Wie reagierte eigentlich die Bevölkerung der DDR auf den Mauerbau und den damit einhergehenden zunehmenden Anpassungsdruck im SED-Staat? Ein Bericht über den Schockzustand der ostdeutschen Gesellschaft.
Der Bau der Mauer ist unbestritten die wichtigste Zäsur in der Geschichte der DDR. Dennoch haben die meisten Historiker sich bei der Beschäftigung mit dem Mauerbau bisher auf die Verwicklungen der internationalen Politik im Kontext der zweiten Berlinkrise konzentriert. Dagegen haben sich nur wenige mit den Veränderungen in der DDR befasst, in der sich die Bevölkerung seit 1961 ganz anders als zuvor mit der SED arrangieren musste, und mit den Reaktionen der Bevölkerung in Berlin und der DDR auf die Grenzschließung.
Der breiten Masse in der Bevölkerung der DDR war durchaus bewusst, dass die Grenzschließung darauf gerichtet war, "Republikflucht" und die Tätigkeit der Grenzgänger, also jener Menschen, die in Ost- oder West-Berlin arbeiteten, aber im anderen Teil der Stadt wohnten, zu unterbinden. Darüber hinaus richtete sie sich gegen die ganze Bevölkerung der DDR, insofern sie die offenen Grenzen und die Möglichkeit der Abwanderung in den vielfältigen Verhandlungen mit Vertretern der Staatsmacht und der Behörden dazu genutzt hatte, Lösungen auszuhandeln, zu denen diese andernfalls nicht bereit gewesen wären.
Denn die offene Grenze hatte der SED durchaus einige Fesseln angelegt im Umgang mit einer Bevölkerung, der als letzte Möglichkeit, sich den Zumutungen der SED zu entziehen, immer der Weg nach Westen offen gestanden hatte. Diese Drohung hatte alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auseinandersetzungen in der DDR beeinflusst, hatte doch ein Sechstel der Bevölkerung diesen Weg bis 1961 bereits eingeschlagen. Sie war einer der Gründe für den Mauerbau gewesen, denn die SED hatte diese Fesseln als Einschränkung ihrer Souveränität in der DDR wahrgenommen – so, wie sie die Abwanderung selbst als Verrat und als eine Form von Rebellion gegen ihre Herrschaft in der DDR ansah. Die Auffassung, dass der "Republikflucht" ein Riegel vorgeschoben werden sollte, war in der SED verbreitet. Auch wenn es bei einigen Bürgern Häme und Schadenfreude gegenüber den Grenzgängern gab, so stand doch die Beeinträchtigung der eigenen Chancen und Freiheiten, das Bewusstsein einer verschärften Spaltung zwischen den beiden Teilen Deutschlands und die Befürchtung, dass die DDR-Regierung die neue Situation zu einer Intensivierung der politischen Repression und der wirtschaftlichen Produktivität nutzen würde, im Vordergrund.
Proteste und Demonstrationen
Die erste Reaktion in Berlin auf beiden Seiten des Stacheldrahts, der erst einige Tage später den ersten Mauern weichen sollte, war ungläubiges Entsetzen – und Wut, wie einige Angehörige der Kampfgruppen in der Nacht der Grenzsperrung direkt erfahren sollten: "Von 1956 bis 1966 war ich Angehöriger der Kampfgruppen, am 13. August 1961 also bei [der] Befestigung der Staatsgrenze [eingesetzt]. Unsere Hundertschaft sicherte die Bauarbeiten am Abschnitt Heinrich-Heine- und Fritz-Heckert-Straße, in einem Altbau-Gebiet, das unmittelbar die Staatsgrenze berührte. Zahlreiche Anwohner hatten sich in dieser Nacht auf der Straße angesammelt. Die meisten von ihnen zeigten sich uns und dem Geschehen nicht freundlich gesonnen. [...] Weite Kreise waren als Grenzgänger korrumpiert, darunter viele einfache Menschen. Sie sahen mit der Schließung der Grenze ihr unredliches Treiben beendet. Daß der Unmut darüber bis zum Haß gehen kann, erlebte ich in jener Nacht mit einem Genossen am Verhalten einer hochschwangeren Frau. Sie drang, vom Haß entstellt, auf uns ein und beschimpfte uns. Wir versuchten ihr verständlich zu machen, warum das hier geschehe, und baten sie, nach Hause zu gehen. [...] Sie würde bleiben, erwiderte sie, – ihr Kind solle im Mutterleib miterleben, welches Verbrechen hier geschehe."
Am Vormittag und im Laufe des 13. August versammelten sich in Berlin immer wieder Menschen auf beiden Seiten der Grenze, um sich zu überzeugen, dass das nicht Denkbare tatsächlich geschah. Und auf beiden Seiten der tags zuvor noch nahezu unsichtbaren Grenze kam es zu Unmutsäußerungen und spontanen Protesten. Am frühen Morgen protestierten am Übergang Wollankstraße etwa fünf- bis sechshundert Menschen gegen die Grenzschließung. Weitere Proteste formierten sich am Vormittag an den Bahnhöfen an der Bornholmer Straße, Schönhauser Allee und Französische Straße sowie im Bezirk Prenzlauer Berg. Etwa 500 Menschen protestierten an der Eberswalder Straße; die Volkspolizei löste diese Gruppe auf. An der Kreuzung Brunnen-/Bernauer Straße sowie an der Wolliner Straße bildeten sich mehrfach im Verlauf des Tages aus den entsetzten Zuschauern protestierende Gruppen, die von der Volkspolizei aufgelöst wurden. Am Nachmittag gab es ähnliche Szenen – nur ohne Volkspolizei – auf der Westseite der Grenze an der Swinemünder Straße. Vor allem an den Bahnhöfen, an denen noch am Vortag eine Verbindung nach West-Berlin bestand, waren Agitatoren und Polizei mit erheblicher Kritik konfrontiert. Fahrgäste forderten "provokativ", in den Westen fahren zu dürfen. Am Bahnhof Schönhauser Allee etwa verlangten zwei Jugendliche, die in West-Berlin arbeiteten, dorthin gefahren zu werden: "Sie wurden von den Sicherheitsorganen vom Bahnhof entfernt."
Über Mittag wurden die Polizeieinheiten verstärkt, um vor allem jeden Kontakt zu Menschenansammlungen auf der Westseite zu verhindern, sodass sich kein übergreifender Protest formieren konnte. Es gelang der Volkspolizei, die meisten protestierenden Gruppen auf der östlichen Seite aufzulösen, die sich aber bald darauf neu formierten. Mehrfach wurde dabei Tränengas eingesetzt. Volkspolizei und Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) verhafteten Menschen, die zum Streik aufriefen oder im Ärger die Bekanntmachungen der Regierung abrissen. Die Proteste setzten sich, selbst in der Innenstadt, bis in die Abendstunden fort. Häufig waren es junge Leute, die diese Proteste dominierten. In den ersten zwei bis drei Tagen liefen immer wieder Menschen auf beiden Seiten der Grenze zusammen und gaben dadurch und durch verbale Äußerungen ihrem Unmut Ausdruck. Am 15. August demonstrierten mittags am Ost-Berliner Arkonaplatz nahe der Grenze ein- bis zweitausend Menschen gegen deren Abriegelung. Kollektive Proteste und spontane Demonstrationen in Ost-Berlin trieb die Volkspolizei in den folgenden Tagen immer wieder mit Nebelkörpern, Wasserwerfern und Schlagstockeinsatz auseinander. Aber es kam, wie der SED-Vorsitzende Walter Ulbricht im vorhinein versichert hatte, nicht zu einer Aufstandsbewegung in der DDR, die im Westen einige befürchtet hatten und die insbesondere Kremlchef Nikita Chruschtschow für möglich gehalten hatte. Die Überrumpelung der Bevölkerung, die Erfahrung von 1953, das schnelle Eingreifen der Parteimaschinerie und die schnelle und gut geplante Reaktion von Volkspolizei und Staatssicherheit gewährleisteten, dass es bei lokalen Protesten bleib. Ulbricht hatte schon am 1. August gegenüber Chruschtschow abgewiegelt: "Ein Aufstand ist nicht realistisch."
Eine weitere Reaktion der Bevölkerung auf den Mauerbau waren Solidaritätsadressen und Zustimmungserklärungen, die Betriebs- und Wohnkollektive aus der ganzen DDR an die Staats- und Parteiführungen richteten und in denen sie die "Maßnahmen", wie es vorerst hieß, ausdrücklich begrüßten. Denn die SED ließ sich die Grenzschließung von ihrem Staatsvolk bestätigen. Dadurch wollte sie sich, der Bevölkerung und der Welt eine Legitimität suggerieren, die tatsächlich nicht vorhanden war. Diese Briefe waren für die SED ein wichtiges Moment nachträglicher Legitimierung, die für die Propaganda intensiv genutzt wurden. Die Propagandamaschine der SED war republikweit noch in der Nacht zum 13. August angelaufen, nachdem die Genossen der Bezirks- und Kreisleitungen aus dem Bett geklingelt worden waren. Der Apparat war mit sich zufrieden: "Es hat sich erwiesen, daß die Bezirksleitungen in wenigen Stunden den Partei- und Staatsapparat sowie das Parteiaktiv zur Lösung einer neuen Aufgabe mobilisieren und zum Einsatz bringen können. Die Büros und Apparate der Bezirksleitungen sowie entscheidende Staatsfunktionäre waren in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag gegen 3 Uhr einsatzfähig. Büromitglieder und Mitarbeiter der Bezirksleitungen begaben sich in die Kreise, um die Arbeit der Kreisleitungen zu unterstützen. In den Kreisen wurden sofort Beratungen mit den Parteisekretären, mit den Vorsitzenden der Blockparteien und Massenorganisationen durchgeführt und an den Schwerpunkten Agitatorengruppen eingesetzt. Die Parteileitungen in den Schichtbetrieben haben bereits in den frühen Morgenstunden des 13.8. Versammlungen und Aussprachen organisiert. Dasselbe geschah in vielen Hausgemeinschaften. Die Mehrheit der Werktätigen wurde am Montagvormittag [14.8.] durch Versammlungen und Foren gründlich über die Maßnahmen der Regierung informiert. Die Partei wurde faktisch unter den Massen politisch wirksam, bevor der Feind überhaupt gewahr wurde, was geschehen war, und hatte die Lage fest in der Hand, wobei zu berücksichtigen ist, daß ein großer Teil der aktivsten Genossen Mitglieder der Kampfgruppen ist, zu Schutzmaßnahmen eingesetzt war und nicht unmittelbar in den Agitatorengruppen mitwirken konnten." Der Parteiapparat war schnell mobilisiert und agitierte die Bevölkerung, bevor diese sich ein eigenes Bild hatte machen können. Auch die Schnelligkeit, in der SED-Propagandisten den Bürgern der DDR auf Versammlungen die neue Situation erläuterten, hat wohl dazu beigetragen, dass es in der DDR verhältnismäßig ruhig blieb. Auf diesen von der SED in Betrieben und Wohngebieten einberufenen Versammlungen wurden die von den Funktionären vorformulierten Zustimmungserklärungen verabschiedet. Parteifunktionäre verlangten von den Teilnehmern, die Solidaritätsadressen zu unterschreiben, die sie dann an die Parteiführung sandten. So verfasste die Nachtschicht des Milchhofs Weißensee schon in der Nacht zum 13. August eine zustimmende Solidaritätsadresse mit 23 Unterschriften an Walter Ulbricht. Ihr folgten zahlreiche andere Betriebe und Wohngebiete aus allen Teilen des Landes. Wenn der verbale Druck der Funktionäre nicht ausreichte, um die Teilnehmer der Versammlungen zu überzeugen, nahmen Volkspolizei oder Staatssicherheit einige exemplarische Verhaftungen vor, um die anderen zur Zustimmung zu nötigen. Ein Kraftfahrer aus der Gegend von Magdeburg zum Beispiel sprach sich bei einer Betriebsversammlung am 14. August gegen eine zustimmende Resolution aus. Er konnte diese zwar durch sein Auftreten verhindern, wurde aber nach der Versammlung inhaftiert. Zwei Bürger aus Lindenberg im Kreis Sonneberg wurden verhaftet, weil sie in einer Einwohnerversammlung gesagt hatten, die SED sei schuld an der "Republikflucht", weil "die Arbeiter in der DDR nichts zu melden" hätten. In Plauen verhielten sich Jugendliche auf einer Einwohnerversammlung am 14. August renitent. Der Bericht sagt, sie hätten einen Angehörigen der SED-Bezirksleitung beschimpft. Zwei "Rädelsführer" wurden verhaftet. In mehreren Berichten wird hervorgehoben, dass sich vor allem junge Leute offen gegen die "Maßnahmen" in Berlin aussprächen. Diese "provokatorische" oder "feindliche" Haltung bei jenem Teil der Bevölkerung, in den die SED ihre größten Hoffnungen setzte, alarmierte den Parteiapparat.
In den Betrieben
Bereits am 14. August seit 7.10 Uhr in der Frühe erhielt Erich Honecker, im SED-Apparat zuständig für die Organisation des Mauerbaus, die ersten Berichte über die Reaktionen und Diskussionen in der Bevölkerung. In den meisten Betrieben lief die Arbeit normal an. Nur vereinzelt forderten Arbeiter ihre Kollektive zum Streik auf, etwa in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) bei Halberstadt. Teilweise kursierten Gerüchte darüber, dass in Berlin gestreikt würde. Allerdings sind einige kleinere Arbeitsniederlegungen aktenkundig geworden. Etwa 40 Arbeiter des VEB Holzindustrie Hennigsdorf bei Oranienburg traten beispielsweise in den Ausstand. Sie kritisierten, vor den "Maßnahmen" nicht gefragt worden zu sein, und forderten die Rücknahme der Grenzschließung. Außerdem verlangten sie, dass das Streikrecht im Arbeitsgesetzbuch verankert werde. Doch solche Reaktionen waren vereinzelt und in den meisten Betrieben blieb es ruhig. Darüber hinaus gab es andere, stillere Reaktionen. Denn die Drohgebärde, die mit dem Mauerbau verbunden war, hatten die meisten Arbeiter durchaus verstanden. Hatten sie doch in vielen zustimmenden Resolutionen schon unterschreiben müssen, dass sie künftig für dasselbe Geld mehr würden arbeiten wollen. Das veränderte die Situation und vertiefte den Missmut, die einzelne interne Berichte beschreiben. In einem Köpenicker Betrieb schlug den Genossen der SED an den Tagen nach dem Mauerbau "eisiges Schweigen" entgegen. Dies wird auch aus einem Betrieb in Hennigsdorf gemeldet: Es würde kein Protest laut und die geforderten Zustimmungserklärungen würden ohne Protest oder Diskussion unterschrieben. Es gäbe jedoch eine heimliche Sympathie mit Provokateuren. Aus anderen Betrieben wurde noch nach einigen Wochen gemeldet, dass SED-Angehörige von ihren Kollegen nicht mehr gegrüßt, gemieden und Gespräche bei ihrer Annäherung abgebrochen würden. Die Grenze zwischen oben und unten war wieder einmal deutlich hervorgetreten.
Andere Proteste
Der Vollständigkeit halber sei noch auf andere Protestformen hingewiesen. An vielen Orten tauchten antikommunistische Losungen an den Wänden auf:
"Heute rot – morgen tot" "SED – nee" "Nieder mit der SED" "Kommunisten raus" "erst freie Wahlen – weg mit den Panzern aus Berlin". Einige meinten, ein Fanal setzen zu müssen. Gemeinsam mit fünf Freunden protestierte beispielsweise der später von MfS-Männern an der Grenze erschossene Michael Gartenschläger gegen die Grenzschließung. Sie waren Rock'n'Roll-Liebhaber, hörten dementsprechend RIAS und fuhren häufig nach West-Berlin. Durch die Grenzschließung war ihr Lebensstil bedroht, und sie wehrten sich, indem sie Farbflaschen auf SED-Losungen warfen und in der Nähe ihres Heimatortes die Scheune einer LPG in Brand setzten.
Intellektuelle und Künstler
Die alten Eliten, vor allem die noch in älterer Zeit geschulte Intelligenz, stand der Grenzschließung, wie zu erwarten gewesen war, reserviert gegenüber. Besonders Ingenieure und Ärzte wurden in einem internen Bericht bezichtigt, "provokatorisch gegen unsere Maßnahmen" aufzutreten. Auch an den Universitäten organisierten die Leitungen der Institute und Fakultäten gemeinsam mit den SED-Organisationen Versammlungen, in denen die Maßnahmen der Regierung gebilligt werden sollten. Unter den Wissenschaftlern bildeten sich Gruppen, die teils offen dagegen auftraten, teils sich um die geforderten Zustimmungserklärungen herumzudrücken versuchten. Unter denjenigen, die offen gegen die Grenzschließung protestierten, waren einige, die sich bereits im Juni 1953 und während des Aufstands in Ungarn 1956 kritisch gegen die Politik der SED geäußert hatten. Nach Einschätzung der Partei waren sie an den Universitäten allerdings in der Minderheit. Die Ambivalenz der Reaktionen zeigt sich an zwei Beispielen. An der Humboldt-Universität vertraten – zur Verwunderung der anwesenden Genossen – einige Wissenschaftler die Ansicht, die Grenzschließung richte sich vornehmlich gegen die Bürger der DDR und bewirke eine Einschränkung der persönlichen Freiheit. Sie solle die "Republikflucht" verhindern und entspräche nicht den Wünschen der Bevölkerung, wie von der Regierung immer hervorgehoben, sondern den Bedürfnissen der Partei. Darüber hinaus zeige sich dort eine Vermeidungsstrategie, da parteilose Kollegen es vermieden, mit und in Gegenwart von SED-Genossen politische Gespräche zu führen. Außerdem weigerten selbst Genossen sich zunehmend, Parteiaufträge zu übernehmen. Einige Kollegen, und dies erweitert das Spektrum der möglichen Reaktionen, seien nicht zur Arbeit erschienen, und man vermute, dass sie "republikflüchtig" geworden seien. An der Technischen Hochschule Dresden dagegen hatte noch in der Nacht zum 13. August die Parteileitung die Initiative ergriffen. Es gelang ihr, die Meinungsäußerungen zur Zufriedenheit der Partei konform und äußerst zustimmend zu halten. Mehrere Professoren gaben freiwillig und schnell Erklärungen ab, dass sie die "Maßnahmen" vollständig unterstützten und künftig zur Erfüllung der wissenschaftlichen Aufgaben noch mehr und besser arbeiten würden. In einige Resolutionen flossen allenfalls kleine Vorbehalten ein. In den Diskussionen kam es vereinzelt zu Hinweisen, man solle das Argument des Menschenhandels nicht überstrapazieren, da viele Menschen freiwillig und aus anderen Gründen als einer Abwerbung in den Westen gegangen seien. Einige Wissenschaftler verweigerten anfangs ihre Unterschriften zu den geforderten Zustimmungserklärungen, da dort immer von einer Zustimmung zum Beschluss der Volkskammer die Rede war. Sie argumentierten, dass es sich bei diesem Beschluss um eine Blanko-Vollmacht handele und man nicht wissen könne, welche Maßnahmen auf diese Grundlage noch eingeleitet würden. Auch bei den Künstlern zeigte sich eine ambivalente Haltung. Einige, wie Ernst Bloch und Peter Palitzsch, nutzten einen zeitweisen Westaufenthalt, um nicht mehr zurückzukehren. Andere, wie Stephan Hermlin, ergingen sich in Zweideutigkeiten und versuchten, das Geschehen herunterzuspielen: Berlin sei bereits seit 1949 geteilt gewesen. Wieder andere, darunter Helene Weigel, Elisabeth Hauptmann, Hanns Eisler und Paul Dessau, verdammten jene, die sich in ihrer Wahrnehmung auf die Seite der Reaktion geschlagen hatten, und trugen auf diese Weise zur Unterstützung der Machthaber in der DDR bei.
Selbst innerhalb der Partei waren sich anfangs nicht alle Genossen über die friedenserhaltende Wirkung der Mauer einig. Ein interner Bericht formuliert das Unbehagen einiger Genossen, die gefragt hätten: "Warum mußten wir Panzer einsetzen?" Auch wenn die Irritation innerhalb der Partei schwach und ohne öffentlichen Ausdruck blieb, musste man intern doch einige Widerstände einräumen. Einige SED-Mitglieder "lehnten die weitere Mitarbeit in den Kampfgruppen ab". Vor allem das Verbot, in den Westen zu reisen und mit Menschen aus dem Westen Kontakt zu haben, war vielen Parteimitgliedern unverständlich und wurde als unzulässiger Eingriff in ihr Privatleben aufgefasst. Dieses Problem schien mehr Mitglieder der SED zu betreffen, als man angenommen hatte: "Ein größerer Teil [der] Parteimitglieder erkennt noch nicht die Gefahr, die für Bürger unserer Republik bei Besuchen in Westdeutschland gegeben ist, und begreift nicht die Notwendigkeit, auf Westreisen zu verzichten." Außerdem waren einzelne Parteiaustritte und Funktionsniederlegungen zu verzeichnen. Der Bürgermeister von Falkensee etwa weigerte sich, für den Kreistag zu kandidieren, und wurde daraufhin von der Kreiskontrollkommission der SED vorgeladen. Daraufhin zog er es am 21. August vor, ebenfalls nach dem Westen zu gehen. Selbst SED-Mitglieder beteiligten sich an Demonstrationen gegen die Grenzschließung, versuchten Aufrufe zu verfassen, und riefen zum Streik auf. Ein Parteisekretär sagte, solange seine Westverwandtschaft ihn nicht mehr besuchen dürfe, würde er in der SED nicht mehr mitarbeiten. Einige Funktionäre gingen einfach in Urlaub oder erschienen nicht auf den ihnen zugewiesenen Posten, wie die SED gegenüber der Gewerkschaft kritisierte.
Vor allem in den Grenzkreisen, in denen die Bevölkerung mit ökonomischen Problemen stärker zu kämpfen hatte und in denen die Zwangsaussiedlungen der SED zusätzlich Sympathien gekostet hatten, standen auch Parteimitglieder den Maßnahmen der Regierung deutlich reserviert gegenüber. In einigen Orten wurde ein Drittel der Genossen als "schwankend" eingestuft. Dies sind Einzelfälle, die gleichwohl zeigen, wie tief die Zäsur des Mauerbaus in die Gesellschaft der DDR einschnitt. In ihrer Masse dürften die Mitglieder und insbesondere die lokalen Funktionäre der SED den Machtzuwachs, den ihnen der Mauerbau bescherte, begrüßt haben.
Der Mauerbau war für die SED zunächst ein Erfolg: Sie hatte die Bevölkerung der DDR auf dem von ihr beherrschten Territorium immobilisiert und nutzte dies, um ihre Macht zu konsolidieren. Dies zeigt sich unter anderem an der Siegeseuphorie, die sich unter den Funktionären seit dem 13. August breitmachte, die von polizeilicher und strafrechtlicher Repression begleitet war. Die Bevölkerung sollte merken, dass jetzt ein anderer Wind wehte und dass sie dem Parteiapparat noch stärker ausgeliefert war als vorher: im Wortsinne nun ausweglos. Und sie lernte es, wie es der Verteidigungsminister im September formulierte: "Seit dem 13. August 1961 haben wir auch hier bedeutsame Fortschritte in der Erziehungsarbeit unter der Bevölkerung erzielt. Im Bewußtsein und der Aktivität der Werktätigen vollzieht sich ein großer Aufschwung." In rascher Folge wurden, um nur einige Konsequenzen des Mauerbaus zu nennen, alle nicht unbedingt nötigen Verbindungen in den Westen gekappt, die Wehrpflicht eingeführt, eine Erhöhung der Arbeitsleistungen beschlossen und ein strafbewehrter Arbeitszwang eingeführt.
Jedoch war die SED nicht in der Lage, aus diesem Zuwachs an Macht auch eine größere Zustimmung in der Bevölkerung und damit einen Zuwachs an Legitimität zu generieren. Dafür hätte sie ihre Politik stärker auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausrichten müssen, wozu sie sich nicht verständigen konnte.
Erst mit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker kam verspätet eine gewisse Ausrichtung auf die Konsumbedürfnisse der breiten Masse, die zudem von der Wirtschaftsentwicklung nicht getragen wurde und zu einer Dauerkrise führte, die das Ende der DDR mit herbeiführte. Statt eines Wandels der Politik setzte die SED zu Sicherung ihrer Herrschaft darauf, die Immobilisierung der Bevölkerung auch auf das Innere der DDR auszudehnen und zu zementieren. Deshalb hatte die mit dem Mauerbau einsetzende Politik langfristig keinen Erfolg: In der DDR wuchs der innere Druck in den folgenden Jahrzehnten so stark, dass die SED-Führung, nachdem sie ihre Schutzmacht verloren hatte, 1989/90 nahezu ohne Gegenwehr von einer wachsenden Protestbewegung hinweggespült wurde. aus: Deutschland Archiv 6/2011