In den letzten Jahrzehnten haben sich Rechtsaußenparteien in Europa nahezu flächendeckend etabliert und bedeutende Wahlerfolge erzielt. In Ländern wie
Akkommodation als politische Reaktion auf den Aufstieg der Rechten
Im Mittelpunkt der Debatten stehen hierbei sogenannte „akkommodative Strategien“. Unter Akkommodation versteht man in der Politikwissenschaft die teilweise Übernahme von Positionen anderer Parteien.
Debatten über Probleme und Chancen von Migration und Integration sind dabei grundsätzlich Teil einer demokratischen Debattenkultur. Diese Themen stehen mit einer Vielzahl gesellschaftlicher Herausforderungen in Verbindung, die öffentlich wie privat oft auch kontrovers diskutiert werden. Hierzu gehören beispielsweise Kapazitätsengpässe bei der kommunalen Unterbringung von Geflüchteten, die zusätzliche Anforderungen an den ohnehin angespannten Wohnungsmarkt, Fragen der Bildungs- und Arbeitsmarktintegration, der inneren Sicherheit sowie des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Zu den charakteristischen Positionen von Rechtsaußenparteien gehören:
Verknüpfung von Zuwanderung mit Sicherheitsbedenken und pauschalen kulturellen Bedrohungsszenarien
Narrative über „Überfremdung“ oder kulturellen Identitätsverlust
Darstellung von Migration als primäre Ursache für soziale und wirtschaftliche Probleme
Vorschläge zur Bevorzugung der einheimischen Bevölkerung bei Sozialleistungen
Nationale Souveränitätsansprüche gegenüber der EU.
DiskussionenVerschärfte Asylpolitik
Vor dem Hintergrund hoher Immigrationszahlen in die Europäische Union und Debatten um eine stärkere europäische Zusammenarbeit, wurde die Asylpolitik in den letzten Jahren europaweit verschärft. So hat die Europäische Union im Jahr 2024 ein Migrations- und Asylpaket beschlossen, das eine koordinierte Steuerung und stärkere Begrenzung von Zuwanderung nach Europa anstrebt.
Fußnoten
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Siehe bspw. Externer Link: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/migration-cdu-bundesregierung-bundeslaender-wahlen-thueringen-sachsen-102.html und Externer Link: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/kriminalitaet-debatte-cdu-100.html für Debatten im Rahmen der Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September 2024.
Ein Beispiel für das Dilemma, mit dem Parteien der politischen Mitte angesichts erstarkender Rechtsaußenparteien konfrontiert sind, zeigte sich Ende Januar 2025 im Deutschen Bundestag. Vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden öffentlichen Debatte
KontroverseEinordnung der AfD
In der Politikwissenschaft wird die AfD als rechtsradikale, völkisch-nationalistische und rassistische Partei eingeordnet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stuft die AfD "aufgrund der die Menschenwürde missachtenden, extremistischen Prägung der Gesamtpartei als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein". Externer Link: Das hat das BfV am 2. Mai 2025 in einer Pressemitteilung öffentlich gemacht. Gegen die Einstufung hat die AfD beim Verwaltungsgericht Köln Klage eingereicht. Die vorherige Einstufung als „Verdachtsfall“ durch das BfV wurde zuletzt vom Oberverwaltungsgericht NRW bestätigt, gegen die Nichtzulassung einer Revision klagt die AfD jedoch vor dem Bundesverwaltungsgericht.
In Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen stuft der jeweilige Landesverfassungsschutz die Partei als „erwiesene“ bzw. „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ ein. In Sachsen-Anhalt steht die juristische Auseinandersetzung um diese Einstufung noch aus.
Mit Blick auf solche Beispiele stellen sich für Parteien der Mitte strategische wie normative Kernfragen: Wie lässt sich auf gesellschaftliche Herausforderungen reagieren, ohne dabei zur Normalisierung von politischen Positionen beizutragen, die vom rechten Rand betont werden? Ist eine restriktive Immigrationspolitik dazu geeignet, das Erstarken von Rechtsaußenparteien zu verhindern – oder haben solche Anpassungen einen gegenteiligen Effekt, indem sie ihnen eine größere Anschlussfähigkeit im politischen Mainstream verschaffen?
Chancen und Risiken des Mainstreamings
Wissenschaftliche Studien haben verschiedene Auswirkungen von Akkommodationsstrategien untersucht. Dabei wurden sowohl mögliche Vor- als auch Nachteile betrachtet. Einerseits besteht die Möglichkeit, dass Wählende aus dem Lager der Rechtsaußenparteien abgeworben werden können. Diese Annahme stützt sich auf die Beobachtung, dass migrationskritische Positionen für viele Wählende von Rechtsaußenparteien zentral sind – in Umfragen nennen beispielweise regelmäßig über 80 Prozent der AfD-Anhänger:innen Migrations- und Asylpolitik als ausschlaggebendes Wahlmotiv.
Einige Forschungsarbeiten argumentieren, dass etablierte Parteien durchaus erfolgreich sein können, wenn sie die Themen von so genannten Nischenparteien aufgreifen.
Andere Forscher:innen halten dagegen, dass solche Strategien Rechtsaußenparteien im Zweifel stärken. So könnten Rechtsverschiebungen dazu beitragen, dass sich öffentliche Debatten zunehmend um die Kernthemen von Rechtsaußenparteien drehen. Mehrere Untersuchungen sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Unterstützung für Rechtsaußenparteien zunimmt, je stärker die mediale Aufmerksamkeit auf deren Kernthemen liegt.
RechtsaußenparteienImmigration als „Trichterthema“
Auch wenn Rechtsaußenparteien nicht als Ein-Themen-Parteien begriffen werden können, nehmen die Themen Zuwanderung und Integration für sie eine zentrale Rolle ein. Das Konzept des 'Trichterthemas' beschreibt in der Politikwissenschaft, wie bestimmte Themen als zentraler Ausgangspunkt für politische Programmatiken genutzt werden. So leiten Rechtsaußenparteien andere gesellschaftliche Probleme oftmals durch die Themen Einwanderung und Integration „hindurch", bevor sie von ihnen aufgegriffen werden. Immigration wird aus dieser Perspektive zur Kernursache für eine Vielzahl weiterer gesellschaftspolitischer Herausforderungen.
Außerdem, so die Annahme, könnten durch das Mainstreaming Sichtweisen enttabuisiert werden. Was einst als radikal galt, werde dadurch zunehmend als "normal" angesehen.
Wie effektiv sind Rechtsverschiebungen im Parteienwettbewerb?
Um die Frage zu betrachten, ob Rechtsverschiebungen einen Stimmenrückgang für Rechtsaußenparteien bedeuten, haben Studien die programmatischen Positionen von linken und rechten Mainstreamparteien in den Blick genommen und Wähler:innenwanderungen in Folge von akkommodierenden Strategien in unterschiedlichen westeuropäischen Ländern analysiert.
Den empirischen Befunden zufolge verringern akkommodierende Strategien die Zustimmung für Rechtsaußenparteien an den Wahlurnen nicht. Auch unter Berücksichtigung von Kontextfaktoren, wie dem Alter der Rechtsaußenparteien, der Existenz einer Brandmauer (cordon sanitaire) oder der ideologischen Ausrichtung der akkommodierenden Parteien, konnte kein nennenswerter Erfolg dieser Strategie gefunden werden. Eine verstärkte Abwanderung von Wählenden zu Rechtsaußenparteien zeigte sich, wenn diese bereits etablierte Akteure eines Parteiensystems waren oder wenn sich der politische Diskurs um z. B. Migration bereits nach rechts verschoben hatte.
Kontroverse BewertungenDas "Dänemark-Modell"
Ab 2015 übernahm die dänische sozialdemokratische Partei migrationskritische Positionen von der Dansk Folkeparti (DF). Nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten 2019 setzten sie eine deutlich restriktivere Asylpolitik um. Die DF verlor massiv an Stimmen – von 21,1 Prozent (2015) auf 8,7 Prozent (2019) und 2,6 Prozent (2022).
Einige Beobachter:innen sehen in diesem
Kritiker:innen verweisen auf andere Faktoren, die die Wahlergebnisse der DF erklären können. Hierzu zählen zum Beispiel interne Streitigkeiten, die die Partei schwächten. Außerdem sind neue Parteien wie die rechtsgerichtete Danmarksdemokraterne (DD) entstanden, die das Wahlpotential der DF aufgegriffen haben. In diesem Sinne liegt die Vermutung nahe, dass die Übernahme rechter Positionen zu einer allgemeinen Verschiebung des politischen Diskurses nach rechts geführt hat, ohne dass das Rechtsaußenlager nachhaltig geschwächt wurde.
In aktuellen Umfragen erreichen die beiden Parteien DF und DD zusammen rund 15 Prozent. Als Wahlergebnis wäre dies das zweitbeste in der Geschichte des Rechtsaußenlagers in Dänemark.
Ein weiterer Effekt ist zu beobachten, wenn Regierungskoalitionen mit Rechtsaußenparteien in Betracht gezogen werden. Auch hier können Wähler:innen dazu tendieren, Rechtsaußenparteien als zunehmend ‘normale‘ Akteure des politischen Wettbewerbs wahrzunehmen. Vor den niederländischen Wahlen 2023 stellte die konservativ-liberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) eine mögliche Kooperation mit der rechtsradikalen Partij voor de Vrijheid (PVV) in Aussicht. Nachdem die PVV über zehn Jahre politisch isoliert gewesen ist, erlebte sie nach diesen Worten in den letzten Wochen vor der Wahl einen stetig wachsenden Zuspruch in den Meinungsumfragen. Am Wahltag ging die Partei mit 23,5 Prozent der Stimmen als stärkste Kraft hervor und stellt derzeit fünf von 16 Minister:innen in der niederländischen Regierung.
Zur Erklärung der (Un-)Wirksamkeit akkommodativer Strategien sind insbesondere die individuellen Beweggründe für die Wahl von Rechtsaußenparteien von Bedeutung. Das Elektorat dieser Parteien ist dabei keineswegs homogen: Wahlmotive reichen von wirtschaftlichen Abstiegsängsten über Unzufriedenheitsgefühle mit politischen Eliten zu allgemeinen Zukunftssorgen. Zugleich zeigen sowohl vergleichende
Der Umgang mit Rechtsaußenparteien als langfristige Herausforderung
Der Aufstieg von Rechtsaußenparteien stellt eine langfristige Herausforderung für die Demokratien Europas dar. Die westeuropäische Erfahrung zeigt, dass es in dieser Situation keine goldene Regel für den Umgang mit dem rechten Rand gibt.
Stattdessen bedarf es eines vielschichtigen Ansatzes, der Parteien, Medien und die Zivilgesellschaft einbezieht und Herausforderungen im Bereich der Immigration und Integration konstruktiv bewältigt. Dies bedeutet nicht, existierende Schwierigkeiten zu ignorieren. Vielmehr sollten in der Bevölkerung wahrgenommene Probleme, die oft auch durch den "Trichter" Immigration betrachtet werden, entkoppelt und unabhängig angegangen werden, um geeignete Lösungen zu finden. Hier bieten sich verschiedene Ansatzpunkte wie die Trennung von faktischen Problemen (z.B. Integrationsherausforderungen) von ideologischen Interpretationen, die differenzierte Darstellung von Migration als komplexes Phänomen sowie ein Fokus auf evidenzbasierte, sachliche Debatten anstelle emotionalisierter Diskussionen.
Es ist also nicht das 'Ob', sondern das 'Wie' der Thematisierung entscheidend. Dies betrifft auch die wahrgenommene Problemlösungskompetenz der Parteien der politischen Mitte sowie deren Kommunikationsfähigkeit. Während der intensive mediale Fokus auf dem Migrationsthema in aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und realen Integrationsaufgaben wurzelt, haben sowohl Medienschaffende als auch politische Akteure erheblichen Spielraum, wie sie das Thema behandeln. So können sachlich fundierte Debatten, die verschiedene Perspektiven berücksichtigen, zur demokratischen Meinungsbildung beitragen, ohne Narrative von Rechtsaußen zu verstärken. Dies würde auch einen gesellschaftlich ausgewogeneren Diskurs über gegenwärtige gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen fördern.