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Analyse: Wohnraum und Krieg in der Ukraine | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Wohnraum und Krieg in der Ukraine Ukraine-Analyse Nr. 271

Alona Liasheva Lwiw) Von Alona Liasheva (Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen

/ 9 Minuten zu lesen

Die russische Invasion hat durch die Zerstörung hunderttausender Wohnungen und einer massiven Migrationswelle die bestehende Wohnraumkrise in der Ukraine noch weiter verschärft.

Ein Kind schaukelt vor einem durch eine russische Rakete zerstörten Wohnblock in Kyjiw. (© picture-alliance, AA | Wolfgang Schwan)

Zusammenfassung

Die großangelegte Invasion in die Ukraine hat zu einer beispiellosen Wohnraumkrise geführt. Mehr als hunderttausend Wohnungen wurden zerstört oder beschädigt, Millionen Ukrainer:innen mussten ihr Zuhause verlassen. Die Wohnungspolitik hat es nicht vermocht, den Bedarf an Wohnraum für Binnengeflüchtete zu bewältigen. Gleichzeitig hat der Krieg die Schaffung neuer Formen von sozialen Mietverhältnissen ermutigt, die von der Zivilgesellschaft und den städtischen Kommunalverwaltungen organisiert werden. Gleichwohl ist die Situation kritisch und erfordert ein sorgsames Überdenken der Ziele und Instrumente der ukrainischen Wohnungspolitik.

Einleitung

Seit dem 24. Februar 2022 haben Millionen Ukrainer:innen ihr Zuhause verloren. Allerdings stellt sich für jede einzelne Familie und jede individuelle Person die Lage unterschiedlich dar. So waren beispielsweise einige in der Lage, in ihr Zuhause in Kyjiw zurückzukehren, nachdem die russischen Truppen aus dieser Region abgezogen sind. Andere wiederum können das besetzte Mariupol nicht verlassen, auch wenn ihr Zuhause dort zerstört ist. Um die Ausrichtung einer zukünftigen Wohnungspolitik skizzieren zu können, müssen diese verschiedenen Situationen berücksichtigt werden. In diesem Beitrag wird daher differenziert zwischen: Binnenvertreibung aufgrund der Gefahren des Krieges; Binnenvertreibung aufgrund der Zerstörung von Wohnraum; und Binnenvertreibung aufgrund des Mietwohnungsmarktes selbst.

Die meisten Binnenflüchtenden haben ihr Zuhause aus Angst um Leben und Gesundheit, wegen des Besatzungsregimes oder einer humanitären Krise verlassen. Die Flüchtlingsbehörde der Vereinten Nationen schätzt, dass mit Stand vom 17. Juni 2022 "sich über 5,1 Millionen Flüchtende aus der Ukraine in Europa aufhalten, und über 3,4 Millionen Flüchtende aus der Ukraine sich in Europa für einen vorübergehenden Schutz oder ähnliche nationale Verfahren haben registrieren lassen" (Ukraine situation: Flash Update #17, 2022). Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge gab es Ende Mai 2022 7,1 Millionen Binnenflüchtende (Ukraine Internal Displacement Report; 23. Mai 2022). Die meisten Binnenflüchtenden und ins Ausland Geflüchteten verfügen immer noch über eine Heimstatt in der Ukraine, und viele kehren bereits wieder zurück oder planen dies, sobald die Lage sicherer ist. Andere wiederum wollen erstmal an den Orten bleiben, an die sie geflüchtet sind.

Gleichzeitig gibt es Personen, deren Zuhause zerstört oder beschädigt wurde. Diese sind in einer prekären Lage, da ihre Chancen, kurzfristig adäquaten Wohnraum zu erhalten, sehr viel geringer sind. Nach Angaben von Olena Schuljak, der Vorsitzenden der Regierungspartei "Diener des Volkes", wurden etwa 15 Millionen Quadratmeter Wohnraum durch die russische Armee zerstört, wodurch fast 800.000 Ukrainer:innen ihr Zuhause verloren haben. Betroffen sind vor allem die Oblaste Donezk, Charkiw, Kyjiw und Tschernihiw. 220.000 Menschen haben bereits Entschädigungen für zerstörte Wohnungen beantragt. Diese Menschen müssen provisorisch untergebracht werden, bis ihr Zuhause wieder aufgebaut oder repariert ist. Zudem ist es sehr wahrscheinlich, dass ein beträchtlicher Teil nicht gewillt sein könnte, an den alten Wohnort zurückzukehren.

Eine andere Wohnungsfrage erfährt aktuell sehr viel weniger Aufmerksamkeit, nämlich die Situation derjenigen, die in den westlichen Regionen der Ukraine durch den Boom auf dem Mietwohnungsmarkt "vertrieben" wurden. Laut Transparency International Ukraine sind im Zeitraum zwischen Oktober 2021 und Mai 2022 die Mieten in der Region Lwiw um 96 Prozent gestiegen, in Iwano-Frankiwsk um 128 Prozent und in der Oblast Uschhorod gar um 225 Prozent (siehe Karte 1 am Ende des Beitrags).

Dieser Boom hat sich zwar etwas beruhigt, doch bleiben die Mieten nicht nur für Binnenflüchtende unerschwinglich, sondern auch für "Einheimische". Von denen wurden viele vor die Tür gesetzt, um die Wohnungen an Binnenflüchtende vermieten zu können, die bereit und in der Lage sind, das Doppelte zu zahlen. Die Flüchtenden finden sich dann auf einem höchst spekulativen Mietwohnungsmarkt wieder. Da dieser Markt vorwiegend informell funktioniert, gibt es keinerlei Datenquellen, anhand derer sich wenigstens annähernd die Zahl der Wohnungskündigungen abschätzen ließe.

Dieser Beitrag versucht aufzuzeigen, welche Art Wohnungspolitik eine derart weitgefächerte und instabile Bandbreite des Wohnraumbedarfs bedienen könnte, den die Ukrainer:innen jetzt haben und in den kommenden Jahren haben werden. Zunächst soll skizziert werden, weshalb die Wohnungspolitik die aktuelle Wohnraumkrise befördert hat.

Die Wohnungspolitik vor und während des Krieges

Seit den 1990er Jahren, als sich in der Ukraine ein Wohnungsmarkt entwickelte, war die Wohnungspolitik darauf ausgerichtet, als wichtigstes Mittel Eigentum an Wohnraum zu schaffen, um die Versorgung mit Wohnraum zu gewährleisten. Hierbei waren die wichtigsten Mechanismen folgende: eine massenhafte Privatisierung von Wohnungen in den 1990er Jahren; eine Förderung des Immobilienmarktes in den 2000er Jahren; eine Förderung für private Bauherren, besonders bei Bauland; staatliche Zuschüsse für die Bevölkerung beim Haus- und Wohnungskauf. Gleichzeitig wurde öffentlicher Wohnungsbau vernachlässigt und der Mietwohnungsmarkt nicht effizient reguliert.

Nach der Annektierung der Krim und dem Beginn des Krieges im Donbas 2014 sind rund anderthalb Millionen Ukrainer:innen aus den besetzten Gebieten und der Frontregion entlang der Kontaktlinie geflohen. Für sie wurde die Suche nach Wohnraum eine der wichtigsten Aufgaben. Die Wohnungspolitik in Bezug auf die Binnenflüchtenden war darauf ausgerichtet, den Binnengeflüchteten bei der Beschaffung einer privaten Wohnung behilflich zu sein. Durch diese Programme konnten pro Jahr allerdings nur einige Hundert Privatwohnungen generiert oder vermittelt werden. Letztendlich haben nach sechs Jahren Krieg rund 70 Prozent der Binnenflüchtenden bis 2020 ihr Wohnproblem nicht lösen können, wie ein Bericht der Menschenrechtsbeauftragten feststellte. Das Ziel, jede Familie mit Wohnraum in Privatbesitz zu versorgen, konnte nicht aufrechterhalten werden, selbst wenn weitere staatliche Gelder in die Programme geflossen wären, um Binnenflüchtende mit privatem Wohnraum zu versorgen. Gleichzeitig wurde extrem wenig sozialer Wohnraum bereitgestellt; der Mietwohnungsmarkt wurde nicht reguliert, so dass die Binnenflüchtenden auf dem Mietwohnungsmarkt allein gelassen wurden, wo sie oft ausgeschlossen waren, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch aufgrund von Vorurteilen.

Diese Probleme wiederholten sich nun im Zuge der großangelegten Invasion, allerdings war die Situation jetzt viel dramatischer. Im ersten Monat nach dem 24. Februar hatte der Staat in einem gewissen Maße provisorischen Wohnraum für Binnenflüchtende bereitstellen können. Dazu wurden vorwiegend Studentenwohnheime genutzt; darüber hinaus gab es einige provisorische Siedlungen. Diese Lösungen sind jedoch weder bequem noch langfristiger Natur. Sie müssen durch nachhaltigeren Wohnraum ersetzt werden. Als langfristige Lösung für das Wohnungsproblem werden staatliche Zuschüsse für Binnenflüchtende angeboten, damit sie mit Hilfe zinsgünstiger Hypotheken Wohnraum erwerben können. Diese Programme sind allerdings derart ineffizient, dass sie die Lage in keiner Weise verändern. So hat die wichtigste staatliche Wohnbaugesellschaft, der "Staatliche Fonds zur Förderung des jungen Wohnungsbaus", seit Beginn der Invasion 52 Wohnungen für Binnenflüchtende gekauft. Während ein solcher Ansatz nicht den aktuellen Bedarf der Menschen deckt, werden Maßnahmen ignoriert, die diese Bedürfnisse befriedigen könnten. Es gibt keinerlei Versuche der Zentralregierung, den Mietwohnungsmarkt zu regulieren, die Mietkündigungen zu stoppen oder irgendeine Form von gemeinnützigem Wohnraum bereitzustellen.

Wie kommen Binnenflüchtende unter?

Wegen der massiven Fluchtbewegungen seit dem 24. Februar suchen Millionen Ukrainer:innen nach einer neuen Bleibe. Im März und April 2022 habe ich zusammen mit Kolleg:innen eine Reihe von Interviews mit Ukrainer:innen geführt, sowohl mit Personen, die ihr Zuhause verlassen haben und in die Westukraine gingen, wie auch mit Einheimischen, die den Zustrom von Binnenflüchtenden erlebten. Aus den Interviews geht hervor, dass es verschiedene Wege gibt, wie die Menschen unterkommen. Außerdem bilden sich Netzwerke aus Zivilgesellschaft und kommunalen Verwaltungen heraus, um auf die Krise zu reagieren. Dabei werden auch die Probleme der Wohnungspolitik in der Ukraine deutlich.

Viele Menschen kamen zunächst in kommunalen Einrichtungen unter, wie Schulen und Sporthallen, die als provisorische Unterkünfte bereitgestellt wurden. Wegen der Coronapandemie wurden Räume in vielen Bildungseinrichtungen nicht genutzt und als öffentliche Ressourcen für einen temporären Aufenthalt bereitgestellt. Das Gleiche erfolgte im privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich. Hier wurden Büroräume von Firmen und NGOs sowie Räumlichkeiten von Kultureinrichtungen zu Unterkünften umfunktioniert. Dieser Prozess war überwiegend selbstorganisiert, hing aber weitgehend von der Infrastruktur ab, die vor Beginn der Wohnungskrise zur Verfügung stand. Die Kommunalverwaltungen stellten die Infrastruktur, doch wurde die Aufnahme der Geflüchteten von Freiwilligen organisiert. Die provisorischen Unterkünfte wurden zum Teil zu einer langfristigen Einrichtung, konnten aber kaum Komfort und Privatsphäre bieten.

Ein Problem ist der Umstand, dass vielen der Mietwohnungsmarkt versperrt ist. Seit den ersten Tagen des großangelegten Krieges sind die Mieten in den westlichen Regionen der Ukraine drastisch gestiegen. Dadurch wurden nicht nur Binnenflüchtende vom Wohnungsmarkt ausgeschlossen, sondern auch Einheimische mussten ihr Zuhause verlassen. Dies traf jedoch nicht auf alle Mietwohnungen zu, da die Entscheidung zur Mieterhöhung von den Vermietern abhängt, von denen viele die Mieten auf Vorkriegsniveau beließen. Das war ebenfalls eine Form von Solidarität. Das Hauptproblem, das hier deutlich wurde, ist das Fehlen einer Regulierung des Marktes. Die staatliche Wohnungspolitik hat den Mietwohnungsmarkt ignoriert, was sich auch nach Beginn des Krieges nicht geändert hat. Auch der Umstand, dass Sozialwohnungsprogramme praktisch fehlen, hat die durch die russische Invasion verursachte Wohnungskrise verstärkt. Die vereinzelten Entscheidungen regionaler, städtischer oder Universitätsverwaltungen, den verfügbaren Wohnraum als sozialen Wohnraum zu nutzen, sind wohl die einzigen Ausnahmen von diesem Ansatz. An einigen Orten wurden Studentenwohnheime als sozialer Wohnraum genutzt, an anderen, z. B. in Winnyzja, wurden kommunale Gremien geschaffen, um zwischen Binnengeflüchteten und Vermietern zu vermitteln, um die Spekulationen, Mietkündigungen und Diskriminierungen auf dem Mietwohnungsmarkt zu begrenzen. Diese Politik war zwar als Instrument zur Krisenbewältigung gedacht, könnte aber darüber hinaus potenziell die Grundlage für eine sozial ausgerichtete Wohnungspolitik werden. Allerdings sind die Chancen, dass diese Praxis ausgeweitet wird, sehr gering, da die staatliche Wohnungspolitik einer anderen Linie folgt, nämlich der Subventionierung von privatem Wohnraumbesitz. Mit den staatlichen Programmen für die Binnengeflüchteten und für Personen, deren Zuhause zerstört wurde, soll sowohl auf der Angebotsseite wie auch auf der Nachfrageseite in die Wohnraumentwicklung investiert werden. Dieser Ansatz ist nicht nur völlig unwirksam, sondern unterstützt die Bauherren, und nicht die Bürger:innen.

Die gegenwärtige Wohnungspolitik in der Ukraine kümmert sich nicht um den Bedarf der Menschen, der durch den Krieg komplexer geworden ist. Sie unterstützt lediglich Personen mit Wohnraumeigentum, was den Großteil des Bedarfs aber nicht abdeckt. Und bis man eine staatliche Förderung erhalten wird, wird es lange dauern, und in der Zwischenzeit müssen auch diese Menschen sich für provisorische Unterkünfte oder teure Mieten entscheiden.

Wenn die vom Krieg verursachte Wohnungskrise in den kommenden Jahren überwunden werden soll, muss die Förderung von Wohnraumeigentum mit einer Regulierung des Mietwohnungsmarktes und der Bereitstellung von Sozialwohnungen einhergehen. Wie sehen aber Möglichkeiten für eine derartige Entwicklung beim Wiederaufbau der Ukraine aus?

Die Pläne des ukrainischen Staates und internationaler Partner zum "Wiederaufbau der Ukraine"

Als Reaktion auf die massenhafte Zerstörung von Wohnraum und Infrastruktur wird derzeit ein Plan zum "Wiederaufbau der Ukraine" von der Regierung ausgearbeitet. Das betrifft nicht nur die Wohnraumfrage, auch wenn es hier nicht erst nach dem Krieg einen ganz dringenden Bedarf geben wird, sondern bereits jetzt, während des Krieges. Diese Politik umfasst verschiedene Aspekte, die entscheidend sein werden, ob sie den Bedarf der Ukrainer:innen wird decken können.

Die Finanzierung des Wiederaufbaus wird nicht nur auf den Wohnsektor Auswirkungen haben, sondern auch auf die gesamte Struktur der ukrainischen Wirtschaft in den kommenden Jahren oder gar Jahrzehnten. Im Moment erwartet die Ukraine einen Kapitalzufluss von internationalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), von Partnerstaaten und durch Reparationen, die aus konfiszierten russischen Vermögenswerten im Westen gespeist werden sollen. Diese Hilfe ist in Form von Zuwendungen und Krediten vorgesehen. Die ukrainischen Auslandsschulden sollen dabei nicht umstrukturiert werden, weswegen die Kredite die finanzielle Abhängigkeit der ukrainischen Wirtschaft verstärken werden. Das dürfte die Möglichkeiten schmälern, in sozialen Wohnungsbau zu investieren.

Auf nationaler Ebene wird ein entscheidender Faktor für den Wohnsektor die Verteilung der Hilfsgelder sein. Wie oben bereits erörtert, fördert der bestehende Ansatz Wohnraumeigentum und lässt sozialen Wohnraum unbeachtet. Angesichts der Wohnungskrise ist eine Diversifizierung der Mietformen erforderlich. Und zwar nicht nur, weil die meisten Binnengeflüchteten nicht zu einem Kauf in der Lage sind, sondern auch wegen der Ungewissheit und Instabilität ihrer jeweiligen Situation. Die verschiedenen Gruppen der Binnengeflüchteten haben einen unterschiedlichen Bedarf, je nach Kriegslage. Also ist es wichtig, im Wohnsektor Flexibilität zu gewährleisten. Das kann durch einen regulierten Mietwohnungsmarkt erreicht werden, wie auch durch Sozial- und Genossenschaftswohnungen.

Fazit

Die Richtung, die die Wohnraumpolitik im Zuge des Wiederaufbaus der Ukraine einschlägt, wird auf Jahrzehnte hinaus die Lebensbedingungen der Ukrainer:innen prägen. Zwar ist die Wohnungsfrage im Moment vor allem für Binnengeflüchtete das drängendste Thema, doch befinden sich auch Nichtgeflüchtete oft in einer prekären Wohnsituation. Die aktuelle Wohnungskrise bietet die Chance für eine Reform des Wohnsektors, damit dieser zukünftig stärker auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtet wird. Dabei muss die Wohnungspolitik dazu übergehen, nicht die Bauherren zu unterstützen, sondern die verschiedenen Bevölkerungsgruppen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

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Dr. Alona Liasheva lebt und arbeitet als Soziologin in Lwiw, wo sie sich mit urbanen Themen beschäftigt. Sie ist Mitglied im internationalen Forschungsprojekt "Comparing protest actions in Soviet and post-Soviet spaces", das von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen mit finanzieller Unterstützung der Volkswagen-Stiftung koordiniert wird.