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GVO – gentechnisch veränderte Organismen

Christof Potthof

/ 13 Minuten zu lesen

Christof Potthof erläutert Kennzeichnung und Zulassung von gentechnisch veränderten Produkten. Trotz eines umfangreichen Regulierungs-Apparates fehlen unabhängige Prüfungsverfahren.

Hinweis auf einer Verpackung eines us-amerikanischen Herstellers: "100% Natural". (© AP)

Politisch und verwaltungstechnisch sind beim Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) verschiedene Ebenen relevant: In Bezug auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen ist die europäische Ebene federführend. Die wichtigsten Gesetze zur Regulierung der GVO werden in Brüssel ausgehandelt. In der Regel werden diese Verhandlungen zwischen dem Rat, der sich aus den Fachministerinnen und -ministern der EU-Mitgliedstaaten zusammensetzt, und dem EU-Parlament geführt. Eine wichtige Rolle kommt zudem der EU-Kommission zu. Auf der Ebene der Mitgliedstaaten werden in erster Linie Vorgaben aus Brüssel in nationale Gesetze übernommen – die genaue Umsetzung kann aber zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten variieren.

Zu guter Letzt folgt noch die Verwaltungsebene unterhalb des Staates, in Deutschland betrifft dies die Bundesländer, in anderen Staaten zum Beispiel die Regionen oder Provinzen. Auf dieser Ebene findet in Deutschland die Kontrolle statt: Die Länder sind dafür verantwortlich, dass die Gesetze wie zum Beispiel die Kennzeichnungsregeln bei Lebensmitteln eingehalten werden.

Anbau/Freisetzungsversuche in D/EU

Sollen gentechnisch veränderte Pflanzen in der EU auf den Acker, wird dies durch die EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18 geregelt. Vereinfacht gesagt wird zwischen dem kommerziellen Anbau und den Freisetzungsversuchen unterschieden. Freisetzungsversuche mit gv-Pflanzen haben in vergangenen Jahren in der gesamten EU deutlich abgenommen. In Deutschland fand der letzte im Jahr 2012 statt (Stand: Frühjahr 2017).

Der kommerzielle Anbau von gv-Pflanzen in der Europäischen Union ist seit Jahren auf niedrigem Niveau konstant. Landwirte in der EU haben 2016 insgesamt gut 130.000 Hektar gentechnisch veränderten, Insekten-giftigen Mais der Linie MON810 gesät. 95 Prozent davon wuchsen in Spanien, der Rest verteilt sich auf Portugal, Tschechien und die Slowakei. Im Verhältnis zur gesamten Anbaufläche von Mais in der EU ist das ein Anteil von weniger als einem Prozent. Weltweit hat der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen kontinuierlich zugenommen und lag 2016 bei gut 180 Millionen Hektar. Bei einer weltweiten Ackerfläche von zirka 1,5 Milliarden Hektar entspricht das etwa 12 Prozent.

Kennzeichnung

Um es gleich vorweg zu sagen: Die Kennzeichnung von GVO in der EU hat nach offizieller Lesart mit Gesundheitsrisiken und deren Vermeidung zunächst einmal nichts zu tun. Es wird davon ausgegangen, dass nur gesundheitlich unbedenkliche GVO auf den europäischen Markt kommen. Diese durchlaufen ein Zulassungsverfahren, das explizit nach möglichen negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit sucht. Allerdings ist eben dieses Zulassungsverfahren umstritten und wird von Umwelt- und Verbraucherorganisationen wie auch von Regierungsbehörden verschiedener europäischer Länder – zum Teil heftig – kritisiert.

Mit oder ohne Gentechnik?

Die Kennzeichnung von GVO oder auch von Produkten, die aus GVO hergestellt worden sind, ist in erster Linie als Teil des Regelwerkes der so genannten Koexistenz gentechnischer und nicht gentechnischer Landwirtschaft und gentechnischer und nicht gentechnischer Lebensmittelherstellung anzusehen.

Rückruf

In einem anderen Zusammenhang kommt der Kennzeichnung auch mit Bezug auf die Sicherheit für die Gesundheit der Menschen und der Umwelt eine entscheidende Rolle zu, nämlich im Rahmen des so genannten Risiko-Managements, wenn unvorhergesehene negative Effekte durch gv-Produkte erkennbar werden und (weiterer) Schaden abgewendet werden soll. Sollte sich ein Produkt aus oder mit GVO, nachdem es auf den Markt gekommen ist, als nicht sicher für Umwelt oder Gesundheit herausstellen, wäre durch die Kennzeichnung des Produktes die Basis dafür gelegt, dass Rückrufaktionen – zumindest theoretisch – durchgeführt werden können.

Die freie Wahl

Aus der Kennzeichnung folgt aber auch, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auswählen können, ob sie Lebensmittel aus oder mit GVO kaufen und konsumieren wollen oder nicht.

Aus oder mit GVO

In der EU wird ein Produkt als GVO gekennzeichnet, wenn es selbst ein solcher Organismus ist oder aus GVO besteht: Eine gentechnisch veränderte Tomate wird ebenso gekennzeichnet wie zusammengesetzte Lebensmitteln, zum Beispiel eine Tiefkühl-Pizza, bei der aus den Angaben in der Zutatenliste hervorgehen muss, ob ein verwendeter Rohstoff aus GVO besteht. Auch ein Öl, das aus gentechnisch veränderten Sojabohnen hergestellt wird, muss gekennzeichnet werden. Das Besondere an diesem letzteren Fall ist, dass in der Regel in Lebensmittel-Ölen weder (gv-)Proteine noch (gv-)DNA zu finden sind. Das heißt, im Supermarkt könnte das gekennzeichnete Öl von dem nicht gekennzeichneten Öl chemisch nicht unterschieden werden, da hierzu in der Regel DNA, in manchen Fällen zumindest Protein notwendig wäre. "Entscheidend dabei ist, ob das Lebensmittel oder Futtermittel einen aus dem genetisch veränderten Ausgangsmaterial hergestellten Stoff enthält." Die Kennzeichnung erfolgt auf dem Produkt, seiner Verpackung oder ggf. in den Begleitpapieren, in Restaurants u. ä. in der Speisekarte.

"Ohne Gentechnik"

Lebensmittel, die mit Hilfe von GVO hergestellt werden, selbst aber keine GVO sind oder enthalten, werden nach europäischem Recht nicht als GVO gekennzeichnet. Dies gilt insbesondere für solche Lebensmittel, die unter dem Stichwort "tierische Produkte" zusammengefasst werden, womit in diesem Zusammenhang Fleisch, Milch und Eier zu verstehen sind, die von mit gv-Futtermitteln gefütterten Tieren stammen. Von den Organisationen, die sich kritisch zur Verwendung von GVO aussprechen, wurde an dieser Stelle mit dem Inkrafttreten der neuen europäischen Regeln für die Zulassung, Kennzeichnung und Rückverfolgung von GVO im Frühjahr 2004 eine Lücke ausgemacht, durch die der Hauptteil der weltweit angebauten gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP) unter einer für die Verbraucherin und den Verbraucher nicht zu durchschaubaren "Tarnung" verschwindet.

Gentechnische Pflanzen als Futter

Schätzungen verschiedener Quellen zufolge wandern etwa 80 Prozent der GVP in Futtertröge. Soja wurde seit Mitte der neunziger Jahre zur weltweiten Protein-Währung von Tiermast und Milchproduktion, in der EU spätestens seit dem (mit der BSE-Gefahr begründeten) Verbot der Verfütterung von Tiermehl. Parallel zu der gestiegenen Nachfrage in Europa breitete sich der Anbau von gentechnisch veränderter Soja insbesondere in Südamerika rasant aus. Zum Einsatz kommt dort fast ausschließlich die gentechnisch veränderte, gegen das Breitbandherbizid Roundup resistente Sorte des US-Gentechnik-Konzerns Monsanto. Sie trägt den Handelsnamen "Roundup Ready".

Die Futtermittel, die selbst als gentechnisch verändert gekennzeichnet sind, werden zum Beispiel an Mastrinder verfüttert. Das Fleisch der Tiere landet aber – dem europäischen Recht entsprechend – ohne GVO-Kennzeichnung in den Regalen der Supermärkte, denn die Tiere bestehen nicht aus GVO, sondern wurden nur unter deren Verwendung "hergestellt". Entsprechendes gilt für Milch und Eier.

Um wenigstens den umgekehrten Fall, die Herstellung besagter tierischer Produkte ohne gentechnisch veränderte Organismen, sichtbar zu machen, gibt es in verschiedenen europäischen Ländern spezielle Regeln. So auch in Deutschland: Die Große Koalition hat 2008 eine Regelung novelliert, derzufolge bestimmte Lebensmittelprodukte als "ohne Gentechnik" ausgewiesen werden können.

Organisationen aus Umwelt- und Verbraucherschutz haben diese Neuregelung begrüßt, da sie als ein Werkzeug für die Umsetzung der Wahlfreiheit von Verbraucherinnen und Verbraucher angesehen wird.

Wahlfreiheit

Zum Wesen der Wahlfreiheit


"Die vollständige und zuverlässige Information der Verbraucher im Zusammenhang mit GVO und aus diesen hergestellten Produkten sowie Lebens- und Futtermitteln muss gewährleistet sein, damit die Verbraucher eine sachkundige Produktauswahl treffen können."

Gründe für den Wunsch nach Wahlfreiheit: der mündige Verbraucher


Der Aspekt der Wahlfreiheit gewann in den vergangenen Jahren deutlich an Wert. Er beschreibt in dem hier vorliegenden Zusammenhang die Forderung, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden können müssen, ob sie GVO essen wollen oder nicht. Pfund in der Hand der Verbände

Die Rolle des "mündigen" Konsumenten als politischer Akteur, hat sich – spätestens seit der Verhinderung der Versenkung der ausgemusterten Brent-Spar-Öllager- und -Verladeplattform im Jahre 1995 durch einen von der Umweltorganisation Greenpeace organisierten Shell-Tankstellen-Boykott verändert. Man geht nun davon aus, dass Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, was sie wollen und diesem Willen auch politisches Handeln folgen lassen. Die Verbände haben plötzlich ein neues Pfund in der Hand, mit dem sie wuchern können. Als Stütze für politische Forderungen werden Umfragen zitiert, in denen zum Ausdruck kommt, dass die Konsumenten bestimmte Wünsche und/ oder Forderungen gutheiße, ergo auch bereit sei, zum Beispiel einem entsprechenden Boykottaufruf zu folgen. Mit Bezug auf die Agro-Gentechnik wurde in den vergangenen Jahren deutlich, dass die entsprechenden Umfragen mehr oder minder in eine Richtung zeigen: Die Mehrheit der Befragten will keine GVO im Essen. Die mit Boykott "bedrohten" Unternehmen argumentieren in diesem Zusammenhang nicht selten mit der rhetorischen Figur, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in Umfragen alles Mögliche unterstützen, ihre tatsächlichen Kaufentscheidungen diesen Aussagen aber nicht entsprächen. Somit sei es nicht notwendig, den Forderungen (zum Beispiel der Umweltorganisationen) zu folgen.

Dies wird wiederum mit dem Argument gekontert, dass eine solche Zwangsläufigkeit nicht gegeben sei. Auch wenn sich die mündigen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht ihren Aussagen entsprechend verhielten, so sollten, müssten oder könnten ihre Aussagen durchaus im Sinne von Wünschen für ein gutes oder besseres Leben interpretiert werden. So gesehen müssten diese Aussagen ernst genommen werden, obwohl das Verhalten des Konsumenten nicht immer mit seinen Aussagen übereinstimmt. Letzteres könnte zum Beispiel auch von einem Gesetzgeber genutzt werden, um die Industrie zu strikterem Verbraucherschutz zu zwingen.

Exkurs: Grenzen von Kennzeichnung und Wahlfreiheit (Schwellenwerte, Ausnahmen)

In der Kennzeichnungs-Regulierung der EU werden Schwellenwerte angewandt. Zentral ist der Wert von 0,9 Prozent, erst ab einem Anteil von GVO in dieser Höhe müssen die Produkte gekennzeichnet werden. Allerdings muss nachgewiesen sein, dass die Verunreinigungen "zufällig oder technisch nicht zu vermeiden" waren. Das folgende Beispiel von Produkten/Lebensmitteln aus gentechnisch veränderten Tomaten verdeutlicht, welche Kapriolen daraus folgen können: Wird der Grenzwert von 0,9 Prozent auf Tomatenmark angewandt, lässt sich ein entsprechender Anteil gentechnisch veränderter DNA in jeder Dose Tomatenmark nachweisen – eine GVO-Kennzeichnung wird nötig oder unterbleibt. Bei ganzen Tomaten würde es aber bedeuten, dass auf 111 nicht gentechnisch veränderte Tomaten eine gentechnisch veränderte kommen darf, die nicht gekennzeichnet werden muss.

Abgesehen davon ist der Terminus technicus "zufällig oder technisch nicht zu vermeiden" nicht exakt definiert. An dieser Formulierung hängen aber eine Reihe von Regelungen, die wegen der ungenauen Beschreibung ihrerseits unscharf bleiben.

Eine andere Ausnahme, die für die Wahlfreiheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern Konsequenzen mit sich bringt, ist die Verwendung von einigen Enzymen oder Zusatzstoffen, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt werden. Diese können sich unter bestimmten Umständen in Lebens- und Futtermitteln befinden, ohne dass ihre Verwendung durch Kennzeichnung nachvollziehbar wäre. Risiken für Gesundheit und Umwelt

Zulassungsverfahren und Kritik daran

Die EU hält für die Zulassung von GVO einen umfangreichen Regulierungs-Apparat bereit. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Nahrungs- und Futtermittel, unbeschadet der Tatsache, ob der GVO in die EU importiert, ob er hier auf die Felder gebracht oder ob er weiterverarbeitet werden soll. Auf der Basis der einschlägigen Regelwerke beschäftigen sich eine Reihe von europäischen oder nationalen Behörden mit der Risikobewertung und dem Risikomanagement. Dazu zählen allen voran die Europäische Kommission, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA sowie in Deutschland das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit BVL, das Bundesamt für Naturschutz BfN, entsprechende Behörden anderer EU-Mitgliedstaaten und der Bundesländer.

Keine unabhängige Forschung: Einer der Kritikpunkte, der dem Verfahren entgegengebracht wird, ist die fehlende Prüfung der GVO durch unabhängige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Das Verfahren der Bewertung, ob GVO sicher sind oder nicht, findet auf der Basis von so genannten "Antragsdossiers" statt. Diese werden von den Firmen zusammengestellt, die ein Produkt auf den europäischen Markt bringen wollen. Die wissenschaftlichen Untersuchungen werden dabei von den Firmen selbst durchgeführt oder von ihnen in Auftrag gegeben.

Kein wissenschaftlicher Konsens

In der Wissenschaft ist die Sicherheit von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) weiter ein umstrittenes Thema. Während auf der einen Seite betont wird, dass eine Vielzahl von Studien die Ungefährlichkeit von GVO gezeigt habe, sagen andere, dass – unter anderem – die Ergebnisse widersprüchlich und Untersuchungsmethoden inadäquat seien. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge stehe der Forschung im öffentlichen Interesse auch der verwehrte Zugang zu Untersuchungsmaterialen im Wege. Die Firmen entscheiden, wer mit ihren GVO forscht - und wer nicht.

Neue Gentechnik-Verfahren

Die Debatte um den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft dreht sich auch um die Frage, inwieweit bestimmte neue gentechnische Verfahren unter die aktuelle Gentechnik-Regulierung fallen. Manche der Techniken sind erst seit wenigen Jahren überhaupt bekannt, andere werden in der Forschung schon seit zehn oder mehr Jahren genutzt. Umwelt-, Ökolandbau- und Verbraucherverbände fordern eine strikte Regulierung.

Aktuelle Forschungsergebnisse zur Lebensmittelsicherheit von GVO

Weitere Kritik macht sich daran fest, dass in der Vergangenheit bei Untersuchungen von GVP oder von daraus gewonnenen Produkten nicht gewünschte gesundheitliche und/ oder ökologische (Neben-)Wirkungen festgestellt wurden. Bei der Verfütterung von gentechnisch veränderten Pflanzen an Versuchstiere zeigten diese Veränderungen im Blutbild oder an anderen Organen eine erhöhte Sterblichkeit oder verminderte Nachkommenzahlen. Dazu gibt es mittlerweile eine Reihe von Publikationen: Zuletzt hatten zum Beispiel italienische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem Fachartikel dargestellt, dass sehr junge und alte Mäuse veränderte Immunreaktionen auf den Verzehr von gentechnisch verändertem Mais der Sorte MON810 gezeigt hatten als die Tiere der Kontrollgruppen.

Die so genannten T- und B-Zellen des Immunsystems waren in ihrer Häufigkeit deutlich verändert. Schon im Jahr 2004 wurde in der EU der "Fall" von gentechnisch verändertem Mais MON863 diskutiert: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb in ihrer Online-Ausgabe vom 12. September 2004 über Untersuchungen dieser gentechnisch veränderten Maissorte: "Bei den weiblichen Ratten fand sich die Zahl der Vorläuferzellen roter Blutkörperchen um bis zu 52 Prozent verringert. Auch war bei einigen Tieren der Blutglukosegehalt 'leicht erhöht'. (...) Besonders erstaunt war [der damalige Vorsitzende der 'Commission Du Genie biomoleculaire' (CGB) des französischen Landwirtschaftsministeriums Gerard] Pascal, dass die Nieren der mit Genmais gefütterten männlichen Nager im Durchschnitt um 7,1 Prozent leichter waren als die der Kontrolltiere.

Die Organe zeigten zudem vermehrt auffällige pathologische Befunde, eine 'geringere Mineralisierung' in den Nierenkanälchen und Anzeichen 'lokaler chronischer Entzündungen'. Das beunruhigte den Gutachter besonders, tauchten bei mit MON 863 gefütterten Ratten doch erstmals 'mehrere verschiedene Anomalien in einem Organ auf'." MON 863 ist in der EU als Futter- und Lebensmittel zugelassen, aber nicht zum Anbau. Bei MON810 ist es genau umgekehrt.

Opt out

Die Mitgliedstaaten der EU können gv-Organismen in ihrem Territorium verbieten, auch wenn diese GVO formell für die gesamte EU zugelassen sind. Das Europäische Parlament hat im Januar 2015 die sogenannte "Opt out"-Regulierung verabschiedet. Damit wurde eine zentrale Forderung der europäischen Gentechnik-kritischen Bewegung auf den Weg gebracht, der zufolge letztendlich in den Regionen oder Staaten – und nicht in Brüssel oder Straßburg – entschieden wird, ob ein Anbau von gv-Pflanzen zulässig sein soll.

Glyphosat

Aufgrund der Tatsache, dass ein Großteil der weltweit angebauten gv-Pflanzen über eine Resistenz gegenüber Unkrautvernichtungsmitteln auf der Basis von Glyphosat verfügt, ist dieses Gift in den vergangenen Jahren immer mehr in den Fokus von Untersuchungen geraten. Gerade Untersuchungen in Südamerika haben ans Licht gebracht, dass der massenhafte Einsatz zu schädlichen Wirkungen auf die Gesundheit vor Ort lebender Menschen und die Umwelt führt. Dabei wurde deutlich, dass die Rezepturen der Mittel, die letztendlich auf den Feldern zur Anwendung kommen (zum Beispiel unter dem Handelsnamen "Roundup"), deutlich giftiger sind als das Glyphosat allein, das in der traditionellen Vorstellung als Wirkstoff bezeichnet wird. Gleichzeitig bildet sich dieser Sachverhalt nur ungenügend in den Zulassungsverfahren ab. Einerseits wird nicht konsequent bei der Zulassung der gv-Pflanzen berücksichtigt, dass der Glyphosat-Einsatz obligatorisch erfolgt. Andererseits wird bei der Bewertung der Mittel noch zu stark auf den sogenannten "Wirkstoff" geschaut.

Glyphosat wird in der EU neu bewertet. Verschiedene Fachagenturen haben sich widersprüchlich über die mit dem Einsatz von Glyphosat bzw. glyphosathaltigen Mitteln verbundenen Risiken geäußert. Während die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation WHO, Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend für den Menschen" einstufte, geben das deutsche Bundesamt für Risikobewertung oder die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA Entwarnung.



Abkürzungen

BfN - Bundesamt für Naturschutz
BVL - Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
DNA - deoxyribonucleic acid (englisch; deutsch: Desoxyribonukleinsäure)
EFSA - Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority)
EU - Europäische Union
gv - gentechnisch verändert
GVO - gentechnisch veränderte Organismen
GVP - gentechnisch veränderte Pflanzen

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Freisetzungsrichtlinie ist im offiziellen "Sprech" die "Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates".

  2. Siehe für aktuelle Mitteilungen im Standortregister auf den Internetseiten des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Externer Link: http://apps2.bvl.bund.de/stareg_web/showflaechen.do.

  3. Siehe dazu den Bericht "Global Status of the Commercialized Biotech/GM Crops: 2016" des ISAAA. Im Netz unter Externer Link: www.isaaa.org. Siehe zum ISAAA auch den Schwerpunkt des Gen-ethischen Informationsdienstes (GID) vom Februar 2015. Online unter Externer Link: www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/228.

  4. Ich werde hier im Text in der Regel von Lebensmitteln sprechen. Es sei aber angemerkt, dass in den meisten Fällen Lebens- und Futtermittel in gleicher Weise betroffen sind. Ausnahmen sind möglich.

  5. Die EU unterscheidet in der Regel in solchen Fällen zwischen gentechnischer, konventioneller und ökologischer Landwirtschaft. Diese Arten der Landwirtschaft sollen nebeneinander existieren können. Um es überspitzt zu sagen: Vor dem Gesetz sind alle gleich. Ich werde hier auf diese Dreiteilung verzichten und nur im Ausnahmefall, wenn überhaupt, Besonderheiten des ökologischen Landbaus erwähnen. In der Regel geht es eher um die Frage von Landwirtschaft (und Lebensmittelproduktion) mit oder ohne GVO.

  6. Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, dort Erwägungsgrund 16.

  7. Zu der Kennzeichnungs-Novellierung siehe zum Beispiel: Externer Link: www.gen-ethisches-netzwerk.de/1295.

  8. Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 22. September 2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVO und über die Rückverfolgbarkeit von aus GVO hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG.

  9. Siehe zum Beispiel: Externer Link: de.wikipedia.org/wiki/Brent_Spar

  10. Nicht aber für den Import von Baumwollfasern, die in der europäischen Textilindustrie verwendet werden.

  11. Von besonderer Bedeutung sind die so genannte "Freisetzungsrichtlinie" (EC/2001/18) und die Verordnung über gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel (EC/2003/1829) und deren Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung (EC/2003/1830).

  12. Siehe zum Beispiel Hilbeck A. et al. (2015): No scientific consensus on GMO. DOI 10.1186/s12302-014-0034-1

  13. Finamore, A. et al. (2008): "Intestinal and Peripheral Immune Response to MON810 Maize Ingestion in Weaning and Old Mice". Journal Agricultural and Food Chemistry Band 56, Seiten 11533 - 11539; DOI: 10.1021/jf802059w.

  14. Volker Stollorz: "Nagende Zweifel". Frankfurter Allgemeine Zeitung online, 12. September 2004. Siehe auch: Christof Potthof: "Sicher? – Mit Sicherheit nicht!" Gen-ethischer Informationsdienst (GID) 191, Dezember 2008.

  15. Siehe dazu z. B. Externer Link: www.gen-ethisches-netzwerk.de/3175.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Christof Potthof für bpb.de

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arbeitet beim Gen-ethischen Netzwerk und ist zuständig für den Bereich Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmitteln. Das Gen-ethische Netzwerk e.V. (GeN) wurde 1986 von kritischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Journalisten, Tierärzten, Medizinern, Politikern und anderen an der Gentechnik interessierten Menschen gegründet. Es vermittelt Informationen und Kontakte zum Thema Gentechnologie und Fortpflanzungsmedizin. Die Aufgabe des Vereins ist die kritische Auseinandersetzung mit diesen Techniken.