Islamistische Gruppen in Deutschland
Darstellung und Einschätzung zu Bedeutung und Gefahrenpotential
Prof. Dr. Armin Pfahl-TraughberArmin Pfahl-Traughber
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Laut Verfassungsschutzbericht 2010 sind in Deutschland 37.470 Personen in 29 islamistischen Gruppen organisiert. Es gibt gewaltgeneigte, vor allem aber legalistische Gruppen, die durch Politik und Sozialarbeit Einfluss nehmen wollen. Ein Überblick.
Einleitung und Fragestellung
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 richtete sich das öffentliche Interesse auch in Deutschland auf die islamistischen Bestrebungen im eigenen Land. Dabei konzentrierte man sich auf die gewalttätige Dimension, ohne andere Erscheinungsformen des Islamismus in den muslimisch geprägten Teilen der Gesellschaft näher zu untersuchen. Für die Islam- und Sozialwissenschaften lässt sich diese Einschätzung durch das Fehlen einschlägiger Bücher und Studien belegen, sieht man einmal von den wenigen Ausnahmen in diesem Bereich ab. Kontinuierlich und systematisch fand das Agieren islamistischer Bestrebungen lediglich durch die Sicherheitsbehörden und hier wiederum die Verfassungsschutzbehörden kritische Aufmerksamkeit. Letztere veröffentlichen über die ihnen vorgeordneten Ministerien bzw. Senate jährlich Berichte, worin aktuelle Daten und Entwicklungen präsentiert wurden. Sie dienen auch hier dazu, die Bedeutung und das Gefahrenpotential islamistischer Organisationen in Deutschland darzustellen und einzuschätzen.
Islamismus – Definition und Typologie
"Islamismus" steht als Sammelbezeichnung für alle politischen Auffassungen und Handlungen, die im Name des Islam eine religiös begründete Gesellschafts- und Staatsordnung im erklärten Gegensatz zu den Normen und Regeln eines demokratischen Verfassungsstaates durchsetzen wollen. Dies bedeutet die Aufhebung einer Trennung von Religion und Staat und die nationale oder weltweite Etablierung eines islamischen Staates. Idealtypisch lassen sich einschlägige Organisationen über den genutzten Handlungsstil folgenden Richtungen zuordnen: erstens den gewaltgeneigten und zweitens den legalistischen Formen. Letztere können wiederum in Bestrebungen auf dem Feld der "Politik" mit einschlägigen Parteien und dem Feld der "Sozialarbeit" mit entsprechenden Organisationen unterschieden werden. Bei den gewaltgeneigten Gruppen lassen sich "regional" begrenzte und "transnational" orientierte Strömungen, also auf Anschläge lediglich in ihren Herkunftsländern oder auch in anderen Ländern ausgerichtete Tendenzen ausmachen.
Entwicklung und Zusammensetzung des islamistischen Personenpotentials
Nach den Angaben der Verfassungsschutzbehörden bestehen gegenwärtig (Stand: Ende 2010) 29 bundesweit aktive islamistische Gruppen mit 37.470 Mitgliedern bzw. Anhängern, womit man es mit einer leichten Steigung im Vergleich zum Vorjahr (2009: 36.270 Personen) zu tun hat. Demnach würde bei einem Anteil von drei bis vier Millionen Muslimen in Deutschland um ein Prozent von ihnen derartigen Organisationen angehören. Dies klingt zunächst einmal nach "wenig". Stellt man sich gleichwohl vor, ein Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung würde im Links- oder Rechtsextremismus organisiert sein, so hätte man es durchaus mit einer überaus bedeutenden politischen Kraft zu tun. Der Großteil der erwähnten 37.470 Personen gehört legalistisch ausgerichteten Bestrebungen an. Darüber hinaus ist er stark türkischen Ursprungs, was sich mit den hohen Anteilen von Muslimen aus der Türkei erklärt. Der dortige Islamismus ist aufgrund seiner parteipolitischen Orientierung im Unterschied zum arabischen Islamismus mehr legalistisch und weniger gewaltgeneigt ausgerichtet.
Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs": Entstehung und Ideologie
Die mit Abstand bedeutsamste islamistische Organisation diesen Typs ist die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG), die als Ableger der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei und deren parteipolitischen Organisationen anzusehen ist. Deren Begründer Necmettin Erbakan (1926-2011) wandte sich mit den Schlagworten "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung") und "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") gegen das kemalistisch-laizistisch geprägte politische System in der Türkei und strebte dessen Überwindung zugunsten einer islamisch geprägten staatlichen Ordnung an. Dazu engagierte Erbakan sich einerseits parteipolitisch in seinem Heimatland (zuletzt in der "Saadet Partisi" [SP] ["Partei der Glückseligkeit"]) und forderte andererseits eine Islamisierung Europas durch muslimische Einwanderung. Im letztgenannten Kontext kamen seine Anhänger auch nach Deutschland, wo sie sich 1985 in der "Avrupa Milli Görüs Teskilati" (AMGT) ("Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa") und ab 1995 in der daraus hervorgegangenen IGMG organisierten.
Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs": Handlungen und Strukturen
Nicht Parteipolitik, sondern Sozialarbeit stand und steht im Zentrum ihrer Aktivitäten. Dazu dienen weitverzweigte Strukturen: Neben den Organisationen auf Bundes-, Regional- und Ortsebene existiert eine Reihe von zielgruppenorientierten Einrichtungen für Akademiker, Frauen, Jugendliche oder Studenten. Hinzu kommen zahlreiche Bildungs- und Sozialeinrichtungen, die fachliche wie religiöse Schulungen abhalten und Beratungs- wie Unterstützungsdienste bei Alltagsproblemen organisieren. Den Unterhalt dieser Arbeit bestreitet die IGMG aus ihren erheblichen Finanzmitteln. Deren Einsatz in der beschriebenen Form erfolgt nicht ohne politische Hintergedanken, geht es dabei doch um die Integration und Politisierung der Anhänger und Mitglieder im beschriebenen Sinne. Die sozialen Aktivitäten bewirken dabei häufig eine Abschottung gerade auch von jüngeren Muslimen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, gelten doch deren tragende Prinzipien wie Individualität, Pluralismus und Säkularität als Ausdruck eines unislamischen und verwerflichen Denkens.
Kontroverse Einschätzungen der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs"
Bis Mitte der 1990er Jahre plädierte die IGMG offen für ein islamistisches Gesellschafts- und Staatsverständnis: Es könne nur eine Partei Allahs und nicht mehrere Parteien geben. Herrschaft sei göttlichen Ursprungs und nicht vom Volk legitimiert. Seit Mitte der 1990er Jahre lassen sich derart scharfe Töne in den Erklärungen der IGMG nur noch selten ausmachen. Offiziell distanzierte man sich von früheren antisemitischen Haltungen oder theokratischen Positionen. Ob dies für das Ergebnis eines politischen Lernprozesses oder das Resultat strategischer Rücksichtnahmen steht, wird unterschiedlich bewertet. Während eine apologetische Auffassung von einem "Postislamismus" (Schiffauer) spricht, geht eine kritische Sicht vom Fortbestehen islamistischer Prägungen (Kandel) aus. Angesichts des Fehlens einer selbstkritischen Auseinandersetzung der IGMG mit ihren Grundpositionen spricht vieles noch für die letztgenannte Auffassung, ist ein wirklicher Bruch mit der islamistischen "Mutterorganisation" in der Türkei doch nicht erkennbar.
Die "Muslimbruderschaft" und der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland"
Bezogen auf die Anhängerzahl kann die "Muslimbruderschaft" mit der ihr nahestehenden "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland" (IGD) als zweitgrößte islamistische Bestrebung gelten, gehören ihr doch um die 1.300 Muslime meist aus dem arabischen Raum an. Aus der "Muslimbruderschaft" ging der Islamismus als politische Bewegung ab 1928 hervor. Im Laufe ihrer Existenz breiteten sich ähnliche Gruppen zunächst im Nahen Osten, dann aber auch in Westeuropa aus. Bereits in den 1950er Jahren entstanden in vielen Städten "Islamische Zentren", wovon das "Islamische Zentrum München" (IZM) die in Deutschland bedeutsamste Einrichtung wurde. Über derartige Einrichtungen bildete sich durch persönliche Verbindungen ein Netzwerk von Instituten, Moscheen und Verbänden. Mitunter treten in ihnen Gast-Imane mit eindeutig antisemitischen und islamistischen Positionen auf. Solche und andere Aktivitäten der IGD dienen der Politisierung von Muslimen, um einschlägige Auffassungen eine größere Breitenwirkung zu ermöglichen.
Einfluss auf und in islamischen bzw. muslimischen Dachverbänden
Dafür ist es aus Sicht derartiger Organisationen auch wichtig, dass man sowohl innerhalb der muslimischen Gemeinde als auch gegenüber der breiten Mehrheitsgesellschaft als Interessenvertreter der Gläubigen wahrgenommen wird. Über personelle Präsenz und Verbindungen spielt die IGMG im "Islamrat" und die "Muslimbruderschaft" im "Zentralrat der Muslime" eine wichtige Rolle. Zwar sind beide Dachverbände weder bei den Anhängern des Islam in Deutschland mehrheitlich verankert noch von ihnen demokratisch legitimiert. Gleichwohl treten sie angesichts des Fehlens liberaler Organisationen zur Interessenvertretung für Muslime öffentlich als deren angebliche Repräsentanten auf. Dadurch können die IGMG und die "Muslimbruderschaft" unter Berufung auf die Religionsfreiheit für ihre eigenen politischen Interessen werben: Es geht dabei jeweils um eine angebliche Bewahrung islamischer Identität, die aber in der Alltagspraxis in die Etablierung von "islamistischen Parallelwelten" mit Vorgaben für die Kleidung bis zum Sozialverhalten münden würde.
Aktivitäten der Anhänger der "Hamas" und der "Hizb Allah" in Deutschland
Während Angehörige der vorgenannten beiden islamistischen Gruppen gegenwärtig Gewalt als Handlungsstil sowohl bezogen auf Deutschland wie auf ihre Heimatländer ablehnen, gilt dies nicht für die Anhänger der palästinensischen "Hamas" ("Harakat al-Muqawama al-Islamiya", "Islamische Widerstandsbewegung") und der libanesischen "Hizb Allah" ("Partei Gottes"). Für die Auseinandersetzung mit Israel treten Beide nicht nur für Gewalt, sondern auch für Selbstmordattentate ein. Die 300 Anhänger der "Hamas" und die 900 Anhänger der "Hizb Allah" neigen aber in Deutschland nicht zu einschlägigen Handlungen. Vielmehr wollen sie die "Mutterorganisationen" in ihren Heimatländern finanziell und propagandistisch unterstützen. Hierzu gehören die Gewinnung neuer Anhänger, die Sammlung von Spendengeldern oder die Teilnahme an Demonstrationen. Für Letzteres steht etwa die Mobilisierung zum alljährlichen "al-Quds-Tag" ("Jerusalem Tag"), wo mit antisemitischen und israelfeindlichen Parolen zur "Befreiung" Jerusalems aufgerufen wird.
Salafistische Bestrebungen in Deutschland mit unterschiedlichen Handlungsstilen
Besondere Aufmerksamkeit fanden in letzter Zeit salafistische Bestrebungen in Deutschland, ein keineswegs organisatorisch homogenes Phänomen. Die Bezeichnung "Salafismus" steht für eine Interpretation des Islam, die sich in Glaube wie Lebensführung ausschließlich und rigoros an den angeblichen Vorgaben der Frühzeit der Religion ausrichten will. Bei einem gewissen Teil der Salafisten beschränkt sich diese Auffassung auf eine entsprechende Deutung des Islam ohne politisches Engagement. Ein größerer Teil tritt für die Etablierung eines islamischen Staates ein, worin das Leben der Menschen sich ganzheitlich an den angeblich gottgegebenen Normen auszurichten hätte. Dafür werben etwa die Aktivisten des Vereins "Einladung zum Paradies" (EZP) oder das Umfeld der Internetplattform "Die Wahre Religion" (DWR) durch Infostände, Interneteinstellungen, Kundgebungen oder Seminare. Offiziell distanziert man sich von Gewaltanwendung und Terroristen, liefert aber mit der propagierten Ideologie vielen Jihadisten eine politische und religiöse Legitimation.
Verbotene islamistische Organisationen "Hizb ut-Tahrir" und "Kalifatsstaat"
Gegen einzelne islamistische Organisationen ergingen seit 2001 auch Betätigungsverbote, meist, weil sich deren hetzerische Agitation gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtete. Dabei handelt es sich beispielsweise um den "Kalifatsstaat" (Hilafet Devieti"), eine frühere Abspaltung der IGMG, die den gemäßigteren Kurs ihrer "Mutterorganisation" nicht mittragen wollte. 2001 und 2002 kam es zu Vereinsverboten gegen insgesamt 36 Teilorganisationen des "Kalifatsstaates". Ebenfalls von solchem staatlichen Vorgehen betroffen war 2003 die "Hizb ut-Tahrir" (HuT, "Partei der Befreiung"), die sich als panislamisch ausgerichtete politische Partei definiert und einen weltweiten islamischen Staat unter Führung eines Kalifen anstrebt. Begründet wurde das Verbot vom Bundesministerium des Innern u.a. mit dem Verweis darauf, dass die HuT Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele befürwortet. Obwohl die ehemaligen Mitglieder (750 des "Kalifatsstaats", 300 der HuT) sich öffentlich zurückhalten, wirken viele Aktivisten weiterhin propagandistisch.
Aktivitäten von Anhängern der al-Qaida in Deutschland
Im Unterschied zu den vorgenannten Gruppen geben sich Anhänger eines international operierenden islamistischen Terrorismus aufgrund ihres Handlungsstils keine festeren Organisationsstrukturen. Vielmehr hat man es mit lockeren Personenzusammenschlüssen im Sinne von Netzwerken zu tun. Es kann sogar Einzeltäter ohne Gruppenkontext geben, üblicher sind aber eher eigenständige Kleingruppen oder Zellenstrukturen mit einer Anbindung an islamistische Organisationen im Ausland. Letzteres gilt etwa für die Anhänger von "al-Qaida" ("Die Basis") in Deutschland. Betrachtet man die Festnahmen und Verurteilungen von deren Aktivisten, so konzentriert sich ihre Tätigkeit vor allem auf die Anwerbung neuer Anhänger und die Unterstützung im finanziellen und logistischen Sinne. Im erstgenannten Bereich geht es vor allem um die Rekrutierung von Personen, die in Ausbildungslagern von "al-Qaida" im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet ideologisch und militärisch zur Vorbereitung potentieller Gewaltakte geschult werden.
Aktivitäten von Anhängern der "Islamischen Jihad-Union" in Deutschland
Besondere Bedeutung erlangten in den letzten Jahren Aktivitäten der "Islamischen Jihad-Union" (IJU) in Deutschland. Die 2002 entstandene Gruppierung hatte sich mit ihren Forderungen zunächst auf die Errichtung eines islamischen Staates in Usbekistan beschränkt, dann aber ihre Zielsetzung in Richtung eines globalen "Jihad" ausgeweitet. Auch die vier Aktivisten der "Sauerland-Gruppe", die 2006 in pakistanischen Lagern ausgebildet wurden und 2007 Sprengstoffanschläge größerer Intensität in Deutschland planten, gehörten zur IJU. Für sie warben auch andere Islamisten in Deutschland, um Mitglieder und Unterstützter zu gewinnen. In diesem Kontext spielen auch die "Deutschen Taliban Mujahideen" eine Rolle: Hierbei handelt es sich um eine kleine Gruppe, die sich insbesondere aus deutschen Konvertiten und türkischstämmigen Deutschen zusammensetzt. Zu ihren bekanntesten Angehörigen zählte der Konvertit Eric Breininger, der in deren Internet-Einstellungen für den "Jihad" warb und 2010 im Kampf mit pakistanischen Truppen getötet wurde.
Einschätzung des Gefahrenpotentials der gewaltgeneigten Islamisten
Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass rund 220 Personen mit Deutschland-Bezug über einen terroristischen Hintergrund verfügen und seit Beginn der 1990er Jahre eine einschlägige Ausbildung in Lagern im Grenzgebiet Afghanistan/Pakistan erhielten. Der damit angesprochene Personenkreis stellt ein besonderes Sicherheitsrisiko dar, wurden dessen Angehörigen doch für mögliche Anschläge geschult. Darüber hinaus entstanden in Deutschland und anderen Ländern "Homegrown"-Netzwerke mit Aktivisten, die in den jeweiligen Ländern entweder als Angehörige muslimischer Einwanderer aufwuchsen oder als Einheimische zum Islam mit islamistischer Ausrichtung konvertierten. Solche Personen können sich hinsichtlich ihrer Bereitschaft zur Gewaltanwendung relativ eigenständig radikalisieren, ohne unbedingt im Kontext jihadistisch ausgerichteter Netzwerke aufgefallen zu sein. Exemplarisch dafür stehen die gescheiterten "Koffer-Bomber" von Köln von 2006. Aus all diesen Personenkreisen kann es zu terroristischen Anschlägen kommen.
Einschätzung des Gefahrenpotentials der legalistischen Islamisten
Das Gefahrenpotential des legalistischen Islamismus muss demgegenüber auf einer ganz anderen Ebene ausgemacht werden: Die damit gemeinten Gruppen und Organisationen sehen zumindest gegenwärtig in der Gewaltanwendung keine akzeptable Handlungsform. Mitunter gingen islamistische Terroristen in ihrer "politischen Biographie" anfänglich einen kurzen Weg in solchen Strukturen. Sie mögen dabei bezüglich der Politisierung in Richtung des Islamismus, nicht aber hinsichtlich der Neigung zur Gewaltanwendung eine Rolle gespielt haben. Das Gefahrenpotential besteht mehr in der langfristigen Folgewirkung der von legalistischen Islamisten angestrebten Politisierung, die zu einer Störung des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und religiöser Orientierung führen würde. Die islamistische Ausrichtung verhindert die Integration in die Gesellschaft und lässt eine abgeschottete Gegen-Gegesellschaft entstehen. In ihr hätten sich individuelle Freiheiten und Rechte der als einzig wahr geltenden Religion unterzuordnen.
Schlusswort und Zusammenfassung
Aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive besteht hierin das größere Gefahrenpotential: Anschläge von islamistischen Terroristen haben mitunter viele Menschen das Leben gekostet. Gleichwohl beeinflussten derartige Handlungen nicht den Kern des sozialen Zusammenhalts. Finden islamistische Positionen aber in Form von Einstellungen, Mentalitäten und Orientierungen immer stärkeren Rückhalt unter der anwachsenden Minderheit der Muslime, so stünde damit ein innergesellschaftlicher Konflikt mit hohen destruktiven Potentialen auf der Tagesordnung. Gegenüber Ansprüchen und Segregation auf der einen Seite dürfte es zu Abwehrhaltungen und Ressentiments auf der anderen Seite kommen. Eine derartige Auseinandersetzung würde den Bestand von Kernprinzipien einer offenen Gesellschaft gefährden. Insofern bedarf es bei der Auseinandersetzung mit dem Islamismus nicht nur der einseitigen Fixierung auf seine gewalttätige Dimension, sondern auch der stärkeren Beachtung seiner gesellschaftlichen Wirkung.
Literatur
Bundesministerium des Innen (Hrsg.): Islamismus, Berlin 2003.
Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2010, Berlin 2011. Clement, Rolf/Paul Elmar Jöris: Die Terroristen von nebenan. Gotteskrieger aus Deutschland, München 2010.
Kandel, Johannes: Islamismus in Deutschland. Zwischen Panikmache und Naivität, Freiburg 2011.
Pfahl-Traughber, Armin: Vom Aufbau von Parallelgesellschaften bis zur Durchführung von Terroranschlägen. Das Gefahren- und Konfliktpotenzial des Islamismus in Deutschland, in: Mathias Hildebrandt/Manfred Brocker (Hrsg.): Unfriedliche Religionen? Das politische Gewalt- und Konfliktpotenzial von Religionen, Wiesbaden 2005, S. 153-177.
Ramelsberger, Annette: Der deutsche Dschihad. Islamistische Terroristen planen den Anschlag, Berlin 2008.
Schiffauer, Werner: Nach dem Islamismus. Eine Ethnographie der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, Berlin 2010.
Dipl.-Pol., Dipl.-Soz., Jg. 1963, ist hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes in Brühl mit den Schwerpunkten Extremismus und Ideengeschichte, Lehrbeauftragter an der Universität zu Bonn mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Herausgeber des seit 2008 erscheinenden Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung (Brühl).
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