Seit dem 1. November 2024 gilt in Deutschland das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“, das sog. Externer Link: Selbstbestimmungsgesetz. Es regelt, wie Menschen ihren rechtlichen Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern können. Es ermöglicht
Das Selbstbestimmungsgesetz war und ist umstritten: Während es für die einen ein Meilenstein für die Grundrechte von trans*, inter* und nicht-binären Menschen ist, betonen andere, dass das Selbstbestimmungsgesetz nicht alle rechtlichen Probleme gelöst habe, denen trans*, inter* und nicht-binäre Menschen in Deutschland gegenüberstehen. Wieder andere sehen im Selbstbestimmungsgesetz Gefahren, etwa für Jugendliche, wollen den Geltungsbereich des Gesetzes einschränken, verpflichtende Beratungen und Stellungnahmen Dritter im Änderungsprozess wieder einführen oder das Gesetz ganz aufheben.
Verfahren nach dem Selbstbestimmungsgesetz
Vor dem Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) entschied in Deutschland nach dem seit 1981 geltenden sog. Transsexuellengesetz (TSG) ein Gericht darüber, ob eine Person ihren rechtlichen Geschlechtseintrag ändern durfte. Um diese Entscheidung zu beantragen, musste eine Person zwei Gutachten vorlegen, die bestätigten, dass die Person trans* war (§ 4 Abs. 3 TSG).
Das Selbstbestimmungsgesetz ersetzte 2024 das sog. Transsexuellengesetz mit dem Ziel – so formuliert es das Gesetz selbst –, „die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl von der Einschätzung dritter Personen zu lösen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu stärken und das Recht jeder Person auf Achtung und respektvolle Behandlung in Bezug auf die Geschlechtsidentität zu verwirklichen“ (§ 1 Abs. 1 SBGG).
Nun reicht für eine Änderung des staatlichen Geschlechtseintrags eine Erklärung der Person beim Standesamt, dass sie ihren Geschlechtseintrag ändern will (§ 2 Abs. 1 SBGG). Der Staat nimmt damit allein die eigene Aussage von Menschen zu ihrem Geschlecht als Grundlage. Sie müssen sich ihre Kenntnis über ihr Geschlecht nicht mehr von anderen Menschen bestätigen lassen. Durch die Erklärungsmöglichkeit beim Standesamt ist die Änderung des rechtlichen Geschlechtseintrags schneller und kostengünstiger geworden als im nach dem sog. Transsexuellengesetz notwendigen Gerichtsverfahren.
Hat eine Person Vornamen und Geschlechtseintrag nach dem Selbstbestimmungsgesetz geändert, schützt § 13 Selbstbestimmungsgesetz sie davor, dass der alte Vorname und der alte Geschlechtseintrag anderen Menschen offenbart werden. Dieses sogenannte Offenbarungsverbot soll trans* Personen vor einem unfreiwilligem Outing schützen.
Einschränkungen des Geltungsbereichs des Selbstbestimmungsgesetzes
Es gibt Ausnahmen vom Offenbarungsverbot, z. B. wenn die Angaben für Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden erforderlich sind, um ihre Aufgaben zu erfüllen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 SBGG). In solchen Ausnahmefällen dürfen der alte Vorname und Geschlechtseintrag offenbart werden.
Zudem ist eine Änderung des staatlichen Geschlechtseintrags nicht jederzeit oder spontan möglich. Eine Person, die ihren Geschlechtseintrag ändern will, muss diesen Wunsch drei Monate vorher dem Standesamt mitteilen und so die Änderung anmelden (§ 4 SBGG). Wenn sich die Geschlechtsidentität einer Person nach einer bereits erfolgten Änderung noch einmal ändert, muss diese Person (wenn sie volljährig ist) ein Jahr warten, bevor sie ihren Geschlechtseintrag erneut ändern kann (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SBGG).
Kinder und Jugendliche sowie volljährige Menschen, die ihre rechtlichen Angelegenheiten z.B. wegen einer Krankheit ganz oder teilweise nicht mehr selbstständig regeln können und deswegen in personenstandsrechtlichen Angelegenheiten unter rechtlicher Betreuung stehen, können ihren Geschlechtseintrag auch vor Ablauf eines Jahres erneut ändern (§ 5 Abs. 1 Satz 2 SBGG). Sie müssen lediglich die dreimonatige Anmeldefrist einhalten.
Kinder und Jugendliche sowie Volljährige mit rechtlicher Betreuung können die Änderung nach dem Selbstbestimmungsgesetz nicht selbst vornehmen, sondern benötigen die Mitwirkung ihrer rechtlichen Vertretung. Die rechtliche Vertretung von Kindern und Jugendlichen übernehmen in der Regel ihre Eltern. Für Kinder unter 14 Jahren können nur die Eltern die Erklärung nach dem Selbstbestimmungsgesetz abgeben (§ 3 Abs. 2 SBGG). Jugendliche ab 14 Jahren müssen die Erklärung selbst abgeben, benötigen aber die Zustimmung ihrer Eltern (§ 3 Abs. 1 Satz 1 SBGG). Für volljährige Menschen mit rechtlicher Betreuung in personenstandsrechtlichen Angelegenheiten müssen die Betreuer*innen die Erklärung abgeben (§ 3 Abs. 3 SBGG).
Das Selbstbestimmungsgesetz gilt für alle deutschen Staatsangehörigen und alle Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die ihren Aufenthalt dauerhaft in Deutschland haben. Manche Menschen, die in Deutschland leben, können das Selbstbestimmungsgesetz jedoch nicht nutzen: Es findet keine Anwendung auf Personen, die sich in einem laufenden Asylverfahren befinden oder eine Duldung besitzen (vgl. § 1 Abs. 3 SBGG). Es gibt auch Situationen, in denen eine Änderung nach dem Selbstbestimmungsgesetz für eigentlich berechtigte Menschen ausnahmsweise nicht möglich ist. Im zeitlichen Zusammenhang mit einem Spannungs- und Verteidigungsfall nach Artikel 80a Grundgesetz kann ein bis dato männlicher Geschlechtseintrag in Bezug auf den Dienst an der Waffe (Artikel 12a Grundgesetz) nicht geändert werden (§ 9 SBGG). Ändert eine Person ohne deutsche Staatsangehörigkeit ihren Geschlechtseintrag nach dem Selbstbestimmungsgesetz und wird innerhalb von zwei Monaten nach der Änderung ausreisepflichtig, sollen nach § 2 Abs. 4 SBGG der alte Geschlechtseintrag und die alten Vornamen bestehen bleiben.
Durch das Selbstbestimmungsgesetz nicht oder nur teilweise geregelte Fragen
In vielen Lebensbereichen, die für trans* Personen besondere Bedeutung haben, hat das Selbstbestimmungsgesetz keine oder nur marginale Änderungen herbeigeführt.
„Medizinische Maßnahmen werden in diesem Gesetz nicht geregelt“, so § 1 Abs. 2 Selbstbestimmungsgesetz. Damit gilt mit dem Selbstbestimmungsgesetz weiter, was bereits vorher galt: Seit 1987 übernahmen die Krankenkassen aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Kosten für medizinische Transitionsmaßnahmen, wie Hormonbehandlungen und Operationen, sofern ein Leidensdruck besteht, der Krankheitswert hat
Auch betont § 6 Abs. 2 Selbstbestimmungsgesetz, dass beim Zugang zu Einrichtungen und Räumen, etwa von geschlechtsspezifischen Bereichen, sowie bei der Teilnahme an Veranstaltungen die Vertragsfreiheit und das Hausrecht vom Selbstbestimmungsgesetz unberührt bleiben. Das Selbstbestimmungsgesetz hat demnach zwar geändert, wie eine Person ihren Geschlechtseintrag ändern kann. Nicht geändert hat es hingegen, welche Rechte trans* Personen im alltäglichen Leben haben. Insbesondere hat es nichts an dem Verbot von Geschlechterdiskriminierung nach dem Grundgesetz
§ 11 Selbstbestimmungsgesetz trifft Regelungen zum Eltern-Kind-Verhältnis. Eine Neuerung, die im selben Zug wie das Selbstbestimmungsgesetz eingeführt wurde, ist, dass sich nun alle Eltern als „Elternteil“ statt als „Vater“ oder „Mutter“ in die Geburtsurkunde ihrer Kinder eintragen lassen können (§ 48 Abs. 1a Personenstandsverordnung). Das ermöglicht eine nicht vergeschlechtlichte Eintragungsart und kommt dadurch insbesondere nicht-binären Menschen zugute.
Auch für trans* Männer, die ihre Kinder nicht gebären, sondern mit der Person, die das Kind gebärt, verheiratet sind oder die Vaterschaft anerkennen, hat das Selbstbestimmungsgesetz die Situation verbessert: sie können die Vaterschaft jetzt wie alle cis Väter (gem. §§ 1592 Nr. 2, 1594 BGB) beim Jugendamt oder bei einem*r Notar*in anerkennen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 SBGG).
Das Selbstbestimmungsgesetz hat hingegen nichts an der Situation geändert, dass trans* Männer, die Kinder gebären, in Deutschland rechtlich als Mütter gelten (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SBGG). Trans* Frauen, die Kinder mit Sperma zeugen, können die Elternschaft unmittelbar ebenfalls nur als Väter erlangen.
Debatten um das Selbstbestimmungsgesetz
Das Selbstbestimmungsgesetz wird aus unterschiedlichen Richtungen kritisiert. Während es manchen nicht weit genug geht und zu viele Einschränkungen und Ausnahmen beinhaltet, halten andere die Regelungen für zu weitreichend. Manche fordern die Aufhebung des Selbstbestimmungsgesetzes.
Diejenigen, die das Gesetz für zu weitgehend erachten, stellen zum einen die leichtere Zugänglichkeit der Korrekturmöglichkeit des Geschlechtseintrags in Frage. Sie befürchten Missbrauch, wenn Geschlechtseintrag und Vornamen wie nun nach dem Selbstbestimmungsgesetz geändert werden können, ohne dass der Staat die Gründe für die Änderung untersucht.
Sie machen sich außerdem Sorgen, dass Minderjährige nicht in der Lage seien, Bedeutung und Folgen von Änderungen nach dem Selbstbestimmungsgesetz abzuschätzen. Der Staat müsse Kinder und Jugendliche besser vor möglichen Fehleinschätzungen schützen. Sie fordern, die Möglichkeiten von Minderjährigen, das Selbstbestimmungsgesetz zu nutzen, weiter einzuschränken.
Entgegen dem Offenbarungsschutz nach dem Selbstbestimmungsgesetz, dass ehemaliger Geschlechtseintrag und ehemalige Vornamen anderen Menschen in der Regel nicht ohne die Zustimmung der betroffenen trans* Person mitgeteilt werden dürfen, wird nun gefordert, die personenbezogenen Daten von trans* Personen in größerem Umfang als bisher zwischen Behörden austauschen zu können.
Manche bestreiten grundlegend, dass es trans* Personen gäbe. Sie behaupten, dass es nur zwei biologische Geschlechter gibt und fordern die Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes.
Gegenteilige Positionen kritisieren hingegen die Ausnahmen von der geschlechtlichen Selbstbestimmung in sachlicher Hinsicht wie durch die Ausnahmeregelung im Spannungs- und Verteidigungsfall ebenso wie die Beschränkungen in persönlicher Hinsicht.
Auch benötigten, so andere Stimmen, gerade Menschen, die vor trans*feindlicher Gewalt nach Deutschland fliehen, den Schutz des Selbstbestimmungsgesetzes. Trans* Personen solle es daher ermöglicht werden, ihr selbst empfundenes Geschlecht und ihre geschlechtlich passenden Namen bereits im Asylverfahren zu verwenden.
Eine andere Kritik betrifft die Situation von trans* Eltern. Sie müsse so geregelt werden, dass trans* Eltern auch als Eltern in ihrem gelebten Geschlecht anerkannt werden. Damit einher geht die Forderung nach einer umfassenden Reform des Abstammungsrechts.
Gefordert wird zudem eine Gesetzesänderung, um für alle trans* Menschen, egal ob binär oder nicht-binär, die medizinische Transitionsmaßnahmen brauchen, einen Zugang mit Kostenübernahme durch die Krankenkassen sicherzustellen.
Die aktuelle Regierung aus CDU/CSU und SPD hat sich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, das Selbstbestimmungsgesetz bis zum 31. Juli 2026 zu evaluieren.
Verfassungsrechtlicher Rahmen
Das Grundgesetz bietet für die Debatten um die rechtliche Ausgestaltung der Situation von trans* Personen einige Leitlinien, die bei politischen Debatten meistens nicht die eine Lösung vorgeben, aber den Rahmen dessen setzen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.
Mehr als zwei Geschlechter
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2017 in seiner Entscheidung zur sog. Dritten Option deutlich gemacht, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, nämlich auch Menschen, die weder Männer noch Frauen sind. Teil des grundrechtlichen Schutzes der Menschen, die weder Männer noch Frauen sind, ist das Recht, eine geschlechtliche Identität jenseits von männlich und weiblich in staatlichen Registern abzubilden, solange es eine Verpflichtung zur Angabe des Geschlechts im Personenstandsrecht gibt.
Geschlecht ist wandelbar und kann nicht auf den Körper reduziert werden
Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht seit 1978 in seiner Rechtsprechung wiederholt betont, dass sich das Geschlecht eines Menschen im Laufe seines Lebens wandeln kann.
Das Grundgesetz schützt die Erkenntnis der einzelnen Person über das eigene Geschlecht.
Welche Anforderungen der Staat ansonsten an die Änderung des Geschlechtseintrags stellen darf, ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass der Staat einen objektiven Nachweis über die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen der Änderung des Geschlechtseintrags verlangen darf.
Alle Geschlechter haben das Recht auf Nichtdiskriminierung
Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz verbietet Diskriminierungen entlang des Merkmals Geschlecht: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Dieser Schutz erfasst neben Frauen und Männern auch Menschen, die weder Frauen noch Männer sind
Das Diskriminierungsverbot ist für trans* Menschen besonders wichtig, weil sie für Diskriminierungen besonders gefährdet sind
Die Diskriminierungen von trans*, inter* und nicht-binären Personen haben in vielen Lebensbereichen in den letzten Jahren sogar zugenommen.
Fazit
Auch wenn sich die Rechtsstellung von trans* Personen in Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz verbessert hat, bleibt laut trans* Verbänden und Initiativen noch Einiges zu tun, damit binäre und nicht-binäre trans* Personen genauso selbstverständlich Teil dieser Gesellschaft sein können wie cis Männer und cis Frauen.
Für andere hingegen gehen bereits die bestehenden gesetzliche Rahmenbedingungen in Teilen zu weit. Sie fordern eine Überprüfung der bestehenden Regelungen, Änderungen oder gar die Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes.
Bei allen Veränderungen müssen das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung und das Gleichbehandlungsgebot handlungsleitend sein.