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Die Muslimbruderschaft in Deutschland

Rita Breuer

/ 14 Minuten zu lesen

Die "Muslimbruderschaft" (MB) gilt als älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung. In Deutschland zählt der Verfassungsschutz 1040 Personen zur radikal-islamischen Gruppe, einschließlich der 340 Mitglieder der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands, die sich Ende 2018 in Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) umbenannte. Wie funktioniert das Netzwerk der Muslimbrüder in Deutschland?

07.04.2019, Al Muhajirin-Moschee in Bonn. Laut Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden verkehren hier regelmäßig Anhänger der Muslimbruderschaft. Die Moscheegemeinde selbst streitet eine Nähe zu Islamisten ab. (© picture-alliance, Ulrich Baumgarten)

"Der Islam wird Europa erobern, ohne Schwert und ohne Kampf." Bemerkenswert deutlich ließ der wohl einflussreichste zeitgenössische Denker und Agitator der weltweiten Muslimbruderschaft (MB) Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926) im katarischen Fernsehen verlauten, was das Ziel seiner Bewegung auch für Europa ist. Diese Form der friedlichen Eroberung durch Mission und gezielte Einflussnahme habe ihre Begründung im Islam und werde von Erfolg gekrönt sein. Europa, so der Scheich weiter, sei in einem miserablen Zustand aus Unmoral, Materialismus und Promiskuität und müsse vom Islam aus diesem Elend befreit werden. "Europa wird keinen Lebensretter, kein Rettungsboot außer dem Islam finden."

Der islamistische Prediger Yusuf al-Qaradawi beim Freitagsgebet auf dem Tahrir-Platz in Kairo am 18.02.2011. (© picture-alliance/AP)

Ziel der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft ist ein durch und durch islamisches Gemeinwesen, dessen Oberhaupt sich einzig durch die umfassende und ausschließliche Anwendung der Scharia legitimiert. Diese vermeintliche Ordnung Gottes gilt als alternativlos, sie ist weder wählbar noch abwählbar – eine Haltung, die die MB als zutiefst undemokratisch und Vertreterin eines politischen Islam entlarvt, der mit dem Grundgesetz und den Menschenrechten nicht vereinbar ist.

Die Scharia ist ein Normen- und Regelsystem für alle Lebensbereiche der Muslime. Sie regelt sowohl die rituellen Pflichten des Menschen gegenüber Gott (z. B. Beten und Fasten) als auch das zwischenmenschliche Zusammenleben, insbesondere das Ehe- und Familienrecht, aber auch das Wirtschaftsleben und das Strafrecht mit Körper- und Todesstrafen. Größtenteils betrifft dies Vergehen, die aus deutscher Sicht nicht strafwürdig sind, wie Ehebruch, Abfall vom Islam oder Alkoholkonsum.

Nach den Maßgaben der freiheitlich demokratischen Grundordnung verletzt die umfassende Anwendung der Scharia eklatant die Menschenwürde, die Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Leben und körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit und die Freiheit von Meinung und Presse. Auch dem Gleichheitsgrundsatz steht sie diametral gegenüber, denn sie unterscheidet zwischen den Rechten von Muslimen und Nichtmuslimen und von Männern und Frauen.

Um ihre Ziele zu erreichen, setzt die MB vor allem auf eine langsame Durchdringung der Gesellschaft durch eine entsprechend geschulte muslimische Elite, die als Multiplikator fungiert. Die Basis der Mitglieder ist in Zellen von jeweils mehreren Personen organisiert. Die Durchdringung soll vom Individuum über die Familie, die Gesellschaft und den Staat bis zur weltweiten Vorherrschaft des Islams führen, wobei man vorrangig auf Infiltration in allen maßgeblichen Segmenten der Gesellschaft sowie auf Bildungs- und Erziehungsarbeit hin zu einer ‚islamischen Persönlichkeit‘ setzt. Nachdem der Gründer Gewalt anfänglich ablehnte, wurde der bewaffnete Kampf im Laufe der weiteren Entwicklung dort zu einer Option, wo er erfolgversprechend oder alternativlos erscheint. So wurden unmittelbar nach der Gründung des Staates Israel 1948 bewaffnete Kämpfer in die Region entsandt, und bis heute werden das militante Vorgehen der Hamas wie auch Selbstmordattentate in der Region legitimiert. Viele Aktivisten im Jihad sind durch die ideologische Schule der MB und insbesondere ihres Chefideologen Sayyid Qutb (1906-1966) gegangen und haben sich hierdurch inspirieren lassen. Mehrheitlich wird heute allerdings auf die von Qaradawi eingangs auch für Europa postulierte friedliche Eroberung gesetzt, die in diesem Kontext zielführender erscheint. Die sukzessive Ausbreitung des Islams kann eben auf friedliche wie auch auf gewaltsame Art und Weise erreicht werden; was zählt ist das Ziel, die Wahl der Mittel ist diesem unterzuordnen und anzupassen.

Nach der Mitte des 20. Jahrhunderts trieben die zunehmenden Repressionen gegen die politisch immer ambitionierter werdende Bewegung in Ägypten und Syrien die führenden Köpfe ins Exil und die MB in Deutschland nahm ihren Anfang. Yusuf al-Qaradawi begab sich 1961 nach Katar. Dort erstellt er bis ins hohe Alter mit beispielloser Medienpräsenz und Produktivität Rechtsgutachten und religiöse Leitfäden und verbreitet somit Strukturen und Gedankengut der Bewegung unbehelligt weiter. 1960 erscheint die Erstauflage seines Werkes ‚Erlaubtes und Verbotenes‘ im Islam, das sich insbesondere an die Muslime in westlichen Gesellschaften richtet, um sie vor der Übernahme unislamischer Lebensweisen zu bewahren.

Der ägyptische MB-Aktivist Said Ramadan (1926-1995), ein Schwiegersohn des Gründers Hasan al-Banna, sowie der seinerzeit führende Kopf der syrischen MB Issam al-Attar (geb. 1927) ließen sich in Deutschland nieder, wo sie unbehelligt von politischer Verfolgung arbeiten konnten. Etwa zeitgleich mit der Fertigstellung des Islamischen Zentrums München wurde 1958 mit der Moscheebaukommission in München die Vorläuferin der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD) gegründet, die sich Ende 2018 in Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) umbenannte. Mit 340 Mitgliedern und deutlich mehr Anhängern gilt sie als die wichtigste und zentrale MB-nahe Organisation in Deutschland. Die Leitung übernahm für die ersten 10 Jahre bis 1968 Said Ramadan selbst, doch auch darüber hinaus sollte die IGD fest in der Hand der Muslimbruderschaft bleiben. Von 1984 bis 1987 war Muhammad Mahdi Akif (1928-2017) leitender Imam am IZ München, ein einflussreicher Funktionär der Bewegung, der 2004 bis 2010 gar der siebte oberste Führer der weltweiten MB war. Neben dem bekannten Eintreten für eine sukzessive Einführung der Scharia machte Akif besonders durch seine Leugnung des Holocaust von sich reden und gab dem bekannten Antisemitismus der Bruderschaft eine neue Dimension. "Die Muslimbruderschaft hat ein großes islamisches Zentrum in München", so Akif über seine Moschee und die damalige Zentrale der IGD, die heute jede Verbindung zur MB in Geschichte und Gegenwart bestreitet. Das Islamische Zentrum München ist auch nach der sukzessiven Verlegung des Hauptsitzes der IGD nach Köln Anfang der 2000er Jahre der Bewegung weiter verbunden. Nach außen gibt es sich so neutral wie nur möglich, hat es aber im Unterschied zu anderen Verbänden versäumt, seine Position zur Stellung der Frau im Islam von der Website zu löschen.

Etwa 50 Islamische Zentren kooperieren heute nach eigenen Angaben eng mit der Zentrale der DMG (IGD), zahlreiche weitere Moscheen und Gebetshäuser kommen hinzu. Insgesamt dürfte die Reichweite bei mehreren 10.000 Menschen muslimischen Glaubens liegen, die über Predigten, religiöse Angebote, Vorträge, Bildungsmaßnahmen etc. erreicht werden. Fußläufig erreicht man von der Zentrale aus die Abu Bakr Moschee in Köln Zollstock. Leitender Imam ist seit Jahren Scheich Mitwalli Mousa, der 2007 die filmisch dokumentierte Radikalisierung des Konvertiten Barino Barsoum zu verantworten hatte. Am Ende spricht sich der junge Mann für die islamischen Körperstrafen und den bewaffneten Jihad aus und meidet jeden Kontakt zu "Ungläubigen". Als er sich einige Zeit später anders besinnt und dem Christentum zuwendet will in der Moschee niemand mehr mit ihm sprechen. Mitwalli Mousa plädierte einstweilen für die Tötung derer, die sich öffentlich vom Islam lossagen. Mit seinem Bundesverband für islamische Tätigkeiten ist Mousa Mitglied im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD).

Mohamad Hajjaj, stellvertretender Vorsitzender des Teiba Kulturzentrums in Berlin und Landesvorsitzender des ZMD Berlin. (© picture-alliance/dpa)

Als weiteres Beispiel für das Netzwerk sei die Teiba-Moschee in Berlin erwähnt; zum Thema ‚Frau und Familie‘ findet sich auf der Homepage exakt derselbe Text wie beim IZ München; der zuständige Imam Ferid Heider bewirbt Schriften von Yusuf al-Qaradawi und tritt als Redner und Prediger in MB-nahen Vereinen auf. Sein Studium absolvierte er am Institut Européen des Sciences Humaines, das dem europäischen Geflecht der MB zuzuordnen ist.

Auch das Islamische Zentrum Aachen (IZ Aachen) mit der Bilal-Moschee ist bis in die frühen 1960er Jahre hinein zurückzuverfolgen. Issam al-Attar, seinerzeit Kopf der syrischen MB, wollte den Repressionen in der Heimat entgehen und ließ sich in Aachen nahe der Technischen Hochschule mit zahlreichen Studenten aus arabischen Ländern nieder. Der syrische Geheimdienst verfolgte den Aktivisten bis in seine Wahlheimat, 1981 wurde seine Ehefrau von einem syrischen Matrosen in Aachen erschossen. Das Attentat galt wohl Issam selbst. Bis 1996 leitete Attar das zwischenzeitlich ausgebaute Zentrum und prägte dessen Ausrichtung. Das IZ Aachen gibt sich nach außen unpolitisch, konzentriert seine Aktivitäten auf islamische Bildung und Erziehung und beteiligt sich gerne an interreligiösen Initiativen. Über seine Website bietet es allerdings Bücher des Chefideologen der MB Sayyid Muhammad Qutb (1906-66), von Yusuf al-Qaradawi sowie dem syrischen MB-Aktivisten Mustafa as-Siba‘i (1915-1964) an und lässt auf Veranstaltungen einschlägige Redner zu Wort kommen wie den erwähnten Imam der MB-nahen Kölner Abu Bakr Moschee Mitwalli Mousa und Khaled Hanafy. Letzterer ist mit dem EIHW (Europäisches Institut für Humanwissenschaften), dem RIGD (Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland) und dem ECFR (Europäischer Fatwarat) gleich in mehreren MB-affinen Organisationen tätig.

Nachdem in den 1960er Jahren der Grundstein der MB-Präsenz in Deutschland gelegt wurde und sich ihre Strukturen und Aktivitäten sukzessive ausbreiteten und etablierten, sind insbesondere die 1990er Jahre von Vernetzung und Stärkung der eigenen Interessenvertretung geprägt. Als europäischer Dachverband der MB- nahen Institutionen wird 1989 die Federation of Islamic Organizations in Europe (FIOE) mit Sitz in Marksfield/GB gegründet. Seit 1996 verfügt sie mit Europe Trust (ET) über eine Treuhandstiftung zur Verwaltung von Spendengeldern, die vorwiegend in den Bau von Moscheen und Bildungseinrichtungen investiert werden. FIOE-Präsident ist seit 2018 der vormals IGD-Vorsitzende Samir Falah. Mit Sitz in Brüssel wurde 1996 die zugehörige Jugendorganisation Forum of European Muslim Youth and Student Organizations (FEMYSO) ins Leben gerufen, 2006 die Frauenorganisation European Forum of Muslim Women (EFOMW). Die 1994 mit Unterstützung des Konvertiten Muhammad Siddiq Borgfeldt als Juniororganisation der IGD gegründete Muslimische Jugend in Deutschland (MJD) ist Mitglied bei FEMYSO und kooperiert auf verschiedenen Ebenen mit der FIOE. Sie richtet sich mit islamischen Bildungs- und Freizeitangeboten an muslimische Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 13 und 30 Jahren, denen auf diese Weise die Notwendigkeit der Abgrenzung von Andersgläubigen zur Einhaltung islamischer Normen vermittelt wird.

Zur gezielten Beeinflussung in Deutschland und Europa lebender Muslime wurde 1997 in Dublin der Europäische Fatwarat (European Council for Fatwa and Resaerch ECFR) unter dem Vorsitz von – einmal mehr – Yusuf al-Qaradawi gegründet. Der Fatwarat ist ein Zusammenschluss muslimischer Geistlicher, der Rechtsgutachten zur spezifischen Situation von Muslimen in der Minderheit erstellt. Prägend ist hier das Qaradawi-Konzept der ‚Wasatiya‘, eines Islams der Mitte, der aber keinesfalls eine Mäßigung oder gar Reform bedeutet, sondern einen pragmatischen Umgang mit Regeln und Vorschriften, wenn das übergeordnete Ziel der Ausbreitung des Islams es erfordert. Dialog und Demokratie sind Mittel zum Zweck, der Blick auf die westliche Gesellschaft abschätzig, manchmal geradezu verachtend. Zur weiteren Spezifizierung der Vorgehensweise des Fatwarats dienen nationale Verzweigungen; seit 2016 gibt es den Fatwa-Ausschuss Deutschland (FAD) unter dem Vorsitz von Khaled Hanafy.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, am 19.03.2015 auf einer Pressekonferenz in Köln. (© picture-alliance/dpa)

In Deutschland wird 1994 mit erheblicher Beteiligung der MB-nahen Organisationen IGD, IZ München und IZ Aachen der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) gegründet. Zu seinen etwa 30 Mitgliedsverbänden zählen u.a. die ATİB, eine Abspaltung der rechtsextremen Auslandsvertretung der Grauen Wölfe, die sich heute nach eigenem Bekunden auf die islamische Religionsausübung konzentriert; das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) als Satellit der iranischen Geistlichkeit und Regierung auf deutschem Boden; sowie der erwähnte Bundesverband für Islamische Tätigkeiten mit seinem Vorsitzenden Mitwalli Mousa. Liberale Stimmen des Islams in Deutschland sucht man im Zentralrat vergebens, stattdessen ist man eifrig bemüht, selbige mundtot zu machen. In der Kampagne gegen den reformorientierten Münsteraner Theologen Mouhanad Khorchide war der stellvertretende Vorsitzende des ZMD Mohammed Khallouk federführend. Der ZMD hat nach vorsichtigen Schätzungen 10.000 bis 15.000 Mitglieder, nach eigenen Angaben 30.000, vertritt also so oder so deutlich unter einem Prozent der in Deutschland lebenden Muslime, die mit großer Mehrheit angeben, noch nie etwas vom Zentralrat gehört zu haben. Nach einer kritischen Auseinandersetzung mit Mitgliedern und Positionen des ZMD 2016 wurde der Internetauftritt des Verbandes neutralisiert: die Namen der Mitgliedsverbände werden aufgrund erhöhter Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr genannt, die -FAQ-Seite ist leer und wird seit über zwei Jahren aktualisiert und überarbeitet. Zuvor wurden bspw. bezüglich der Stellung der Frau durchweg klare Scharia-Positionen vertreten, teilweise wortgleich mit den Empfehlungen des IZ München. Zur Frauenbeauftragten des ZMD passt das gut; Dr. Houaida Taraji war von 2006 bis 2010 Vizepräsidentin der IGD.

Mit Islamic Relief Deutschland wurde 1996 eine Hilfsorganisation mit Sitz in Köln gegründet, der ebenso wie dem Dachverband Islamic Relief Worldwide deutliche personelle und ideologische Verflechtungen zur MB nachzuweisen sind. Diese Bewertung wird auch in der arabisch-islamischen Welt geteilt; so veröffentlichte die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate 2014 eine Liste Terrorismus-verdächtiger Organisationen; neben der weltweiten Muslimbruderschaft und diversen Unterorganisationen werden hier explizit auch die IGD sowie Islamic Relief genannt.

16.04.2019, Nordrhein-Westfalen, Köln: Der Eingang zur Zentrale der Organisation Islamic Relief Deutschland. "'Islamic Relief Deutschland e. V.' trat als Hauptsponsor für das Jahrestreffen der 'Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V.' (IGD) am 13. Dezember 2015 auf und war dort mit einem Redebeitrag vertreten. Die IGD ist die wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der Muslimbruderschaft (MB) in Deutschland und eine Bestrebung im Sinne des § 3 BVerfSchG. 'Islamic Relief Deutschland e. V.' sponserte zudem im Frühjahr 2016 diverse Veranstaltungen der Organisation 'Muslimische Jugend in Deutschland e. V.' (MJD), einer formal unabhängigen Jugendorganisation, die enge Verbindungen zur IGD unterhält. Auch auf personeller Ebene bestehen Verbindungen zwischen 'Islamic Relief Deutschland e. V.' und der IGD", heißt es in einer Antwort der Bundesregierung aus dem Jahr 2017 (Externer Link: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/109/1810923.pdf).

(© picture-alliance/dpa)

Aber auch einige Gründungen aus den jüngeren Jahren können – allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz – der Bewegung der MB zugeordnet werden. Eine davon war die Sächsische Begegnungsstätte (SBS), die sich das religiöse Vakuum in den neuen Bundesländern und den Zuzug oft muslimischer Flüchtlinge zunutze machte. Geschäftsführer Saad Elgazar bekannte sich in sozialen Netzwerken mehrfach und deutlich zur MB und ihren Aktivitäten, scheut sich aber nicht, die problemlose Vereinbarkeit seiner Haltung zur Scharia mit dem "demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland" zu beteuern. Ebenso widersprüchlich ist die Selbstbezeichnung der SB als "multikulturelle Begegnungsstätte unabhängig von Ethnie, Nationalität und Sprache" bei gleichzeitiger Beschränkung des Logos auf ein einziges Symbol: eine grüne Moscheekuppel mit Halbmond. Im April 2019 erklärte die SBS ihre Auflösung; die Standorte seien nun mehr eigenständig, der Zweck damit erfüllt.

Das Netzwerk von Moscheen und religiösen Bildungsstätten wird ständig ausgebaut und spiegelt die Taktik, eine Bildungselite zur sukzessiven Durchdringung der Gesellschaft zu formieren. Das Europäische Institut für Humanwissenschaften (EIHW) mit Sitz in Frankfurt wird mit Khaled Hanafy und Taha Soliman Amer von zwei Absolventen der renommierten al-Azhar Hochschule in Kairo dominiert, die keine formelle Bindung zur MB aufweist, aber einen vergleichbar konservativen und Scharia-orientierten Islam lehrt. Nach Aufnahme des Lehrbetriebs im Jahr 2013 besteht aktuell die Möglichkeit, die arabische Sprache sowie ein siebensemestriges Islamstudium in arabischer Sprache zu absolvieren, ein spezifischer Studiengang zum Koran ist in Planung. Das EIHW gehört zum Verbund der Europäischen Institute für Humanwissenschaften (IESH), unterstützt und gefördert durch den europäischen MB-Dachverband FIOE, mit gegründet durch Khallad Swaid, erst zweiter, heute erster Vorsitzender der IGD/DMG; die einschlägigen Lehrpläne entstanden unter Mitwirkung von Yusuf al-Qaradawi. So kommt denn auch der reformorientierte Professor für Religionspädagogik Ednan Aslan nach einer sorgfältigen Untersuchung der Lehrinhalte zu einer sehr kritischen Einschätzung: "Der Unterricht orientiert sich am Islamverständnis des 8. und 9. Jahrhunderts […] Die Institute professionalisieren die Isolation und fördern Parallelgesellschaften." Da nimmt es nicht wunder, dass der hessische Verfassungsschutz deutliche Worte findet: "Als Schulungsstätte dient das EIHW der Verbreitung der MB-Ideologie und ist eine Kaderschmiede für MB- und IGD-Funktionäre." Im selben Geflecht ist auch der Deutsche Bund für den Edlen Koran in Kooperation mit der Arabischen Bildungsstätte in Grevenbroich zu verorten.

Taha Soliman Amer und Khaled Hanafy wechselten sich zugleich in den letzten Jahren im Vorsitz des Rats der Imame und Gelehrten in Deutschland (RIGD) ab. Gegründet 2000 in Frankfurt gehören dem Rat nach Eigenangaben bereits 2010 "mehr als 113 Imame als ordentliche Mitglieder und mehr als 50 Imame als assoziierte Mitglieder" an, wovon jeder etwa 1000 Gläubige betreue. Das würde eine Reichweite von 113.000, bei Einbezug der assoziierten Mitglieder gar 163.000 Personen bedeuten und zeigt zumindest, wie ambitioniert der RIGD ist und vorgeht. In einer Pressemitteilung zur israelischen Hauptstadtverlegung von Tel Aviv nach Jerusalem positioniert sich der RIGD deutlich mit der Diktion der Muslimbruderschaft und ihres palästinensischen Arms, der Hamas, und bezeichnet Jerusalem als Besitz der Muslime, Israel als Besatzungsmacht. Imame und Moscheegemeinden werden zu einer entsprechenden Ausrichtung der Freitagspredigt aufgefordert.

Über den Jahreswechsel 2018/19 setzte sich Khaled Hanafy (EIHW) mit 100 Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus dem Bundesgebiet in der Bildungs- und Begegnungsstätte Arnsberg mit dem Koran auseinander. In seinem Bericht bezieht er sich auf den mittelalterlichen Theologen Ibn Taimiya (1263-1328) und dessen Schüler Ibn Qayyyim (1292-1350); beide gelten als zentrale Referenzpersonen der hanbalitischen Rechtsschule wie des radikalen Salafismus.

Diese Bezugnahme ist nur ein Beispiel für ein sukzessives Verschwimmen der Grenzen zwischen MB und Salafismus, das sich in Ägypten bereits 2012 im Verfassungsentwurf von Präsident Mursi deutlich zeigte. In Deutschland ist die Annäherung unter anderem an der Kleidung und Barttracht zahlreicher Aktivisten in MB-nahen Institutionen wie an persönlichen Verbindungen und wechselseitigem Moscheebesuch festzumachen. Möglicherweise – so die Vermutung von Sicherheitsbehörden – können und wollen beide voneinander lernen: die Salafisten, wie man sich taktisch klüger verhält und damit unangreifbar macht, die Muslimbrüder, wie man besseren Zugang zu jungen Menschen findet.

Nach dem Sturz Mursis 2013 wurde der sogenannte ‚Rabia-Gruß‘ – vier ausgestreckte Finger einer Hand bei eingeklapptem Daumen – zum Erkennungszeichen der Gegendemonstranten und somit zum neuen Symbol der MB. Der türkische Präsident Erdoğan, ein Freund Mursis und Vorsitzender der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), gewährt zahlreichen in Ägypten von Repression bedrohten Muslimbrüdern Asyl in der Türkei und zeigt 2018 bei einem Staatsbesuch in Berlin den Rabia-Gruß. Analog zu dieser offensichtlichen Annäherung zwischen MB und türkischem Staatsislam nahmen im Januar 2019 führende Funktionäre der MB an der DITIB-Konferenz "II: Treffen der europäischen Muslime" in Köln teil: namentlich Hussein Mohammed Halawa, Generalsekretär des europäischen Fatwarates, sowie Multifunktionär Ibrahim al-Zayat, 2007 vom seinerzeit obersten Führer der MB Mohammed Mahdi Akif als "Chef der Muslimbrüder in Deutschland" bezeichnet, 2002 bis 2010 Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands und in mehreren MB-affinen Organisationen vernetzt.

Ibrahim al-Zayat, ehemaliger Präsident der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland, aufgenommen am 19.02.2006 in Berlin in einer Talkshow.

(© picture-alliance/dpa, dpaweb)

Seine Ehe mit der Nichte von Necmettin Erbakan wird häufig als Indiz für Verbindungen der MB zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) herangezogen; tatsächlich bestehen diese über persönliche Kontakte hinaus beispielsweise durch die Mitwirkung der IGMG im Europäischen Fatwarat. Die ideologische Nähe ist unübersehbar.

Die MB verfügt über ein breites Personengeflecht und Netzwerk von Strukturen in Deutschland und Europa, das deutlich über die genannten Protagonisten hinausgeht. Sie ist bestens gerüstet für ihre Agenda, islamische Bildung zu fördern, institutionell Einfluss zu nehmen und immer mehr Akzeptanz islamischer Normen in der deutschen Öffentlichkeit durchzusetzen. Besonderes Augenmerk widmet man auch dem Thema Islamkritik und der Schulung zum Umgang mit islamkritischen Argumenten; Ziel ist, jede kritische Anfrage an den Islam als islamfeindlich oder rassistisch zu kategorisieren und zu unterbinden.

In Ländern, in denen die MB als islamistische Organisation bekannt ist und eventuell auch beobachtet wird, wird eine unterstützende Nähe zur Bewegung anstelle einer formalen Mitgliedschaft als zielführend ausdrücklich empfohlen und eine Leugnung aller Verbindungen zur MB, wie sie in Deutschland gemeinhin praktiziert wird, zumindest gebilligt. Glaubwürdig ist eine Leugnung der Nähe zur MB nur, wenn man diese Bezüge offen bekennt und sich dann begründet und explizit von der Ideologie und den führenden Denkern der MB distanziert. Davon kann allerdings keine Rede sein. In Wirklichkeit bleibt die MB wohl in all ihren Verzweigungen dem uneingeschränkten und ausschließlichen Bekenntnis zur Religion treu, getreu dem Slogan der Bewegung: "Der Islam ist die Lösung."

Literatur

Al-Anani, Khalil: Inside the Muslim Brotherhood. 2016.

Bausback, Winfried und Linnemann, Carsten (Hg.): Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland: Wie wir unsere freie Gesellschaft verteidigen. 2019.

Frampton, Martyn: The Muslim Brotherhood and the West: A History of Enmity and Engagement. 2018.

Johnson, Ian: Die vierte Moschee: Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus. 2011.

Meijer, Roel: Muslim Brotherhood in Europe. 2012.

Mellor, Noha: Voice of the Muslim Brotherhood. 2017.

Ranko, Annette: Die Muslimbruderschaft: Porträt einer mächtigen Verbindung. 2014.

Schmidt-Salomon, Michael: Die Grenzen der Toleranz: Warum wir die offene Gesellschaft verteidigen müssen. 2016

Wöhler-Khalfallah, Khadija Katja: Islamischer Fundamentalismus: Von der Urgemeinde bis zur Deutschen Islamkonferenz. 2010.

Dr. Rita Breuer ist Islamwissenschaftlerin. Nach ihrer Promotion an der Universität Freiburg im Jahr 1991 war sie über zehn Jahre in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit tätig mit Feldforschungen im Nahen und Mittleren Osten, Afrika und Asien. In Forschung, Lehre und Publikationen befasst sie sich seit vielen Jahren mit dem Islam in der Gegenwart; Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Familie und Gesellschaft, religiöse Minderheiten, islamisches Recht, Islamismus und islamischer Modernismus. Zuletzt erschienen von ihr "Im Namen Allahs? Christenverfolgung im Islam" (2015) und "Liebe Schuld und Scham. Sexualität im Islam" (2016).