Der Investitionsschutz in den EU-Freihandelsabkommen CETA und TTIP ist überflüssig – und sogar ungerecht, meint der Berliner Ökonom Sebastian Dullien.
Sowohl im fertig verhandelten Kanada-EU-Freihandelsabkommen (CETA) als auch im geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) ist einer der umstrittensten Punkte der Investorenschutz, genauer die Einführung von Schiedsgerichten zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen privaten Investoren und Staaten. Beim sogenannten Investor-Staat-Schiedsverfahren (engl. Investor-State Dispute Settlement, ISDS), sollen ausländische Investoren, die sich im Rahmen von Investitionsförder- und Schutzverträgen (IFV) von einem der Vertragsstaaten durch Gesetze oder Verwaltungshandeln unfair behandelt fühlen, vor einem internationalen Schiedsgericht Schadensersatz erstreiten können.
Kritikerinnen und Kritiker sehen in diesen Regeln einen Angriff auf die Möglichkeit der Staaten, mit Blick auf das Gemeinwohl Umwelt- und Gesundheitsstandards durchzusetzen. Sie fürchten, dass Investoren auf Schadensersatz klagen, die ihre Geschäfte durch völlig legitime Regulierungen der nationalen Regierungen beeinträchtigt sehen. Tatsächlich hat es solche Klagen in der Vergangenheit häufiger gegeben: Zigarettenkonzerne haben gegen Beschränkungen im Tabakmarketing geklagt – etwa durch Vorgaben zu Gesundheitswarnungen auf Packungen. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hat sich sowohl gegen höhere Umweltstandards beim Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg zur Wehr gesetzt als auch Schadensersatz wegen des deutschen Atomausstiegs gefordert. Allerdings ist bislang nicht immer im Sinne der Konzerne entschieden worden.
Befürworterinnen und Befürworter dagegen sehen den ISDS als Voraussetzung für Direktinvestitionen. Sie erhoffen sich mehr grenzüberschreitende Investitionen durch besseren Eigentumsschutz.
Tatsächlich übertreiben beide Seiten: Der Investorenschutz im CETA-Abkommen ist nach den jüngsten Nachbesserungen so vernünftig formuliert wie in keinem anderen wichtigen ISDS-Abkommen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich mit den jetzt vorgeschlagenen Regeln tatsächlich große Beschränkungen für die Regulierungsfähigkeit durch den Staat ergeben. Allerdings überzeichnen auch die Befürworter den Nutzen eines solchen Investorenschutzes enorm: Bei nüchterner Betrachtung gibt es nämlich kein wirklich überzeugendes Argument, warum CETA und TTIP überhaupt Regeln für einen Investorenschutz mit internationalen Schiedsgerichten enthalten sollten.
Investitionsschutz führt nicht automatisch zu mehr Investitionen
Das Argument, ISDS würde zu mehr Investitionen führen, ist sowohl empirisch als auch theoretisch fragwürdig. Empirisch zeigen die Studien zum Einfluss von IFV mit Schiedsverfahren auf Investitionsströme, dass ein solcher Einfluss entweder statistisch nicht stabil nachweisbar oder von einer zu vernachlässigenden Größe ist. Dabei dürften die akademischen Studien den zu erwartenden Effekt eines Investorenschutzes bei CETA und TTIP sogar noch überzeichnen: Die meisten IFV wurden mit Ländern mit extrem schwachen Institutionen und oftmals nicht funktionierenden Rechtssystemen abgeschlossen. Man kann deshalb erwarten, dass in diesen Fällen der positive Effekt deutlich höher ist als bei Abkommen zwischen entwickelten Volkswirtschaften.
Theoretisch muss man sich außerdem fragen, warum Länder mit entwickelten und weitgehend korruptionsfreien Rechtssystemen eine weitere Instanz zum Investorenschutz brauchen. Es gibt heute wenig Indizien, dass ausländische Investoren in Kanada, Frankreich oder Deutschland aufgrund ihrer Nationalität enteignet oder ihnen danach im nationalen Rechtssystem aufgrund ihrer Nationalität ein fairer Prozess vorenthalten worden wäre.
Zudem muss man sich klar machen, dass ISDS bei funktionierenden Rechtssystemen sogar zu Wettbewerbsverzerrungen führt: Ein solcher Investorenschutz schafft ungleiche Bedingungen zwischen inländischen und ausländischen Investoren. Fühlen sich sowohl inländische als auch ausländische Investoren von einer neuen staatlichen Regel unfair behandelt, kann der ausländische Investor neben dem normalen Rechtsweg auch noch jenen der internationalen Schiedsgerichte gehen, dem Inländer bleibt dieser Schritt verwehrt. Eine solche Ungleichbehandlung zwischen Ausländern und Inländern kann wirtschaftlich nicht effizient sein und ist auch politisch kaum zu rechtfertigen.
Ein neuer Goldstandard beim Investitionsschutz heißt nicht, dass alte Regeln verbessert werden
Ein letztes, gerne vorgebrachtes Argument ist, dass die bisherigen IFV zwischen den Industrieländern und ärmeren Ländern tatsächlich – wie von Kritikerinnen und Kritikern vorgebracht – oftmals schlecht funktionieren, im Ergebnis häufig willkürlich sind und in einigen Fällen auch die Regulierungsfähigkeit des Staates beschneiden. Ein Verabschieden von CETA und TTIP mit neuen, besseren Regeln würde so einen neuen „Goldstandard“ schaffen, der mittel- und langfristig zu einem gerechteren und besseren Investorenschutz weltweit führen würde. Doch auch dieses Argument ist nicht wirklich stichhaltig: Moderne ISDS-Regeln in CETA und TTIP bedeuten noch lange nicht, dass die Regeln in alten Verträgen angepasst werden. Jeder Versuch eines Entwicklungslandes, bestehende ISDS-Regeln nachzuverhandeln, wird absehbar an den Lobbybemühungen der Investoren mit Beteiligungen in den betroffenen Ländern scheitern. Warum sollte etwa Deutschland seine bilateralen Investitionsschutzabkommen mit afrikanischen Ländern zum Nachteil der eigenen Industrie nachverhandeln, nur weil die EU ein neues Abkommen mit Kanada oder den USA abgeschlossen hat?
Wie man es dreht und wendet: Das Investor-Staat-Schiedsverfahren in CETA und TTIP ist völlig überflüssig. Der Schaden mag nicht so groß sein wie von Skeptikern gelegentlich vorgebracht, aber ein gesamtwirtschaftlicher oder gar gesamtgesellschaftlicher Nutzen ist auch nicht zu erkennen.
Sebastian Dullien ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und war unter anderem für den Bundestag Sachverständiger zum Investorenschutz.