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Biohacking & Cyborgisierung

Kevin Warwick

/ 13 Minuten zu lesen

Was ist "Biohacking"? Und wie wird es praktisch umgesetzt? Kevin Warwick mit einer Einführung.

Ein BrainGate-Chip: In Experimenten wurden elektrische Aktivitäten einiger Neuronen durch die Array-Elektroden überwacht und in ein Signal dekodiert, z.B., um einem gelähmten Mann zu ermöglichen, die Kontrolle über seinen Arm wiederzuerlangen. (© picture-alliance/AP)

Dieser Artikel wirft einen Blick auf das Konzept des "Biohacking" und dessen praktische Umsetzung. Dazu wird der Fokus nicht so sehr auf die so genannte Do It Yourself-Biologie gelegt, sondern auf die sog. Grinder, die ihre Körper mit kybernetischen Implantaten hacken, außerdem auf die Erschaffung von teilweise biologischen, teilweise technologischen Entitäten und auf die Verwirklichung von Cyborgs im Sinn von realen, physischen Entitäten. Als letzten Punkt behandelt dieser Artikel das "Neurohacking", dazu zählt das "Hacken" ins Gehirn oder ins Nervensystem.

Biohacking

Wir betrachten hier die Nutzung von Implantattechnologie zu nicht-medizinischen Zwecken wie zum Beispiel das Implantieren von RFID-Geräten (radio frequency identification) als Identitäts-Kennzeichnung. Solch ein RFID-Gerät sendet mittels Radiofrequenz eine Sequenz von Impulsen, die für eine eindeutige Nummer stehen. Diese Nummer kann so programmiert werden, dass sie ähnlich wie eine PIN auf einer Kreditkarte funktioniert. Wenn jemand ein RFID-Implantat eingesetzt und aktiviert bekommt, dann kann der Code ausgelesen, per Computer abgeglichen und die Identität des Trägers bestimmt werden.

Solche Implantate wurden von Nachtclubs in Barcelona und Rotterdam (Baja Beach Club) als trendige Form der Einlasskontrolle für ihre Gäste verwendet, außerdem als Zutrittserlaubnis in Hochsicherheitsbereiche für einige Personen der mexikanischen Regierung oder auch als Speicher für medizinische Daten. Im letzteren Fall können Informationen über die Medikation, die der Träger für eine Erkrankung wie Diabetes braucht, auf dem Implantat gespeichert werden. Durch die Positionierung im Körper werden Angaben nicht mehr vergessen, Berichte gehen nicht mehr verloren und die Datenträger werden auch nicht so leicht gestohlen.

Ein RFID Implantat hat keine eigene Batterie. Es besteht aus einer Antenne und einem Mikrochip, die beide in Silikon oder Glas verkapselt sind. Wenn die Antenne in der Nähe einer größeren Drahtspule ist, die elektrische Ladung trägt, wird sie aus der Ferne mit Strom gespeist. Der von der Antenne des Implantats aufgenommene Strom wird genutzt, um das im Chip verschlüsselte Signal zu übermitteln.

Die Größe des RFID-Geräts, im Besonderen die der Antenne, bestimmt, in welcher Entfernung das Implantat von der Strom liefernden Spule sein muss, damit es in Betrieb versetzt wird. Wenn das Implantat die Größe eines Reiskorns hat, so muss die Spule direkt daneben platziert werden, im Grunde so nahe wie möglich. Ein Implantat von mehreren Zentimetern Größe kann hingegen Energie aufnehmen, wenn die Entfernung zur Spule 1 bis 2 Meter beträgt.

Weil das Implantat keine Batterie oder beweglichen Teile enthält, ist es wartungsfrei; einmal implantiert, kann es an Ort und Stelle bleiben [1]. Ein RFID-Implantat dieser Art wurde einem Menschen zum ersten Mal im April 1998 in Reading, England, eingesetzt. Es war 22 mm lang und hatte einen Zylinderdurchmesser von 4 mm. Durch das Implantat konnte sein Träger das Licht ein- und ausschalten, Türen öffnen und wurde mit "Hallo” begrüßt, wenn er durch die Eingangstür kam [2]. Solch ein Implantat könnte von menschlichen Trägern für eine Vielzahl an Zwecken benutzt werden, zum Beispiel als Kreditkarte, Autoschlüssel oder (wie es bei Tieren der Fall ist) als Identitäts-Ausweis. Was mögliche Einsatzzwecke in der Zukunft angeht, so wird wahrscheinlich all das eintreten, was die Gesellschaft sich wünscht bzw. bereit ist zu akzeptieren und was noch dazu im kommerziellen Bereich entwickelt wird; es ist weniger abhängig von technischen Faktoren.

Der farbenblinde Neil Harbisson beschreibt in seiner Arbeit ein anderes Beispiel für Biohacking. Zunächst wurde eine Technologie entwickelt, um verschiedene Farben, die von einer an seinem Kopf angebrachten Kamera aufgezeichnet wurden, in Tonfrequenzen zu übersetzen [3]. Harbisson merkte sich die zu einer jeweiligen Farbe gehörenden Frequenzen. Er entschied dann später, die Kamera permanent am Kopf zu befestigen, das heißt, über seiner Stirn schwebt nun an einem Bügel eine kleine, nach vorn gerichtete Kamera. An seinem Hinterkopf ist der Bügel mit dem Schädel verbunden. Letztendlich ist Harbisson so in der Lage, Farbsättigung sowie Farbtöne anhand verschiedener Lautstärken und Vibrationen zu differenzieren [4].

Ein weiteres Projekt wurde von Rob Spence durchgeführt, der eines seiner Augen durch eine Videokamera in Augenform ersetzt hat. Das prothetische Auge enthält einen Funk-Transmitter, der in Echtzeit ein Farbvideo auf ein separates Display sendet. Spence hatte sein rechtes Auge ursprünglich mit 13 beim Spielen mit einer Waffe auf der Farm seines Großvaters verloren. In der Folge beschloss er, eine Mini-Kamera zu bauen, die in sein künstliches Auge eingepasst werden konnte. Die Kamera ist nicht mit seinem Sehnerv verbunden und hat seine Sehkraft in keinster Weise wiederhergestellt. Stattdessen wird sie benutzt, um das, was sich in seinem Blick befindet, aufzuzeichnen. Derzeit wird ein Kameramodel mit einer besseren Leistung, einer höheren Auflösung und mit einem stärkeren Transmitter und Empfänger entwickelt.

Dann gibt es im Bereich des Biohackings noch das Implantieren von sub-dermalen Magneten [5]. Zu Experimenten in dieser Richtung gehört die kontrollierte Stimulation der Mechanorezeptoren, d. h. der Sinneszellen bzw. Sinnesorgane, die mechanische Stimuli in Nervenerregung verwandeln. Die Haut der menschlichen Hand enthält eine große Zahl von leicht zu stimulierenden Mechanorezeptoren. Sie ermöglichen es dem Menschen, die Form, Größe und Textur von Objekten in der physischen Welt durch Berührung zu erleben. Die höchste Dichte der Mechanorezeptoren liegt in den Fingerspitzen, besonders in denen der Zeige- und Mittelfinger. Sie sind am empfindsamsten für Frequenzen im Bereich von 200-300 Hz.

Ein unter der Haut implantierter Magnet kann mit einer externen, elektromagnetischen Spule interagieren und von ihr stimuliert werden, was der Träger über seine Mechanorezeptoren empfinden kann. Ein wichtiges Kriterium beim Implantieren ist die Langlebigkeit des Implantats. Nur für Permanentmagnete gilt, dass sie ihre magnetische Stärke über lange Zeit behalten und dass sie robust genug sind, um Testbedingungen zu überstehen. Dadurch kommen nur bestimmte Arten von Magneten für eine Implantation in Betracht. So sind Magnete aus Hartferrit für diesen Zweck geeignet. Die Stärke des Magneten hat auch einen Anteil daran, wie stark das Implantat auf das externe Magnetfeld anspricht, und sie bestimmt ebenfalls die Stärke des Magnetfelds, das um das Implantat herum vorhanden ist.

In den Experimenten, über die bisher berichtet wurde, waren es die Fingerkuppen von Mittel- und Ringfingern, die am häufigsten für die Magnet-Implantation gewählt wurden [5]. Eine Schnittstelle zwischen Implantat und externen Stimuli wurde in Form eines Drahtgestells mit Spule realisiert, das auf den jeweiligen Finger aufgesetzt wird, um dann mithilfe externer Geräte ein Magnetfeld zu erzeugen, das den Magneten im Finger in Bewegung versetzt. Dahinter steckt das Konzept, dass der Output eines externen Sensors (in dem Fall eines Elektromagneten) die Spannung in der aufgesetzten Spule steuert. Veränderungen in den Signalen des externen Sensors wirken sich auf die Stärke der Vibrationen aus, die im implantierten Magneten spürbar sind.

In einer Vielzahl von Anwendungsbereichen wurden ähnliche Experimente durchgeführt, zum Beispiel auch mit Informationsübermittlung im Ultraschallbereich. Für dieses Experiment wird ein an einer Drahtspule befestigter externer Ultraschall-Sensor auf den Finger aufgesetzt, in dem der Permanentmagnet implantiert ist. Die Leistungsabgabe des Sensors bestimmt die Stromstärke in der Spule und in der Folge die Vibration des Magneten. Je näher ein Objekt dem Sensor kommt, desto mehr Stromstärke ist in der Spule und umso stärker vibriert der Magnet im Finger. Der Träger kann also die Distanz zu Objekten genau fühlen. Das kann für Blinde sicherlich hilfreich sein.

Cyborgisierung

Ein Cyborg ist eine Entität, in der Biologie und Technologie vereint sind. Am ehesten bezeichnet man damit eine Verbindung, bei der ein ganz neues Wesen aus Mensch(en) und Maschine entsteht. Wichtig ist hierbei, dass bei einem Cyborg der Mensch und die Maschine ein integriertes System werden, dessen Fähigkeiten sich von normalen menschlichen Fähigkeiten unterscheiden und auch über die menschliche Norm gehen. In der Vergangenheit hatten einige Forscher im Bereich der tragbaren Computer für sich beansprucht, Cyborgs zu sein [6]. In diesen Fällen wurde die Technologie aber lediglich am Körper getragen.

Es gibt viele Beispiele, bei denen Implantate genutzt werden, um bei einem bestimmten Problem zu helfen, so wie "Cochlea"-Implantate bei Gehörlosigkeit oder Tiefenhirnstimulatoren bei Parkinson-Erkrankungen [7]. Diese Modifikationen sind jedoch therapeutisch einzuordnen, denn ihr Zweck besteht darin, ein durch ein Handicap verursachtes Problem auszugleichen [8]. Letztlich fühlt es sich für die Trägerin oder den Träger des Implantats selbst aber schon so an, dass die Technologie ein Teil von ihr oder ihm ist. Außerhalb ihrer Körper bleibt sie hingegen kein Teil der Träger. Letzteres gilt etwa für den Militärsektor, zum Beispiel für Infrarot- Nachtsichtgeräte, die in Zielerkennungssyteme eingebaut sind, oder für sprachgesteuerte Abfeuerungsmechanismen für Kampfpiloten.

In diesen Fällen sind mögliche ethische Probleme relativ trivial. Obwohl die physischen Fähigkeiten der jeweiligen Person durch bereitgestellte Funktionen erweitert werden, so wurde doch ihr seelischer Zustand, ihr Bewusstsein, nicht verändert, bzw. lediglich in dem Sinne, dass die Person weiß, was sie mittels der Technologie erreichen kann. Cyborgs stellen erst dann ein ethisches Dilemma dar, wenn es darum geht, dass tatsächlich das Bewusstsein des Individuums modifiziert wird. Beim Menschen heißt das, dass die eingesetzte Technologie direkt mit dem Gehirn oder Nervensystem verbunden wird. Das unterscheidet sie also von Verbindungen, die zwar im Körper, aber außerhalb vom Nervensystem liegen, oder gar von Verbindungen, die außerhalb von Nervensystem und Körper aufgebaut werden.

Verbindungen zwischen Technologie und dem menschlichen Nervensystem haben nicht nur Auswirkungen auf die Person, weil sie die Frage nach der Bedeutung von "Ich” oder "Selbst” aufwerfen, sie haben auch direkten Einfluss auf die Autonomie. Jemand, der eine Brille trägt, bleibt doch ein autonomes, menschliches Wesen, ob diese Brille nun mit einem Computer ausgestattet ist oder nicht. Allerdings verändert ein Mensch, dessen Nervensystem mit einem Computer verbunden ist, nicht nur seine Individualität, sondern lässt es auch zu, dass seine Autonomie beeinträchtigt wird, wenn der Computer Teil eines Netzwerks ist. Ein solcher Fall wird im nächsten Teil besprochen.

BrainGate Experimente

Wenn wir uns konkret mit Fällen von Cyborgs beschäftigen, dann sehen wir, dass die meisten praktischen Experimente Menschen betreffen, oft im Selbstversuch, die sich eng mit Technologie verbunden haben. Obwohl viele menschliche Gehirn-Computer-Schnittstellen für therapeutische Zwecke zum Bewältigen eines medizinischen oder neurologischen Problems eingesetzt werden, so ist die Möglichkeit einer Erweiterung der Fähigkeiten nicht nur eine verlockende Aussicht, sondern auch ein äußerst wichtiges Merkmal.

Ob etwas als Therapie oder Erweiterung anzusehen ist, ist keine einfach zu beantwortende Frage. In einigen Fällen können amputierte oder am Rückenmark verletzte Patienten durch ihre (immer noch) funktionierenden Nervensignale Geräte bedienen [9]. Patienten mit Schlaganfall oder Motoneuronenkrankheit (z.B. ALS) kann ermöglicht werden, ihre Umgebung etwas besser im Griff zu haben. In diesen Fällen ist der Sachverhalt nicht eindeutig, werden diesen Patienten doch Fähigkeiten gegeben, die ein normaler Mensch nicht besitzt, zum Beispiel das Bewegen eines Cursors auf einem Computerbildschirm nur mithilfe von Nervensignalen [10].

Es sind bisher einige interessante Forschungen am Menschen in diesem Bereich unternommen worden, dazu hat man "Mikroelektroden Arrays" benutzt, auch bekannt als "Utah Arrays", oder mit dem häufig gebrauchten Begriff "BrainGate" bezeichnet (siehe Bild 1). Die einzelnen Elektroden des Arrays sind 1,5 Millimeter lang und verjüngen sich an der Spitze bis zu einem Durchmesser von weniger als 90 Mikrometer. Im Moment sind Tests am Menschen auf zwei Studiengruppen beschränkt. Der ersten wenden wir uns in den folgenden Paragraphen zu, in der zweiten wurde der Array rein zum Zweck der Aufzeichnung und nicht zur Stimulation eingesetzt.

In Experimenten wurden elektrische Aktivitäten einiger Neuronen durch die Array-Elektroden überwacht und wurden in ein Signal dekodiert, das wiederum Cursor-Bewegungen steuerte. Dadurch war eine Person in der Lage, den Cursor auf dem Bildschirm mittels neuronaler Signale in Kombination mit einem visuellen Feedback zu positionieren. Dieselbe Technik wurde danach auch eingesetzt, um es einer gelähmten Person zu ermöglichen, einen Roboterarm zu bedienen [11], [12]. Kürzlich wurde das gleiche Implantat dazu benutzt, einem gelähmten Mann zu ermöglichen, die Kontrolle über seinen Arm wiederzuerlangen [13]. Ein 24-Jähriger, der durch einen Schwimmunfall eine C5-Lähmung erlitt, bekam den BrainGate in seinen motorischen Cortex eingesetzt. Der BrainGate war über Computer mit einer über den Arm gezogenen Apparatur verbunden, in der sich muskelstimulierende Elektroden befanden. Auf diese Weise konnte der Patient lernen, wie er in einem eingeschränkten Maß sein Handgelenk und seine Finger bewegen konnte.

Jedoch hat diese Anwendung des Mikroelektroden Arrays (siehe Bild 1) größere Auswirkungen, wenn versucht wird, die Fähigkeiten seines Trägers auszudehnen. Als Schritt hin zu einem breiter gefassten Ansatz der Gehirn-Computer-Interaktion wurde der Mikroelektroden-Array in einer zweistündigen neurochirurgischen Operation in die Nervenfasern des Medianusnervs eines gesunden Menschen eingesetzt, um in einer Reihe von Experimenten bi-direktionale Funktionen zu testen. Durch ein direkt im Nervensystem applizierten Reizstrom gelang es, Feedback-Informationen an den Nutzer zu schicken, während Kontrollsignale aus der neuronalen Aktivität im Bereich der Elektroden dekodiert wurden. [14]. Mit diesem Versuchsaufbau konnten mehrere Tests durchgeführt werden [15].

Im Speziellen [10] ergaben sich folgende Befunde:

1. Extra sensorischer Input (Ultraschall) wurde erfolgreich eingesetzt.

2. Es gelang, eine Roboterhand über das Internet genau zu steuern, dabei wurde Feedback von den Roboterfingern als neuronale Stimulation zurück gesendet, um ein Gefühl für den auf ein Objekt ausgeführten Druck zu erzeugen. (Dies wurde zwischen der Columbia University in New York, USA, und der Reading University in England ausgeführt.)

3. Eine primitive Form der telegraphischen Kommunikation wurde direkt zwischen zwei menschlichen Nervensystemen ausgeführt. (Die Ehefrau des Empfängers hat ebenfalls Elektroden implantiert und Signale gesendet und empfangen.)

4. Ein Rollstuhl wurde erfolgreich mittels neuronaler Signale gefahren.

5. Die Farbe von als Schmuck getragenen LEDs wurde durch neuronale Signale verändert – und auch das Verhalten einer Ansammlung von kleinen Robotern.

Bild 1: Ein Mikroelektroden Array aus 100 Elektroden, 4 x 4 Millimeter (BrainGate), hier zum Größenvergleich auf einem britischen 1 Pence Stück

In den meisten, wenn nicht allen der oben aufgezählten Fälle, kann der Versuch als für therapeutische Zwecke nützlich erklärt werden, zum Beispiel kann ein eingehendes Ultraschallsignal für einen Blinden hilfreich sein, während telegraphische Kommunikation einen Nutzen für Patienten mit speziellen Motor-Neuronen-Erkrankungen haben kann. Jeder Versuch kann jedoch auch als eine Art der Erweiterung von Fähigkeiten, mit denen der Mensch normalerweise ausgerüstet ist, gesehen werden. In der Tat brauchte der gesunde Mann, der das Implantat in seinem Medianusnerv trägt, es nicht aus medizinischen Gründen, um ein Problem zu bewältigen, das Experiment wurde eher zum Zweck der wissenschaftlichen Erforschung unternommen.

Schlussfolgerungen

Beim Thema Cyborgs betrachten wir daher nicht nur eine physische Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten, sondern eher eine komplett andere Grundlage, auf der das Cyborg-Gehirn in einer gemischten Mensch/Maschine-Manier arbeitet. Während klar ist, dass physische Erweiterungen wie Brillen oder tragbare Computer als unterstützende Technologie dem Menschen Fähigkeiten verleihen, die er ohne sie normalerweise nicht hätte, so ist die Situation doch anders, wenn das Gehirn in seiner Beschaffenheit verändert wird. Solch ein Cyborg hat von vornherein eine andere Grundlage, um Gedanken überhaupt zu fassen.

Aber wie weit kann dies gehen? Mit zusätzlichem Speicher, leistungsstarken mathematischen Fähigkeiten, dazu zählen die Kompetenz des mehrdimensionalen Erfassens, des Erlebens der Welt auf viele verschiedene Arten und der Kommunikation nur durch Gedankensignale, wären solche Cyborgs intellektuell gesehen weitaus leistungsstärker als Menschen. Es wäre schwer, sich vorzustellen, dass ein Cyborg mit solchen Eigenarten bereit wäre, seine Kräfte freiwillig aufzugeben. Es wäre ebenso schwer, sich vorzustellen, dass dieser Cyborg den banalen Worten eines Menschen überhaupt Beachtung schenkt.

Ein Merkmal eines Cyborgs der Art, von der wir hier sprechen, ist, dass er ein Gehirn hat, das nicht isoliert ist, sondern durch seinen maschinellen Teil direkt mit einem Netzwerk verbunden ist. Maßgeblich ist realistisch gesehen also folgende Frage: Ist es moralisch akzeptabel, dass Cyborgs ihre Individualität aufgeben und bloße Knotenpunkte in einem intelligenten Maschinen-Netzwerk werden? Das ist natürlich eine Frage, die sowohl für Cyborgs als auch für Menschen gilt.

Dieser ganze Themenbereich wirft nun also äußerst wichtige ethische Fragen auf. Soll jeder Mensch das Recht haben, zu einem Cyborg aufgerüstet zu werden? Wenn jemand das nicht möchte, sollte ihm oder ihr die Möglichkeit gegeben werden, es aufzuschieben und auf diese Weise dem Cyborg gegenüber eine Rolle einzunehmen, die der heutigen Rolle eines Schimpansen im Verhältnis zu einem Menschen entspricht? In welcher Beziehung stehen die Werte eines Cyborgs zu denen eines Menschen?

Literaturverzeichnis

[1] Warwick, K., Cyborgs—the neuro-tech version, in: Katz E (ed) Implantable bioelectronics—devices, materials and applications. Wiley–VCH, New York, 2013

[2] Warwick, K. and Gasson, M., A question of identity—wiring in the human, the IET wireless sensor networks conference, London, 4 December, 2006

[3] Ronchi, A., Eculture: cultural content in the digital age. Springer, New York, 2009

[4] Harbisson, N., Painting by ear. Modern Painters, The International Contemporary ArtMagazine, New York, June 2008

[5] Hameed, J., Harrison, I., Gasson, M. and Warwick, K., A novel human-machine interface using subdermal implants. Proc. IEEE 9th International Conference on Cybernetic Intelligent Systems, Reading, 2010

[6] Pentland, A., Wearable intelligence. Scientific American, Vol.9, Issue. 4, 1998.

[7] Camara, C., Warwick, K., Bruna, R., Aziz, T., del Pozo, F. and Maestu, F., A fuzzy inference system for closed-loop deep brain stimulation in Parkinson’s disease, Journal of Medical Systems, Vol. 39, Issue. 11: 155, 2015.

[8] Hayles, N., How We Became Posthuman: Virtual Bodies in Cybernetics, Literature and Informatics, The University of Chicago Press, 1999

[9] Donoghue, J., Nurmikko, A., Friehs, G. and Black, M., Development of a neuromotor prosthesis for humans, Advances in Clinical Neurophysiology: Supplements to Clinical Neurophysiology, Vol. 57, 2004

[10] Kennedy, P., Andreasen, D., Ehirim, P., King, B., Kirby, T., Mao, H. and Moore, M., Using human extra-cortical local field potentials to control a switch, Journal of Neural Engineering, Vol. 1, Issue. 2, 2004

[11] Hochberg, L., Serruya, M., Friehs, G., Mukand, J., Saleh, M., Caplan, A., Branner, A., Chen, D., Penn, R. and Donoghue, J., Neuronal ensemble control of prosthetic devices by a human with tetraplegia. Nature, 2006

[12] Hochberg, L., Bacher, D., Jarosiewicz, B., Masse, N., Simeral, J., Vogel, J., Haddadin, S., Liu, J., Cash, S., Smagt, P., and Donoghue, J., Reach and grasp by people with tetraplegia using a neurally controlled robotic arm. Nature, Vol. 485, 2012

[13] Bouton, C., Shaikhouni, A., Annetta, N., Bockbrader, M., Friedenberg, D., Nielson, D., Sharma, G., Sederberg, P., Glenn, B., Mysiw, W., Morgan, A., Deogaonkar, M. and Rezai, A., Restoring cortical control of functional movement in a human with quadriplegia, Nature, DOI:10.1038/nature17435, online 13 April 2016

[14] Warwick, K., Gasson, M., Hutt, B., Goodhew, I., Kyberd, P., Andrews, B., Teddy, P. and Shad, A., The application of implant technology for cybernetic systems. Archives of Neurology, Vol. 60, Issue. 10, 2003

[15] Warwick, K., Gasson, M., Hutt, B., Goodhew, I., Kyberd, P., Schulzrinne, H. and Wu, X., Thought communication and control: a first step using radiotelegraphy. IEE Proc. Communications, Vol. 151, Issue. 3, 2004

ist stellvertretender Vizekanzler an der Coventry University in Großbritannien. Vorher war er Professor für Kybernetik an der Universität von Reading. Warwick ließ sich als erster Mensch einen Computerchip (RFID-Chip) in den Arm implantieren.