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Literarische Entwicklungen | Afrika | bpb.de

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Literarische Entwicklungen

Aissatou Bouba-Folle

/ 12 Minuten zu lesen

Die Literatur im anglophonen und frankophonen Afrika ist sehr vielseitig. Angefangen bei der Oral-Literatur, weist sie lyrische, dramatische und Prosaformen auf. Zur Literatur in schriftlicher Form gehören wiederum Lyrik, Poesie, Kurzgeschichten und vor allem die Romane der Populärliteratur (z.B. Protest-, Bildungsromane).

Lyrik, Poesie, Kurzgeschichten: Die afrikanische Literatur umfasst verschiedene Genres. (© Antje Fiehn)

Einleitung


Zu den bereits vorhandenen Sprach- und Kulturräumen Afrikas entstanden mit der Kolonialzeit die arabophonen, anglophonen, frankophonen, lusophonen und hispanophonen Sprachräume. Jeder von ihnen hat seine literarischen Eigenarten. Der Schwerpunkt des Beitrags liegt auf dem heutigen frankophonen und anglophonen Afrika, in dem viele Europäer lange keine wirkliche Kultur, geschweige denn literarische Produkte, die diesen Namen verdienten, finden wollten. Zur Illustration dienen die folgenden Worte des deutschen Afrikanisten Carl Meinhof zu Beginn der deutschen Kolonialzeit in Afrika: "Als im Jahre 1888 die Märchen aus Kamerun von Elli Meinhof erschienen, wollten viele nicht glauben, dass wirklich ein Afrikaner so ... anmutige Märchen erzählen konnte, und dass sie unseren Märchen so ähnlich wären. Ja, wir erlebten scharfe Proteste aus Afrika von Leuten, die täglich mit Eingeborenen zu tun hatten und die es also wissen mussten."

Diese diskriminierende Sichtweise suchte nunmehr Elli Meinhof mit der Herausgabe ihrer Märchensammlung richtig zu stellen, wenn auch über den ideologischen und kolonial-politischen Hintergrund derartiger Sammlungen nicht hinweggesehen werden kann. Darin erhoffte man sich unter anderem einen Zugang zum Denken und Wissen der Afrikaner; auch, um sie besser beherrschen zu können. Als Quellen dieses Wissens dienten neben den Märchen weitere literarische Gattungen, die auch einen Teil eines geistigen Kulturgutes bildeten, das bis zur Kolonialzeit fast nur mündlich tradiert wurde. Diese literarischen Werke fasst man unter dem Begriff Oral-Literatur zusammen und sie existieren heute noch - wenn auch in veränderter Form - weiter. Sie bieten der im Zuge der Kolonisation unter dem Einfluss der Franzosen und Engländer entstandenen geschriebenen Literatur eine feste Basis und die verschiedensten Möglichkeiten, sich gegen ihre europäischen Vorbilder abzugrenzen.

Die afrikanische Oral-Literatur

Die afrikanische Oral-Literatur ist mannigfaltig, umfasst lyrische, dramatische und Prosaformen, die funktional bzw. zweckorientiert waren und insofern alles andere als "l' art pour l' art" [Kunst um der reinen Kunst willen, Anm. d. Red.] aufzufassen sind. Sie unterhalten, erfüllen je nach Kontext und Situation erzieherische und didaktische Funktionen, dienen der Stärkung von sozialen Bindungen und der moralischen Erbauung. Sie verhelfen zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl, vermitteln die in der Gesellschaft gültigen Werte und Normen sowie unterstützen die Pflege von rituellen und kultischen Sitten und Gebräuchen. Ferner erklären sie Naturphänomene, bieten konkrete Lebenshilfen, stellen die Verbindung zu einer metaphysischen Sphäre her und erzählen vom Ursprung und Werdegang der Völker. Kurz, sie leisten heute noch in vielerlei Hinsicht einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Kontinuität.

Alle genannten Formen der traditionellen Oral-Literatur sind Allgemeingut bzw. kollektiver Besitz der Gruppe; ihre Komposition, Symbolik und Metaphorik sowie ihre Themen sind feststehend und nicht der kreativen Leistung einzelner freischaffender Künstler entsprungen. Letztere werden lediglich mit der Rolle betraut, bestimmte Gattungen dieser Literatur im Gedächtnis aufzubewahren und weiter zu tradieren bzw. im Rahmen einer Performance darzubieten, die sie nach bestimmten Regeln und mit Hilfe mannigfaltiger Techniken und Mittel realisieren. Dazu gehören zum Beispiel der Einsatz von Musik, der Tanz, die Mimik und Gestik, mit denen Zusammenhänge verstärkt und der Vortrags- bzw. Erzählrhythmus unterstützt werden. Während der Darbietung findet eine ständige Interaktion mit dem Publikum statt.

Diese Formen der Oral-Literatur leben auch nach den grundlegenden Veränderungen der Lebensverhältnisse in Afrika meist in veränderten oder gar in vollkommen neuen Formen weiter. Hierzu gehört auch die im Zuge der Apartheid entstandene und in Südafrika seit den 1970er Jahren vorherrschende Performance-Lyrik, die neuartig ist, und in der die Ängste und Sorgen der Menschen eine kollektive Verarbeitung erfahren. Dazu werden sie in Liedern (so bei Salif Keita) verarbeitet und über das Radio, in Videos und auf Kassetten verbreitet. Auch in anderer Hinsicht spielen sie noch eine wichtige Rolle: Ihre Elemente und Techniken, wie die Narrativität, die Symbolik oder die Metaphorik sowie ihre Themen bieten der im Zuge der Kolonisation entstandenen geschriebenen Literatur eine unverzichtbare Inspirationsquelle.

Literatur in schriftlicher Form

Europäische Missionare übten mit der Einführung der lateinischen Schrift einen großen Einfluss auf die afrikanische Literatur aus. (© Nikolaj Bourguignon, SXC.hu)

Bis zur Ankunft der Europäer wurden Schriftsysteme, wie das altäthiopische (Ge´ez) und das arabische, in der Regel nur zur Anfertigung von Gebrauchstexten auch in einheimischen Sprachen (Amharisch, Haussa, Ful, Kanuri, und Suaheli) verwendet. Erst die Einführung der europäischen Schule und somit der lateinischen Schrift durch europäische Missionare, und später durch die verschiedenen Kolonialmächte, hat junge Afrikanerinnen und Afrikaner "das Medium der Schrift ... als Werkzeug" entdecken lassen, mit dessen Hilfe sie lyrische, Dramen- und Prosatexte in geschriebener Form und in manchen Ländern wie Südafrika sogar in ihrer eigenen Muttersprache schaffen konnten. Die erste im subsaharischen Afrika nachweisbare literarische Schrift ist in der Tat eine Hymne in der Sprache der Xhosa. Der erste Romanautor stammte ebenfalls aus Südafrika und gab bei seiner literarischen Tätigkeit seiner Muttersprache, dem Sotho, den Vorzug.

Die Verfassung von Literatur in afrikanischen Sprachen (Yoruba, Igbo, Haussa, Akan Ewe, Kisuaheli, Amharisch, Zulu, Xhosa, Sotho, usw.) wird heute noch überall dort gepflegt, wo diese Sprachen informell und gar offiziell eine Förderung genießen. Eine Pionier- und Vorreiterrolle übernehmen hier die anglophonen Länder. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in frankophonen Ländern hingegen kaum feststellen. Denn im Gegensatz zu England, das den Schwerpunkt seiner Kolonialpolitik auf die wirtschaftliche Ausbeutung seiner Kolonien gelegt hatte, bemühten sich die Franzosen um die kulturelle Assimilation ihrer Schutzbefohlenen und bewirkten die Durchsetzung des Französischen als literarische Sprache.

Höhere Kolonialschulen wie die "William Ponty" in Dakar regten ihre afrikanischen Schüler zu einer literarischen Tätigkeit an. (© Tommy Johansen, SXC.hu)

Die Bildungspolitik der französischen Kolonialmacht war – wenn auch nur bedingt – für die Entstehung einer Literatur in französischer Sprache förderlich. Höhere Kolonialschulen wie die "William Ponty" in Dakar regten ihre afrikanischen Schüler zu einer literarischen Tätigkeit an. Viele Afrikaner erhielten bereits Ende der 1920er Jahre Zugang zu den Universitäten der französischen Metropole. Für eine gute literarische Tätigkeit sorgte nicht zuletzt die Existenz von Druckereien, von kolonialen und afrikanischen Zeitungen und Zeitschriften, von einem lesefähigen Publikum. In den englischen Kolonien Afrikas wurden einerseits in verschiedenen Bildungsstätten, wie dem Fourah Bay College, dem Achimota College oder den Universitäten von Makerere, von Ibadan in Afrika selbst und andererseits auch in England eine Generation von Gebildeten herangezogen. Eine literarische Tätigkeit setzte allerdings dort erst in den 1950er Jahren systematisch ein.

Sowohl die frankophonen als auch die anglophonen Schriftsteller meinten es mit ihrer Tätigkeit ernst: Sie formierten sich in Clubs, in Bewegungen, gründeten literarische Organe und organisierten Kongresse. Überall, mit Ausnahme von Südafrika, setzten sich - wenn auch im unterschiedlichen Grad - in erster Linie die europäischen Fremdsprachen als literarische Sprachen durch. Man richtete sich zunächst schlecht und recht in der neuen kulturellen Hybridität ein und produzierte eine reichhaltige Literatur, die seither in Form und Inhalt vielfältige Abwandlungen erfahren hat. Die Entstehung dieser Literatur ist teilweise als Antwort auf diverse Umbrüche zu verstehen, die Afrika im Laufe der Zeit bis heute in seiner Beziehung zu Europa hat bewältigen müssen.

Dazu zählen die Kolonisation, die Unabhängigkeitsbewegungen, die Einführung kapitalistischer Wirtschaftssysteme, die kulturelle, moralische, spirituelle und linguistische Beeinflussung durch die Europäer und, mit diesen Veränderungen einhergehend, die fortlaufende Neuorientierung der Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne. Die Literatur ist an die Bedingungen ihrer Zeiten gebunden und von unterschiedlichen Generationen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern getragen, die allerdings nicht klar von einander abgegrenzt werden können. Sie umfasst nicht nur die semi-oralen Gattungen der Lyrik und Dramatik, sondern auch Prosaformen.

Lyrik

Die erste Generation der anglophonen Lyriker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts - und hier vornehmlich diejenigen aus Westafrika und der Republik Südafrika - gingen in der englischen Literatur auf. Sie wollten beweisen, dass sie Sprache und Verslehre des 17. Jahrhunderts beherrschten. Anders die frankophonen Dichter der ersten Stunde und ihre wichtigsten Vertreter, der Senegalese Léopold Sédar Senghor (1906-2001) und der Ivorer Bernard Dadié (*1916). Sie gehörten der Négritude-Bewegung an, die sich der Aufwertung der Afrikaner und ihrer Kulturen verschrieben hatte. Dementsprechend waren die oralen Traditionen und somit die orale Dichtung eine wichtige Inspirationsquelle; ihre Themen und ihre Vorstellungswelt waren dabei bestimmend. Ebenso maßgebend war ihre humanistische Ausrichtung, sie wollten mit ihren Gedichten den afrikanischen Menschen emotional rühren und mit ihm einen Dialog aufnehmen.

Das Streben nach der Realisierung des poetischen Konzepts der Négritude widerspiegelte ebenso die Auswahl der europäischen Modelle bei der formalen Konzeption der Gedichte: hier des Symbolismus und vor allem des Surrealismus mit seiner Betonung der Emotionen. Man verzichtete bei der Komposition des Gedichtes insofern weitgehend auf den klassischen Vers und damit auf den Reim. Stattdessen entschied man sich für den "vers libre", nicht zuletzt, weil er – wie dies für manche traditionellen Formen charakteristisch war - das Einflechten von narrativen Elementen in das Gedicht ermöglichte. Um möglichst viele afrikanische Menschen anzusprechen, waren die Literaturschaffenden der Négritude bemüht, zugängliche Sprachen zu wählen. Dies erforderte - nicht zuletzt aus ideologischen Gründen - die Domestizierung des Französischen bzw. die Afrikanisierung dieses Sprachguts und die Anpassung seines Wortschatzes und seiner Syntax an die der afrikanischen Sprachen. Dabei wurden bewusst die in Frankreich üblichen ästhetischen Kriterien vernachlässigt.

Die frankophonen Lyriker der zweiten Generation, welcher die Kongolesen Tchicaya U Tam'si (1931-1988) und Jean-Baptiste Tati-Loutard (*1939) angehören, richtete ihr Schaffen weniger am Publikum aus. Sie bezogen sich auf ihre eigene ethnische Kultur und auf ihre für Außenstehende zumeist schwer zugänglichen Mythologien. Selbst in der französischen Sprache wurden Brechungen geschaffen, welche die Kommunikation erschweren sollten. Diese Generation suchte auf diese Weise die Abgrenzung gegen die Ideologie und politische Praxis der Négritude. Sie wollte nicht mehr rückwärts gewandt sein und alles Afrikanische verherrlichen, sie pochte auf die Autonomie ihrer Schöpfungen. Trotz allem blieb auch die Grundlage ihrer Dichtung die "afrikanische Bilder- und Vorstellungswelt", die sie allerdings "mit den dichterischen Verfahrensweisen der modernen 'Weltsprache der Poesie' zu verbinden" wusste; der Dialog mit der universellen Poesie war aus ihrer Sicht ein Garant des dichterischen Erfolgs. Dennoch war die Poesie dieser Generation im frankophonen Afrika kein rein intellektuelles Konstrukt; sie versperrte sich nicht den Realitäten ihrer Umwelt und war durchaus politisch engagiert und der Zeitkritik fähig.

Namhafte Literaten aus der zweiten Generation des anglophonen Afrikas hatten ebenfalls eine schwer zugängliche Poesie geschaffen. Dichter wie Wole Soyinka (*1934), Christopher Okigbo (1932-1967) und Gabriel Okara (*1921) aus Nigeria orientierten sich an europäischen bzw. englischen Vorbildern. Sie waren nicht gewillt, einen wirklichen Dialog mit ihren afrikanischen Traditionen in ihrer Sprache zu führen, obwohl sie andererseits aus deren Mythologie schöpften. Ihr ganzes Streben richtete sich darauf, sich nicht auf Afrika zu beschränken; denn das Beispiel der Négritude-Lyriker, die aus ihrer Sicht ausgeprägte Tendenzen zum Essentialismus und Narzissmus zeigten, wirkte auf sie abschreckend. Sie hielten sich an ihre englischen modernistischen Vorbilder und versuchten, eine universelle und mystische Poesie zu schaffen. Für diesen Zweck verwendeten sie eine ausgesuchte, elitär anmutende Ebene der englischen Sprache und verwoben afrikanische, griechische, christliche Referenzen miteinander. Das Resultat, das von extremer Religiosität zeugte, war hermetisch, fast esoterisch. Für eine derartige elitäre Tendenz hatten auch im anglophonen Afrika nur die wenigsten Verständnis.

Die nachfolgende Generation von anglophonen Lyrikern vor allem aus Nigeria sah sich daher veranlasst, ein anderes Konzept zu entwickeln. Obwohl sie genauso wie ihre Vorgänger einen akademischen Hintergrund hatten, schufen sie eine englischsprachige Poesie fern aller Dichtungslabore. Die meisterhafte Handhabung der englischen Sprache tat ihrem persönlichen Charakter keinen Abbruch; sie hatte sich letztlich in den Dienst der Menschen gestellt, indem sie sich für politische und soziale Themen öffnete. Als Folge bemühte sich diese Generation von Dichtern um die Re-Oralisierung der Lyrik, durch Veranstaltung öffentlicher Lesungen und durch den Gebrauch einer Sprache, die allen zugänglich war. Die Re-Oralisierung sollte der Wiederbelebung der Poesie förderlich sein. Ähnliches strebte auch die dritte Generation von Lyrikern aus den frankophonen Ländern an, allerdings mit weit weniger Erfolg. Abgesehen davon, dass sie weitgehend an der Schriftform festhielten, wies ihre Poesie mitunter puristische Tendenzen auf und übte sich in philosophischer und metaphysischer Reflexion über die Vergangenheit und die Zukunft Afrikas, ferner über die Bestimmung des Menschen.

Geschriebene Poesie

Die geschriebene Poesie Afrikas wurde mit wenigen Ausnahmen nicht um ihrer selbst willen verfasst; sie galt von Anfang an als Mittel zur Erziehung und zur Bewusstseinsbildung der Afrikanerinnen und Afrikaner. Während die Lyriker der Négritude-Bewegung sich um die Wiederherstellung der zerstörten Würde der Afrikaner bemühten, und dazu tendierten, alles Afrikanische wieder ins Bewusstsein der Menschen zu bringen, stellten sich die späteren Dichter - mit Ausnahme der Frankophonen aus den 1980er und 1990er Jahren - den zumeist bitteren Realitäten auf ihrem Kontinent und widmeten sich Themen, die um die politischen, sozialen und juristischen Missstände in den verschiedenen Ländern Afrikas nach der Unabhängigkeit kreisten.

GlossarNégritude

Die Philosophie der Négritude plädiert für eine Rückbesinnung auf die kulturellen und gesellschaftlichen Werte der in Afrika und in der Diaspora lebenden Afrikaner in Abgrenzung zur europäischen Kultur. Sie wurde von dem afro-karibischen Schriftsteller und Politiker Aimé Césaire (*1913) sowie von dem senegalesischen Präsidenten und Dichter Léopold Sédar Senghor (1906-2001) und dem guayanischen Schriftsteller Léon-Gontran Damas (1912-1978) in den 1930iger Jahren entwickelt und als kulturelle Selbstbehauptung gegenüber den Kolonialmächten, vor allem Frankreichs, verstanden.

Ihre Gedichte handelten von der Tyrannei und Diktatur der neuen Machthaber, die nur auf die Wahrung ihrer eigenen Interessen bedacht waren, von der sozialen Verelendung, von der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, von Bürgerkriegen, in denen nur Warlords profitierten, von Hungersnöten, von Landflucht und Migration, von Epidemien. Mit ihren Werken wollten sie die Bevölkerung zum Aufstand ermutigen und riskierten damit ihre eigene Existenz. Trotz der ständigen Gefährdung ihres Lebens und ihrer Freiheit verstummten viele Autoren nicht. Eine Art "Quietismus" entwickelte allein die Generation der Dichter aus den 1980er und 1990er Jahren im frankophonen Afrika. Sie wandten sich thematisch eher dem vorkolonialen Afrika, dem alten Ägypten, dem Familien- und Dorfleben, aber auch ganz intimen Themen wie der Liebe zu, welche die Négritude-Poesie seinerzeit aus Prüderie, aber auch aufgrund der Verantwortung für die Kollektivität nicht behandeln wollte.

Prosaformen

Im Gegensatz zu den im Vorhergehenden dargestellten literarischen Gattungen ist der Roman eine Neuheit, die erst im Zuge der europäischen Kolonisation eingeführt wurde. Der Roman baute auf die in Afrika bereits vorhandenen epischen Formen (Epen, Erzählungen und Mythen) auf und avancierte spätestens seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer der wichtigsten Gattungen der afrikanischen Literatur. Er hatte sich zu einer Zeit durchgesetzt, als die Afrikaner das Bedürfnis empfanden, sich zu positionieren, sich als Subjekt ihrer Geschichte darzustellen. Außerdem konnte mit Hilfe des Romans die Transformation der afrikanischen Gesellschaften nicht nur beschrieben und dokumentiert, sondern auch reflektiert werden.

Im frankophonen Afrika entstanden die ersten Romane in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Viele dieser Romane trugen die Züge des Kolonialromans. In den 1950er und frühen 1960er Jahren befassten sich die meisten frankophonen Romanautoren mit der Kolonisation und ihren Folgen für die Afrikaner. Es entstanden nach einer von Jacques Chevrier aufgestellten Typologie in dieser Zeit nicht nur Protestromane (Mongo Beti, Ferdinand Oyono, Sembène Ousmane), sondern auch Bildungsromane (Camara Laye, Cheikh Hamidou, Kane) sowie historische und philosophische Romane (Olympe Bhêly-Quenum, Camara Laye). Mit der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten und vor allem seit Mitte der 1960er Jahre trat eine Zeit der Desillusionierung ein. Es stellte sich heraus, dass die neuen Machthaber genauso auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren wie die alten Kolonisatoren. Auch das vorkoloniale Afrika wurde nicht mehr verherrlicht, Autoren wie der Ivorer Amadou Kourouma (*1927) oder der Kongolese Henri Lopes (*1937) stellten nunmehr ein Gefühl der Ernüchterung in den Mittelpunkt ihrer Romane, daher bezeichnete man letztere auch als "romans du désenchantement".

Formal hatte es von Anfang an einen kontinuierlichen Dialog zwischen dem afrikanischen und dem europäischen Roman gegeben. Bis 1960 bevorzugten die Autoren die klassischen Strukturen des Romans. Ihre Vorbilder waren die französischen Realisten (Balzac) und Naturalisten (Zola). Nach 1960 wurden die französischen Sprachnormen nicht mehr eingehalten; man widmete sich afrikanischen Formen, zum Beispiel oralen Fabeln und wandte sich dem 'Nouveau Roman' und dem magischen Realismus (so Sony Labou Tansi) zu. Auf jeden Fall war mit der Ernüchterung das Bedürfnis nach dem Experimentieren mit neuen Formen größer geworden. Spätestens seit den 1990er Jahren flaute auch das soziale Engagement vieler Autoren ab. Kennzeichnend für deren Romane ist die Selbstbetrachtung des Einzelnen vor dem Hintergrund der Globalisierung und der Migrationsbewegungen. Eine ähnliche Entwicklung vollzog der Roman im anglophonen Afrika. Auch dort bestimmten die Kolonisation, die Apartheid, und deren Aufarbeitung die Thematik und die Funktion des Romans. Nach einer Periode der Enttäuschung setzte auch dort eine experimentelle Phase ein. Vertreter dieser Periode sind die Nigerianer Wole Soyinka (*1934), Ben Okri (*1959) und der Kenianer Ngugi wa Thiong´o (*1938).

Zu den Prosaformen zählen auch Kurzgeschichten und vor allem die Romane der Populärliteratur. Sie wenden sich an ein eher weniger gebildetes Publikum, das sie auch als Lebenshilfe versteht sowie als Voraussetzung zur Rezeption höherer Literatur. Neben melodramatischen Themen stellen sie die modernen Lebensformen der Großstadt und deren Probleme in den Mittelpunkt des Geschehens.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Meinhof, Carl: Die Dichtungen der Afrikaner: Hamburgische Vorträge, Berlin 1911, S. 10.

  2. Lüsebrinck, Hans-Jürgen: Schrift, Buch und Lektüre in der französischsprachigen Literatur Afrikas, Tübingen, 1990, S. 32.

  3. Riesz, Janos: Die Literaturen Schwarzafrikas in französischer Sprache, in: Walter Jens (Hg.): Kindlers Neues Literatur-Lexikon, Bd. 19, München 1996, S. 1035 - 1045, Zitat S. 1042.

Dr. Aissatou Bouba-Folle ist Auslandsgermanistin. Sie kommt aus Kamerun und nimmt seit 1998 Lehraufträge an der Universität in Bremen wahr. Daneben arbeitet sie als freie Mitarbeiterin im Bremer Überseemuseum.