Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Gewalt im Namen der Götter? | Islamismus | bpb.de

Islamismus Was heißt Islamismus? Islamologie: sozialwissenschaftliche Erforschung islamischer Realitäten Erklärfilm: Was heißt Islamismus? Frauen- und Queerfeindlichkeit Dschihad zwischen Frieden und Gewalt Islamismus - Was ist das überhaupt? Begriffsbestimmung Salafiya-Bewegung Endzeitvisionen Islam und Recht Antisemitismus im Islamismus Antisemitismus in der Charta der Hamas Dschihadismus Ideologie, Gruppen und Strömungen Die Taliban Die Muslimbruderschaft in Deutschland Die Muslimbruderschaft Orte der islamistischen Radikalisierung Die Rolle der Frauen im Islamismus Die Spaltung des Jihad-Salafismus in Syrien Die Dschihad-Subkultur im Westen Syrien-Ausreisende und -Rückkehrer Der "Islamische Staat": Interne Struktur und Strategie Der Islamische Staat im Irak und Syrien (ISIS) Dschihadistische Nachwuchswerbung 2.0 Die Salafiyya – eine kritische Betrachtung Die Salafiyya-Bewegung in Deutschland Islamisten im Arabischen Frühling Iran als Unterstützer islamistischer Gruppen Dschihadismus im Internet Islamistische Gruppen in Deutschland Al-Qaida Hamas Hisbollah Selbstmordattentäter Gottesstaat Iran Südostasien Virtueller Jihad Interview Münkler Interview Schneckener Dem Islamismus begegnen Verzerrtes Normalitätsempfinden und toxische Toleranz Gewalt im Namen der Götter? Muslimische Verbände und Moscheegemeinden Prävention und Deradikalisierung Psychologische Faktoren der Radikalisierung Wie mit gefährdeten Jugendlichen umgehen? Terrorismus in den Medien Islamismus – ein Gegenstand für Schule und Unterricht? Der Umgang mit IS-Rückkehrerinnen Radikalisierung und Prävention bei Flüchtlingen Podcast: Bilals Weg in den Terror Leitkultur als Integrationskonzept – revisited Salafistische Radikalisierung Islamismus in der Schule Folgen des 11. September Jugendorganisationen Reaktionen des Rechtsstaats Medien Interview Theveßen Islamismus und Jugendkultur Erklärfilme Redaktion

Gewalt im Namen der Götter? Gewaltlegitimierende Verse in religiösen Schriften steigern die Unterstützung für tödliche religiöse Gewalt

Ruud Koopmans Eylem Kanol

/ 13 Minuten zu lesen

Religiös-fundamentalistische Einstellungen werden häufig als ein wichtiger Erklärungsfaktor für extremistische Gewalt betrachtet. Empirische Belege sind aber rar. Um die Rolle gewaltlegitimierender Schriftverse zu untersuchen, haben die WZB-Forscher Ruud Koopmans und Eylem Kanol ein Umfrageexperiment unter gut 8.000 christlichen, muslimischen und jüdischen Befragten in sieben Ländern durchgeführt.

Bibel, Koran, Thora (© picture-alliance, Godong)

Zusammenfassung

Um Anhänger zu mobilisieren und ihre Handlungen zu rechtfertigen, beziehen sich religiöse Extremisten oft auf Schriftverse, die Gewalt gegen vermeintliche Glaubensfeinde legitimieren. Ob diese eine echte motivierende und mobilisierende Kraft besitzen, ist umstritten. In einem Umfrageexperiment unter 8.000 christlichen, muslimischen und jüdischen Gläubigen in sieben Ländern in Europa, Nordamerika, dem Nahen Osten und Afrika haben wir untersucht, ob gewaltlegitimierende Schriftverse die Unterstützung für religiöse Gewalt tatsächlich steigern können. Die Ergebnisse zeigen, dass, wenn Personen mit ähnlichen gewaltlegitimierenden Zitaten aus der Bibel, Thora oder dem Koran konfrontiert werden, sie religiöse Gewalt signifikant stärker unterstützen. Die Zustimmung für religiöse Gewalt steigt am deutlichsten unter Personen mit einer fundamentalistisch geprägten Glaubensauffassung. Die Erkenntnis, dass gewaltverherrlichende Schriftstellen eine bedeutsame Rolle bei der Gewaltunterstützung zukommt, sollte zu einem Umdenken in der Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit führen, in der religiöse Ursachen und Motivationen bisher unterbelichtet geblieben sind.

Einführung

Der 11. September 2001 war der Anfang einer Terrorwelle, wie die Welt sie bisher noch nie gesehen hatte. In den zwanzig Jahren seit den Anschlägen auf die Twin Towers und das Pentagon kamen bei weltweit über 90.000 Terroranschlägen mehr als 180.000 Zivilisten ums Leben. Die tödlichsten Terrorgruppen dieser Welle gehören zur Kategorie des islamistischen Extremismus, darunter Al-Qaida und der sogenannte Islamische Staat, die Taliban, Al Shabaab und Boko Haram. Angriffe von christlichen Extremisten, wie der ugandischen Lord's Resistance Army, forderten auch Opfer. Viele der tödlichen Terroranschläge in Westeuropa wurden ebenfalls im Namen der Religion verübt. Tausende von jungen Menschen sind außerdem aus Europa nach Syrien, in den Irak und in geringerer Zahl nach Afghanistan, Pakistan, Tschetschenien und Somalia gereist, um sich islamistischen Terrorgruppen anzuschließen.

Doch was ist genau religiös an religiös motivierter Gewalt? Diese scheinbar einfache Frage ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung wirksamer Gegenstrategien, aber die Antwort ist umstritten. Fest steht, dass religiöse Extremisten sagen, dass sie sich aus religiösen Quellen haben inspirieren lassen und dass sie bei ihren Versuchen, Anhänger zu mobilisieren, häufig aus religiösen Schriften zitieren. Der jüdische religiöse Extremist und Mörder des israelischen Premierministers Yitzhak Rabin, Yigal Amir, sagte zum Beispiel in seiner Prozesserklärung, dass er sich von der biblischen Geschichte von Jael inspirieren ließ, die den philistischen Kriegsherrn Sisera tötete (Peri 2000). Amerikanische christliche Extremisten, die Abtreibungskliniken oder FBI-Gebäude angriffen, beriefen sich häufig auf den Priester Phineas, der tötete, um unmoralische Handlungen zu verhindern (Pratt 2010). In der „Dschihad-Erklärung an die Amerikaner, die das Land der zwei heiligen Stätten besetzen“, die im August 1996 von Al-Qaida veröffentlicht wurde, zitierte Osama Bin Laden zahlreiche Verse aus islamischen Schriften, darunter diese: „Und wenn die verbotenen Monate verflossen sind, dann tötet die Götzendiener, wo ihr sie trefft, und ergreift sie, und belagert sie, und lauert ihnen auf in jedem Hinterhalt“ [Al Tawbah: 5].

Viele Wissenschaftler stehen der Vorstellung, dass religiöse Motivationen eine kausale Rolle bei der Erklärung religiöser Gewalt spielen können, skeptisch gegenüber. Vielmehr verweisen sie auf wirtschaftliche Missstände, politische Marginalisierung oder psychologische Traumata als herausragende Determinanten (siehe z.B., Gurr 2006, Mousseau 2011; Piazza 2011, Pargeter 2009, della Porta 2013, Speckhard und Ahkmedova 2006). Bisher sind vor allem Religionssoziologen eher bereit gewesen, religiöse Ideologien, insbesondere in ihrer fundamentalistischen Auslegung, als eine Hauptmotivationskraft zu betrachten (z.B. Bruce 2000). Diese Debatte ist mit Daten aus biografischen Interviews oder Bevölkerungsumfragen schwer zu lösen, da es schwierig ist, tatsächliche Motivationen von den nachträglichen Rechtfertigungen zu unterscheiden (Dawson 2019: 78). Experimentelle Studien sind besser geeignet, einen kausalen Zusammenhang zu belegen. So haben Bushman et al. (2007) gezeigt, dass Christen, die biblischen Darstellungen von Gewalt ausgesetzt sind, mit höherer Wahrscheinlichkeit aggressives Verhalten zeigen. Unsere Studie ist nach unserem Kenntnisstand die erste, die diese experimentelle Herangehensweise sowohl auf alle drei abrahamitischen Religionen als auch auf einer breiten internationalen Datengrundlage anwendet und somit belastbare Aussagen über den Einfluss von gewaltlegitimierenden Schriftversen auf die Unterstützung von Gewalt erlaubt. Außerdem fragen wir, ob Anhänger der drei monotheistischen Religionen ähnlich auf Gewaltaufrufe aus den heiligen Schriften reagieren, und ob sich deren Wirkung nach dem Glaubenswissen und der Glaubensauslegung der Befragten unterscheidet.

Der Idee folgend, dass Gewalt dem wahren Wesen der Religion widerspricht, wird öfter behauptet, dass Gewalttäter und -befürworter vor allem unter denjenigen zu finden sind, die weniger Kenntnisse über den Inhalt der heiligen Schriften haben (z. B. Wiktorowicz 2005; Neo et al. 2017). Empirische Belege zu dieser Frage sind selten, meist nicht-experimentell und unschlüssig. Fair, Goldstein und Hamza (2017) untersuchten die Rolle des Wissens über den Islam – gemessen anhand von Sachfragen zu religiösen Schriften und Lehren, die eindeutig zu beantworten sind – unter pakistanischen Muslimen und fanden heraus, dass mehr Wissen, wenn auch nicht sehr stark, mit einer geringeren Unterstützung für verschiedene islamistische militante Gruppen zusammenhing. Auf der Grundlage von Tiefeninterviews und Langzeitbeobachtungen von IS-Aktivisten zeigt Wood (2019) jedoch, dass diese häufig über detaillierte Kenntnisse des Korans und anderer religiöser Quellentexte verfügen, die sie zur Legitimation ihrer apokalyptischen Version des Islamismus nutzen. Indem wir die Rolle von religiösem Wissen über verschiedene religiöse Gruppen und Kontexte hinweg untersuchen, wollen wir belastbarere Evidenz zu der Frage liefern, ob Gläubige, die mehr über den Inhalt der Schriften wissen, eher mehr oder weniger von gewaltlegitimierenden Mobilisierungsversuchen beeinflusst werden.

Religiös-fundamentalistische Einstellungen werden häufig als ein wichtiger Erklärungsfaktor für extremistische Gewalt betrachtet, aber empirische Belege sind auch hier rar. Die bisherige Forschung hat sich hauptsächlich auf den christlichen Fundamentalismus konzentriert und festgestellt, dass dieser stark mit negativen Einstellungen gegenüber anderen Gruppen wie Homosexuellen (z.B. Laythe et al. 2002), Anhängern anderer Religionen (z.B. Glock & Stark 1966; Altermeyer 2003) oder ethnischen Minderheiten (z.B. Eisinga, König & Scheepers 1995) verbunden ist. Eine kleinere Anzahl von Studien hat diesen Zusammenhang auch unter Muslimen festgestellt (z.B. Hunsberger, Owusu & Duck 1999; Koopmans 2015). Zum Zusammenhang zwischen Fundamentalismus und Gewaltbefürwortung fehlen aber rigorose empirische Untersuchungen. Es scheint jedoch plausibel, dass die feindseligen Einstellungen gegenüber Anderslebenden und Andersgläubigen, die stark mit Fundamentalismus assoziiert sind, die Hemmschwelle zur Unterstützung von Gewalt gegen jene Menschen senken. Außerdem ist eines der definierenden Merkmale des Fundamentalismus der Glaube an die wörtliche Auslegung der Schrift (Altemeyer und Hunsberger 1992: 118). Wir erwarten daher, dass religiöse Fundamentalisten besonders anfällig für Mobilisierungsversuche sind, die biblische oder koranische Legitimationen für die Anwendung von Gewalt hervorheben.

Forschungsstrategie und -daten

Um die Rolle gewaltlegitimierender Schriftverse zu untersuchen, haben wir ein Umfrageexperiment unter gut 8.000 christlichen, muslimischen und jüdischen Befragten in sieben Ländern – den Vereinigten Staaten, Deutschland, Zypern, Libanon, Israel, Palästina und Kenia – durchgeführt. Die Religionszugehörigkeit der Befragten wurde anhand der Frage „Welcher Religion gehören Sie an?" ermittelt. Am Ende der Umfrage wurden die Befragten nach dem Zufallsprinzip einer Experimental- oder einer Kontrollbedingung zugewiesen. Die Befragten in der Experimentalgruppe wurden mit einem gewaltlegitimierenden Schriftzitat konfrontiert. Dieses Zitat basierte auf zwei ähnlichen Versen, die in der Bibel und dem Thora-Buch Deuteronomium (Vers 17: 2-5) und im Koran Sure 5, Al Mai'dah (Vers 33) zu finden sind. Das Zitat lautet folgendermaßen: „Laut dem [für christliche Befragte: Bibel Buch Deuteronomium / für jüdische Befragte: Thora Buch Deuteronomium / für muslimische Befragte: Koran, Sure 5, Al Ma'idah] sollten diejenigen, die in den Augen Gottes Unheil stiften und Böses tun, getötet werden“. In der Kontrollgruppe wurden die Befragten nicht auf eine Schriftquelle hingewiesen. Sowohl in der Experimental- als in der Kontrollgruppe wurde dann gefragt: „Was denken Sie persönlich? Sollten Menschen, die in den Augen Gottes Unheil stiften und Böses tun, getötet werden?“ Die Antwortmöglichkeiten reichten auf einer 5-Punkte-Likert-Skala von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „stimme voll zu“. Durch den Vergleich der Ergebnisse in den Experimental- und Kontrollgruppen testen wir, ob der Verweis auf eine gewaltlegitimierende Schriftstelle die Unterstützung der Befragten für die Anwendung von religiöser Gewalt erhöht.

Das religiöse Wissen wird anhand der Anzahl der richtigen Antworten auf drei Multiple-Choice-Fragen zum Inhalt von Bibel, Thora und Koran gemessen, die eindeutige richtige Antworten haben. Eine davon, der Name des Sohnes, den Gott Abraham zu opfern aufforderte, war allen drei Religionen gemeinsam; die beiden anderen Fragen waren religionsspezifisch. Zum Beispiel fragten wir Christen, was an Pfingsten geschah, und Muslime, wo der Mi'raj (Mohammeds Aufstieg in den Himmel) stattfand. Religiöser Fundamentalismus messen wir anhand einer Skala, die sich aus acht bewährten Fragen zusammensetzt. Darunter sind Fragen über die wörtliche Auslegung der heiligen Schriften, die Überlegenheit des eigenen Glaubens und der Vorrang religiöser Vorschriften vor säkularen Gesetzen. Es ist wichtig zu beachten, dass die Anwendung von Gewalt als Mittel zur Erreichung religiöser Ziele weder in der Definition von Fundamentalismus noch in den Items, mit denen er gemessen wird, enthalten ist.

Ergebnisse

Unterstützung für die Tötung von Glaubensfeinden unter Christen, Muslimen und Juden mit und ohne Hinweis auf gewaltlegitimierende Schriftverse (Ergebnisse aus allen sieben Ländern). (Ruud Koopmans & Eylem Kanol) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Da die Befragten rein zufällig in die Experimental- und Kontrollgruppen zugeteilt wurden, können wir den Effekt der Bloßstellung an eine gewaltlegitimierende Schriftstelle einfach durch die Differenz zwischen der Experimental- und der Kontrollgruppe messen. In Abbildung 1 wird der Prozentsatz der Befragten dargestellt, die der Aussage „diejenigen, die in den Augen Gottes Unheil stiften und Böses tun, sollten getötet werden“ zustimmten oder vollständig zustimmten. Die Ergebnisse zeigen einen konsistenten und ziemlich starken Effekt des Hinweises auf Schriftzitate auf die Befürwortung von Gewalt. Im Durchschnitt über alle religiösen Gruppen und Länder hinweg unterstützten 18 Prozent der Befragten die Anwendung von Gewalt in der Kontrollgruppe, verglichen mit 30 Prozent in der Experimentalgruppe mit Schriftzitat. Die Abbildung zeigt auch wichtige Unterschiede zwischen den Religionen. Unter den Muslimen liegt die durchschnittliche Zustimmung ohne Schriftzitat bei 29 Prozent und sie steigt in der Experimentalgruppe stark auf 47 Prozent an. Bei Christen und Juden ist die durchschnittliche Zustimmung niedriger und liegt in der Kontrollgruppe bei neun bzw. drei Prozent. Für beide Gruppen ist die Unterstützung von Gewalt in der Experimentalgruppe wie bei den Muslimen höher, aber der Anstieg auf zwölf bzw. neun Prozent ist vergleichsweise gering.

Unterstützung für die Tötung von Glaubensfeinden unter Christen, Muslimen und Juden mit und ohne Hinweis auf gewaltlegitimierende Schriftverse - Ergebnisse aus Deutschland. (Ruud Koopmans & Eylem Kanol) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Im nächsten Schritt richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Ergebnisse aus Deutschland (Abbildung 2). Im Vergleich mit allen christlichen und muslimischen Befragten in der Studie ist die Unterstützung für Gewalt gegen Feinde der Religion bei den in Deutschland lebenden Christen (2%) und Muslimen (5%) deutlich niedriger. Allerdings ist der Anstieg der Unterstützung für Gewalt in der muslimischen Experimentalgruppe erheblich stärker, bis auf 16% (Christen 3%).Wir stellen also fest, dass eine aus den Heiligen Schriften abgeleitete Legitimation für Gewalt gegen vermeintliche Glaubensfeinde eine effektive Strategie zur Mobilisierung von Unterstützung für religiöse Gewalt sein kann. Dies gilt für alle drei Religionen, aber zeigt sich am stärksten unter muslimischen Befragten.

Inwieweit ist dieser Effekt von Schriftquellen homogen über verschiedene Aspekte von Religiosität?

Unterstützung für religiöse Gewalt in Kontroll- und Experimentalgruppen nach religiöser Gruppe und nach verschiedenen Niveaus des religiösen Wissens (Feld A) und des religiösen Fundamentalismus (Feld B). (Ruud Koopmans & Eylem Kanol) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Feld A in Abbildung 3 zeigt das Ausmaß der Unterstützung für Gewalt in den Kontroll- und Experimentalgruppen, wenn wir diejenigen mit hohem und niedrigem religiösem Wissen gegenüberstellen. Es gibt deutlich unterschiedliche Muster für die drei religiösen Gruppen. Bei Juden ist religiöses Wissen mit einer geringeren Unterstützung von Gewalt assoziiert und bei Christen gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen denjenigen mit niedrigem und hohem Wissensstand. Muslime, die sich mit Islam besser auskennen, unterstützen jedoch signifikant häufiger die Anwendung von Gewalt. So findet sich die höchste Gewaltunterstützung bei Muslimen mit besseren religiösen Kenntnissen in der Experimentalgruppe (52%), die geringste Unterstützung bei Juden mit besseren religiösen Kenntnissen in der Kontrollgruppe (1%).

Feld B in Abbildung 3 vergleicht die Unterstützung für Gewalt zwischen fundamentalistischen und nicht-fundamentalistischen Gläubigen. Wir definieren Fundamentalisten als diejenigen, die der Mehrheit der Fundamentalismus-Items zustimmen. Nach dieser Definition können 32 Prozent der Christen, 49 Prozent der Muslime und 16 Prozent der Juden in unserer Stichprobe als Fundamentalisten bezeichnet werden. Die kenianischen Muslime haben den höchsten Anteil an Fundamentalisten (80%), die deutschen Christen (9%) den niedrigsten. In jedem Land weisen Muslime höhere Fundamentalismuswerte auf als Christen und/oder Juden, mit Ausnahme des Libanon, wo der Anteil der Fundamentalisten unter den Christen etwas höher ist.

Der Zusammenhang zwischen Fundamentalismus und Unterstützung von Gewalt ist stark und eindeutig. In allen drei Religionen ist die Unterstützung für Gewalt in der Kontrollgruppe mindestens doppelt so hoch unter fundamentalistischen Gläubigen. Der Effekt der Schriftzitate ist auch bei Fundamentalisten aller drei Glaubensrichtungen stärker. Fundamentalismus hängt also eindeutig mit der Befürwortung von Gewalt zusammen, und die Beziehung ist unter Muslimen am stärksten ausgeprägt. Fundamentalisten sind auch, wie wir erwartet haben, leichter durch Hinweise auf gewaltlegitimierende Zitate aus Schriftquellen zu beeinflussen.

Schlussfolgerungen

Warum verweisen religiöse Extremisten so häufig auf die Heiligen Schriften ihrer Religion? Unsere experimentellen Ergebnisse zeigen, auf der Basis einer sehr breiten Datengrundlage, dass dies eine wirksame Strategie ist, da solche Verweise sehr gut geeignet sind, um in der Gemeinschaft der Gläubigen Unterstützung für religiöse Gewalt zu mobilisieren. Dieser Effekt finden wir unter Juden, Christen und Muslimen, aber ist unter Letzteren besonders stark ausgeprägt.

Warum ist dies der Fall? Ein wichtiger Teil der Antwort ist, dass es eine starke Verbindung zwischen religiösem Fundamentalismus und Gewaltunterstützung gibt. Die stärkere Verbreitung fundamentalistischer Glaubensauffassungen unter Muslimen ist deshalb eine wichtige Erklärung für die durchschnittlich höhere Unterstützung religiöser Gewalt unter Muslimen und ihre größere Anfälligkeit für Gewaltaufrufe, die sich auf Schriftquellen beziehen. Im Vergleich zum Fundamentalismus ist die Rolle von religiösem Wissen geringer und nicht einheitlich über die drei Religionen. Für Muslime gilt, dass diejenigen, die bessere Korankenntnisse aufweisen, eher geneigt sind religiöse Gewalt zu unterstützen und diese Unterstützung stärker steigern, wenn sie mit einer entsprechenden Koranverse konfrontiert werden.

Man könnte argumentieren, dass die Zustimmung zur Gewalt, nachdem man einem Schriftzitat ausgesetzt war, nicht eine tatsächliche Gewaltbefürwortung reflektiert, sondern eher den Wunsch, als guter Muslim, Christ oder Jude zu erscheinen. Dies würde jedoch nicht die Unterschiede zwischen den Religionen erklären, denn wir müssen davon ausgehen, dass auch Christen und Juden als gute Gläubige wahrgenommen werden möchten. Was unser Experiment zeigt, ist, dass nur bestimmte Gläubige durch Schriftverweise dazu gebracht werden können, Gewalt stärker zu befürworten, während andere sich kaum oder gar nicht von Hinweisen auf gewaltlegitimierende Schriftstellen beeinflussen lassen. Auch wenn der Wunsch, als „guter“ Gläubiger aufzutreten, eine Rolle spielen könnte, unterscheiden sich die Anhänger der drei Religionen dann offenbar recht stark in der Frage, welche Position ein guter Gläubiger einnehmen sollte und ob diese Position von der wortwörtlichen Inhalt der Heiligen Schriften abweichen kann oder nicht.

Wir glauben nicht, dass die Tatsache, dass unsere Ergebnisse bei Muslimen am stärksten ausgeprägt sind, mit intrinsischen Merkmalen des Islams oder des Korans zusammenhängt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Gläubigen der drei Religionen besteht jedoch darin, inwieweit sie in jüngster Zeit einer fundamentalistischen und extremistischen kognitiven Mobilisierung ausgesetzt gewesen sind, die die Idee einer wortgetreuen Schriftauslegung propagiert und die Bedeutung derjenigen Teile der Schriften, die Gewalt legitimieren, selektiv erhöht hat. Seit den 1970er Jahren sind islamisch-fundamentalistische Bewegungen und Regime in der gesamten islamischen Welt auf dem Vormarsch. Dies liefert einen plausiblen Grund, warum Muslime in der aktuellen Situation eher geneigt sind, Gewalt in der Kontrollgruppe zu unterstützen (was den kumulativen Effekt vergangener Mobilisierung durch religiöse Extremisten widerspiegelt) und auch leichter durch Verweise auf gewaltlegitimierende Schriftzitate zu überzeugen sind.

Diese Erkenntnisse haben wichtige Konsequenzen für die Politik und die Deradikalisierungs- und Präventionsarbeit. Extremistische religiöse Bewegungen können nicht wirksam bekämpft werden, wenn ihre religiösen Wurzeln und die motivierende Kraft gewaltlegitimierender Schriftquellen nicht ernst genommen werden. Die Scheu, sich mit dem Religiösen im religiösen Extremismus auseinanderzusetzen, lenkt von der Notwendigkeit ab, auch religiöse Antworte auf das Phänomen zu finden. Ein pro-aktiver, öffentlich mobilisierter Gegendiskurs gegen fundamentalistische Glaubensinterpretationen ist dringend notwendig, um die Mobilisierungskraft religiöser Extremisten wirksam zu brechen. Dies wird nur gelingen, wenn Moscheen und Imame buchstabengetreue Schriftverständnisse explizit entgegentreten und sich für historisch-interpretative Auslegungen stark machen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Vermittlung von Wissen über religiöse Inhalte keine wirksame Strategie gegen Gewalt und Intoleranz ist, solange sie nicht mit einer Zurückweisung fundamentalistischer Interpretationen dieser Inhalte einher geht.

Literatur

Altemeyer, B. 2003. Why Do Religious Fundamentalists Tend to Be Prejudiced? The International Journal for the Psychology of Religion 13 (1): 17–28.

Altemeyer, B., and B. Hunsberger. 1992. Authoritarianism, Religious Fundamentalism, Quest, and Prejudice. The International Journal for the Psychology of Religion 2 (2): 113–33.

Bruce, S. 2000. Fundamentalism. Cambridge: Polity Press.

Bushman, B. J., R. D. Ridge, E. Das, C. W. Key, and G. L. Busath. 2007. When God Sanctions Killing: Effect of Scriptural Violence on Aggression. Psychological Science 18 (3): 204–7.

Dawson, L. L. 2019. Taking Terrorist Accounts of their Motivations Seriously. Perspectives on Terrorism 13 (5): 74-89.

della Porta, D. 2013. Clandestine Political Violence. Cambridge: Cambridge Univ Press.

Eisinga, R., R. Konig, and P. Scheepers. 1995. Orthodox Religious Beliefs and Anti-Semitism: A Replication of Glock and Stark in the Netherlands. Journal for the Scientific Study of Religion 34 (2): 214–23.

Fair, Carol & Goldstein, Jacob & Hamza, Ali. 2016. Research Note: Can Knowledge of Islam Explain Lack of Support for Terrorism? Evidence from Pakistan. Studies in Conflict and Terrorism.

Glock, C. Y., and R. Stark. 1966. Christian Beliefs and Anti-Semitism. New York: Harper & Row.

Gurr, T. R. 2006. “Economic Factors.” In The Roots of Terrorism, edited by L. Richardson, 85–101. New York: Routledge.

Hunsberger, Bruce, Vida Owusu, and Robert Duck. 1999. Religion and Prejudice in Ghana and Canada: Religious Fundamentalism, Right-Wing. The International Journal for the Psychology of Religion 9 (3): 181–94.

Koopmans, R. 2015. “Religious Fundamentalism and Hostility Against Out-Groups: A Comparison of Muslims and Christians in Western Europe.” Journal of Ethnic and Migration Studies 41 (1): 33–57.

Laythe, B., D. G. Finke, R. G. Bringle, and L. A. Kirkpatrick. 2002. Religious Fundamentalism as a Predictor of Prejudice: A Two-Component Model. Journal for the Scientific Study of Religion 41 (4): 623–35.

Mousseau, M. 2011. Urban poverty and support for Islamist terror: Survey results of Muslims in fourteen countries. Journal of Peace Research, 48(1), 35–47.

Neo, L. S., M. Khader, J. Ang, G. Ong, and E. Tan. 2017. Developing an Early Screening Guide for Jihadi Terrorism: A Behavioural Analysis of 30 Terror Attacks. Security Journal 30 (1): 227–46.

Peri, Y. 2000. The Assassination of Yitzhak Rabin. Stanford: Stanford University Press.

Piazza, J. A. 2011. Poverty, minority economic discrimination, and domestic terrorism. Journal of Peace Research, 48(3), 339–353.

Pratt, D. 2010. Religion and Terrorism: Christian Fundamentalism and Extremism. Terrorism and Political Violence 22 (3): 438–56.

Speckhard, A., & Ahkmedova, K. (2006). The making of a martyr: Chechen suicide terrorism. Studies in Conflict and Terrorism, 29(5), 429–492.

Wiktorowicz, Q. 2005. A Genealogy of Radical Islam. Studies in Conflict & Terrorism 28 (2): 75–97.

Wood, G. 2016. The Way of the Strangers: Encounters with the Islamic State. München: Random House.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Ruud Koopmans ist Direktor der Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung am WZB

Dr. Eylem Kanol ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung am WZB.