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Die Rechtsstellung von trans* Personen in Deutschland

/ 16 Minuten zu lesen

Das Selbstbestimmungsgesetz erlaubt trans*, inter* und nicht-binären Menschen, Geschlechtseintrag und Namen selbstbestimmt zu ändern. Es ersetzt frühere Regelungen und bleibt politisch umstritten.

Namentliche Abstimmung zum Selbstbestimmungsgesetz im Bundestag am 12.04.2024 (© picture-alliance/dpa, Britta Pedersen)

Seit dem 1. November 2024 gilt in Deutschland das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“, das sog. Externer Link: Selbstbestimmungsgesetz. Es regelt, wie Menschen ihren rechtlichen Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern können. Es ermöglicht Interner Link: trans*, Interner Link: inter* und Interner Link: nicht-binären Menschen, ihren rechtlichen Geschlechtseintrag und ihre Vornamen an ihr empfundenes und gelebtes Geschlecht anzupassen. Zur Verfügung stehen die Geschlechtseinträge weiblich, männlich und divers sowie die Möglichkeit, das Feld für den Geschlechtseintrag offen zu lassen und dort nichts eintragen zu lassen. Das Selbstbestimmungsgesetz hat sowohl das 1981 in Kraft getretene und danach in großen Teilen vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte sog. Transsexuellengesetz als auch die Regelung in § 45b Personenstandsgesetz abgelöst. Wichtigste Veränderung ist, dass das Selbstbestimmungsgesetz das rechtlich registrierte Geschlecht bei Änderungen im Verlauf des Lebens nicht mehr von der Einschätzung anderer – wie Ärzt_innen oder Gutachter_innen – abhängig macht, sondern jeden Menschen selbst entscheiden lässt, welches rechtliche Geschlecht für die Person registriert werden soll.

Das Selbstbestimmungsgesetz war und ist umstritten: Während es für die einen ein Meilenstein für die Grundrechte von trans*, inter* und nicht-binären Menschen ist, betonen andere, dass das Selbstbestimmungsgesetz nicht alle rechtlichen Probleme gelöst habe, denen trans*, inter* und nicht-binäre Menschen in Deutschland gegenüberstehen. Wieder andere sehen im Selbstbestimmungsgesetz Gefahren, etwa für Jugendliche, wollen den Geltungsbereich des Gesetzes einschränken, verpflichtende Beratungen und Stellungnahmen Dritter im Änderungsprozess wieder einführen oder das Gesetz ganz aufheben.

Verfahren nach dem Selbstbestimmungsgesetz

Vor dem Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) entschied in Deutschland nach dem seit 1981 geltenden sog. Transsexuellengesetz (TSG) ein Gericht darüber, ob eine Person ihren rechtlichen Geschlechtseintrag ändern durfte. Um diese Entscheidung zu beantragen, musste eine Person zwei Gutachten vorlegen, die bestätigten, dass die Person trans* war (§ 4 Abs. 3 TSG).

Das Selbstbestimmungsgesetz ersetzte 2024 das sog. Transsexuellengesetz mit dem Ziel – so formuliert es das Gesetz selbst –, „die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl von der Einschätzung dritter Personen zu lösen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu stärken und das Recht jeder Person auf Achtung und respektvolle Behandlung in Bezug auf die Geschlechtsidentität zu verwirklichen“ (§ 1 Abs. 1 SBGG).

Nun reicht für eine Änderung des staatlichen Geschlechtseintrags eine Erklärung der Person beim Standesamt, dass sie ihren Geschlechtseintrag ändern will (§ 2 Abs. 1 SBGG). Der Staat nimmt damit allein die eigene Aussage von Menschen zu ihrem Geschlecht als Grundlage. Sie müssen sich ihre Kenntnis über ihr Geschlecht nicht mehr von anderen Menschen bestätigen lassen. Durch die Erklärungsmöglichkeit beim Standesamt ist die Änderung des rechtlichen Geschlechtseintrags schneller und kostengünstiger geworden als im nach dem sog. Transsexuellengesetz notwendigen Gerichtsverfahren. Mit der Änderung des Geschlechtseintrags können Menschen auch neue, geschlechtlich passende Vornamen bestimmen (§ 2 Abs. 3 SBGG).

Hat eine Person Vornamen und Geschlechtseintrag nach dem Selbstbestimmungsgesetz geändert, schützt § 13 Selbstbestimmungsgesetz sie davor, dass der alte Vorname und der alte Geschlechtseintrag anderen Menschen offenbart werden. Dieses sogenannte Offenbarungsverbot soll trans* Personen vor einem unfreiwilligem Outing schützen.

Einschränkungen des Geltungsbereichs des Selbstbestimmungsgesetzes

Es gibt Ausnahmen vom Offenbarungsverbot, z. B. wenn die Angaben für Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden erforderlich sind, um ihre Aufgaben zu erfüllen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 SBGG). In solchen Ausnahmefällen dürfen der alte Vorname und Geschlechtseintrag offenbart werden.

Zudem ist eine Änderung des staatlichen Geschlechtseintrags nicht jederzeit oder spontan möglich. Eine Person, die ihren Geschlechtseintrag ändern will, muss diesen Wunsch drei Monate vorher dem Standesamt mitteilen und so die Änderung anmelden (§ 4 SBGG). Wenn sich die Geschlechtsidentität einer Person nach einer bereits erfolgten Änderung noch einmal ändert, muss diese Person (wenn sie volljährig ist) ein Jahr warten, bevor sie ihren Geschlechtseintrag erneut ändern kann (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SBGG).

Kinder und Jugendliche sowie volljährige Menschen, die ihre rechtlichen Angelegenheiten z.B. wegen einer Krankheit ganz oder teilweise nicht mehr selbstständig regeln können und deswegen in personenstandsrechtlichen Angelegenheiten unter rechtlicher Betreuung stehen, können ihren Geschlechtseintrag auch vor Ablauf eines Jahres erneut ändern (§ 5 Abs. 1 Satz 2 SBGG). Sie müssen lediglich die dreimonatige Anmeldefrist einhalten.

Kinder und Jugendliche sowie Volljährige mit rechtlicher Betreuung können die Änderung nach dem Selbstbestimmungsgesetz nicht selbst vornehmen, sondern benötigen die Mitwirkung ihrer rechtlichen Vertretung. Die rechtliche Vertretung von Kindern und Jugendlichen übernehmen in der Regel ihre Eltern. Für Kinder unter 14 Jahren können nur die Eltern die Erklärung nach dem Selbstbestimmungsgesetz abgeben (§ 3 Abs. 2 SBGG). Jugendliche ab 14 Jahren müssen die Erklärung selbst abgeben, benötigen aber die Zustimmung ihrer Eltern (§ 3 Abs. 1 Satz 1 SBGG). Für volljährige Menschen mit rechtlicher Betreuung in personenstandsrechtlichen Angelegenheiten müssen die Betreuer*innen die Erklärung abgeben (§ 3 Abs. 3 SBGG).

Das Selbstbestimmungsgesetz gilt für alle deutschen Staatsangehörigen und alle Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die ihren Aufenthalt dauerhaft in Deutschland haben. Manche Menschen, die in Deutschland leben, können das Selbstbestimmungsgesetz jedoch nicht nutzen: Es findet keine Anwendung auf Personen, die sich in einem laufenden Asylverfahren befinden oder eine Duldung besitzen (vgl. § 1 Abs. 3 SBGG). Es gibt auch Situationen, in denen eine Änderung nach dem Selbstbestimmungsgesetz für eigentlich berechtigte Menschen ausnahmsweise nicht möglich ist. Im zeitlichen Zusammenhang mit einem Spannungs- und Verteidigungsfall nach Artikel 80a Grundgesetz kann ein bis dato männlicher Geschlechtseintrag in Bezug auf den Dienst an der Waffe (Artikel 12a Grundgesetz) nicht geändert werden (§ 9 SBGG). Ändert eine Person ohne deutsche Staatsangehörigkeit ihren Geschlechtseintrag nach dem Selbstbestimmungsgesetz und wird innerhalb von zwei Monaten nach der Änderung ausreisepflichtig, sollen nach § 2 Abs. 4 SBGG der alte Geschlechtseintrag und die alten Vornamen bestehen bleiben.

Durch das Selbstbestimmungsgesetz nicht oder nur teilweise geregelte Fragen

In vielen Lebensbereichen, die für trans* Personen besondere Bedeutung haben, hat das Selbstbestimmungsgesetz keine oder nur marginale Änderungen herbeigeführt.

„Medizinische Maßnahmen werden in diesem Gesetz nicht geregelt“, so § 1 Abs. 2 Selbstbestimmungsgesetz. Damit gilt mit dem Selbstbestimmungsgesetz weiter, was bereits vorher galt: Seit 1987 übernahmen die Krankenkassen aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Kosten für medizinische Transitionsmaßnahmen, wie Hormonbehandlungen und Operationen, sofern ein Leidensdruck besteht, der Krankheitswert hat . Dies gilt jedoch nicht für nicht-binäre Personen und es ist aufgrund eines Urteils des Bundessozialgerichts von 2023 unklar, inwieweit die Kosten für die medizinische Transition binärer trans* Personen derzeit noch von den Krankenkassen übernommen werden.

Auch betont § 6 Abs. 2 Selbstbestimmungsgesetz, dass beim Zugang zu Einrichtungen und Räumen, etwa von geschlechtsspezifischen Bereichen, sowie bei der Teilnahme an Veranstaltungen die Vertragsfreiheit und das Hausrecht vom Selbstbestimmungsgesetz unberührt bleiben. Das Selbstbestimmungsgesetz hat demnach zwar geändert, wie eine Person ihren Geschlechtseintrag ändern kann. Nicht geändert hat es hingegen, welche Rechte trans* Personen im alltäglichen Leben haben. Insbesondere hat es nichts an dem Verbot von Geschlechterdiskriminierung nach dem Grundgesetz oder im privatrechtlichen Bereich verändert.

§ 11 Selbstbestimmungsgesetz trifft Regelungen zum Eltern-Kind-Verhältnis. Eine Neuerung, die im selben Zug wie das Selbstbestimmungsgesetz eingeführt wurde, ist, dass sich nun alle Eltern als „Elternteil“ statt als „Vater“ oder „Mutter“ in die Geburtsurkunde ihrer Kinder eintragen lassen können (§ 48 Abs. 1a Personenstandsverordnung). Das ermöglicht eine nicht vergeschlechtlichte Eintragungsart und kommt dadurch insbesondere nicht-binären Menschen zugute.

Auch für trans* Männer, die ihre Kinder nicht gebären, sondern mit der Person, die das Kind gebärt, verheiratet sind oder die Vaterschaft anerkennen, hat das Selbstbestimmungsgesetz die Situation verbessert: sie können die Vaterschaft jetzt wie alle cis Väter (gem. §§ 1592 Nr. 2, 1594 BGB) beim Jugendamt oder bei einem*r Notar*in anerkennen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 SBGG).

Das Selbstbestimmungsgesetz hat hingegen nichts an der Situation geändert, dass trans* Männer, die Kinder gebären, in Deutschland rechtlich als Mütter gelten (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SBGG). Trans* Frauen, die Kinder mit Sperma zeugen, können die Elternschaft unmittelbar ebenfalls nur als Väter erlangen.

Debatten um das Selbstbestimmungsgesetz

Das Selbstbestimmungsgesetz wird aus unterschiedlichen Richtungen kritisiert. Während es manchen nicht weit genug geht und zu viele Einschränkungen und Ausnahmen beinhaltet, halten andere die Regelungen für zu weitreichend. Manche fordern die Aufhebung des Selbstbestimmungsgesetzes.

Diejenigen, die das Gesetz für zu weitgehend erachten, stellen zum einen die leichtere Zugänglichkeit der Korrekturmöglichkeit des Geschlechtseintrags in Frage. Sie befürchten Missbrauch, wenn Geschlechtseintrag und Vornamen wie nun nach dem Selbstbestimmungsgesetz geändert werden können, ohne dass der Staat die Gründe für die Änderung untersucht.

Sie machen sich außerdem Sorgen, dass Minderjährige nicht in der Lage seien, Bedeutung und Folgen von Änderungen nach dem Selbstbestimmungsgesetz abzuschätzen. Der Staat müsse Kinder und Jugendliche besser vor möglichen Fehleinschätzungen schützen. Sie fordern, die Möglichkeiten von Minderjährigen, das Selbstbestimmungsgesetz zu nutzen, weiter einzuschränken.

Entgegen dem Offenbarungsschutz nach dem Selbstbestimmungsgesetz, dass ehemaliger Geschlechtseintrag und ehemalige Vornamen anderen Menschen in der Regel nicht ohne die Zustimmung der betroffenen trans* Person mitgeteilt werden dürfen, wird nun gefordert, die personenbezogenen Daten von trans* Personen in größerem Umfang als bisher zwischen Behörden austauschen zu können.

Manche bestreiten grundlegend, dass es trans* Personen gäbe. Sie behaupten, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt und fordern die Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes.

Gegenteilige Positionen kritisieren hingegen die Ausnahmen von der geschlechtlichen Selbstbestimmung in sachlicher Hinsicht wie durch die Ausnahmeregelung im Spannungs- und Verteidigungsfall ebenso wie die Beschränkungen in persönlicher Hinsicht.

Auch benötigten, so andere Stimmen, gerade Menschen, die vor trans*feindlicher Gewalt nach Deutschland fliehen, den Schutz des Selbstbestimmungsgesetzes. Trans* Personen solle es daher ermöglicht werden, ihr selbst empfundenes Geschlecht und ihre geschlechtlich passenden Namen bereits im Asylverfahren zu verwenden.

Eine andere Kritik betrifft die Situation von trans* Eltern. Sie müsse so geregelt werden, dass trans* Eltern auch als Eltern in ihrem gelebten Geschlecht anerkannt werden. Damit einher geht die Forderung nach einer umfassenden Reform des Abstammungsrechts.

Gefordert wird zudem eine Gesetzesänderung, um für alle trans* Menschen, egal ob binär oder nicht-binär, die medizinische Transitionsmaßnahmen brauchen, einen Zugang mit Kostenübernahme durch die Krankenkassen sicherzustellen.

Die aktuelle Regierung aus CDU/CSU und SPD hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, das Selbstbestimmungsgesetz bis zum 31. Juli 2026 zu evaluieren.

Verfassungsrechtlicher Rahmen

Das Grundgesetz bietet für die Debatten um die rechtliche Ausgestaltung der Situation von trans* Personen einige Leitlinien, die bei politischen Debatten meistens nicht die eine Lösung vorgeben, aber den Rahmen dessen setzen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.

Mehr als zwei Geschlechter

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2017 in seiner Entscheidung zur sog. Dritten Option deutlich gemacht, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, nämlich auch Menschen, die weder Männer noch Frauen sind. Teil des grundrechtlichen Schutzes der Menschen, die weder Männer noch Frauen sind, ist das Recht, eine geschlechtliche Identität jenseits von männlich und weiblich in staatlichen Registern abzubilden, solange es eine Verpflichtung zur Angabe des Geschlechts im Personenstandsrecht gibt. Zur Zeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2017 war das nicht möglich: Menschen, die weder Männer noch Frauen waren, konnten nur als Männer, Frauen oder ohne einen Geschlechtseintrag registriert werden. Eine positive Bezeichnung neben männlich und weiblich existierte nicht. Um diese verfassungswidrige Rechtslage aufzulösen, sah das Bundesverfassungsgericht mehrere Lösungsoptionen: Die Gesetzgebung könne entweder einen positiv benannten weiteren Geschlechtseintrag zur Verfügung stellen (der von der Gesetzgebung im Anschluss gewählte Weg) oder die Gesetzgebung könne die staatliche Registrierung von Geschlecht vollständig abschaffen . Das Bundesverfassungsgericht hat also keine Lösung diktiert, sondern einen Verstoß gegen das Verfassungsrecht benannt und die Gesetzgebung beauftragt, diesen Verstoß zu beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil die Grenzen eines Raums festgesetzt, innerhalb dessen im parlamentarischen Prozess eine Lösung gefunden werden musste. Das illustriert, welche Rolle verfassungsrechtliche Leitlinien haben.

Geschlecht ist wandelbar und kann nicht auf den Körper reduziert werden

Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht seit 1978 in seiner Rechtsprechung wiederholt betont, dass sich das Geschlecht eines Menschen im Laufe seines Lebens wandeln kann. Der Staat ist unter dem Grundgesetz verpflichtet, Personen, deren gelebtes Geschlecht nicht (mehr) zu dem Geschlecht passt, das ihnen bei Geburt zugewiesen wurde, eine Möglichkeit zu bieten, das staatlich registrierte Geschlecht mit dem gelebten Geschlecht wieder in Einklang zu bringen. Zur Begründung führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass das „Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität“ ein Bereich des durch Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz geschützten Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht soll es allen Menschen ermöglichen, die eigene Individualität zu entwickeln und zu bewahren. Es ist ein Grundrecht, das den Menschen einen Raum zur Entwicklung ihres Selbsts frei von staatlichen Eingriffen gewähren soll. In diesem Sinne ist die Selbstwahrnehmung und die selbst definierte Identität wichtiger als eine Bestimmung der Identität durch den Staat. Teil des geschützten persönlichen Entwicklungsprozesses ist auch die geschlechtliche Identität. Denn das Geschlecht ist für die meisten Menschen ein essenzieller Aspekt ihres Seins. Außerdem ist das Geschlecht einer Person für ihre Wahrnehmung durch andere wichtig. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts ist die geschlechtliche Identität meistens ein „konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit“, weil die „Zuordnung zu einem Geschlecht“ „typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein[nimmt], wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird“.

Das Grundgesetz schützt die Erkenntnis der einzelnen Person über das eigene Geschlecht. Dieser Schutz kommt nicht nur cis Männern und cis Frauen sowie trans* Männern und trans* Frauen zugute, sondern erfasst auch Menschen, die weder Mann noch Frau sind. Auch sie werden von der Verfassung in ihrem geschlechtlichen Sosein geschützt. Allein anhand des Körpers lässt sich das Geschlecht eines Menschen hingegen nicht verfassungskonform bestimmen. Bereits 1978 sah es das Bundesverfassungsgericht als „ernsthaft in Frage gestellt“ an, dass das Geschlecht eines Menschen ausschließlich anhand seines Körpers bestimmbar sei. 2011 fasste das Bundesverfassungsgericht dann zusammen, dass es eine „wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis“ sei, „dass die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem Geschlecht nicht allein nach den äußerlichen Geschlechtsmerkmalen im Zeitpunkt seiner Geburt bestimmt werden kann, sondern sie wesentlich auch von seiner psychischen Konstitution und seiner selbstempfundenen Geschlechtlichkeit abhängt“. Deswegen urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass es verfassungswidrig ist, die Änderung des rechtlichen Geschlechtseintrags davon abhängig zu machen, den Körper vorher durch Operationen oder Hormone verändern zu müssen.

Welche Anforderungen der Staat ansonsten an die Änderung des Geschlechtseintrags stellen darf, ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass der Staat einen objektiven Nachweis über die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen der Änderung des Geschlechtseintrags verlangen darf. Gleichzeitig dürfen die Nachweise die Grenze des Zumutbaren nicht überschreiten. Ungeklärt ist, wo genau diese Grenze der Zumutbarkeit verläuft. 2011 hat das Bundesverfassungsgericht die nach dem sog. Transsexuellengesetz noch erforderlichen zwei unabhängigen Gutachten als eine solche zumutbare Voraussetzung eingeordnet. Auch 2017 hat es das Gutachtenerfordernis des sog. Transsexuellengesetz nicht aufgehoben. In dieser Entscheidung betonte es jedoch, dass der objektive Nachweis eine dienende Funktion gegenüber den gesetzlich festgelegten Kriterien für eine Änderung habe und dass eben diese Kriterien in der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffen worden seien. Wenn der Staat Nachweise zur Änderung des Geschlechtseintrags verlangt, müsse er sicherstellen, dass diese Nachweise ohne Eingriffe in die Grundrechte der Betroffenen erbracht werden können. So dürfen zum Beispiel in einem Begutachtungsprozess keine Fragen gestellt werden, die für den Nachweis ohne Belang sind, aber gleichzeitig tief in die Intimsphäre der Betroffenen eingreifen.

Alle Geschlechter haben das Recht auf Nichtdiskriminierung

Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz verbietet Diskriminierungen entlang des Merkmals Geschlecht: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Dieser Schutz erfasst neben Frauen und Männern auch Menschen, die weder Frauen noch Männer sind . Weder die Transition an sich darf zu einer Diskriminierung führen , noch das Geschlecht nach der Transition im Vergleich zum Geschlecht vor der Transition , noch das eigene Geschlecht im Vergleich zum Geschlecht anderer Menschen .

Das Diskriminierungsverbot ist für trans* Menschen besonders wichtig, weil sie für Diskriminierungen besonders gefährdet sind . Bezüglich nicht-binärer Menschen hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass sie besonders verletzlich sind: „Die Vulnerabilität von Menschen, deren geschlechtliche Identität weder Frau noch Mann ist, ist in einer überwiegend nach binärem Geschlechtsmuster agierenden Gesellschaft besonders hoch.“ Die Europäische Kommission hat 2020 festgehalten, dass trans*, inter* und nicht-binäre Menschen zu den „am wenigsten akzeptierten Gruppen in der Gesellschaft“ gehören.

Die Diskriminierungen von trans*, inter* und nicht-binären Personen haben in vielen Lebensbereichen in den letzten Jahren sogar zugenommen. Insbesondere in den Lebensbereichen Arbeit und Wohnen erfahren trans* Personen Diskriminierungen. Zudem erleben trans* Menschen immer wieder Hassgewalt, also Gewalt, die sich nur deswegen gegen sie richtet, weil sie trans* sind . Die Zahl von Belästigungen und gewalttätigen Angriffen auf trans* Menschen ist seit 2019 in der EU deutlich angestiegen. Auch bei der politischen Teilhabe stehen trans* Personen in Europa Schwierigkeiten gegenüber, etwa durch Störungen bei Christopher Street Day-Demonstrationen. Transfeindlichkeit gefährdet besonders trans* Frauen, insbesondere von Rassismus betroffene trans* Frauen und trans* Sexarbeiterinnen, was sich u.a. in dem hohen Anteil von trans* Frauen unter den Opfern von Morden an trans* Menschen zeigt. Zudem sind nicht-binäre Menschen von struktureller Diskriminierung betroffen, weil fast alle Einrichtungen dieser Gesellschaft auf einer binären Geschlechterstruktur aufbauen, in der alle Menschen entweder nur ein Mann oder nur eine Frau sind. Das betrifft die Toiletten an beinahe allen öffentlichen Orten, wie Arbeits- und Ausbildungsplätzen, Schulen, Cafés, Sporthallen, etc. sowie Umkleiden und Duschen. Diese baulichen Gegebenheiten können die Gefahr erhöhen, dass nicht-binäre Menschen Opfer von verbalen und körperlichen Attacken werden.

Fazit

Auch wenn sich die Rechtsstellung von trans* Personen in Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz verbessert hat, bleibt laut trans* Verbänden und Initiativen noch Einiges zu tun, damit binäre und nicht-binäre trans* Personen genauso selbstverständlich Teil dieser Gesellschaft sein können wie cis Männer und cis Frauen.

Für andere hingegen gehen bereits die bestehenden gesetzliche Rahmenbedingungen in Teilen zu weit. Sie fordern eine Überprüfung der bestehenden Regelungen, Änderungen oder gar die Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes.

Bei allen Veränderungen müssen das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung und das Gleichbehandlungsgebot handlungsleitend sein.

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