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Automatisierung am Arbeitsplatz will gelernt sein

Sophia Roppertz

/ 9 Minuten zu lesen

Wie verändert Künstliche Intelligenz berufliche Tätigkeiten und somit auch die Anforderungen an die Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe? Lehrende und Lernende können die Herausforderung der Technologien am besten gemeinsam meistern.

Die digitale Transformation beeinflusst zahlreiche Berufsgruppen. Ausbildungsstätten stehen vor der Herausforderung, ihre Lernenden angemessen darauf vorzubereiten. (Ars Electronica / Robert Bauernhansl / flickr.com) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Was ist das Ziel der beruflichen Ausbildung? Es geht in erster Linie um die Vermittlung beruflicher Handlungskompetenz und damit um die Vorbereitung von Auszubildenden für den Einstieg ins Beschäftigungssystem. Im Gegensatz zum Abitur müssen am Ende der Berufsausbildung fachspezifische Kompetenzen erlernt worden sein, die dazu befähigen, eine berufliche Tätigkeit selbstständig auszuüben. Diese beruflichen Tätigkeiten verändern sich im Rahmen der digitalen Transformation. Neue Kompetenzen der zukünftigen Fachkräfte sind notwendig. Vor diesem Hintergrund steht die Berufsbildung insgesamt – also sowohl die Aus- als auch die Weiterbildung – unter hohem Anpassungsdruck.

Veränderung im Verhältnis von Mensch und Technik

Künstliche Intelligenz (KI) stellt innerhalb der digitalen Transformation ein Aspekt von vielen dar. Wir können KI daher nicht isoliert denken. Gleichzeitig zieht der Bereich viel Aufmerksamkeit auf sich, da mittels KI-Methoden die Grenzen dessen, was Maschinen leisten können, verschoben wurden und weiterhin werden. Die Fortschritte im Bereich der KI sind insbesondere auf die Verfügbarkeit von Daten, leistungsfähigere Computer und neue Algorithmen zurückzuführen. Besonders Verfahren des Maschinellen Lernens sind für den derzeitigen Hype verantwortlich. Dadurch besitzen KI-Systeme die Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen und ihre zukünftigen Leistungen zu verbessern. Außerdem müssen sie nicht permanent angeleitet werden und verfügen über einen höheren Autonomiegrad als frühere Systeme.

Solche smarten Systeme und Maschinen können mittlerweile in den verschiedensten Bereichen eingesetzt werden. Daher kommen Menschen in unterschiedlichen Berufen und auf verschiedenen Ebenen mit KI in Kontakt.

Die Veränderung des Verhältnisses von Mensch und Technik, die damit einhergeht, gilt es zu gestalten. Das ist erstmal nichts Neues: Technologische Entwicklungen haben auch in der Vergangenheit immer zu Veränderungen von Berufsfeldern und Rationalisierungen geführt. Das Besondere an der derzeitigen Entwicklung ist die Geschwindigkeit und die Vielzahl an betroffenen Berufen.

Von der Automatisierung betroffene Berufsfelder

Mittlerweile ist es möglich, dass selbst komplexe Arbeitsaufgaben potenziell von Computern und computergesteuerten Maschinen übernommen bzw. assistiert werden können. Beispielsweise in Bildungsinstitutionen, wenn Lernende personalisierte Lernaufgaben erhalten, ohne, dass die Lehrperson diesen individuellen Lernpfad explizit konzipiert. Dadurch sind auch vermehrt Berufe betroffen, die als Spezialistenberufe oder Expertenberufe gelten und entwerder einen Meister-,Techniker-, Fachwirt- oder Bachelorabschluss oder den Abschluss eines mindestens vierjährigen Hochschulstudiums voraussetzen (Dengler & Matthes 2021). Vor allem aber sind die Aufgaben ersetzbar, bei denen es sich um einfache Routinetätigkeiten handelt. Dazu gehören unter anderem Berufe in der Fertigung und Produktion, aber auch kaufmännische Berufe, wenn es z.B. um die Beantwortung von wiederkehrenden E-Mail-Anfragen geht. Berufe aus dem sozialen, pflegerischen oder kulturellen Dienstleistungsbereich, aber auch Reinigungskräfte sind weniger betroffen – zumindest nicht in dem Ausmaß. Ein zentrales Anwendungsfeld für KI im Unternehmen sind daher die Produktion und fertigungsnahe Kontexte. Unter dem Stichwort Industrie 4.0 wird die Entwicklung in diesem Bereich diskutiert und zusammengefasst. Es geht dabei im Grunde um die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen in der Industrie mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Möglichkeiten, die dadurch entstehen sind z.B.:

  1. Man kann jederzeit (24/7) sein individuelles Produkt bestellen, welches unmittelbar und automatisiert in den Produktionsprozess eingereiht wird (kundenzentrierte Lösungen).

  2. Die Maschine funktioniert nicht nur real, sondern auch virtuell (digitaler Zwilling).

  3. Alles ist miteinander vernetzt/möglichst viele Daten werden zur Analyse in Datenbanken gespeichert (Internet of Things/Data in the Cloud).

Aufgaben, die nicht automatisiert werden sollten

Nicht alles, was automatisierbar ist, wird bzw. sollte auch automatisiert und damit ersetzt werden. Unter dem Stichwort „Augmentation“ geht es in der Diskussion heute vermehrt darum, die Stärken von Menschen und Maschinen zu verbinden – also Computer und Maschinen als Partner zu sehen. Denn vieles, was für den Menschen schwierig ist (z.B. die Entdeckung von Mustern oder statistische Schlussfolgerungen), ist für Maschinen einfach. Das gilt allerdings auch andersrum: Denn Dinge, die für den Menschen relativ einfach sind (z.B. gesunder Menschenverstand oder Werturteile), sind für Maschinen schwierig.

Im Kontext der Diskussion um Augmentation und Mensch-Maschine-Interaktion trifft man häufig auf die Phrase „Die Maschine/KI soll die Arbeit sinnvoll unterstützen“ – das wirft Fragen auf. Was dem einen als Belastung vorkommt, kann der anderen eine willkommene oder akzeptable Tätigkeit sein – und andersherum. Nur weil etwas innovativ zu sein scheint, muss dies nicht zwangsläufig einen Fortschritt für die Berufsausübung bedeuten. Arbeit hat auch immer eine soziale und damit gesellschaftliche Komponente, die in der ganzen Diskussion berücksichtigt werden muss.

Durch den Einsatz von KI werden zum Teil Berufe wegfallen, aber auch neue entstehen. Vor allem werden sich berufliche Tätigkeiten verändern.

Weiterentwicklung der Beruflichen Bildung

Das Stichwort „Berufsbildung 4.0“ wird häufig genutzt, um über die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung im Rahmen der digitalen Transformation zu diskutieren. Die zentralen Akteursfelder in der Berufsausbildung werden auf der einen Seite durch den betrieblichen Teil zum anderen durch den schulischen Teil geformt. Durch die sogenannte „Lernortkooperation“ soll theoretisch eine Verzahnung der Akteure gewährleistet werden. In der Realität ist das häufig gar nicht so einfach - erfährt aber im Rahmen der digitalen Transformation weiter an Relevanz.

Durch eine engere Zusammenarbeit könnten sich Entwicklungen in den Betrieben unmittelbarer im schulischen Teil verbreiten, sodass die Schulen bedarfsgerechter ausbilden könnten. Gleichwohl sind die Entwicklungen in den Ausbildungsbetrieben zum Teil sehr unterschiedlich. Während vor allem in großen Unternehmen bereits neuste Technologien zum Einsatz kommen, ist das bei kleineren und lokalen Ausbildungsbetrieben häufig noch nicht der Fall. Hier könnten Überbetriebliche Bildungsstätten (ÜBS) einen wichtigen Teil leisten, um auch Auszubildenden aus weniger digitalisierten Betrieben Lernmöglichkeiten zu bieten.

Die Akteure im schulischen Bereich bzw. konkret das pädagogische Personal an den Berufsschulen spielen eine zentrale Rolle für die Qualifizierung der Nachwuchskräfte bei der Entwicklung neuer Ideen. In der Diskussion um eine Berufsbildung 4.0 wird auch betont, dass sich die Berufsbildung nicht nur auf die Anpassung an technologische und ökonomische Entwicklungen in der Arbeitswelt beschränken darf. Die Aufgabe von Berufsschullehrenden besteht nicht zuletzt in der Vorbereitung zur „Mitgestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft in sozialer, ökonomischer, ökologischer und individueller Verantwortung“ (vgl. KMK 2018).

Doppeltes Spannungsverhältnis in der schulischen Berufsbildung

Der technologische Wandel trifft berufsbildende Schulen auch direkt als neues Instrument auf den verschiedenen Schulebenen. Durch den Externer Link: Einsatz von KI im Bildungsbereich erhofft man sich beispielsweise, die Arbeit von Pädagog*innen zu unterstützen, bzw. das Lehren und Lernen neu zu gestalten. Zum einen auf der Makroebene, welche z.B. die Schulorganisation, -planung oder -evaluation umfasst. Zum anderen auf der Mesoebene, also als Unterstützung beim Unterrichten und Prüfen von Lernleistungen sowie bei der Elternarbeit.

Die Anforderungen an das Bildungspersonal sind enorm. Sie bilden aber ein ganz zentrales Schlüsselelement – sowohl für die Qualifizierung neuer Fachkräfte als auch für die Entwicklung von KI-basierten Lehr-Lern-Angeboten. Denn um solche Systeme zu trainieren, bedarf es neben Daten und Algorithmen auch domänenspezifisches Wissen, wie z.B. Kenntnisse über typische Lernhürden. Dieses muss von Pädagog*innen eingebracht werden. Ansonsten werden solche Technologien keinen wirklichen Mehrwert bringen. Letztlich muss vor dem Einsatz solcher Systeme die Frage gestellt werden: Welche Verbesserungen erwarten wir eigentlich von dem Einsatz KI-basierter Tools fürs Lernen und Lehren? Bisher gibt es dazu erst wenige empirische Ergebnisse. Auch hier gilt zu berücksichtigen: Innovation ist nicht gleich Fortschritt.

Wie kann in der beruflichen Ausbildung mit den Veränderungen umgegangen werden?

In einer im Sommer 2020 durchgeführten Umfrage im Rahmen des europäischen Projekts Externer Link: Taccle AI wurden Berufsschullehrende (gewerblich-technische Berufe) in Niedersachsen und Bremen zum Thema „KI, Automatisierung und berufliche Bildung“ befragt. Trotz der vergleichsweise kleinen Stichprobe weisen die Befragungsergebnisse darauf hin, dass die befragten Lehrkräfte sich insgesamt aufgeschlossen gegenüber KI und den damit verbundenen Anforderungen zeigen. Ihre Antworten, wie auf die Veränderungen der Arbeits- und Berufswelt in der beruflichen Ausbildung zu reagieren sei, lassen sich in drei Kategorien einordnen:

  1. Lehrpläne müssen zum Teil an neue Inhalte angepasst werden.

  2. Es braucht eine Umgestaltung von Lernräumen. Durch die Schaffung von z.B. Laboren könnten neue Lernarrangements konzipiert werden.

  3. Eine deutlich engere Kooperation mit den Betrieben, aber auch mit anderen Schulen ist notwendig ist, um Erfahrungen auszutauschen und Anstrengungen zu bündeln. Ein aktives Zugehen der Lehrenden auf die Ausbildungsbetriebe ist eine Notwendigkeit. Um die Lernortkooperation Realität werden zu lassen, kann man es nicht nur bei einem oberflächlichen Austausch belassen. Stattdessen müssten gezielt gemeinsame Projekte angegangen werden.

Das inhaltliche Spektrum von KI-Projekten an Berufsschulen ist schon heute breit gefächert. Folgende Themenfelder wurden benannt: Autonomes Fahren, Smart Factory, Programmierung von KI-Systemen, Erstellung und Umsetzung von KI-Algorithmen für eine Produktionsanlage sowie kollaborative Robotik.

Externer Link: In einem Projekt wurde speziell das Thema „Deep Reinforcement Learning“, ein Teilgebiet des Maschinellen Lernens, behandelt. Kurz gesagt geht es dabei darum, dass ein programmierter Software-Agent lernt, wie ein Ziel am besten erreicht werden kann.Aufgabe der Auszubildenden war es z.B. einen autonom handelnden Agenten in ein Computerspiel zu implementieren, sodass dieser das Spiel mit der maximalen Punktzahl durchlaufen kann. Die Lerninhalte bestanden insbesondere in dem Wissenserwerb zu KI und zur Funktionsweise neuronaler Netze. An dem Projekt haben Auszubildende zur/zum Informationstechnischen Assistentin/Assistenten im zweiten Ausbildungsjahr teilgenommen.

Smart Factory – neue Lernarrangements in der Berufsschule

Während es in manchen Projekten also direkt um die Programmierung von KI geht, wird in anderen Projekten die Auseinandersetzung mit Industrie 4.0 gefördert. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Smart-Factory-Systeme, die an einigen Berufsschulen in den Klassenraum integriert wurden. An der Externer Link: BBS 2 in Wolfsburg wurden diese z.B. von Auszubildenden der Fachrichtungen Automatisierungstechnik, Mechatronik und Informatik, errichtet. Als Vorbild dienen die Industrieanlagen des benachbarten Volkswagen-Werks. Die Schüler*innen können an den Modellen der Smart Factory praktische Erfahrungen im Umgang mit den neuesten Industrie-4.0-Technologien sammeln. Und das nicht nur theoretisch, sondern durch Ausprobieren, Sehen und Verstehen der Technologien im Gesamtsystem.

Die Smart Factory in Wolfsburg ist ein Musterbeispiel für ein intelligentes Abfüllwerk. Die Produktion wird über eine selbstprogrammierte Smartphone-App gestartet. Zunächst wird eine Dose auf ein Förderband gestellt. Diese wird dann mit Schokoladenbonbons befüllt und mit einem Deckel versehen. Anschließend wird ein QR-Code auf die Dose gedruckt. Dieser Code kann am Ende wieder eingescannt werden, um die Produktionsdaten (Abfülldatum, Anzahl der Schokoladenzähler etc.) auf einem Tablet anzuzeigen. So kann beispielsweise die Energiedatenerfassung für jede Dose eingesehen werden. Außerdem wird für jede Dose ein digitaler Zwilling erstellt. Die Maschine kann eine Selbstdiagnose erstellen und automatische und gezielte Supportanfragen versenden. Damit die Auszubildenden das Gelernte festhalten oder sich weiteres Wissen zu den Themen aneignen können, gibt es über einen QR-Code einen direkten Link zur Online-Lernplattform der Schule.

Mittlerweile werden an der Schule auch Projekte durchgeführt, die gezielter KI berücksichtigen. Etwa für die Frage, wie mittels KI Einsatz Energie gespart werden kann. In den vergangen drei Jahren konnte beobachtet werden, dass auch Schulen, die keine Kooperation mit den ganz großen Unternehmen haben, Industrie-4.0- und/oder KI-Projekte initiieren, so Ludger Deitmer vom Institut Technik und Bildung, der im Rahmen des europäischen Projekts Externer Link: AI Pioneers die Entwicklung von KI in der beruflichen Bildung beobachtet. An dem Projekt sind zehn nationale und internationale Institutionen beteiligt.

Lernort Ausbildungsbetrieb

So zukunftsorientiert die vorgestellten Schulprojekte klingen, so viele Ressourcen sind für die Umsetzung notwendig. Ob finanziell, wie bei der intelligenten Abfüllanlage, oder zeitlich bzw. personell. Im normalen Schulalltag ist das meist nicht einfach zu realisieren. Entscheidend für den Erfolg ist auch die Motivation der Auszubildenden. Sie müssen als aktive Projektmitarbeitende auf Augenhöhe an der Wissenserarbeitung beteiligt sein. Dazu ist es auch für die Auszubildenden sehr lehrreich, die Wissensdefizite der Lehrkräfte zu erfahren, wahrzunehmen und den Umgang damit zu meistern. Denn mit Industrie-4.0- oder KI-Projekten wird auch für Lehrer*innen Neuland betreten. Die wenigsten haben solche Themen während ihrer eigenen Ausbildungszeit behandelt. Es muss für Lernende und Lehrende daher mehr „Learning by doing“ ermöglicht werden.

Abschließend gilt: Egal welche Schulform, Bildungsinstitutionen sollten nicht nur auf sich immer schneller wandelnde Umwelten vorbereiten. Gleichzeitig müssen Sie neben Fachkompetenzen (z.B. IT-Kenntnissen) vor allem soziale, personale und fachübergreifende Kompetenzen, wie Reflexionsfähigkeit, Kreativität und kritisches sowie selbstbestimmtes Handeln und Denken trainieren.

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Sophia Roppertz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am SOCIUM der Universität Bremen, wo sie in der Abteilung für Methodenforschung promoviert.