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Antisemitische Verschwörungstheorien in Geschichte und Gegenwart | Antisemitismus | bpb.de

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Antisemitische Verschwörungstheorien in Geschichte und Gegenwart

Michael Butter

/ 11 Minuten zu lesen

Nicht alle Verschwörungstheorien sind antisemitisch, aber Antisemitismus ist gegenwärtig immer konspirationistisch aufgeladen. Die enge Verknüpfung von Antisemitismus und Verschwörungstheorien ist Gegenstand dieses Beitrags und soll von seiner historischen Genese bis in unsere Gegenwart hinein beleuchtet werden.

Vor dem Brandenburger Tor tragen Demonstranten Reichsflaggen und den Buchstaben Q in Reichsflaggen-Optik. Das Q steht für "QAnon". (© picture-alliance/dpa)

Am Interner Link: 9. Oktober 2019 versuchte der Rechtsextremist Stephan B. bewaffnet in die Synagoge in Halle an der Saale einzudringen, wo sich die jüdische Gemeinde versammelt hatte, um Yom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag, zu begehen. Weil es ihm nicht gelang, die Tür zum Gebäude zu öffnen, erschoss er eine Passantin und kurz darauf den Gast einer nahegelegenen Imbiss-Bude. Bevor er festgenommen werden konnte, verletzte er noch zwei weitere Personen. Vor seiner Tat, die er per Live-Stream ins Internet übertrug, hatte der Täter ein Bekennerschreiben ins Netz gestellt, das von seinem Hass auf Juden und Muslime zeugt. Den Juden unterstellt er darin, muslimische Immigration nach Europa heimlich zu steuern. Stephan B. glaubt also an eine explizit antisemitische Variante der in rechten Kreisen weitverbreiteten Verschwörungstheorie des "Großen Austauschs". Seiner Ansicht nach sind Juden die treibende Kraft hinter einem angeblichen Plan, die christliche Bevölkerung Europas gegen eine muslimische auszutauschen. Der Anschlag von Halle ist der bislang schlimmste in einer Reihe von antisemitischen Gewalttaten in den letzten Jahren, die zeigen, dass der Hass auf Juden in Deutschland wieder zunimmt. Dieser Hass ist fast immer verschwörungstheoretisch motiviert.

Die Interner Link: Verschwörungsmythen und Antisemitismus ist Gegenstand dieses Beitrags. Im Folgenden soll zunächst kurz die Genese des modernen konspirationistischen Antisemitismus skizziert werden, der im Holocaust kulminierte. Anschließend soll die Gegenwart bis hin zu den Corona-Demonstrationen beleuchtet werden. Der Beitrag endet mit einigen knappen Überlegungen zur Verschränkung von Antisemitismus und Verschwörungstheorien.

Die Genese des Mythos der jüdischen Weltverschwörung

Verschwörungsvorwürfe gegen Juden gehen auf das Mittelalter zurück. Um 1150 verbreitete der Benediktinermönch Thomas of Monmouth eine Ritualmordlegende, der zufolge Juden für einen mysteriösen Ritus einen kleinen Jungen ermordet hätten. Mitte des 14. Jahrhunderts wurde den Juden erstmals vorgeworfen, dass sie Brunnen vergifteten und christliche Hostien entweihen würden. Diese Anschuldigungen verdichten sich, wie Johannes Heil gezeigt hat, im Verlauf des 14. Jahrhunderts zu Verschwörungsszenarien, die modernen Verschwörungstheorien sehr nahekommen. Das gilt insbesondere für die Pestepidemie, die zwischen 1347 und 1353 etwa ein Drittel der Menschen in Europa tötete. Nicht nur wurden die Juden zu Sündenböcken gemacht, um zu erklären, was man nicht erklären konnte; es wurde ihnen auch unterstellt, die Christen vernichten zu wollen, um so die Herrschaft zu übernehmen.

In der Frühen Neuzeit spielen Verschwörungstheorien über Juden keine große Rolle, weil durch die Interner Link: Reformation andere Feindbilder wichtiger wurden. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts gewannen Verschwörungsvorwürfe gegen Juden wieder an Popularität und Wichtigkeit . Konservative Verschwörungstheoretiker, welche die Interner Link: Freimaurer und Illuminaten beschuldigten, die Interner Link: Französische Revolution orchestriert zu haben, begannen nun, ähnliche Vorwürfe gegen die Juden zu erheben. Oft ging man dabei von einer geheimen Kooperation zwischen vermeintlich einflussreichen Freimaurern und Juden aus. Die Behauptung dieser Verbindung findet sich noch in den berüchtigten Interner Link: Protokollen der Weisen von Zion, dem einflussreichsten Text zur jüdischen Weltverschwörung, der erstmals 1903 veröffentlich wurde.

Die Protokolle, deren Autorschaft bis heute ungeklärt ist, geben vor, die authentischen Aufzeichnungen eines Treffens der Führer des Weltjudentums zu sein, wo Pläne zur Übernahme der Weltherrschaft offen diskutiert worden sein sollen. Sie wurden schnell als Fälschung entlarvt, was ihrer Popularität aber keinen Abbruch tat. Ihre Wirkmächtigkeit ist darin begründet, dass sie nie isoliert, sondern immer gerahmt von Paratexten verbreitet wurden: "Es sind die Vorworte, Begleittexte und Kommentare […], die (vor allem nach dem Ersten Weltkrieg) dann die stringent rassistisch antisemitische Rezeption ins Werk setzen" . In solchen Paratexten werden dann auch die bekannten antisemitischen Vorurteile wie Brunnenvergiftungen und Hostienfrevel erwähnt, die im eigentlichen Text der Protokolle fehlen. Die Wirkmächtigkeit der Protokolle ist also weniger im Haupttext begründet, als in den Vorworten und Kommentaren, die stets Verbindungen zu aktuellen und regionalen Ereignissen herstell(t)en.

Der Interner Link: Erste Weltkrieg wurde in den zahlreichen Ausgaben der Protokolle, die nach 1918 erschienen, als Ergebnis eines jüdischen Komplotts dargestellt. In Deutschland, wo die Protokolle erstmals 1920 in Übersetzung erschienen, hatten sie gemeinsam mit anderen Schriften zur angeblichen jüdischen Weltverschwörung enormen Einfluss auf viele Menschen. In besonderem Maße gilt das für Interner Link: Adolf Hitler und andere führende Nationalsozialisten. Nach 1933 wurde die antisemitische Verschwörungstheorie zur offiziellen Staatsideologie erhoben; die Interner Link: NS-Propaganda verbreitete sie beständig und legitimierte so die antisemitischen Maßnahmen des Regimes . Der Interner Link: Genozid an den europäischen Juden wäre ohne den Mythos der jüdischen Weltverschwörung nicht möglich gewesen.

Antisemitismus in zeitgenössischen Verschwörungstheorien

Expliziter oder traditioneller Antisemitismus ist seit 1945 aufgrund der Erfahrung des Holocaust in Deutschland nicht mehr gesellschaftlich akzeptiert. In der Form, wie er im vorherigen Abschnitt beschrieben wurde, ist Antisemitismus nur noch in extremistischen Zirkeln an den Rändern der Gesellschaft, in Subkulturen und Parallel- und Gegenöffentlichkeiten zu finden. In der Mitte der Gesellschaft und im öffentlichen Diskurs ist für diese Form des Antisemitismus kein Platz mehr, und entsprechende Äußerungen rufen unweigerlich starke Kritik hervor und werden von der Öffentlichkeit sanktioniert.

Gleiches gilt für Verschwörungstheorien, die ab den späten 1950er Jahren in der gesamten westlichen Welt einen Prozess der Stigmatisierung durchlaufen haben. Waren sie vom Spätmittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gesellschaftliches akzeptiertes, orthodoxes Wissen, wurden sie nun zu einer illegitimen, heterodoxen Wissensform. Das bedeutet nicht, dass sie vollständig an Popularität verloren oder gar nicht mehr verbreitet wurden, sie verschwanden aber aus der Mitte der Gesellschaft und prosperierten nur noch in Gegenöffentlichkeiten und Subkulturen. Zwar sind Verschwörungstheorien durch das Aufkommen des Internets wieder sichtbarer und populärer geworden, doch wer im öffentlichen Diskurs explizit Verschwörungstheorien artikuliert, muss mit starken gesellschaftlichen Sanktionen rechnen.

Ein prägnantes Beispiel, an dem sich beide Prozesse in ihrer Verschränkung beobachten lassen, ist der Fall des ehemaligen AfD-Politikers Wolfgang Gedeon. Nachdem er 2016 in den baden-württembergischen Landtag gewählt wurde, stellte sich einige Monate später heraus, dass er unter Pseudonym einige antisemitisch-konspirationistische Bücher verfasst hatte, in denen er unter anderem Die Protokolle der Weisen von Zion als seriöse Quelle bezeichnet. Der öffentliche Druck stellte die AfD-Fraktion im Landtag vor eine Zerreißprobe, da einige Abgeordnete Gedeon unterstützen, andere dagegen seinen Ausschluss forderten. Schließlich trat Gedeon aus der Fraktion aus, im Frühjahr 2020 wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Auch in einer Interner Link: Partei, zu der es zahlreiche Belege für rassistische und antipluralistische Positionen gibt und deren Teilorganisation "Der Flügel" der Verfassungsschutz im März 2020 als gesichert rechtsextremistische Bestrebung einstufte (und die sich in der Folge selbst auflöste), ist dieser explizite, verschwörungstheoretisch aufgeladene Antisemitismus nicht haltbar.

Das bedeutet allerdings nicht, dass Antisemitismus nur noch an den Rändern der Gesellschaft vorkommt. Wie zahlreiche Studien zeigen, ist der sogenannte Interner Link: sekundäre Antisemitismus in Deutschland weit verbreitet und hat in den letzten Jahren zugenommen. Das veranschaulicht auch zum Beispiel die 2019 veröffentlichte "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung . Diese Form des Antisemitismus beschuldigt nicht mehr pauschal "die Juden", sondern artikuliert sich in "indirekten, chiffrierten Versionen, in Anspielungen und Codes" .

Es ist wenig überraschend, dass sich die Codes des sekundären Antisemitismus auch in den Verschwörungstheorien der Gegenwart wiederfinden. So wird zum Beispiel der schnelle Aufstieg Emmanuel Macrons zum französischen Präsidenten damit erklärt, dass er eine "Marionette der Rothschilds" sei , wobei die jüdische Bankiersfamilie hier als Platzhalter für "die Juden" fungiert. Auch das Bild des Kraken, dessen Tentakel die Welt umspannen, ist eine solche Chiffre, die direkt an die antisemitische NS-Propaganda anschließt. Dort wurde dieses Motiv oft benutzt, um die angebliche jüdische Weltverschwörung zu visualisieren. Wenn die ehemalige Tagesschausprecherin Eva Herman in einem konspirationistischen Text zur "Flüchtlingskrise" also vom "finanzsystemgesteuerten EU-Kraken" spricht , ist diese Metapher gerade in Kombination mit dem Verweis auf Geld und Bankwesen eindeutig antisemitisch konnotiert. Andere Codes des sekundären Antisemitismus sind zum Beispiel der Verweis auf eine mysteriöse "Ostküstenelite" oder – vor allem im englischsprachigen Raum – die Rede vom "Zionist Occupied Goverment". Diese Codes sind auch unter Reichsbürgern und verwandten Gruppierungen wie Selbstverwaltern und Souveränisten verbreitet und werden systematisch genutzt, um eine jüdische Verschwörung anzuprangern .

Es wäre allerdings falsch und sogar kontraproduktiv zu behaupten, dass im verschwörungstheoretischen Diskurs jede Bezeichnung für die Gruppe der vermeintlichen Verschwörer ein kodierter Verweis auf die Juden ist. Wer "Freimaurer" oder "Illuminaten" sagt, meint in der Regel auch genau diese Gruppen, um die sich seit Jahrhunderten Verschwörungstheorien ranken, und nicht eigentlich die Juden, wie bisweilen behauptet wird . Wer alles als Chiffre oder Code liest, verkennt die Stoßrichtung vieler Verschwörungstheorien und akzeptiert die Logik des verschwörungstheoretischen Denkens selbst, das von der Annahme ausgeht, dass nichts so ist, wie es scheint.

Das Problem bei der Analyse zeitgenössischer Verschwörungstheorien ist daher zu entscheiden, was als antisemitische Chiffre zu verstehen ist und was nicht. Während die bisher aufgeführten Beispiele recht eindeutig sind – wer "Rothschild" sagt, meint die Juden; wer "Illuminaten" sagt, meint in aller Regel die Illuminaten –, gibt es natürlich einen Graubereich, in dem die Intention des Sprechers oder Autors nicht eindeutig zu entscheiden ist. Diese Uneindeutigkeit wiederum wird oft bewusst produziert, um mit einer Verschwörungstheorie sowohl diejenigen anzusprechen, die immer die Juden für die Schuldigen halten, als auch diejenigen, die das gerade nicht tun. Gerade in Hinblick auf zeitgenössische Verschwörungstheorien ist es daher sinnvoll, von einer strategischen Offenheit zu sprechen, die es den Rezipient*innen potenziell ermöglicht, das Behauptete antisemitisch aufzuladen.

Ein Beispiel für diese strategische Offenheit sind die Verschwörungsvorwürfe, die Donald Trump gegenüber Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 erhob. Wenige Wochen vor der Wahl, am 13. Oktober, sagte Trump bei einer Wahlveranstaltung in West Palm Beach, Florida:

Der Clinton-Apparat steht im Zentrum dieser Machtstrukturen. Das sehen wir in den WikiLeaks-Dokumenten, die zeigen, dass Hillary Clinton sich im Geheimen mit internationalen Banken trifft und die Zerstörung der Souveränität der USA plant, um diese globalen Finanzkräfte, ihre "besonderen Freunde" und ihre Spender zu bereichern.

Der Ausdruck "internationale Banken" kann als Hinweis auf die jüdische Identität der angeblichen Verschwörer gelesen werden; er muss aber nicht so verstanden werden, da es sich um die einzige derartige Formulierung in der gesamten Rede handelt. Die "Wahrheit" liegt hier letztendlich im Auge des Betrachters.

Ganz anders verhält es sich mit der QAnon-Verschwörungstheorie, die am Anfang vor allem auf Plattformen wie 4chan und 8chan verbreite wurde und deren Anhänger ihre kruden Ideen mittlerweile vor allem über Telegram und Parler verbreiten. Unter anderem inszenieren sie Trump als einen Helden, der mit einigen Getreuen dem moralisch degenerierten "Tiefen Staat" das Handwerk legen könne. Die Verkommenheit des "Tiefen Staat" zeige sich darin, dass die liberalen Eliten an seiner Spitze Pädophile seien, die Kinder missbrauchen, ermorden und ihr Blut trinken würden. Diese Verschwörungstheorie ist deshalb eindeutig antisemitisch, weil Q in seinen Nachrichten immer wieder Juden – George Soros oder die Rothschilds – als Verschwörer identifiziert und weil die Anschuldigung, die Verschwörer würden aus dem Blut der Kinder den mysteriösen Stoff Adrenochrom gewinnen, Motive aus den antijüdischen Ritualmordlegenden des Mittelalters aufgreift.

Durch den Interner Link: US-Wahlkampf 2020 und die Interner Link: Corona-Pandemie hat QAnon auch in Deutschland Aufmerksamkeit erfahren und Anhänger gewonnen, was teilweise zu panischen Reaktionen in den Medien geführt hat . Allerdings glaubt lediglich eine sehr kleine Minderheit an diese Verschwörungstheorie. In den USA, wo die QAnon-Verschwörungstheorie weiter verbreitet ist, glauben knapp sieben Prozent der Bevölkerung an sie ; in Deutschland trifft dies mit großer Wahrscheinlichkeit auf deutlicher weniger Menschen zu. Und anders als in den USA, wo sich einige republikanische Kandidat*innen für die Kongresswahlen öffentlich zu QAnon bekennen, sind in Deutschland keine Anhänger*innen dieser Verschwörungstheorie in einflussreichen Positionen bekannt.

Antisemitische Verschwörungstheorien gewinnen durch die QAnon-Bewegung daher in Deutschland nicht signifikant an Popularität. Gleiches gilt allgemein für Verschwörungstheorien zur Corona-Pandemie, die in Deutschland zirkulieren und deren Vertreter*innen momentan lautstark gegen die Maßnahmen der Politik protestieren. Zum einen handelt es sich auch hier um eine Minderheit, und nichts deutet daraufhin, dass der Glaube an Verschwörungstheorien seit Beginn der Pandemie zugenommen hat. Ihre Anhänger*innen sind lediglich sichtbarer geworden. Zum anderen sind Interner Link: die meisten Corona-Verschwörungstheorien in Deutschland nicht antisemitischer Natur. Sie sehen Bill Gates, die WHO und die Bundesregierung als Strippenzieher und werfen ihnen vor, die Krise inszeniert zu haben, um eine Zwangsimpfung durchzusetzen oder die Grundrechte einzuschränken. Die Demonstrationen der "Corona-Leugner" werden von sehr unterschiedlichen Milieus getragen, die der Glaube vereint, dass die Regierung sie täusche, um ihre "dunkle" Pläne zu verwirklichen. Impfkritiker und Hippies stören sich gegenwärtig zwar nicht daran, dass sich auch Reichsbürger und Neonazis, die explizit antisemitische Verschwörungstheorien vertreten, an den Protesten beteiligen. Es ist aber äußerst unwahrscheinlich, dass sich Erstere von diesen Gruppen ideologisch vereinnahmen lassen werden.

Schluss

Der Antisemitismus ist in der deutschen Gesellschaft weiter verbreitet, als es uns lieb sein kann. Allerdings sind nicht alle Verschwörungstheorien antisemitisch. Vielmehr ist zumindest in der Gegenwart der Antisemitismus immer konspirationistisch aufgeladen. Das unterscheidet Antisemitismus von Interner Link: Rassismus. Während rassistische Vorurteile nichtweiße Menschen oft in die Nähe von Tieren rücken, wird Juden immer Verschlagenheit und Täuschung, kurz: Verschwörung unterstellt.

Da nicht alle Verschwörungstheorien antisemitisch sind, gilt es genau hinzusehen, denn aufgrund unserer Geschichte ist der Antisemitismusvorwurf in Deutschland noch stigmatisierender als der Vorwurf, man verbreite Verschwörungstheorien. Dieses Stigma kann es erschweren, Verschwörungsgläubigen zu helfen, ihre Überzeugungen hinter sich zu lassen. Die Klassifizierung als antisemitische Verschwörungstheorie und -theoretiker*innen sollte diejenigen treffen, die diese Zuschreibung auch verdienen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Heil, Johannes (2006): "Gottesfeinde" – "Menschenfeinde". Die Vorstellung von jüdischer Weltverschwörung (13. bis 16. Jahrhundert), Essen: Klartext.

  2. Butter, Michael (2018): "Nichts ist, wie es scheint": Über Verschwörungstheorien. Berlin: Suhrkamp. S. 163.

  3. Horn, Eva (2012): "Das Gespenst der Arkana: Verschwörungsfiktion und Textstruktur der "Protokolle der Weisen von Zion". Die Fiktion der jüdischen Weltverschwörung. Zu Text und Kontext der "Protokolle der Weisen von Zion", herausgegeben von Eva Horn und Michael Hagemeister, Göttingen: Wallstein 1-15. S. 22)

  4. Pfahl-Traughber, Armin (1993): "Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat". Wien: Braunmüller.

  5. Zick, Andreas et al. (2019): "Verlorene Mitte – Feindselige Zustände: Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19". Bonn: Dietz.

  6. Jäcker, Tobias (2005): "Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September: Neue Varianten eines alten Deutungsmusters." 2. Auflage. Münster: Lit.

  7. Schrang, Heiko (2017): "Frankreich Wahl [sic]: Macrons Geheimnis – Eine Marionette der Rothschilds", Externer Link: www.wallstreet-online.de, abgerufen am 5. Oktober 2020.

  8. Herman, Eva (2015): "Einwanderungs-Chaos: Was ist der Plan?", Externer Link: http://www.wissensmanufaktur.net/einwanderungs-chaos, abgerufen am 7. Oktober 2020.

  9. Rathje, Jan (2018). "Die vermeintlichen 'Mächte im Hintergrund': Antisemitismus im Milieu von Reichsbürgern, Selbstverwaltern und Souveränisten". Reichsbürger: Die unterschätzte Gefahr, herausgegeben von Andreas Speit. Berlin: Links, 133-143.

  10. Nocun, Katharina und Lamberty, Pia (2020). "Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen." Köln: Quadriga. S. 113

  11. Trump, Donald J. (2016): "Donald Trump’s Speech Responding To Assault Accusations", Externer Link: http://www.npr.org, abgerufen am 7. Oktober 2020.

  12. Beuth, Patrick et al. (2020): "QAnon und seine deutschen Anhänger: Der gefährlichste Kult unserer Zeit", Externer Link: www.spiegel.de, abgerufen am 8. Oktober 2020.

  13. CIVIQS (2020). "National QAnon Support", Externer Link: https://civiqs.com, abgerufen am 8. Oktober 2020.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Michael Butter für bpb.de

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Weitere Inhalte

Prof. Dr. Michael Butter lehrt Amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er leitet ein europäisches Forschungsprojekt zu Verschwörungstheorien "Comparative Analysis of Conspiracy Theories".