Antisemitismus von links
Antisemitismus von links? Das ist vielen auch heute noch neu. Er zeigt sich u.a. als kompromisslose Parteinahme für die Palästinenser und im teilweise antisemitischen Vokabular der Globalisierungskritiker.
Dass es auch linken Antisemitismus gibt, ist für viele immer noch neu. Es gibt jedoch auch im linken Spektrum eine Tradition des Antisemitismus. Ein Blick in die Geschichte zeigt den recht gut dokumentierten und erforschten Antisemitismus der Frühsozialisten, der europäischen Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts und der marxistischen Klassiker. In Erinnerung geblieben sind besonders der Antisemitismus in den Ostblockstaaten nach 1945, die stalinistischen Kampagnen und antisemitischen Schauprozesse "gegen Zionismus und Kosmopolitismus", der "Slansky-Prozess" in der Tschechoslowakei und der "Ärztekomplott-Prozess" in der Sowjetunion.
Bei allen Unterschieden im Einzelnen ist bei den Radikalen von rechts oder links nach Ansicht der Extremismusforschung der Alleinvertretungsanspruch, die Ablehnung pluralistisch-demokratischer Systeme, Dogmatismus, das Freund-Feind-Denken und der Fanatismus gleich. Antisemitismus kommt dann ins Spiel, wenn zum Beispiel der "jüdische Kapitalist" als Innbegriff des "raffgierigen Kapitalisten" erscheint, geheime Mächte im Hintergrund als unsichtbare Strippenzieher ausgemacht werden, deren Darstellung an die "Protokolle der Weisen von Zion" erinnern und Israel als "Jude unter den Staaten" als einzigem Land auf der Welt das Existenzrecht abgesprochen wird. Der Antizionismus ist eine spezifische Form des Antisemitismus nach Auschwitz, der bei der radikalen Linken wie auch bei Rechtsextremisten und Islamisten zu finden ist. Eine sehr deutliche Parallele zu rechtsradikalen Antisemiten stellt die "aggressive Erinnerungsabwehr" dar, wozu zum Beispiel die Gleichsetzung von israelischen Militäraktionen mit den Taten der Nationalsozialisten zählt. Dazu gehört auch die Bezeichnung der Palästinenser als "Opfer der Opfer". Auch die Projektion der Politik Israels auf das Verhalten aller Juden in der Welt zählt zu den Indikatoren eines linken Antisemitismus.
Der Soziologe Thomas Haury macht für den linken Antisemitismus das "antiimperialistische Weltbild", welches der radikalen Linken zugrunde liegt, verantwortlich. Dem zufolge ist die moderne Gesellschaft von einem Machtblock aus Kapital und Staat gesteuert, der international agiert und die beherrschte Bevölkerung unterdrückt. Nach diesem binären Weltbild fordern die guten unterdrückten Völker ihre Selbstbestimmung gegen die "böse fremde Herrschaft" und die "imperialistische Ausbeutung". Wendet man das antiimperialistische Schema auf den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern an, kommt man zum Antizionismus. Israel wird als "Brückenkopf" der USA in der arabischen Welt dargestellt und den USA eine sich aus diesem Umstand erklärende einseitige Unterstützung der Interessen Israels vorgeworfen, die sich gegen die "Befreiungsbewegungen" richtet.
Zäsur 1967
Nach 1945 war bis in das Jahr 1967 im linken Spektrum der Bundesrepublik eine pro-zionistische Haltung weit verbreitet. Das änderte sich allerdings schlagartig, als Israel siegreich aus dem Sechstage-Krieg hervorging. In den 1970er und 1980er Jahren war der Antizionismus in der "Szene" nun eine nicht mehr hinterfragte Einstellung. Wer davon abwich, wurde als bürgerlicher Verräter gebrandmarkt.Ein besonders erschreckendes Beispiel, welches die Nähe des linken Antizionismus zum Antisemitismus aufzeigte, war der Anschlag der "Tupamaros Westberlin" – einer Vorläufergruppe der terroristischen "Bewegung 2. Juni" – auf das jüdische Gemeindehaus in Westberlin in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1969. Erinnert sei auch an die positiven Reaktionen der RAF und linksradikaler Gruppen auf die Ermordung israelischer Olympiasportler 1972 in München. Bei der Flugzeugentführung von Entebbe im Jahre 1976 wurde von einem Kommando, dem Mitglieder der terroristischen Gruppen PFLP wie auch der deutschen "Revolutionäre Zellen" angehörten, eine Selektion der Flugzeuginsassen in jüdische und nicht-jüdische vorgenommen, unter anderem durch den Deutschen Wilfried Böse. Weitere Beispiele sind Demonstrationen gegen den Krieg im Libanon in den achtziger Jahren, die nicht etwa vor israelischen Botschaften sondern vor Synagogen durchgeführt wurden.