Informationskampagnen sind Teil einer breiten EU-Strategie, die Entscheidungen (potenzieller) Migrant*innen schon früh und noch außerhalb von Europa zu beeinflussen. Sie zielen darauf ab, diese Menschen über mit der Migration verbundene Risiken „aufzuklären“. In der Praxis sollen sie eine abschreckende Wirkung entfalten, um irreguläre Migration zu verhindern. Aber schaffen sie das wirklich? Was ist über die Wirkung dieser Kampagnen bekannt?
Hintergrund und Formen der Kampagnen
Hinter den Informationskampagnen steht die Annahme, dass potenzielle Migrant*innen unzureichend über die Risken einer irregulären Migration sowie über das Leben und die Möglichkeiten im Zielland informiert seien. Ihr Wissen zu dem Thema sei unvollständig oder mindestens ungenau. Diese Kampagnen versuchen daher, Migrationsentscheidungen und -verhalten zu verändern und so zu weniger irregulärer Migration nach Europa beizutragen.
Die ersten strukturierten Informationskampagnen, um Migration präventiv zu steuern, gab es in den 1990er Jahren. Seit den 2000er Jahren werden solche Kampagnen nicht mehr nur von den EU-Mitgliedstaaten, sondern auch von den EU-Institutionen finanziert und gefördert. Ihre Bedeutung ist dann vor allem infolge der umfangreichen Fluchtbewegungen der Jahre 2015 und 2016 gestiegen, als eine große Zahl von Menschen vor allem aus Syrien einen Asylantrag in der EU stellte. Unmittelbar nach dieser Zeit wurden insgesamt 104 Kampagnen von verschiedenen EU-Staaten und 25 Kampagnen von EU-Institutionen organisiert.
Migrationsbezogene Informationskampagnen wurden traditionell in Printmedien oder in Form von Flyern, Plakaten, Werbetafeln sowie im Kino, Fernsehen und Radio verbreitet. Sie können auch persönliche Gespräche oder Informationsangebote in Theatern, Workshops, Konzerten, Roadshows und ähnlichen Veranstaltungen beinhalten. Seit den 2010er-Jahren hat die zunehmende Bedeutung sozialer Medien bei jungen potenziellen Migrant*innen webbasierte Kampagnen in den Vordergrund gerückt. Soziale Plattformen wie Facebook, YouTube, Instagram und X (ehemals Twitter) werden genutzt, um über die Gefahren irregulärer Migration und von Schleusungen sowie über lokale Arbeitsmöglichkeiten zu informieren.
Zentrale Akteure
An der Konzeption, Planung und Umsetzung von Informationskampagnen sind verschiedene Akteure beteiligt. EU-Finanzgeber, zivilgesellschaftliche Organisationen wie z.B. NGOs, die
Neue Strategien der Kampagnendurchführung haben die Bandbreite der beteiligten Akteure nochmals erweitert. In z. B. Afrika durchgeführte, von der IOM geleitete Kampagnen setzen häufig auf ehemalige Migrant*innen als „Botschafter*innen“. In solchen Peer-to-Peer-Kampagnen, die Namen wie „Migrants as Messengers“ (MaM) haben, teilen Rückkehrer*innen ihre Erfahrungen in Form von oft emotionalen Videos. Zielgruppen sind häufig Gemeinden mit hoher Auswanderungsrate.
Neben Rückkehrer*innen werden auch lokale Künstler*innen, Musiker*innen und Theatergruppen in die Verbreitung der Kampagnen eingebunden. Ein Beispiel ist die von der italienischen Regierung finanzierte und von der IOM in verschiedenen afrikanischen Ländern durchgeführte „Aware Migrants Information Campaign“.
Botschaften der Kampagnen
Informationskampagnen für potenzielle Migrant*innen verfolgen das Ziel, eine bestimmte Botschaft an eine klar definierte Zielgruppe zu vermitteln. Auch wenn die Kampagnen unterschiedlich gestaltet sind, versucht die EU im Regelfall, drei zentrale Botschaften zu übermitteln:
Das Leben in Europa ist für irreguläre Migrant*innen schwierig und aussichtslos;
Die Reise nach Europa ist lebensgefährlich;
Es gibt ungenutzte Chancen im eigenen Land – diese gilt es zu nutzen, anstatt sein Leben anderswo zu riskieren.
Im Kern konzentrieren sich diese Botschaften somit auf die Risiken einer irregulären Reise sowie auf die Gefahr, im Ankunftsland ausgebeutet zu werden oder zu scheitern. Solche Videos zeigen zum Beispiel Interviews mit ehemaligen Migrant*innen, die in
Wirkung der Kampagnen
Informationskampagnen gelten oft als erfolgreich, wenn Regierungen feststellen, dass die Zahl irregulärer Einreisen aus einem bestimmten Land zurückgeht – auch wenn dies nur in geringem Ausmaß geschieht. In der Realität ist es jedoch äußerst schwierig, einen kausalen Zusammenhang zwischen Informationskampagnen und Migrationsentscheidungen und -zahlen nachzuweisen. Die Entwicklung und Durchführung einer Kampagne kann zeitlich mit einem Rückgang des Umfangs der Migration einhergehen, doch das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Kampagne diesen Rückgang verursacht hat.
Kritische Migrationsforscher*innen bezeichnen Informationskampagnen als symbolische Politik. Sie würden es Regierungen ermöglichen, zu zeigen, dass sie „etwas tun“ und im Bereich Migration „die Kontrolle haben“.
Die meisten Studien, die sich explizit mit den Auswirkungen solcher Kampagnen befassen, weisen darauf hin, dass sie eine geringe Wirkung auf die Entscheidungsprozesse von Migrant*innen haben. Eine Untersuchung von 25 Gemeinschaften in Afrika und Asien ergab, dass der Kontakt mit solchen Kampagnen – insbesondere mit Warnungen vor Migration – junge Erwachsene nur selten davon abhielt, auswandern zu wollen. In manchen Fällen hätten der Studie zufolge Warnungen vor Migration sogar zu einer stärkeren Auswanderungsabsicht geführt.
Eine tiefergehende qualitative Studie über junge Menschen in Gambia ist zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Sie untersuchte, wie Informationskampagnen deren Entscheidungen beeinflussen. Die eigenen (oft positiven) Erzählungen der Jugendlichen über Migration standen weitgehend im Widerspruch zu den Abschreckungsbotschaften der EU – und wurden davon kaum beeinflusst.
Warum ist das so? Die von der EU finanzierten Kampagnen konkurrieren mit einer Vielzahl anderer Informationsquellen, die häufig mehr Glaubwürdigkeit und Reichweite haben. Besonders wichtig sind hier soziale Medien. Menschen teilen dort Geschichten, Videos und Fotos von Migrant*innen in Europa und bekräftigen damit die Erzählung, dass es möglich ist, dorthin zu gelangen und „Erfolg“ zu haben. Darüber hinaus spielen weitere Faktoren eine größere Rolle bei der Entscheidung zu migrieren. Diese beinhalten einen oft harten Alltag und die Sorgen ums tägliche Überleben in den Herkunftsländern sowie einen gesellschaftlichen Respekt gegenüber all jenen, die es als Migrant*in nach Europa geschafft haben.