produktion. Daher hat der Geflügelsektor seinen Absatz vor allem auf den Export ausgerichtet. Dank der ausreichenden Versorgung mit heimischem Futtergetreide sowie des guten Zugangs zu den internationalen Häfen am Schwarzen und Asowschen Meer haben die ukrainischen Geflügelfleischerzeuger deutliche Kostenvorteile gegenüber ihren Konkurrenten in Frankreich, Deutschland, aber auch Polen. Darüber hinaus sind die ukrainischen Geflügelerzeuger durch wirksame Lobbyarbeit und umfangreiche staatliche Unterstützung zu wettbewerbsfähigen Akteuren auf dem internationalen Markt geworden und haben ihre Exporte im Zeitraum von 2014 bis 2020 erfolgreich in mehr als 80 Zielländer ausgeweitet.

Nahezu monopolistische Marktstruktur in der ukrainischen Geflügelwirtschaft

Die am häufigsten kommerziell erzeugte Geflügelfleischart in der Ukraine ist Hühnerfleisch. Dies macht etwa 90 Prozent der Geflügelfleischproduktion aus, während sich der Rest auf die Herstellung von Puten-, Enten- und Gänsefleisch verteilt. In der Ukraine wird Hühnerfleisch in der Haltungsform der Masthähnchenproduktion, besser bekannt als Broilerproduktion, hauptsächlich von großen, vertikal integrierten Unternehmen produziert. Solche Unternehmen werden oft als Agrarholdings bezeichnet. Agrarholdings im Geflügelbereich bauen in der Regel Getreide sowie Ölsaaten zur Futtermittelproduktion selbst an und verfügen über eigene Zuchttierbestände, Futtermühlen, Schlachthöfe, Verarbeitungsbetriebe, Produktmarken und Vertriebskanäle.

Der ukrainische Geflügelfleischsektor ist sehr stark konzentriert und hat eine nahezu monopolistische Marktstruktur, die von einem Großunternehmen beherrscht wird – der Agrarholding Mironivsky Hliboproduct (MHP). Nach Konzernangaben verfügt MHP über sechzehn Produktionsstätten in der Ukraine und hat weitere Produktionsanlagen in den Niederlanden, Slowenien und der Slowakei. Die größte Geflügelfarm des Konzerns liegt im Oblast Winnyzja. Sie ist eine der größten industriellen Anlagen zur Geflügelproduktion in Europa. 2020 wurden dort nach Angaben von MHP 23 Millionen Stück Geflügel gehalten. Vergleicht man die Kennzahlen von MHP mit den Statistiken des Staatlichen Statistikdiensts der Ukraine und der UN Comtrade Datenbank wird deutlich, dass MHP in der Ukraine einen Marktanteil von über 60 Prozent hat und für etwa 90 Prozent aller Geflügelfleischexporte des Landes verantwortlich ist.

Das Unternehmen Agromars Complex war lange der zweitgrößte Geflügelfleischproduzent in der Ukraine, mit einem geschätzten Marktanteil von etwa 9 Prozent. Allerdings wurde die Produktion Anfang 2021 eingestellt und einige Monate später das Insolvenzverfahren eingeleitet. Die übrigen fünf mittelgroßen industriellen Geflügelfleischproduzenten haben zusammen einen Marktanteil von etwa 20 Prozent. Sie sind hauptsächlich auf inländischen regionalen Märkten aktiv, betreiben Nischenproduktion und exportieren nur in geringem Umfang.

Der hohe Konzentrationsgrad der Branche erhöht das Risiko monopolistischen Marktmissbrauchs auf dem Inlandsmarkt für Geflügelfleisch. Das Antimonopolkomitee der Ukraine (AMCU) hat 2019 eine Reihe von Untersuchungen zum Missbrauch von Marktmacht eingeleitet, um zu überprüfen, ob die branchenführenden Unternehmen im Geflügelsektor die Gesetze zum Wettbewerbsschutz einhalten. Die Untersuchungen sind bis heute noch nicht vollständig abgeschlossen. In einigen Fällen erwiesen sich die Vorwürfe wettbewerbswidrigen Verhaltens als nicht gerechtfertigt. Dennoch äußerte das AMCU grundsätzliche Bedenken hinsichtlich eines möglichen Wettbewerbsmissbrauchs. Der größte Geflügelfleischproduzent wurde vom AMCU jedoch angewiesen, keine Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem erheblichen Rückgang der Geflügelfleischproduktion oder des Absatzes auf dem heimischen Hühnerfleischmarkt führen könnten.

Wachsende Bedeutung von Europa und Westasien als Handelspartner

Das wichtigste Absatzgebiet der Ukraine im Geflügelfleischhandel ist insbesondere seit 2014 die Region Westasien. Hierhin gingen 2020 wertmäßig rund 46 Prozent der ukrainischen Geflügelfleischexporte. Die achtundzwanzig Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Großbritannien (EU-28) sind die zweitgrößte Handelsregion mit einem wertmäßigen Exportanteil von 23 Prozent im Jahr 2020. Die Länder Afrikas und die fünf Mitgliedstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) (Armenien, Kasachstan, Kirgisistan, Russland und Belarus) gehören mit jeweils 12 Prozent wertmäßigen Exportanteil zu den drittgrößten Partnerregionen der Ukraine im Geflügelexporthandel. Der wertmäßige Exportanteil in andere europäische Länder, die nicht der EU oder der EAWU angehören, beträgt knapp 3 Prozent. Die Länder Südost- und Zentralasiens (ohne Westasien) und Ozeaniens haben zusammen einen Anteil von knapp 4 Prozent (Grafik 3b auf Seite 15).

Nachdem im Zuge der politischen und ökonomischen Umwälzungsprozesse der Zugang zum Weltmarkt offenstand, wurden die meisten ukrainischen Geflügelfleischexporte aufgrund der geografischen Nähe, ähnlicher Ernährungsgewohnheiten und bestimmter Handelspräferenzen der damaligen Partnerländer zunächst noch insbesondere in die Länder der ehemaligen Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (EAWG) und der heutigen Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) geliefert. Bis 2012 wurden mehr als 70 Prozent der Exporterlöse im Geflügelfleischbereich in der Russischen Föderation, Moldawien und Kasachstan erzielt. Diese Märkte gingen den ukrainischen Erzeugern allerdings 2014 nach der Einführung der gegenseitigen Handelsbeschränkungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation teilweise verloren. Wie oben dargestellt, wurde dieser Verlust jedoch rasch durch den Anstieg der Handelsströme in andere Zielregionen (Westasien, EU-28, Afrika, EAWU) mehr als ausgeglichen (Grafik 3a und Grafik 3b auf Seite 15). In der Zwischenzeit haben die ukrainischen Geflügelfleischerzeuger auch die sogenannten "Halal-Standards" in der Hühnerfleischproduktion eingeführt, um die Ausfuhren in westasiatische Länder und hier speziell in den Nahen Osten auszuweiten. So ist Saudi-Arabien 2020 zum wichtigsten Exportziel geworden, wobei die Vereinigten Arabischen Emirate als Vertriebszentrum dienen.

Freihandelsabkommen eröffnet neue Chancen und Märkte

Infolge der Handelsliberalisierung im Rahmen der vertieften und umfassenden Freihandelszone (Deep and Comprehensive Free Trade Area, DCFTA) zwischen der EU und der Ukraine ist die Ausfuhr von ukrainischem Geflügelfleisch in die EU enorm gestiegen. Trotz der Verlangsamung der weltweiten Entwicklung der Branche und der Handelsbeschränkungen aufgrund der eingangs erwähnten HPAI-Ausbrüche im Jahr 2020, erreichte das Gesamthandelsvolumen der Ukraine in die EU 77.400 Tonnen mit einem Wert von rund 128 Millionen US-Dollar, verglichen mit 16.900 Tonnen mit einem Wert von knapp 52 Millionen US-Dollar im Jahr 2014 (Grafik 4a und Grafik 4b auf Seite 16). Während die wertmäßige Handelsbilanz der Ukraine mit den EU-Ländern positiv ist (Grafik 4b), bleibt die mengenmäßige Handelsbilanz negativ (Grafik 4a). Diese Handelsbilanz mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, da daraus ja deutlich wird, dass die Ukraine vergleichsweise weniger Produkte zu einem höheren Preis ausfährt. Dies lässt sich allerdings bei Betrachtung der Produktgruppen erklären: Die Ukraine exportiert insbesondere hochwertige Teile wie Hühnerbrust ohne Knochen und Filetsteaks in die EU und importiert vor allem billigere Geflügelprodukte wie Innereien und Teile mit Knochen aus der EU.

Seit Abschluss des DCFTA exportierte die Ukraine bis Ende 2020 in die EU Geflügelfleisch im Wert von rund 877 Millionen US-Dollar. Einer der wichtigsten EU-Handelspartner sind die Niederlande. Im Zeitraum von 2014 bis 2020 belief sich der Gesamtwert der ukrainischen Geflügelfleischexporte in die Niederlande auf 498 Millionen US-Dollar. Das sind finanziell betrachtet rund 57 Prozent der gesamten ukrainischen Geflügelfleischausfuhren. Im selben Betrachtungszeitraum sind die Slowakei und Deutschland die zweit- bzw. drittgrößten EU-Handelspartner für die Ukraine. Die Ausfuhren haben hier einen Gesamtwert von knapp 163 bzw. 104 Millionen US-Dollar, was einem wertmäßigen Exportanteil von rund 18 bzw. knapp 12 Prozent entspricht (Grafik 5a und Grafik 5b auf Seite 17).

Auch für die EU-Länder war und bleibt die Ukraine ein fester Abnehmer für Geflügelfleisch. Die EU-Länder lieferten von 2014 bis 2020 gut 684.000 Tonnen Geflügelfleisch im Wert von 315 Millionen US-Dollar in die Ukraine. Dabei stammt mehr als die Hälfte – genaugenommen 57 Prozent (entspricht rund 180 Millionen US-Dollar) – aus Polen. Deutschland ist mit Abstand der zweitgrößte EU-Handelspartner und belieferte in diesem Zeitraum die Ukraine mit 117.300 Tonnen Geflügelfleisch im Wert von 57 Millionen US-Dollar. Das macht einen Anteil von etwa 18 Prozent an den europäischen Exporten in diesem Bereich aus. Darauf folgt Ungarn mit einem Exportanteil von 9 Prozent. Das entspricht knapp 61.000 Tonnen Geflügelfleisch im Wert von rund 28 Millionen US-Dollar (Grafik 6a und Grafik 6b auf Seite 18).

Handlungsfelder im Bereich Umweltschutz und Tierwohl

Seitdem der Export in die EU zugenommen hat, haben einige europäische Medien wie The Guardian (2018) oder Politico (2018) und Nichtregierungsorganisationen wie Eurogroup for Animals (2019) und CEE Bankwatch Network (2018) begonnen, die ukrainischen Geflügelfleischproduzenten wegen unzureichender Umwelt- und Tierschutzstandards zu kritisieren. Der größte Produzent musste nach einer solchen Beschwerde in den Jahren 2018 und 2019 seinen Darlehensantrag bei internationalen Finanzierungsorganisationen zurückziehen und nach anderen Finanzierungsquellen für seine Projekte in der EU suchen. Dennoch haben führende Unternehmen der Branche kontinuierlich verschiedene Produktionsstandards und Zertifizierungen (z. B. GlobalGAP, International Sustainability and Carbon Certification (ISCC), Halal-Standards) eingeführt. Damit soll den gestiegenen Verbraucheranforderungen insbesondere in den Exportländern Rechnung getragen werden.

Zusätzlich hat die Ukraine im Rahmen der Umsetzung des DCFTA-Abkommens zahlreiche nationale Standards im Agrar-, Lebensmittelproduktions- und Umweltbereich an das europäische Regelwerk angeglichen. Mehr als fünf Jahre nach der Implementierung des DCFTA ist nun auch in der Ukraine im März 2021 das Gesetz № 1206-IX "Über die Veterinärmedizin" in Kraft getreten. Dieses ist ein Eckpfeiler für die Angleichung der ukrainischen Gesetzgebung im Bereich der Veterinärmedizin und des Tierschutzes an die einschlägigen Rechtsvorschriften der Europäischen Union. Einige Artikel dieses Gesetzes treten allerdings erst am 21. März 2023 in Kraft, zusammen mit weiteren 14 Gesetzesänderungen, einschließlich des Gesetzes der Ukraine vom 21.12.2017 № 2264-VIII "Über Sicherheit und Hygiene von Futtermitteln", des Gesetzes der Ukraine vom 18.05.2017 № 2042-VIII "Über die staatliche Kontrolle der Einhaltung der Rechtsvorschriften über Lebensmittel, Futtermittel, Nebenprodukte tierischen Ursprungs, Veterinärmedizin und Tierschutz", des Gesetzes der Ukraine vom 07. April 2015 № 287-VIII "Über Nebenprodukte tierischen Ursprungs, die nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt sind", des Gesetzes der Ukraine vom 21.02.2006 № 3447-IV "Über den Schutz von Tieren vor grausamer Behandlung", sowie des Gesetzes der Ukraine vom 23.12.1997 № 771/97-VR "Über die Grundprinzipien und Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit und -qualität".

Fazit

In den letzten 25 Jahren hat sich der ukrainische Geflügelsektor nicht nur von dem drastischen Produktionsrückgang erholt, der durch den Zusammenbruch des Wirtschaftssystems in den 1990er Jahren verursacht wurde, sondern hat sich auch in eine hoch entwickelte Geflügelindustrie verwandelt, die erfolgreich weltweit expandiert. Das Wachstum der ukrainischen Geflügelfleischproduktion wurde durch eine Reihe von Faktoren begünstigt. Dazu gehören etwa der Anstieg der weltweiten und inländischen Nachfrage, die Intensivierung des Sektors infolge technologischer Fortschritte sowie eine wirksame Lobbyarbeit und die Unterstützung durch die ukrainische Regierung. In den Jahren 2020 und 2021 hatten die ukrainischen Geflügelfleischproduzenten wie die meisten ihrer weltweiten Konkurrenten mit Einbußen durch die COVID-19-Pandemie zu kämpfen. Erschwerend wirkten dann auch noch die HPAI-Ausbrüche. Doch die branchenführenden Großunternehmen konnten diese negativen Einflüsse inzwischen abfedern.

Es ist anzunehmen, dass sich die in diesem Beitrag vorgestellten Entwicklungstrends bei der Produktion und beim Export von Geflügelfleisch auch zukünftig fortsetzten werden. Begünstigend wirken hier zum einen die Kostenvorteile, die sich aus dem reichlichen Angebot an kostengünstigen heimischen Futtermitteln und den relativ niedrigen Arbeits- und Transportkosten ergeben, und zum anderen die gute geografische Lage und Infrastruktur mit direktem Zugang zu den Weltabsatzmärkten. Gleichzeitig ist der ukrainische Geflügelfleischmarkt durch eine nahezu monopolistische Angebotsstruktur gekennzeichnet, die von einem Geflügelproduzenten dominiert wird, der allein mehr als 60 Prozent des Marktes kontrolliert. Neben dem größten Unternehmen gibt es nur sehr wenige deutlich kleine­re relevante Wettbewerber.

Lesetipps

Fussnoten

Weitere Inhalte

Olga Polonska ist Doktorandin in der Abteilung Agrarmärkte, Agrarvermarktung und Weltagrarhandel am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Halle (Saale). Ihre Doktorarbeit und Forschung beschäftigt sich mit der empirischen Untersuchung von Determinanten und Einflussfaktoren der Marktstruktur auf das Marktverhalten und die Preisbildung in der ukrainischen Geflügelfleischindustrie.

Dr. Oleksandr Perekhozhuk ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Agrarmärkte, Agrarvermarktung und Weltagrarhandel und Projektleiter des Pilotprojektes zur nachhaltigen Internationalisierung ukrainischer Forschungsstrukturen im Kontext der Globalisierung der ukrainischen Ernährungswirtschaft (UaFoodTrade) am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Halle (Saale). Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Industrieökonomik (IO) und der Neuen Empirischen Industrieökonomik (NEIO), Marktstruktur und Preisbildung, Markt- und Unternehmenskonzentration, Handels- und Wettbewerbspolitik, Liefer- und Wertschöpfungsketten, Marktmacht und Marktmachtmessung, Wachstum und Wohlfahrt.