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Zukünftige Erweiterungen

Olaf Leiße

/ 6 Minuten zu lesen

Kann die EU neue Mitglieder aufnehmen – und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Ein Blick auf Erweiterungsmüdigkeit, Beitrittskandidaten und die Kriterien für den Beitritt.

An der Fassade eines Gebäudes in Sarajevo wird eine EU-Flagge angebracht. Im Dezember 2022 wurde Serbien offiziell Beitrittskandidat zur EU. (© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Armin Durgut)

Der Interner Link: russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat auch in die Erweiterungspolitik der Europäischen Union Bewegung gebracht. Ab dem Interner Link: Beitritt von Großbritannien, Irland und Dänemark im Jahr 1973 hat sich die Gemeinschaft von sechs Gründungsmitgliedern kontinuierlich erweitert. Doch seit dem Interner Link: Beitritt von Kroatien als vorerst letztem Land ist die Erweiterung ins Stocken geraten und mit dem Interner Link: Brexit, dem Austritt Großbritanniens, hat sich die Union sogar verkleinert. Seitdem warten insbesondere die Staaten Südosteuropas vergeblich auf eine realistische zeitnahe Beitrittsperspektive. Die EU scheint nach den letzten Erweiterungsrunden noch nicht wieder bereit für neue Mitglieder. Diese „Erweiterungsmüdigkeit“ verhinderte weiterer Staaten, obwohl sie prinzipiell bereit dafür sind.

Grundlagen für den EU-Beitritt

Die rechtlichen Grundlagen für den Beitritt eines neuen Mitgliedstaates sind im EU-Vertrag formuliert. Jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 genannten Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden (Art. 49 EUV).

Die Werte nach Artikel 2, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.

Diese Kriterien müssen die Beitrittskandidaten verpflichtend übernehmen. Insbesondere das politische Kriterium macht klar, dass die Europäische Union nicht mehr nur eine Wirtschaftsgemeinschaft sein möchte, sondern sich auch als eine Wertegemeinschaft von Demokratien versteht, die gemeinsame politische Ordnungsvorstellungen, darunter die Einhaltung von demokratischen Standards, Rechtsstaatlichkeit und die Beachtung von Menschen- und Minderheitenrechtenrechten, besitzt.

Darüber hinaus muss die Europäische Union selbst fähig sein, neue Staaten aufzunehmen. Dieses Kriterium der Interner Link: Aufnahmefähigkeit macht deutlich, dass die EU über Institutionen und Entscheidungsverfahren verfügen muss, die auch bei einer möglichen Erweiterung um bis zu zehn weitere Staaten noch Handlungsfähigkeit sichert. Eine Union mit 37 Mitgliedstaaten ist allerdings schwierig zu steuern und die Sorge daher berechtigt, ob sie sich durch zahlreiche weitere Beitritte nicht überdehnt und selbst lahmlegt.

Ablauf eines Beitrittsverfahrens

Für die Aufnahme in die Europäische Union wurde ein umfangreiches Regelwerk festgelegt, das aus drei Phasen besteht.

1. Initiativphase

Das Verfahren beginnt damit, dass ein Land einen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union stellt (Art. 49 EUV). Der Interner Link: Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs nimmt diesen Antrag zur Kenntnis und fordert die Interner Link: Kommission zu einer Stellungnahme auf. Diese Stellungnahme basiert auf einer umfassenden Überprüfung des Landes, bei der sowohl bereits durchgeführte Reformen als auch noch bestehende Herausforderungen aufgezeigt werden.

Dieses Interner Link: Screening-Verfahren kann sich über mehrere Jahre hinziehen. Dabei benennt die Kommission auch mögliche Ansätze, wie das Land schrittweise an die Standards der EU herangeführt werden kann. Die Kommission kann auch konkrete Schritte zur Vorbereitung auf die Mitgliedschaft vorschlagen. Falls die Einschätzung positiv ausfällt und auch das Interner Link: Europäische Parlament zustimmt, kann der Rat entscheiden, Verhandlungen über den Beitritt aufzunehmen. Diese Entscheidung muss einstimmig ausfallen.

2. Verhandlungsphase

Nun beginnen die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Kandidaten über den Beitritt. Auf Seiten der EU übernimmt die Kommission die Verhandlungsführung, während der Beitrittskandidat in der Regel ein spezielles Europaministerium dafür einrichtet. Zur besseren Organisation werden die Verhandlungen in verschiedene Politikbereiche unterteilt, wie etwa Handels-, Justiz-, Wirtschafts-, Verkehrs- und Umweltpolitik. Insgesamt gibt es meist bis zu 35 solcher Verhandlungsteile, die sogenannten Kapitel. Die Kommission öffnet zunächst einige Kapitel für Verhandlungen, und nach deren erfolgreichem Abschluss werden weitere Kapitel freigegeben.

In den Beitrittsverhandlungen geht es nicht, wie bei internationalen Verhandlungen üblich, um Kompromisse zwischen beiden Seiten. Das Beitrittsland muss alle Vorschriften, Rechtsakte und Beschlüsse der EU – den sogenannten Interner Link: Gemeinschaftlichen Besitzstand („acquis communaitaire“) – übernehmen. Das ist nicht verhandelbar. Die Verhandlungen konzentrieren sich daher auf die finanzielle Unterstützung und Gewährung von Anpassungshilfen durch die EU, die dem Beitrittskandidaten helfen sollen, die erforderlichen Standards zu erreichen, sowie auf den Zeitraum, der für die vollständige Umsetzung dieser Standards vorgesehen ist. Die EU räumt dazu Übergangsfristen ein, um beispielsweise die Verwaltung und Rechtssysteme anzupassen, Grenzwerte beim Gewässerschutz und der Luftreinhaltung einzuhalten und EU-konforme Regelwerke für die Wettbewerbs- und Handelspolitik zu erstellen.

Abhängig von der Bereitschaft und Fähigkeit eines Landes zur Transformation, kann sich auch diese Phase über viele Jahre erstrecken. Schließlich erstellt die Kommission einen Abschlussbericht über den positiven Ausgang der Verhandlungen.

3. Ratifikationsphase

In der letzten Phase ist der politische Prozess weniger sensibel, obwohl auch hier noch unerwartete Schwierigkeiten auftreten können. Abschließend ist die Zustimmung aller beteiligten Akteure erforderlich. Zunächst entscheidet das Europäische Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Anschließend erteilt der Rat – also alle EU-Mitgliedstaaten – seine einstimmige Zustimmung zum Beitritt. Nach der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags ist auch die Zustimmung der nationalen Parlamente aller Mitgliedstaaten erforderlich. Schließlich bestätigt das Beitrittsland seinen Beitritt, meist durch eine Interner Link: Volksabstimmung. Danach wird das neue Mitglied feierlich in die Europäische Union aufgenommen.

Die Europäische Union verhandelt mit jedem beitrittswilligen Staat getrennt. Somit ist jedes Land selbst für Fortschritte oder möglichen Stillstand verantwortlich. Es gibt keinen Automatismus, doch das Ziel der Verhandlungen ist in jedem Fall der Beitritt zur Europäischen Union.

Die Beitrittskandidaten

Mittlerweile gibt es acht Beitrittskandidaten zur Europäischen Union und zwei weitere potentielle Beitrittskandidaten. Zu den Beitrittskandidaten gehören in Südosteuropa folgende Länder:

  • Albanien besitzt den Kandidatenstatus seit 2014. Beitrittsverhandlungen begannen im Juli 2022 mit dem Screening-Verfahren und im Oktober 2024 wurden die ersten Verhandlungskapitel eröffnet.

  • Nordmazedonien ist bereits seit 2005 Beitrittskandidat. Nach der Beilegung des Namensstreits mit Griechenland und Differenzen mit Bulgarien begann im Juli 2022 der Screening-Prozess.

  • Bosnien und Herzegowina ist seit 2022 Beitrittskandidat, im März 2024 beschloss der Rat, Verhandlungen aufzunehmen. Bosnien und Herzegowina ist aufgrund der Aufteilung in verschiedene Teilstaaten – einerseits für Bosnier und Kroaten, andererseits für Serben – derzeit in seiner staatlichen Integrität stark gefährdet. Der Prozess der Konsolidierung kommt nicht voran.

  • Montenegro ist seit 2010 Beitrittskandidat. Im Juni 2012 wurden die Beitrittsverhandlungen eröffnet, doch erst 2024 sind alle Verhandlungskapitel eröffnet, von denen allerdings nur wenige erfolgreich geschlossen worden sind. Trotzdem gilt das Land als aussichtsreichster Anwärter auf einen Beitritt.

  • Serbien ist seit 2012 Beitrittskandidat, im Januar 2014 wurden die Verhandlungen eröffnet. Nachdem sich auch die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zur Zufriedenheit entwickelt hat, bleibt als großes Hindernis die Reform der Justiz und die Bekämpfung der Korruption. Insbesondere die Beziehungen zum Kosovo müssen für einen Beitritt jedoch rechtlich geklärt werden.

  • Der Türkei wurde bereits 1999 der Kandidatenstatus verliehen und Beitrittsverhandlungen starteten 2005. Aufgrund des autoritären Umbaus des Staates, die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, der ungelösten Zypern-Problematik sowie der daraus resultierenden Entfremdung zwischen beiden Seiten wurden die Verhandlungen eingefroren. Eine Vollmitgliedschaft des Landes ist vorläufig nicht wahrscheinlich.

In Osteuropa gibt es zwei Beitrittskandidaten:

  • Die Ukraine erhielt nach dem Angriff Russlands auf das Land im Juni 2022 den Kandidatenstatus, im Dezember 2023 beschlossen die Mitgliedstaaten die Aufnahme von Verhandlungen. Aufgrund der prekären Lage der Ukraine durch den überraschend langanhaltenden Krieg sowie die glaubwürdigen Reformbemühungen ist das Land zu einem Favoriten für einen Beitritt geworden. Die Größe des Landes sowie die komplizierte außenpolitische Situation machen das Land aber auch zu einer Herausforderung für die EU.

  • Die Republik Moldau ist ebenfalls 2022 Beitrittskandidat geworden, im Juni 2024 wurden die ersten Konferenzen einberufen. Das Land hat mit Rumänien einen großen Fürsprecher in der Union. Allerdings ist das Ergebnis eines Referendums über den Beitritt des Landes im Oktober 2024 denkbar knapp mit 50,4 Prozent ausgefallen.

Als potentielle Beitrittskandidaten, die noch nicht die Beitrittsreife bescheinigt bekommen haben, gelten Georgien und Kosovo. Georgien wurde der Kandidatenstatus im Dezember 2023 verliehen. Der Beitritt zur Europäischen Union ist in der Bevölkerung sehr populär, allerdings orientiert sich die Regierung eher an Russland. Das Tauziehen zwischen beiden Seiten ist offen. Daher kann der Beitrittsprozess jederzeit vorangetrieben, aber auch dauerhaft eingefroren werden.

Kosovo wird von fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht anerkannt. Das Beitrittsgesuch vom Dezember 2022 wurde von Seiten der EU noch nicht beantwortet. Größtes Hindernis auf dem Weg in die Union ist die völkerrechtliche Anerkennung durch Serbien, das das Land noch immer als abtrünnige Provinz sieht. Der von der EU moderierten Dialog zwischen beiden Seiten blieb bislang ohne greifbaren Erfolg.

Auch weitere europäische Staaten können der Europäischen Union beitreten. Die Schweiz, Norwegen und Island könnten ohne lange Verhandlungen beitreten, da ihre politische und wirtschaftliche Struktur vollständig an die Union angepasst ist. Und sicher könnte auch Großbritannien eines Tages wieder beitreten. In diesen Ländern fehlt aber derzeit der politische Wille zum Beitritt und die Bevölkerungen sind eher europaskeptisch. DEshalb sind Beitritte dieser Länder unwahrscheinlich. Trotzdem muss sich die EU darauf vorbereiten, zukünftig neue Mitglieder aufzunehmen und trotzdem handlungsfähig zu bleiben.

LinklisteLinks zur Europäischen Union in internationalen Beziehungen

Externer Link: Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD) – EU-Außenpolitik und Diplomatie
Externer Link: EU-Nachbarschaftspolitik – Beziehungen zu Nachbarstaaten und Erweiterungspolitik
Externer Link: EU-Handelspolitik – Handelsabkommen und Wirtschaftsbeziehungen der EU

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Apl. Prof. Dr. Olaf Leiße ist Leiter des Arbeitsbereichs Europäische Studien am Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist außerplanmäßiger Professor für Europäische Studien und Autor zahlreicher Bücher über die Europäische Union.