Mauerbilder in Ost und West
Anlässe


Alljährlich war der 13. August in der Presse in Ost und West der hervorragende, aber nicht der einzige feststehende Anlass, um die geschlossene Grenze bildlich zu thematisieren. Weihnachten und Silvester bildeten einen weiteren "Jour fixe" der Grenz-Darstellungen. Aufnahmen von Weihnachtsbäumen an den Sektorengrenzen begleiteten bis in die Siebzigerjahre in der West-Berliner Presse Kommentare von Journalisten und Annoncen des Berliner Senats, die den gesamt-deutschen, Einheit stiftenden Charakter des Weihnachtsfest betonten.
In der SED-Presse dagegen sollten fast alljährlich Bilder von Grenzsoldaten, die das Weihnachtsfest mit der Kleinfamilie dem Dienst an der großen sozialistischen Familie opferten, und Szenen der Übergabe von Geschenken an die Soldaten die Kompatibilität der geschlossenen Grenze mit dem "Fest der Familie" demonstrieren.


Ein ganz anderer regelmäßiger Anlass der Publikation von Fotos der Grenze war der Besuch von Staatsgästen. In Ost und West gehörten Besichtigungen zum Programm. Das gleiche Ritual diente dabei einerseits der Anklage und andererseits der Rechtfertigung. Dem folgte auch die Visualisierung: Westliche Aufnahmen der Grenz-Besichtigungen waren stets so gestaltet, dass der Bildbetrachter dem Blick der hohen Gäste in den Todesstreifen folgen konnte. DDR-Staatsbesucher dagegen wurden fast immer frontal vor dem Brandenburger Tor abgelichtet. Dass Elemente der Grenzanlagen wie ein Wachturm mit ins Bild kamen, war eine Ausnahme. Den Adressaten dieser Bilder wurde damit die internationale "Vorzeigbarkeit" der Grenzanlagen, die sie einsperrten, demonstriert, und zugleich deren konkreter Anblick weitgehend vorenthalten.
Die tödliche Grenze im Bild:
Mauer-Opfer und Grenzregime-Helden
Die semantischen und ikonografischen Bezüge der Mauer-Visualisierungen in West und Ost sind mehrschichtig und lassen sich nicht als einliniger Aktions-Reaktions-Zusammenhang erklären. Hinsichtlich der Darstellungen von Todesfällen an der Grenze jedoch reagierte die SED-Propaganda gezielt auf Anklage und Gedenken in den westlichen Medien.

Die offiziellen Gedenkrituale konzentrierten sich auf zwei Orte, die auch durch die fotografische Dokumentation einen besonderen Platz in der Mauer-Erinnerung einnahmen: Neben der Peter-Fechter-Gedenkstätte in der Zimmerstraße war dies die Bernauer Straße. Dort, von wo verschiedene Aufnahmen geglückter "Sprünge in die Freiheit" um die Welt gingen, war noch vor dem Schießbefehl mit Ida Siekmann nach ihrem tödlich endenden Sprung aus einem Fenster das erste Maueropfer zu beklagen gewesen. Neben dem Gedenkkreuz für sie waren bald auch Kreuze für weitere Opfer errichtet worden.

"Die tote Fläche wirkungsvoll im Bild":
Private Foto-Wanderungen durch Berlin


Als Teil 21 der Reihe "Kursus: Fotowanderung durch Berlin" publizierte die "Berliner Morgenpost" 1983 Tipps für Mauer-Aufnahmen. Betroffenheit wird dabei als erwünschte Bildwirkung vorausgesetzt. Die Anleitung definiert Betroffenheit zugleich als ein Erzeugnis, das durch die technisch sichere Handhabe von Klischees verfügbar wird: "Das erste Bild von der Mauer an der Bernauer Straße sollte man von der Plattform ... aufnehmen ... Die Kamera etwas neigen, um die tote Fläche wirkungsvoll ins Bild zu bekommen.


Weiter Richtung Brunnenstraße. Zuvor jedoch ein Bild von einer der vielen Erinnerungsstätten für die Toten an der Mauer. Gehen Sie möglichst nahe heran, um Pfähle, Stacheldraht und Inschrift im Foto festzuhalten ... Zu allen Mauerbildern einige grundsätzliche Bemerkungen: Am besten bei bedecktem Himmel aufnehmen, um das Triste besonders herauszubringen. Wirkungsvoll sind Fotos im Winter ... Zum Abschluss noch einige Bilder von Graffitis (Sprüchen), die auf die Betonplatten der Mauer gesprüht wurden." Damit wird private Fotografie auf die Nachahmung vorgeprägter Bildmuster durch den geschulten Laien reduziert.
Das Wagnis, sich der Mauer als Bildobjekt und zugleich als Repressionsdrohung mit einer "Foto-Wanderung" zu stellen, unternahmen in der DDR nur wenige. Zu ihnen gehörte der Fotograf Dietmar Riemann.
Er hatte 1986 einen Ausreiseantrag gestellt und führte über den amtlich hinausgezögerten Aufbruch ein Tagebuch, das eine Art fotografisch kommentiertes DDR-Resümee darstellt. Die Mauer gehörte zwingend dazu; Riemann integrierte sie in eine Foto-Serie namens "Wände, Mauern, Zäune – und andere Begrenzungen."


Für die Aufnahmen hatte er sich eigens eine sehr kleine Kamera aus dem Westen besorgen lassen. Dennoch wird der Fotograf unterwegs an der Grenze zwischen Berlin-Kreuzberg und Berlin-Mitte zum Gejagten; er flüchtet zwischen schnellen Bild-Schüssen vor Uniformierten und vor auffällig unauffälligen Herren in Zivil, muss sich verstecken, springt auf einen Bus auf, und lauert ständig, ob er nicht beobachtet wird.
Die S-Bahn, die auf dem Weg von der Station Schönhauser Allee nach Berlin-Pankow zwischen verschiedenen Staffelungen von Mauern hindurchrast, bietet die Gelegenheit größter Mauer-Nähe. Ungefährlich ist das Fotografieren nur am Brandenburger Tor, wo Beobachter kaum beurteilen können, ob ein Fotograf die touristisch-sozialistisch vereinnahmte Sehenswürdigkeit ablichtet oder ob er sich für den weißen Streifen am nahen Horizont hinter und neben dem Tor interessiert.

Es sind die Details, die das Interesse verraten. Die Menschenleere und der prominent abgelichtete Zaun lassen keine Zweifel darüber, dass es in Riemanns Foto nicht um das Brandenburger Tor als Touristenattraktion geht. Abbildungen des Brandenburger Tors in der SED-Propaganda lassen dagegen trotz größerer Nähe die Sperranlagen beiläufig erscheinen. So offenbart sich die Bedeutung der heimlich aufgenommenen Mauer-Bilder aus der DDR wesentlich aus dem Kontrast zur SED-Propaganda.

Explizit machte das Harald Hauswald mit einer Reihe von Fotomontagen, die er später erst in seiner Stasi-Akte wiederfinden sollte. Er schoss mehrere Bilder der sogenannten Hinterlandmauer, die den Todesstreifen Richtung Ost-Berlin abschloss. In einem Beispiel montierte er eine Aufnahme des Slogans "Partei, wir danken Dir" auf das Bild der Mauer. In einem anderen ließ er Erich Honecker über die Mauer winken – ein subversives Aufgreifen des ikonografischen Elements des dankbaren Zuwinkens aus dem SED-Bildprogramm. Zugleich lädt die Bildmontage zur Reflexion über die Mauer als dem eigentlichen Podest von Honeckers Macht ein. Als Hauswald Anfang der Achtzigerjahre den Platz vor dem Brandenburger Tor aufnahm, nutzte er andere Mittel als Riemann, um den Mauer-Bezug des Ortes darzustellen. Bei Hauswald sind es Blickrichtung und -höhe der Personen im Bild, die auch den Blick des Bildbetrachters auf den Mauerstreifen zwischen den Säulen des Tores lenken. Indem er außerdem einen unförmigen Betonklotz, in den Blumen gepflanzt waren, klobig in den Vordergrund rückt, macht er auf die Funktion dieses "Blumenkastens" als Sperrobjekt im Vorfeld der Mauer aufmerksam. Das Wissen, dass die abgebildeten Personen auf eine Allee und einen Park blicken, die für sie unerreichbar sind, macht aus dem Foto ein Bild der Sehnsucht.
Ob die Männer auf dem Foto Erik-Jan Ouwerkerks von einer der Plattformen auf Westseite nach Ost-Berlin mit einer Hoffnung schauen, erscheint ungleich ungewisser. Der Fotograf jedoch, der als Niederländer in Berlin die fotografische Auseinandersetzung mit der Mauer eher suchte als viele seiner deutschen Kollegen, setzte mit dem Graffito und dem Hinüberschauen nach Ost-Berlin 1988 die Hoffnung auf ein Ende der gewaltsamen Teilung der Stadt ins Bild.
aus: Deutschland Archiv 7/2011
Literaturauswahl
Sarah Bornhorst/Elena Demke, Die Berliner Mauer. Quellen, Fragen, Kontexte (Werkstatt DDR-Geschichte für die Schule; 4), Berlin 2011.
Elena Demke, Mauerfotos in der DDR. Inszenierungen, Tabus, Kontexte, in: Karin Hartewig/Alf Lüdtke (Hg.), Die DDR im Bild. Zum Gebrauch der Fotografie im anderen deutschen Staat, Göttingen 2004, S. 89–106.
Elena Demke, "... von der Stirne mir nehmen den traurigen Traum?". Heimliche Mauerbilder aus Ost-Berlin und ihre Motive, in: Gerhard Sälter u.a. (Hg.), Weltende – Die Ostseite der Berliner Mauer, Berlin 2011, S. 11–18.
Elena Demke, "Antifaschistischer Schutzwall" – "Ulbrichts KZ". Kalter Krieg der Mauerbilder, in: Klaus-Dietmar Henke (Hg.), Die Mauer. Errichtung, Überwindung, Erinnerung, München 2011, S. 96–110.
Marion Detjen, Die Mauer, in: Martin Sabrow (Hg.), Erinnerungsorte der DDR, München 2010, S. 389–402.
Michael Diers, "Was ich von der Mauer wissen muss". Notizen zur Kunst- und Kulturgeschichte eines politischen Bauwerks, in: Gerhard Paul (Hg.), Das Jahrhundert der Bilder. Bildatlas 1949 bis heute, Göttingen 2008, S. 258–265.
Christoph Hamann, Fluchtbilder. Schlüsselbilder einer mörderischen Grenze, in: Gerhard Paul (Hg.), Das Jahrhundert der Bilder. Bildatlas 1949 bis heute, Göttingen 2008, S. 266–273.
Edgar Wolfrum, Die Mauer, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hg.), Deutsche Erinnerungsorte. Eine Auswahl, München 2005, S. 385–401.