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Schnelleinstieg: Warum sich Deutschlands Bevölkerung wandelt | Demografischer Wandel | bpb.de

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Schnelleinstieg: Warum sich Deutschlands Bevölkerung wandelt Demografischer Wandel

Sonja Ernst

/ 14 Minuten zu lesen

Die Gesellschaft wird älter, es werden weniger Kinder geboren und Menschen wandern ein. Welche Folgen hat der demografische Wandel? Der Schnelleinstieg liefert Hintergründe, Zahlen und Grafiken.

Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur ist schon lange kein Zukunftsthema mehr: Touristen und Passanten am Kölner Aquädukt im Sommer 2024. (© picture-alliance, Panama Pictures | Christoph Hardt)

Hinweis

Der Beitrag ist eine vollständige, aktualisierte und ergänzte Fassung der im Jahr 2018 entwickelten und 2019 erschienenen Story „Demografischer Wandel: Wachsen, Schrumpfen, Älterwerden”, die aus technischen Gründen nicht mehr verfügbar ist. Die Video-Interviews mit der Soziologin Michaela Kreyenfeld und dem Statistiker Gerd Bosbach wurden in Teilen gekürzt, entsprechen aber weiterhin dem Stand der Debatte von 2018.

Megatrend Demografischer Wandel

  • Deutschland wird älter: Weniger junge, mehr ältere Menschen – allein durch Zuwanderung ist die Bevölkerungszahl nicht gesunken

  • Drei entscheidende Faktoren: Geburtenrückgang, steigende Lebenserwartung und Migration verändern die Gesellschaft mit Folgen für Rente, Pflege oder Arbeitsmarkt

  • Kontroverse: Die Debatte um den demografischen Wandel schwankt zwischen Alarmismus und Zuversicht

Der demografische Wandel ist neben der Digitalisierung und dem Klimawandel ein Megatrend. Dabei ist die Veränderung der Bevölkerungsstruktur schon lange kein Zukunftsthema mehr: Auch Deutschland steckt seit Jahren mittendrin.

Ein Effekt des Wandels ist, dass Deutschland „älter“ wird. Die Zahl jüngerer Menschen sinkt, die Zahl älterer steigt. Damit wächst auch das jährliche Geburtendefizit: Das heißt, es gibt mehr Todesfälle als Menschen geboren werden. Zugleich ist die Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschrumpft, sondern gewachsen. Ende 2024 lebten über 83 Millionen Menschen in Deutschland, das waren knapp 100.000 Menschen mehr als 2023.

Nach der deutschen Einheit waren die jährlichen Bevölkerungszahlen stagnierend bis rückläufig. Seit 2011 steigen sie wieder: Grund dafür ist die Nettozuwanderung – das heißt, es wandern mehr Menschen nach Deutschland ein als aus. Doch das Wachsen und Schrumpfen der Bevölkerungszahlen verläuft mit regionalen Unterschieden: Während die Bevölkerung in Großstädten zunimmt, wandern Menschen aus ländlichen Regionen ab, was wiederum zur demografischen Alterung beiträgt.

Die Debatte: Folgen des Wandels

Entscheidend für die Bevölkerungsentwicklung sind drei Faktoren: die Zahl der Geburten, die Zahl der Sterbefälle sowie die Zu- und Abwanderung. Verändern sich diese Faktoren anhaltend und ihr Verhältnis zueinander hat dies Folgen für Größe und Altersstruktur der Bevölkerung.

"Der letzte Deutsche – Auf dem Weg zur Greisen-Republik". Spiegel-Cover aus dem Jahr 2004. (© DER SPIEGEL 2/2004)

In Deutschland wirkt sich vor allem das anhaltende Geburtentief aus. Auch die steigende Lebenserwartung sowie die Zuwanderung ins Land. Diese demografischen Phänomene beeinflussen die Gesellschaft auf lange Sicht: Sie haben Folgen zum Beispiel für das Rentensystem, die Pflege, den Arbeitsmarkt, genauso für das Zusammenleben und den Alltag. Welches Ausmaß die Effekte im Einzelnen haben und welche Lösungen es gibt, darüber wird gestritten.

Manche befürchten das Ende der Familie, den Kollaps des Rentensystems, den Niedergang der Wirtschaft. Andere sehen weniger Grund zur Aufregung. Der demografische Wandel werde zu einem schicksalhaften Schreckgespenst aufgebaut, um soziale Kürzungen zu begründen. Die Entwicklung sei jedoch politisch gestaltbar.

Lange Zeit wurde die Debatte um die Bevölkerungsentwicklung mit viel Alarmismus geführt. „Die Deutschen sterben aus“, hieß es. Doch bislang blieb das Schrumpfen aus. Zuletzt wurden die Diskussionen um den demografischen Wandel nüchterner. Die Herausforderungen sind teilweise sogar an den Rand geschoben worden. Neue Krisen und Konflikte dominieren die Politik. Doch die Folgen durch den demografischen Wandel bleiben dringlich: Die Debatte ist zurück.

Welche Effekte hat der demografische Wandel? Wie genau verändert sich die Bevölkerung? Und wie lassen sich Aussagen über die Zukunft der Bevölkerung machen?

Erfahren Sie mehr dazu in diesem thematischen Schnelleinstieg.

Standpunkte: Michaela Kreyenfeld und Gerd Bosbach zur Debatte um die Bevölkerungsentwicklung

Geburtenentwicklung – Es werden weniger Kinder geboren

Neben Migration wirken sich in Deutschland vor allem das anhaltende Geburtentief und die steigende Lebenserwartung auf die Bevölkerung aus. (© picture-alliance, Westend61 | Irina Heß)

  • Anhaltender Geburtenrückgang: Von 1,34 Millionen Geburten im „Rekordjahr“ 1964 auf 680.000 im Jahr 2024 – unterbrochen durch kurze Anstiege wie 2021 während der Coronapandemie

  • Vielfältige Ursachen: Antibabypille, höhere Bildungsabschlüsse von Frauen, veränderte Lebensmodelle und fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf erklären Geburtenrückgang

  • Demografische Dynamik: Weniger Geburten bedeuten weniger potenzielle Eltern – damit eine Bevölkerung ohne Zuwanderung auf Dauer stabil bleibt, braucht es im Schnitt 2,1 Kinder pro Frau

Die Zahl der Geburten in Deutschland sinkt: Das ist kein neues Phänomen, sondern ein Trend, der mal mehr, mal weniger durchschlägt. 2024 wurden etwa 680.000 Kinder geboren. 2004 waren es 705.000 und 1984 etwa 785.000 Kinder. Neben der Zahl der Geburten ist die Geburtenziffer eine wichtige demografische Kennziffer.

2011 wurde mit rund 663.000 Neugeborenen die niedrigste Geburtenzahl seit 1946 registriert. Die Corona-Pandemie führte 2021 zu einem leichten Anstieg der Geburtenzahlen, doch schon ab 2022 folgte ein deutlicher Rückgang.

Die Deutschen werden im Schnitt später im Leben Eltern, auch wenn der Anstieg des Durchschnittsalters von Müttern und Vätern bei der Geburt ihres ersten Kindes zuletzt gebrochen wurde. Es bleibt dabei, dass die Deutschen relativ wenig Kinder haben. Hinzu kommt ein kontinuierlicher Anstieg der lebenslangen Kinderlosigkeit.

Der anhaltende Rückgang der Geburten hat verschiedene Gründe. Interner Link: Noch um 1870 bekamen Frauen durchschnittlich fünf Kinder. Zugleich war die Kindersterblichkeit viel höher, die Lebenserwartung viel niedriger. Das änderte sich durch Erfolge in der Medizin sowie eine verbesserte Hygiene.

Insbesondere zwischen 1850 und 1920 gab es deutliche Fortschritte, mit Folgen für die Demografie. In diesen Jahrzehnten ging die Kindersterblichkeit zurück und – zeitlich versetzt – auch die Zahl der Geburten: Die Geburtenrate sank von durchschnittlich 4,7 Kindern pro Frau im Jahr 1871 auf 2,4 in den 1920er Jahren. Trotz weniger Geburten wuchs die Bevölkerung, eben weil die Sterblichkeit von Säuglingen und Kindern stark zurückging.

Der Erste wie auch der Zweite Weltkrieg brachten Geburtentiefs. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das bald geteilte Deutschland einen Geburtenboom, der in der Bundesrepublik stärker war als in der DDR. Als Babyboomer werden auch in Deutschland die zahlenmäßig stark besetzten Jahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. 1964 war das Geburten-Rekordjahr: 1,34 Millionen Kinder kamen insgesamt zur Welt. Im Westen Deutschlands waren es 1,07 Millionen und im Osten rund 291.000.

Erst Babyboomer, dann Geburtenrückgang

Danach folgte ein starker Rückgang der Geburten, der mit Aufs und Abs bis heute anhält. Vor allem in der Bundesrepublik blieb der Rückgang konstant, in der DDR kamen ab Mitte der 1970er Jahre wieder mehr Kinder zur Welt. Das änderte sich mit der Wiedervereinigung, die zu einem deutlichen Geburteneinbruch in Ostdeutschland führte.

Der Geburtenrückgang ab Mitte der 1960er Jahre wird vor allem in Westdeutschland als Pillenknick bezeichnet. Ab den 1960er Jahren war die hormonelle Verhütung durch die Antibabypille möglich, in der DDR hieß sie Wunschkindpille. Doch für das Geburtenminus gab es auch andere Gründe: Die Lebensmodelle veränderten sich. Frauen erlangten höhere Bildungsabschlüsse und damit verbunden mehr sowie neue Berufsperspektiven. Vor allem in der Bundesrepublik waren Beruf und Familie für Mütter schwer zu vereinen, denn Betreuungsangebote für die Kinder fehlten. Die Verantwortung für die Kindererziehung wurde vor allem den Müttern zugeschrieben. Gleichzeitig änderten sich Lebensstile und -entwürfe, die teilweise mehr Autonomie und größere individuelle Handlungsspielräume mit sich brachten. Hinzu kam mehr wirtschaftliche Sicherheit.

Heute bekommen Akademikerinnen durchschnittlich 1,4 Kinder, Frauen ohne Hochschulabschluss 1,7 Kinder. Die tatsächliche Kinderzahl bleibt in allen Gruppen hinter dem Kinderwunsch zurück – die meisten Menschen wünschen sich zwei Kinder. Mehr Hintergründe zu den verschiedenen Geburtenrückgängen hat das Externer Link: Statistische Bundesamt.

Weniger Geburten entwickeln eine demografische Dynamik. Denn ein Geburtenrückgang bedeutet auch, dass es weniger Mütter und Väter gibt. Sie müssten deutlich mehr Kinder haben als die Elterngeneration, um die Bevölkerungszahl gleich zu halten. Für Industrieländer wie Deutschland gilt, dass rund 2,1 Kinder pro Frau geboren werden müssen, damit die Bevölkerung stabil bleibt – ohne Zuwanderung.

Infoboxen: Geburtenrate, Kinderzahl, Vaterschaftsziffer

Geburtenrate / Geburtenziffer

Geburtenrate und Geburtenziffer sind Annahmen aufgrund von Momentaufnahmen. Für die zusammengefasste Geburtenziffer, häufig abgekürzt Geburtenrate oder -ziffer genannt, wird geschaut, wie viele Kinder von Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren innerhalb eines Kalenderjahres geboren wurden. Davon ausgehend wird die Kinderzahl je Frau errechnet, wenn die Geburtenverhältnisse des betrachteten Jahres im Laufe der gesamten fertilen Phase eines Frauenjahrgangs unverändert bliebe. 2023 zum Beispiel lag die Geburtenziffer bei 1,38 Kindern je Frau. Das heißt, alle Frauen zwischen 15 und 49 Jahren bringen vermutlich – auf Grundlage des Jahres 2023 – im Durchschnitt meist weniger als zwei Kinder zur Welt. Die zusammengefasste Geburtenziffer ist also eine Hypothese, aber wichtig, um aktuelle Zahlen zu haben.

Endgültige Kinderzahl / Kohortenfertilität

Für diesen Indikator werden Frauenjahrgänge betrachtet und zwar Jahrgänge, also Kohorten, die ihr 50. Lebensjahr erreicht haben. Frauen, die älter sind, werden vermutlich keine Kinder mehr gebären. 2023 zum Beispiel wurden Frauen des Geburtsjahrgangs 1974 untersucht: Sie brachten im Durchschnitt 1,58 Kinder zur Welt.

Vaterschaftsziffer

Entsprechend der Geburtenziffer, die sich allein auf Frauen bezieht, gibt die Vaterschaftsziffer an, wie viele Kinder Männer im Alter von 15 bis 49 Jahren durchschnittlich zeugen. Zwischen 1991 und 2006 lag der Wert in Deutschland bei rund 1,20 Kindern je Mann. Ab 2007 gab es einen Anstieg auf rund 1,50 Kinder je Mann im Jahr 2016. Bis 2019 sank die Vaterschaftsziffer leicht. Die Fertilität von Männern ist in Deutschland wie auch international weniger erforscht als die von Frauen.

Altersstruktur und Babyboomer

Nur noch jeder Zehnte Deutsche ist zwischen 15 und 24 Jahre alt. Bis 2040 wird jeder Dritte über 65 sein. (© picture-alliance, Westend61 | Jose Carlos Ichiro)

  • Gesellschaft im Umbruch: 2024 war jede zehnte Person zwischen 15 und 24 Jahre alt, vor 40 Jahren lag der Anteil in Westdeutschland noch bei jeder sechsten Person

  • Babyboomer gehen in Rente: Die 1957 und 1968 Geborenen verlassen nach und nach den Arbeitsmarkt, mit Folgen für das Rentensystem – 1990 finanzierten noch vier Erwerbstätige einen Rentner, heute sind es zwei Erwerbstätige und bald 1,5

  • Längeres Leben, neue Herausforderungen: Steigende Lebenserwartung (Frauen 83,5 Jahre, Männer 78,9 Jahre) bedeutet mehr Hochaltrige und Pflegebedürftige – aber auch fittere Ältere

Der Anteil junger Menschen in Deutschland ist auf einem historisch niedrigen Niveau: Ende 2024 waren gut 8,3 Millionen Menschen zwischen 15 und 24 Jahre alt. Damit war jeder zehnte Mensch in diesem Alter. Ganz anders war es in der ersten Hälfte der 1980er Jahre: 1983 waren in Westdeutschland rund 13,1 Millionen Menschen zwischen 15 bis 24 Jahre alt. Das war jede sechste Person. In diesen Jahren waren die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer im jugendlichen Alter.

Zugleich steigt der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung. 1990 waren es 15 Prozent. 2021 stieg der Anteil auf mehr als 22 Prozent, also ein Fünftel. 2040 wird ihr Anteil bei voraussichtlich 30 Prozent liegen. Das entspricht einer Verdoppelung innerhalb von 50 Jahren.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen steigt die Lebenserwartung – nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Ein anhaltender und erfreulicher Trend. Wer 2024 in Deutschland geboren wurde, hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 83,5 Jahren bei Frauen und 78,9 Jahren bei Männern.

Da weniger Kinder zur Welt kommen, verändert sich auch der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung – und damit verändert sich die Altersstruktur der Gesellschaft. Die demografische Alterung wird zur neuen Normalität: Ab etwa 2035 wird fast jeder dritte Mensch in Deutschland über 65 Jahre alt sein – ein Zustand, der sich auf absehbare Zeit nicht mehr umkehren wird. Diese demografischen Prozesse werden dabei in Deutschland unterschiedlich ablaufen: Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern schreitet aktuell die Alterung schneller voran. Bedingt durch den Wegzug von Ost- nach Westdeutschland nach 1990. Aber auch, weil Menschen aus dem Ausland verstärkt nach Westdeutschland migrieren.

Die Altersstruktur der Bevölkerung wird häufig durch sogenannte Bevölkerungs- oder Alterspyramiden abgebildet. Das Statistische Bundesamt bietet die Ergebnisse der Bevölkerungsvorausberechnung in Form einer Externer Link: animierten Alterspyramide an, rückblickend für die Jahre 1950 bis 2022. Noch 1910 entsprach die Altersstruktur einer Pyramide, von manchen auch als Tannenbaum bezeichnet. Künftig wird die Darstellung der Altersstruktur anders aussehen: Manche sprechen von einer Urne – eine Bezeichnung, die mit einer bestimmten Wertung einhergeht.

Doch damit droht nicht automatisch eine vergreiste Republik, denn das Altern verändert sich. Menschen bleiben auch im Alter länger fit. Ebenso erlebt die Bildungs- und Arbeitswelt durch Digitalisierung und Automatisierung eine Transformation. Doch die Alterung der Gesellschaft führt auch zu großen Herausforderungen. Es wird bald eine wachsende Zahl an Menschen geben, die pflegebedürftig sind, wie auch Schwierigkeiten für das deutsche Rentensystem, das auf dem Umlageverfahren beruht. Das heißt, die arbeitende Generation (also die Jüngeren) zahlt mit ihren Beiträgen direkt die Renten der älteren Generation.

Standpunkte: Michaela Kreyenfeld und Gerd Bosbach zur Alterung der Bevölkerung

Die Babyboomer-Generation

Als Babyboomer werden die zahlenmäßig stark besetzten Jahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet: In Deutschland zählen die Geburtsjahre 1957 bis 1968 zur Babyboomer-Generation. 1964 war das Geburten-Rekordjahr: 1,34 Millionen Kinder kamen in West- und Ostdeutschland zur Welt.

Hinzu kommt, dass die geburtenstarken Jahrgänge deutliche Wanderungsgewinne verzeichnen. Von den Babyboomern, die 2022 in Deutschland lebten, wurden laut Statistischem Bundesamt 83 Prozent in Deutschland und 17 Prozent in einem anderen Land geboren. 2022 gab es rund 2,6 Millionen Babyboomer mit Einwanderungsgeschichte: Mehr als ein Drittel von ihnen zog zwischen 1987 und 1996 nach Deutschland.

Die Babyboomer-Jahrgänge wurden im geteilten Deutschland groß. In der Bundesrepublik konkurrierten sie teils stark um Studien-, Ausbildungs- und Arbeitsplätze, zeitweise waren sie von hoher Arbeitslosigkeit betroffen. Und sie waren in Ost- und Westdeutschland die erwachsene Generation in den Jahren der Deutschen Einheit.

In den nächsten Jahren gehen die Babyboomer-Jahrgänge in Rente. Für das Rentensystem ist das eine Herausforderung: Denn die nachfolgenden Generationen sind zahlenmäßig kleiner. Kamen 1990 noch vier Beitragszahlende auf einen Rentner oder eine Rentnerin, sind es heute nur noch zwei. Wenn die Babyboomer in den kommenden Jahren vollständig in Rente gehen, wird sich dieses Verhältnis weiter auf etwa 1,5 zu 1 verschlechtern.

Laut Statistischen Bundesamt wird die Zahl der Rentnerinnen und Rentner im Alter ab 67 Jahren von derzeit 16,4 Millionen auf mindestens 20,4 Millionen bis Ende der 2030er-Jahre wachsen. Auch die Zahl älterer Menschen ab 80 Jahre wird ansteigen: voraussichtlich von heute rund sechs Millionen auf 8 bis 10 Millionen im Jahr 2050.

Diese demografische „Welle“ war ab den 1980er Jahren vorhersehbar. Wie gut die Renten- und Pflegeversicherung heute auf diese Entwicklung vorbereitet sind, wird unterschiedlich bewertet und diskutiert.

Migration und Bevölkerungsentwicklung

Die Anzahl der Menschen, die in ein Land zu- oder abwandern, ist mitentscheidend für die demografische Entwicklung: Passanten am Kölner Hauptbahnhof im März 2017. (© picture-alliance, Christoph Hardt/Geisler-Fotopress)

  • Einwanderung wirkt Bevölkerungsrückgang entgegen: 21,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte lebten 2024 in Deutschland – seit 1990 wanderten netto 11,4 Millionen zu, deshalb wuchs die Bevölkerung trotz sinkender Geburtenzahlen

  • Verschiedene Migrationsphasen: Von den sogenannten Gastarbeitern (1950er bis 1970er Jahre) über Aussiedler und Jugoslawienkrieg (1990er) bis zu jüngsten Migrationsbewegungen (2015/2022) – Flucht und Asyl, Arbeit und Familienzusammenführung sind Hauptgründe für Einwanderung

  • Ost-West-Wanderung verstärkt regionale Unterschiede: Auch die Binnenmigration ist entscheidend. 1,2 Millionen Menschen zogen zwischen 1990 und 2016 von Ost nach West – Ostdeutschland altert dadurch schneller, außerdem profitierte Westdeutschland stärker von Zuwanderung aus dem Ausland

2024 lebten in Deutschland rund 21,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Wie viele Menschen in ein Land zu- und abwandern, ist mitentscheidend für die demografische Entwicklung. Als Nettozuwanderung wird die Differenz bezeichnet zwischen der Anzahl der Menschen, die in ein Land einwandern, und der Anzahl der Menschen, die aus diesem Land auswandern. Deutschland, vor allem auch Westdeutschland, erlebte nach 1945 immer wieder Phasen der positiven Nettozuwanderung: Es wanderten also mehr Menschen zu als ab.

Ab den 1950er Jahren unterzeichnete die Bundesrepublik Anwerbeabkommen mit verschiedenen Ländern Europas. Dazu gehörten Italien, Griechenland oder auch die Türkei. Die westdeutsche Wirtschaft war im Aufschwung und warb aktiv Arbeitskräfte im Ausland an: Sie wurden häufig als Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter bezeichnet. Bis 1973 kamen so rund 14 Millionen Menschen zum Arbeiten nach Westdeutschland, Interner Link: etwas mehr als elf Millionen von ihnen gingen wieder in ihre Herkunftsländer zurück. Über den Familiennachzug migrierten Angehörige in die Bundesrepublik. Das Land wurde mehr und mehr zum Einwanderungsland, eine Tatsache, die seitens der Politik lange Zeit ausgeblendet wurde. In der DDR wurden ab den 1960er Jahren Arbeiterinnen und Arbeiter befreundeter sozialistischer Länder angeworben. Die Zahl der sogenannten Vertragsarbeiter war aber deutlich geringer als die der migrantischen Arbeitskräfte im Westen.

Ab Ende der 1980er-Jahre und dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen viele Aussiedlerinnen und Aussiedler nach Deutschland, vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion, ebenso aus Polen und Rumänien. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien brachte zusätzlich viele Geflüchtete nach Deutschland. 1992 war ein Rekordjahr: Interner Link: 1,5 Millionen Menschen wanderten nach Deutschland ein. Die Nettozuwanderung lag bei knapp 800.000 Menschen.

2015 und 2016 war die Nettozuwanderung in Deutschland erneut besonders hoch, ebenso 2022. Der Grund für die Zuwanderung war vor allem der Bürgerkrieg in Syrien, später der russische Angriff auf die Ukraine. 2015 lag die Nettozuwanderung bei 1,1 Millionen Menschen. Laut Statistischem Bundesamt sind die wichtigsten Gründe für die Einwanderung seit 2015 Flucht, Asyl und internationaler Schutz (31 Prozent), Erwerbstätigkeit (23 Prozent) sowie Familienzusammenführung (21 Prozent).

Ein wichtiger demografischer Faktor ist auch die Binnenmigration in der Europäischen Union. Vor allem in den 2010er Jahren wanderten mehr EU-Bürgerinnen und -Bürger nach Deutschland ein als in die EU ab. Diese Nettozuwanderung sank zuletzt. 2024 gab es erstmals seit 2008 wieder weniger Zuzüge aus der EU als Fortzüge in andere EU-Staaten, so das Statistische Bundesamt.

Seit der deutschen Einheit sind bis Ende 2023 11,4 Millionen Menschen nach Deutschland netto zugewandert. Deshalb ist trotz sinkender Geburtenzahlen die Bevölkerung in den zurückliegenden Jahren nicht gesunken. Die zugewanderten Personen sind jünger als der Bevölkerungsdurchschnitt: Damit wurde die Alterung der Bevölkerung etwas verzögert, aber nicht umgekehrt.

Auswirkungen der Binnenmigration

Auch innerhalb Deutschlands wandern Menschen: Nämlich zwischen den Bundesländern, ebenso zwischen Stadt und Land. Diese Binnenmigration wirkt sich auf den demografischen Wandel aus. Vor allem nach der Wiedervereinigung gingen viele Menschen aus den ost- in die westdeutschen Bundesländer.

Zwischen 1990 und 2016 wurden insgesamt 1,2 Millionen Fortzüge in die alten Bundesländer registriert. Dieser Weggang hat Folgen bis heute: In Ostdeutschland ist die Bevölkerung gesunken und schneller gealtert. In Westdeutschland wiederum wirkte die Wanderung der Alterung der Bevölkerung etwas entgegen. Hinzu kommt, dass die Zuwanderung aus dem Ausland vorwiegend in die alten Bundesländer stattfindet.

Zur Vertiefung: Der Externer Link: Deutschlandatlas bietet anhand von Kartenmaterial Einblick in ganz unterschiedliche Themen.

Bevölkerung, Zahlen, Vorausberechnung

Vorausberechnungen liefern Leitplanken, innerhalb derer sich die Bevölkerung vermutlich entwickeln wird: Rentner auf einer Bank in der Kölner Schildergasse. (© picture-alliance, Christoph Hardt/Geisler-Fotopress)

  • Keine Prognosen oder Voraussagen, sondern Wenn-Dann-Szenarien: Die aktuelle Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts liefert 21 Varianten bis 2070 basierend auf verschiedenen Annahmen bei Geburten, Lebenserwartung und Migration

  • Unvorhersehbare Ereignisse prägen Demografie: Wiedervereinigung, Syrien-Krieg oder Russlands Krieg gegen die Ukraine zeigen die Grenzen der Aussagekraft – dennoch bieten Vorausberechnungen wichtige Leitplanken

  • Datenbasis durch Zensus und Mikrozensus: Alle zehn Jahre findet eine Volkszählung statt (zuletzt 2022), dazu kommen jährliche Stichproben. Bevölkerungsvorausberechnung wird als Planungsgrundlage auf Basis dieser Daten erstellt

Seit 1966 veröffentlicht das Statistische Bundesamt in unregelmäßigen Abständen die Bevölkerungsvorausberechnung. Aktuell liegt die 15. Vorausberechnung vor. Die Vorausberechnungen sind weder eine Prognose noch eine Voraussage, sondern liefern Wenn-Dann-Aussagen. Anhand aktueller Trends lassen sich so Bevölkerungsentwicklungen fortschreiben, aber eben nicht sicher vorhersagen.

Die 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung beruht auf dem Bevölkerungsstand am 31. Dezember 2021 und erstreckt sich bis zum Jahr 2070. Für die mögliche künftige Bevölkerungsentwicklung werden 21 Varianten genutzt. Zentral sind die Entwicklung der Geburtenhäufigkeit, der Lebenserwartung und des Wanderungssaldos. Diese Indikatoren und ihre möglichen Trends werden in verschiedenen Kombinationen quasi durchgespielt.

Ereignisse wie die deutsche Wiedervereinigung oder auch die Kriege in Syrien und der Ukraine waren nicht voraussehbar und damit auch nicht die Folgen für die demografische Entwicklung. Dennoch liefern die Vorausberechnungen Leitplanken, innerhalb derer sich die Bevölkerung vermutlich entwickeln wird.

Um an verlässliche Zahlen zu kommen wird alle zehn Jahre ein Zensus durchgeführt, eine Volkszählung: Zuletzt geschah das 2022. Beim Mikrozensus wiederum werden jährlich Stichproben erhoben, um zwischendurch Beobachtungen zu ermöglichen. Auf Basis dieser Daten erstellt das Statistische Bundesamt die jeweils aktuelle koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung.

Standpunkte: Michaela Kreyenfeld und Gerd Bosbach zu Bevölkerungsvorausberechnungen

Herausforderung: Bevölkerungsentwicklung

Der demografische Wandel ist vielschichtig: Szene beim Menschenturm-Wettbewerb im spanischen Tarragona im Herbst 2014. (© picture-alliance/AP, Emilio Morenatti)

Der demografische Wandel ist vielschichtig und durchdringt unterschiedliche Lebensbereiche – von der Interner Link: Rente über das Interner Link: Gesundheitssystem bis hin zur Interner Link: Stadtplanung und dem Interner Link: Engagement auf dem Land. Die Geburtenrate wird vermutlich anhaltend niedrig bleiben. Die Lebenserwartung steigt weiterhin, aber nicht mehr so schnell. Während diese Trends relativ vorhersehbar sind, ist die Entwicklung der Migration am wenigsten klar zu prognostizieren.

Die Alterung der Gesellschaft ist mittelfristig unumkehrbar, aber ihre Folgen können politisch gestaltet werden. Sie erfordert politische Weitsicht, pragmatische Lösungen und gesellschaftlichen Zusammenhalt über Generationengrenzen hinweg. Ob die deutsche Gesellschaft darauf vorbereitet ist und welche Maßnahmen wirken, wird kontrovers diskutiert.

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Durch den demografischen Wandel schrumpft und altert die deutsche Bevölkerung. Es liegt an Politik und Gesellschaft, den heutigen Lebensstandard durch langfristige Lösungen auch künftig zu sichern.

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Seit Anfang der 1970er-Jahre sterben in Deutschland Jahr für Jahr mehr Menschen als geboren werden. Ohne Nettozuwanderung würde die Bevölkerung in Deutschland also seit Langem schrumpfen.

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Der Sozialbericht gehört zu den Standardwerken für all jene, die sich über statistische Daten und sozialwissenschaftliche Analysen zu aktuellen Entwicklungen in Deutschland informieren wollen.

Sonja Ernst ist freie Journalistin. Sie berichtet über Themen aus Politik und Gesellschaft, vor allem für den Hörfunk, u.a. Deutschlandradio oder SWR. 2022 gewann sie den Peter Scholl-Latour Preis für ihre Reportage "Kinder aus Kriegsvergewaltigungen – Trauma und Schweigen überwinden".