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EU-Informationskampagnen zur Abschreckung irregulärer Migration | EU-Migrations- und Asylpolitik | bpb.de

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EU-Informationskampagnen zur Abschreckung irregulärer Migration

Florian Trauner

/ 6 Minuten zu lesen

Informationskampagnen sollen „aufklären“, häufig auch mithilfe abschreckender Geschichten und Bilder. Das soll irreguläre Migration verhindern. Funktioniert das?

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen in Genf (Schweiz). Die IOM ist einer der zentralen Akteure bei der Umsetzung der Informationskampagnen zur Eindämmung irregulärer Migration. (© picture-alliance/dpa, Christiane Oelrich)

Informationskampagnen sind Teil einer breiten EU-Strategie, die Entscheidungen (potenzieller) Migrant*innen schon früh und noch außerhalb von Europa zu beeinflussen. Sie zielen darauf ab, diese Menschen über mit der Migration verbundene Risiken „aufzuklären“. In der Praxis sollen sie eine abschreckende Wirkung entfalten, um irreguläre Migration zu verhindern. Aber schaffen sie das wirklich? Was ist über die Wirkung dieser Kampagnen bekannt?

Hintergrund und Formen der Kampagnen

Hinter den Informationskampagnen steht die Annahme, dass potenzielle Migrant*innen unzureichend über die Risken einer irregulären Migration sowie über das Leben und die Möglichkeiten im Zielland informiert seien. Ihr Wissen zu dem Thema sei unvollständig oder mindestens ungenau. Diese Kampagnen versuchen daher, Migrationsentscheidungen und -verhalten zu verändern und so zu weniger irregulärer Migration nach Europa beizutragen.

Die ersten strukturierten Informationskampagnen, um Migration präventiv zu steuern, gab es in den 1990er Jahren. Seit den 2000er Jahren werden solche Kampagnen nicht mehr nur von den EU-Mitgliedstaaten, sondern auch von den EU-Institutionen finanziert und gefördert. Ihre Bedeutung ist dann vor allem infolge der umfangreichen Fluchtbewegungen der Jahre 2015 und 2016 gestiegen, als eine große Zahl von Menschen vor allem aus Syrien einen Asylantrag in der EU stellte. Unmittelbar nach dieser Zeit wurden insgesamt 104 Kampagnen von verschiedenen EU-Staaten und 25 Kampagnen von EU-Institutionen organisiert.

Migrationsbezogene Informationskampagnen wurden traditionell in Printmedien oder in Form von Flyern, Plakaten, Werbetafeln sowie im Kino, Fernsehen und Radio verbreitet. Sie können auch persönliche Gespräche oder Informationsangebote in Theatern, Workshops, Konzerten, Roadshows und ähnlichen Veranstaltungen beinhalten. Seit den 2010er-Jahren hat die zunehmende Bedeutung sozialer Medien bei jungen potenziellen Migrant*innen webbasierte Kampagnen in den Vordergrund gerückt. Soziale Plattformen wie Facebook, YouTube, Instagram und X (ehemals Twitter) werden genutzt, um über die Gefahren irregulärer Migration und von Schleusungen sowie über lokale Arbeitsmöglichkeiten zu informieren. Kampagnen in den sozialen Medien sind kostengünstiger als Kampagnen in traditionellen Medien und erleichtern es verschiedenen Akteuren – einschließlich Regierungen – mit potenziellen Migrant*innen zu interagieren. Jedoch ist die Wirkung von sozialen Medien oft schwer einzuschätzen. Eine hohe Zahl an „Views“ sagt wenig über die tatsächliche Relevanz bzw. Wirkung einer Informationskampagne aus.

Zentrale Akteure

An der Konzeption, Planung und Umsetzung von Informationskampagnen sind verschiedene Akteure beteiligt. EU-Finanzgeber, zivilgesellschaftliche Organisationen wie z.B. NGOs, die Interner Link: Internationale Organisation für Migration (IOM), das Interner Link: UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) sowie ins Herkunftsland zurückgekehrte Migrant*innen und Prominente zählen zu den wichtigsten Akteuren. Seit den 1990er Jahren ist die IOM eine führende Partnerin bei der Durchführung von Informationskampagnen. Zunehmend werden auch private Beratungs- und Kommunikationsfirmen beauftragt.

Neue Strategien der Kampagnendurchführung haben die Bandbreite der beteiligten Akteure nochmals erweitert. In z. B. Afrika durchgeführte, von der IOM geleitete Kampagnen setzen häufig auf ehemalige Migrant*innen als „Botschafter*innen“. In solchen Peer-to-Peer-Kampagnen, die Namen wie „Migrants as Messengers“ (MaM) haben, teilen Rückkehrer*innen ihre Erfahrungen in Form von oft emotionalen Videos. Zielgruppen sind häufig Gemeinden mit hoher Auswanderungsrate.

Neben Rückkehrer*innen werden auch lokale Künstler*innen, Musiker*innen und Theatergruppen in die Verbreitung der Kampagnen eingebunden. Ein Beispiel ist die von der italienischen Regierung finanzierte und von der IOM in verschiedenen afrikanischen Ländern durchgeführte „Aware Migrants Information Campaign“. Eine Reihe von Videos, teilweise von bekannten Musiker*innen, übermittelt Botschaften, die junge Menschen vom Verlassen ihres Landes und irregulärer Migration abhalten sollen.

Botschaften der Kampagnen

Informationskampagnen für potenzielle Migrant*innen verfolgen das Ziel, eine bestimmte Botschaft an eine klar definierte Zielgruppe zu vermitteln. Auch wenn die Kampagnen unterschiedlich gestaltet sind, versucht die EU im Regelfall, drei zentrale Botschaften zu übermitteln:

  1. Das Leben in Europa ist für irreguläre Migrant*innen schwierig und aussichtslos;

  2. Die Reise nach Europa ist lebensgefährlich;

  3. Es gibt ungenutzte Chancen im eigenen Land – diese gilt es zu nutzen, anstatt sein Leben anderswo zu riskieren.

Im Kern konzentrieren sich diese Botschaften somit auf die Risiken einer irregulären Reise sowie auf die Gefahr, im Ankunftsland ausgebeutet zu werden oder zu scheitern. Solche Videos zeigen zum Beispiel Interviews mit ehemaligen Migrant*innen, die in Interner Link: Lagern in Libyen gefoltert oder unmenschlich behandelt wurden. Basierend auf diesen Erfahrungen raten sie anderen Migrationswilligen ab, diese gefährliche Reise überhaupt in Erwägung zu ziehen. Andere Kampagnen versuchen darzustellen, dass Irregularität in Europa im Regelfall zu Verhaftung und Abschiebung führen, indem sie Bilder/Videos von verhafteten oder von Polizist*innen verfolgten Migrant*innen zeigen.

Wirkung der Kampagnen

Informationskampagnen gelten oft als erfolgreich, wenn Regierungen feststellen, dass die Zahl irregulärer Einreisen aus einem bestimmten Land zurückgeht – auch wenn dies nur in geringem Ausmaß geschieht. In der Realität ist es jedoch äußerst schwierig, einen kausalen Zusammenhang zwischen Informationskampagnen und Migrationsentscheidungen und -zahlen nachzuweisen. Die Entwicklung und Durchführung einer Kampagne kann zeitlich mit einem Rückgang des Umfangs der Migration einhergehen, doch das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Kampagne diesen Rückgang verursacht hat.

Kritische Migrationsforscher*innen bezeichnen Informationskampagnen als symbolische Politik. Sie würden es Regierungen ermöglichen, zu zeigen, dass sie „etwas tun“ und im Bereich Migration „die Kontrolle haben“. Sie würden jedoch die eigentlichen Ursachen von (erzwungener) Migration – wie staatliche Repression und Gewalt oder extreme Armut und strukturelle ökonomische Ungleichheiten – nicht aufgreifen.

Die meisten Studien, die sich explizit mit den Auswirkungen solcher Kampagnen befassen, weisen darauf hin, dass sie eine geringe Wirkung auf die Entscheidungsprozesse von Migrant*innen haben. Eine Untersuchung von 25 Gemeinschaften in Afrika und Asien ergab, dass der Kontakt mit solchen Kampagnen – insbesondere mit Warnungen vor Migration – junge Erwachsene nur selten davon abhielt, auswandern zu wollen. In manchen Fällen hätten der Studie zufolge Warnungen vor Migration sogar zu einer stärkeren Auswanderungsabsicht geführt.

Eine tiefergehende qualitative Studie über junge Menschen in Gambia ist zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Sie untersuchte, wie Informationskampagnen deren Entscheidungen beeinflussen. Die eigenen (oft positiven) Erzählungen der Jugendlichen über Migration standen weitgehend im Widerspruch zu den Abschreckungsbotschaften der EU – und wurden davon kaum beeinflusst.

Warum ist das so? Die von der EU finanzierten Kampagnen konkurrieren mit einer Vielzahl anderer Informationsquellen, die häufig mehr Glaubwürdigkeit und Reichweite haben. Besonders wichtig sind hier soziale Medien. Menschen teilen dort Geschichten, Videos und Fotos von Migrant*innen in Europa und bekräftigen damit die Erzählung, dass es möglich ist, dorthin zu gelangen und „Erfolg“ zu haben. Darüber hinaus spielen weitere Faktoren eine größere Rolle bei der Entscheidung zu migrieren. Diese beinhalten einen oft harten Alltag und die Sorgen ums tägliche Überleben in den Herkunftsländern sowie einen gesellschaftlichen Respekt gegenüber all jenen, die es als Migrant*in nach Europa geschafft haben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Beitrag baut auf diesem Artikel auf: Cham, Omar N./Trauner, Florian (2023). Migration information campaigns: how to analyse their impact? In: International Migration, 61(1), 47-57. Mehr weiterführende Literatur und genauere Ausführungen finden sich in diesem Artikel.

  2. European Migration Network (2019). ‘Migration and communication: Information and Awareness-raising Campaigns in Countries of Origin and Transit’. Diplomatic Academy of Vienna.

  3. Vgl. auch Pagogna, R. & Sakdakpolrak, P. (2021). ‘Disciplining migration aspirations through migration-information campaigns: A systematic review of the literature.’ Geography Compass, 15/7.

  4. Siehe die Website: Externer Link: https://www.awaremigrants.org

  5. Vgl. Trauner, F./Brekke, J.-P./Adam, I./Cham, O./Thorbjørnsrud, K. (2024). “It’s not about the information, it’s about the situation”: Understanding the misalignment between EU deterrence messaging and migrants’ narratives. In: Journal of Ethnic and Migration Studies, 50(14), 337-3395.

  6. Vgl. z.B. Oeppen, C. (2016). '‘Leaving Afghanistan! Are You Sure?’ European Efforts to Deter Potential Migrants Through Information Campaigns'. Human Geography 9(2): 57-68.

  7. Vgl. Caso, N. and Carling, J. (2024). 'The reach and impact of migration information campaigns in 25 communities across Africa and Asia'. Migration Policy Practice, 13(1): 3-11.

  8. Vgl. Cham, O.N./Trauner, F./Adam, I. (2025). The role of EU-promoted versus local narratives in migratory decision-making in the Gambia. In: International Migration, DOI: 10.1111/imig.70036

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autor/-in: Florian Trauner für bpb.de

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Florian Trauner ist Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Brüssel (VUB) und Dekan der Brussels School of Governance. Er forscht zu europäischer Governance, insbesondere zu Migration, Asyl, innerer Sicherheit sowie der Förderung von Rechtsstaatlichkeit durch die EU. Er ist Mitbegründer des VUB-Zentrums für Migration- und Minderheitenforschung (BIRMM).