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Antisemitismus, die extreme Rechte und rechter Terror im Netz

Karolin Schwarz

/ 8 Minuten zu lesen

Das Internet bietet seit über 30 Jahren reichlich Raum für extrem rechte Akteure, sich global zu vernetzen und neue Sympathisanten für sich zu gewinnen. Bereits in den Kindertagen des heutigen, kommerziellen Internets, dem World Wide Web, begannen sie mit der Verbreitung antisemitischer Propaganda. Heute kommt dem Netz in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zu.

Hate Speech Monitoring bei Facebook (2018): Auch wenn Plattformen wie Facebook oder YouTube in den letzten Jahren strengere Moderationsregeln einführten und extremistische Inhalte zunehmend löschen, werden sie von Akteuren der extremen Rechte weiterhin als strategisches Mittel genutzt, um antisemitische Inhalte zu verbreiten. (© picture-alliance/AP)

Antisemitische Propaganda in den frühen Tagen des Internets

Schon in den Anfangstagen der weltweiten Vernetzung über das Internet eignete sich die extreme Rechte die neuen technologischen Möglichkeiten für ihre Zwecke an und tauschte Propagandastrategien ab den 1990er Jahren bereits international aus. Viele dieser Strategien werden heute noch angewendet. Dabei gehörten antisemitische Inhalte stets zu den wichtigsten Bestandteilen der digitalen Agitation.

Im Jahr 1995 veröffentlichte der Interner Link: US-Neonazi Milton Kleim eine Strategie für die Agitation im Usenet . Er rief damals unter anderem dazu auf, antisemitische Mythen über angeblich von Juden kontrollierte Medien zu verbreiten. Allerdings sollten antisemitische Inhalte laut Kleim mit Bedacht formuliert werden. So verbreiten in den USA Rechtsextreme seit Jahrzehnten den Mythos, US-Unternehmen würden durch eine Zertifizierung ihrer Lebensmittel als koscher zu einer geheimen Steuer gezwungen, um zionistische Zwecke zu finanzieren. Die Zertifizierung ist allerdings freiwillig, schlägt sich nur geringfügig im Preis der Produkte nieder und wird den zertifizierenden Unternehmen ausgezahlt. Kleim schlug daher vor, den Mythos nicht als Beschwerde über Juden zu formulieren, sondern Leser in Usenet-Gruppen anzuregen, sich ihre Lebensmittel anzuschauen und die “Beweise” selbst erarbeiten zu lassen, um sie dann dazu zu bringen den antisemitischen Erzählungen zu folgen. Zudem sollten rechtsextreme Internetaktivisten auch jüdische Usegroups verfolgen, um mögliche Themen aufzugreifen. Kleims Strategie, Antisemitismus über Umwege und über unverdächtige Themen zu verbreiten, ist auch heute noch aktuell und wird in digitalen Diskussionsräumen weiterhin so praktiziert.

Mehrere Rechtsextremisten, wie beispielsweise Interner Link: Ernst Zündel, Jürgen Graf oder Gary Rex Lauck, betrieben in den 1990er Jahren eigene, teilweise deutschsprachige Websites, auf denen offen der Holocaust geleugnet wurde. In der Regel wurden die Websites auf Servern außerhalb Deutschlands gelagert, etwa in den USA oder Russland (Wetzel, S. 135), um sich einer möglichen Strafverfolgung oder Löschung der Seiten zu entziehen. Ferner gehörten zu den international bekannten Webangeboten zu dieser Zeit revisionistische Organisationen etwa das vom US-amerikanischen Geschichtsrevisionisten und Holocaustleugner Bradley R. Smith gegründete “Committee for Open Debate on the Holocaust” oder das vermutlich weltweit bekannteste Institut der Holocaustleugnung, das “Institute for Historical Review”.

Internetplattformen als Orte der Agitation

Nahezu jede neue Plattform wurde in den vergangenen 30 Jahren auch von rechten Antisemiten genutzt. Nicht selten kam es dabei auch immer wieder zu Abwanderungsbewegungen, etwa weil die Plattformanbieter strengere Moderationsregeln einführten, um menschenfeindliche Inhalte einzuschränken oder zu entfernen. Dennoch werden Plattformen des gesellschaftlichen Mainstreams immer wieder genutzt, um in der Mitte der Gesellschaft Anknüpfungspunkte für die Verbreitung antisemitischer Inhalte zu finden. Das gilt heute für Plattformen wie Facebook oder YouTube und galt ebenso für die früher populären Plattformen StudiVZ und Myspace.

Hinzu kamen und kommen auch online zur Verfügung gestellte Spiele mit antisemitischen Inhalten. So wurde um die Jahrtausendwende ein antisemitisches Remake des bekannten Spiels Moorhuhnjagd verbreitet, bei dem Nutzer Jagd auf Juden machten. Und in heute beliebten Online-Games wie Minecraft oder über die Spieleplattform Roblox verbreiten Rechtsextreme einschlägige antisemitische Inhalte.

Ganz offen wiederum werden antisemitische Inhalte auf den inzwischen zahlreich vorhandenen sogenannten Alt-Tech-Plattformen verbreitet. Dazu gehören zum einen Plattformen und Apps, die Rechtsradikale sich angeeignet haben, wie das russische Netzwerk vk.com (VKontaktje) und der Messenger Telegram. Zum anderen gibt es eine Reihe von Plattformen, die von Rechtsextremen beziehungsweise Vertretern einer absoluten Meinungsfreiheit aufgebaut wurden. Alt-Tech-Plattformen genießen in der Regel den Ruf, wenig moderiert zu werden. Aber auch diese jüngsten Abwanderungsbewegungen auf alternative Plattformen aufgrund von Repressionen sind nichts Neues. Bereits Milton Kleim begann seine strategischen Überlegungen zum Usenet damit, dass dieses ein Forum biete, das noch relativ “unzensiert” sei. Das Netz bezeichnete er als Waffe.

Festzustellen ist, dass sowohl Behörden als auch Internetdienstleister immer wieder neue Wege finden müssen und mussten, um sich auf neue technische Mittel und Strategien zur Verbreitung antisemitischer Inhalte einzustellen. Oftmals muss überhaupt erst ein Problembewusstsein entwickelt werden, weil mögliche missbräuchliche Verwendungen von Online-Dienstleistungen und Plattformen weder von den Erfindern und Betreibern noch von Sicherheitsbehörden antizipiert wurden.

Und schließlich machen sich rechte Antisemiten immer wieder technische Besonderheiten zunutze, die bei der Entwicklung digitaler Tools nicht mitgedacht wurden. Während Händler die Techniken der Suchmaschinenoptimierung (SEO) nutzen, um ihre Produkte an potenzielle Kunden zu bringen, haben sich einige Vertreter des rechtsradikalen Spektrums die Möglichkeiten des Onlinemarketings ebenso angeeignet. Beispielsweise verwenden einschlägige Publikationen im Netz Formulierungen, die in der Regel selten oder nie von Medien oder anderen Websites genutzt werden. Sucht man dann nach diesen Begriffen oder Phrasen auf Google und Co., findet man wegen mangelnder alternativer Angebote fast ausschließlich judenfeindliche oder andere menschenfeindliche Propaganda. Michael Golebiewski und danah boyd nennen dieses Phänomen “Data Voids”, also Datenlücken.

Mechanismen der Radikalisierung

Akteure der extremen Rechten haben unterschiedliche Methoden entwickelt, um antisemitische Inhalte nicht nur in der eigenen Gruppe zu verbreiten, sondern auch an potentielle neuen Anhängern zu bringen. Zu den wichtigsten Mitteln der Verbreitung antisemitischer Propaganda gehören noch immer Interner Link: Verschwörungsmythen, die eine “Jüdische Weltverschwörung” propagieren und – mal mehr, mal weniger offensichtlich – Juden die Schuld an allen möglichen Übeln der Welt zuschreiben.

Vor allem jüngere Sympathisanten sollen nach dem Willen einiger extrem rechter Akteure über eine ständige Ironisierung indoktriniert werden. In einem vor wenigen Jahren veröffentlichten Strategiepapier Andrew Anglins, Betreiber der neonazistischen Website Daily Stormer, wird beispielsweise empfohlen, menschenfeindliche Artikel so zu formulieren, dass Leser auf den ersten Blick nicht unterscheiden können, ob es sich um grenzüberschreitenden Humor oder tatsächlichen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus oder Misogynie handelt. Diese Strategie kann man letztlich auch als Ironievergiftung bezeichnen. Sie findet sich nicht nur beim Daily Stormer, sondern beispielsweise auch auf Imageboards wie 4chan oder dem deutschen Pendant Kohlchan, wo Inhalte gesperrter Benutzer durch den rot geschriebenen Satz “PFOSTIERER WURDE INS GAS HINEINGETAN.” gekennzeichnet werden. Auch auf Telegram sind inzwischen unzählige Kanäle und Gruppen ins Leben gerufen worden, in denen antisemitische, rassistische und islamfeindliche Memes mehr Regel als Ausnahme sind. Die Ironisierung dient keinesfalls als humoristisches Element, sondern bietet unter anderem die Möglichkeit, sich im Falle einer Konfrontation mit politischen Feinden oder Strafverfolgungsbehörden auf die Behauptung zurückzuziehen, man habe das alles gar nicht ernst gemeint.

Antisemitismus in rechtsterroristischen Anschlägen der späten 2010er Jahre

In den 2010er Jahren wurde eine Reihe von Interner Link: rechtsterroristischen Anschlägen verübt, in denen das Internet eine jeweils gewichtige Rolle spielte – sowohl in der Radikalisierung der Täter als auch der Verbreitung ihrer Propaganda. Teilweise wählten die Terroristen jüdische Ziele für ihre Anschläge aus, in anderen Fällen äußerte sich ihr Antisemitismus etwa in ihren Pamphleten.

Bei den in den vergangenen Jahren mittlerweile zahlreichen Anschläge auf Jüdinnen und Juden wurden meist Synagogen angegriffen – und die Taten im Vorfeld oftmals im Internet angekündigt. Einen Anschlag auf eine Synagoge in Pittsburgh, Pennsylvania im Oktober 2018 kündigte der Täter zuvor auf Gab.ai an. Dieses soziale Netzwerk ähnelt in seinen Funktionen Twitter, aber auch anderen vergleichbaren Plattformen. Dort hatte er unter anderem antisemitische Inhalte veröffentlicht. Der Täter erschoss elf Menschen und verletzte weitere sechs Personen.

Am 9. Oktober 2019 Externer Link: versuchte Stephan B. einen Anschlag auf die jüdische Gemeinde in Halle zu verüben und attackierte einen Dönerimbiss. An der Tür der Synagoge scheiterte er zwar, in der Folge aber erschoss er zwei Menschen. Als Zeitpunkt für seinen Anschlag wählte er den höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, wohl auch, weil er erwartete, an diesem Tag möglichst viele Menschen ermorden zu können. In zuvor veröffentlichten Schriften, die er auf dem Imageboard Meguca postete, schrieb er unter anderem, er wolle so viele Juden wie möglich töten. Seine Tat übertrug er live auf der Streaming-Plattform Twitch. Schon gleich zu Beginn der Aufnahme leugnete er den Holocaust.

Offenbar hatte B. sich vor allem über das Internet radikalisiert, sich auf einschlägigen Plattformen auch mit Gleichgesinnten ausgetauscht. Er glaubte beispielsweise, dass der US-Milliardär und Philantrop George Soros, der immer wieder im Zentrum antisemitischer Verschwörungsmythen steht, den Zuzug Geflüchteter nach Deutschland gesteuert habe.

Interner Link: Der Glaube an gesteuerte Flüchtlingsbewegungen ist ein Teilstück im von vielen rechtsextremen Gruppierungen gepflegten Bild des “Großen Austauschs”, nach dem es einen Geheimplan gäbe, die ansässige weiße Bevölkerung vieler Länder Europas sowie der USA und Australiens durch nicht-weiße Migranten beziehungsweise Muslime auszutauschen. In vielen dieser Erzählungen stecken hinter dem Geheimplan Eliten, die oftmals als jüdisch verstanden werden. Auch der Interner Link: Terrorist von Christchurch glaubte an den Mythos vom “Großen Austausch” und benannte sein im Vorfeld der Tat veröffentlichtes Pamphlet danach. Der Täter von Pittsburgh verbreitete ähnliche Inhalte auf Gab.ai.

Terroraffine Milieus in den Nischen des Internets

Viele Rechtsterroristen beschäftigen sich im Vorfeld ihrer Taten mit schon verübten oder gescheiterten Anschlägen ihrer Gesinnungsgenossen. In den 2010er Jahren haben sich allerdings über das Internet, beispielsweise auf Imageboards und später auch auf Telegram, einige größere Gemeinschaften zusammengefunden, die die Terroristen anfeuern, unterstützen und zelebrieren – oder aber verlachen, wenn sie vermeintlich gescheitert sind. In diesem Milieu fordern sich Gleichgesinnte mitunter gegenseitig auf, es ihren Vorbildern gleichzutun. Es verwundert daher nicht, dass im Jahr 2019 gleich mehrere Terroristen ihre Tatankündigungen und Schriften in Unterforen der Imageboards 8chan, Endchan und Meguca veröffentlichten.

Terroraffine Milieus erfüllen verschiedene Funktionen nach innen und außen. Als Gemeinschaft stärken sie ihren Hass untereinander und befördern Drohungen und Gewalt. Sie fungieren aber auch als Verbreiter von terroristischer Propaganda, indem sie etwa die Schriften, Bilder und Videos der Täter verbreiten. Sie werden auch selbst tätig, basteln Videos, Playlists oder Bildmontagen, in denen die Täter verehrt oder zu “Heiligen” erklärt werden. Außerdem haben sie es in der Vergangenheit immer wieder geschafft, Uploadbeschränkungen der Plattformen zu umgehen, die verhindern sollen, dass ein Video eines Terroranschlags erneut hochgeladen wird. Vom Video des Terroristen von Christchurch gab es deshalb über 800 verschiedene Versionen. Das Video des Anschlags von Halle wurde in 200 verschiedenen Versionen auf Facebook, YouTube und Co. hochgeladen.

Immer wieder folgen auch Jahre nach Anschlägen noch Aktionen aus diesem Umfeld, die mit den Taten verknüpft sind. Ende des Jahres 2019 verbreiteten Nutzer verschiedener Social-Media-Plattformen Fotos, auf denen einige Personen blau eingefärbt waren. Die Aktion ging zurück auf 4chan und sollte dazu dienen, vermeintlich übermäßigen jüdischen Einfluss auf Politik und Medien zu kennzeichnen. Als Ideengeber diente ihnen der Terrorist, der im Jahr 2015 neun schwarze Kirchenbesucher im US-Bundesstaat South Carolina ermordete. In dem Pamphlet, das er vor seiner Tat veröffentlichte, schrieb er, es gäbe ein “Massenerwachen”, wenn man alle Juden für 24 Stunden blau einfärben würde. 4chan-Nutzer legten eigens für die Aktion einen Telegram-Kanal an, über den sie entsprechend vorbereitete Fotos zur Verfügung stellten. So verbreiten sich rechtsextremistische und antisemitische Ideologien schon vergangener Terrorakte gerade im Internet immer wieder aufs Neue.

Da es sich bei dieser digitalen Subkultur des antisemitischen Hasses mehr um eine Community denn einen konkreten Ort handelt – ganz zu schweigen von organisierten Strukturen oder eindeutig erkennbaren ideologisch geschlossenen Weltbildern –, waren Repressionsmaßnahmen und Sperrungen bislang nur begrenzt erfolgreich. Auch sind die Grenzen zwischen Zuschauern, geistigen Anstiftern und solchen, die sich innerhalb eines solchen Umfeldes radikalisieren oder zu ihren Taten erst angespornt fühlen, immer schwerer zu bestimmen.

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Karolin Schwarz ist freiberufliche Journalistin und Autorin und schreibt u.a. für den ARD-Faktenfinder und Kontraste. 2016 gründete sie Hoaxmap.org, das falsche Berichte über Geflüchtete und People of Color sammelt. Das Projekt wurde für den Grimme Online Award und den Journalistenpreis "Der lange Atem" nominiert. Vor Kurzem ist ihr Buch “Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus” erschienen.