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Analyse: Der deutsch-polnische Grenzraum: Verflechtungszone oder anhaltende Asymmetrien? | Polen-Analysen | bpb.de

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Analyse: Der deutsch-polnische Grenzraum: Verflechtungszone oder anhaltende Asymmetrien?

Stefan Garsztecki

/ 14 Minuten zu lesen

Ein polnischer Fanfarenzug passiert die Stadtbrücke über der Oder während des Volksfestes zur EU-Erweiterung. Polen wird am 1. Mai gemeinsam mit neun weiteren Staaten in die EU aufgenommen. (© AP)

Zusammenfassung

Der deutsch-polnische Grenzraum war nach 1989 lange Jahre von einem starken Wohlstandsgefälle gekennzeichnet, das – gepaart mit Unwissen und Unkenntnis – das Entstehen einer Interessengemeinschaft an der Grenze erschwerte. Heute haben sich die Asymmetrien z. T. umgekehrt, scheint die polnische Seite in manchen Aspekten dynamischer als die ostdeutsche zu sein. Dabei sind auf beiden Seiten parallele Entwicklungen von Landflucht und die Ausprägung strukturschwacher Gebiete entlang der Grenze festzustellen. Die Politiken der grenznahen Bundesländer und Woiwodschaften und die bestehenden Euroregionen entlang der deutsch-polnischen Grenze versuchen die Kooperation stetig zu vertiefen, häufig gestützt auf Fördermittel der Europäischen Union. Dabei werden die Chancen der Bürgergesellschaften nur zum Teil ausgeschöpft. Grenzüberschreitende Phänomene wie Migration und Dienstleistungen sowie Potentiale im Bildungsbereich sind gleichermaßen Indiz für eine neue Qualität der deutsch-polnischen Verflechtung wie auch eine Herausforderung, die bilaterale Infrastruktur den Notwendigkeiten anzupassen.

Ausgangslage: Asymmetrische Strukturen und Problemzonen an der Grenze

Mehr als zwanzig Jahre nach dem politischen Umbruch in Ostmitteleuropa scheinen sich Polen und Deutschland heute stark angenähert zu haben. Noch in den 1990er Jahren konnte dem gegenüber von einer wachsenden Asymmetrie gesprochen werden. Während die DDR nach der deutschen Wiedervereinigung direkt in den bundesdeutschen und in den EU-Binnenmarkt integriert wurde, sah sich Polen einem langen Integrationsprozess gegenüber – über Assoziationsabkommen, Beitrittspartnerschaft, Beitrittsverhandlungen bis hin zur Vollmitgliedschaft im Jahr 2004. Daran schloss sich noch ein Transitionszeitraum von sieben Jahren an, der erst im Mai 2011 mit der völligen Freizügigkeit des Arbeitsmarktes abgeschlossen wurde. Auf der anderen Seite zeigten sich Arbeitsmarkt und Wirtschaftsentwicklung in Polen in den 1990er Jahren dynamischer als in Ostdeutschland. Während in Polen nach Daten des Statistischen Hauptamtes (Główny Urząd Statystyczny – GUS) die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts ab 1992 stiegen und von 2,6 % im Jahr 1992 bis zu 7,1 % im Jahr 1997 reichten, waren die neuen Bundesländer von Abwanderung und schlechteren Wirtschaftsdaten gekennzeichnet. Dort brach nach Angaben der statistischen Ämter des Bundes und der Länder die Zunahme des Bruttoinlandsprodukts ab Mitte der 1990er Jahre ein, verbunden mit der steten Abwanderung von Bevölkerung, so dass sich Polen Ende des Jahrzehnts dynamischer darstellte als die neuen Bundesländer.

Heute stellt sich die Situation zwischen Polen und den neuen Bundesländern differenzierter dar. Hier ist zunächst festzuhalten, dass die infrastrukturellen Rückstände in Ostdeutschland erheblich abgebaut wurden. Fernstraßennetz, Telekommunikationsnetz und Eisenbahnnetz sind erheblich modernisiert worden und z. T. moderner als in den alten Bundesländern. Ausgaben in Forschung und Entwicklung in der Industrie haben zugenommen und der Rückstand gegenüber der westdeutschen Industrie fällt nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2010 in diesem Bereich geringer aus. Auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2010, die sich mit dem Standortwettbewerb der Bundesländer untereinander hinsichtlich Einkommen, Beschäftigung und Sicherheit (soziale Sicherheit und innere Sicherheit) befasst, bescheinigt diesen Aufholprozess und insbesondere Sachsen-Anhalt und Sachsen erhalten gute Noten. Schließlich sind auch die makroökonomischen Daten deutlich besser geworden. So ist das Wirtschaftswachstum in den neuen Ländern mittlerweile positiver als noch vor zehn Jahren, da auch sie vom Wirtschaftsaufschwung in Deutschland profitieren. Ihre Steigerungsraten beim Bruttosozialprodukt (BSP) lagen im ersten Halbjahr 2011 z. T. über dem Bundesdurchschnitt von 4,5 %, in Sachsen-Anhalt mit 6 % und Thüringen mit 4,8 %, bzw. nicht viel darunter wie in Sachsen mit 4,2 % und Brandenburg mit 4,0 %. Lediglich Mecklenburg-Vorpommern fiel hier mit 3 % ab. Die Arbeitslosenquote lag allerdings in allen ostdeutschen Bundesländern im August 2011 deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 7,0 %. Am höchsten war sie in Mecklenburg-Vorpommern mit 11,1 %, am niedrigsten in Thüringen mit 8,5 %. Allerdings gibt es mit Bremen (11,7 %) auch unter den alten Bundesländern eine z. T. sehr hohe Arbeitslosigkeit und strukturelle Probleme.

Spezifisch bleiben für Ostdeutschland trotz dieser ökonomischen Erholung allerdings die Folgen der Binnenmigration. Trotz einer Abschwächung der Bevölkerungsabwanderung haben alle ostdeutschen Bundesländer nach 1989 deutlich an Bevölkerung verloren. Großstädte wie Dresden oder Leipzig sind davon zwar nicht mehr betroffen, wohl aber ländliche Gebiete, worunter vor allem Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu leiden haben. Alle an Polen angrenzenden Landkreise haben eine negative Bevölkerungsentwicklung.

Wie sieht dem gegenüber die Situation auf polnischer Seite aus, einem Land, das sich – wie eingangs erwähnt – seit den 1990er Jahren durch eine sehr hohe Wirtschaftsdynamik auszeichnet? Wie stellt sich insbesondere die Entwicklung in den an Deutschland angrenzenden Gebieten dar, also in den Woiwodschaften Westpommern (województwo zachodniopomorskie), Lebuser Land (woj. lebuskie) und Niederschlesien (woj. dolnośląskie)?

Auch in Polen gibt es – ähnlich wie in Deutschland – ein starkes Gefälle hinsichtlich der sozioökonomischen Entwicklung – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Bereits in der Zwischenkriegszeit wurde in Polen zwischen dem sogenannten Polen A und Polen B unterschieden. Polen A waren die besser entwickelten westlichen Woiwodschaften, Polen B stand für die rückständigen östlichen Woiwodschaften und trotz des Verlustes der polnischen Ostgebiete nach 1945 ist dieses West-Ost-Gefälle grosso modo unverändert geblieben. In den wesentlichen makroökonomischen Daten stehen die westlichen Woiwodschaften Polens besser da. Der Anteil am Bruttosozialprodukt des Landes und das Wachstum sind in den westlichen Woiwodschaften deutlich höher. Allerdings gilt dies nicht einheitlich für alle Woiwodschaften, die mit Ausnahme der Woiwodschaft Masowien (woj. mazowsze) mit dem Zentrum Warschau alle noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegen. Die stärksten Woiwodschaften hinsichtlich des Anteils am BSP des Landes sind nach der Woiwodschaft Masowien die Woiwodschaften Schlesien (woj. śląskie), Großpolen (woj. wielkopolskie) und Niederschlesien. Sie werden entweder von Metropolen wie Warschau (Masowien), Posen (Großpolen) oder Breslau (Niederschlesien) dominiert oder aber von einer Städteagglomeration wie im Fall des schlesischen Kohle- und Industriereviers. Die Woiwodschaft Oppeln (woj. opolskie) hat demnach den geringsten Anteil am BSP, dicht gefolgt von der Woiwodschaft Lebuser Land, beides westliche Woiwodschaften, an der Grenze bzw. in Grenznähe gelegen, wobei die Woiwodschaft Lebuser Land eine gemeinsame Grenze mit Brandenburg hat. Die anderen strukturschwachen Woiwodschaften liegen im Osten des Landes.

Auch bei den ausländischen Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment – FDI) ergibt sich ein differenziertes Bild, das der einfachen Unterteilung in Polen A und Polen B widerspricht. Nach einer im Auftrag des Ministeriums für Regionalentwicklung (Ministerstwo Rozwoju Regionalnego) erstellten und im Mai 2011 vorgestellten Studie liegen auch hier die Woiwodschaften Masowien, Schlesien, Niederschlesien und Großpolen deutlich vorn, gefolgt von den anderen westlichen Woiwodschaften. Die Woiwodschaft Lebuser Land liegt hier an neunter Stelle und damit im Mittelfeld. Allerdings hat in den letzten Jahren die Dynamik der Zunahme der FDI in den östlichen Woiwodschaften über der Dynamik im Westen gelegen, was für einen allmählichen Aufholprozess spricht. Schließlich ist zwar auch die Arbeitslosigkeit in den westlichen Woiwodschaften niedriger als im Osten des Landes, allerdings mit großen innerregionalen Differenzen. Bei einer Arbeitslosenquote von 11,8 % bezogen auf ganz Polen Ende September 2011 betrug die Quote in der Woiwodschaft Westpommern 16,4 % (in Stettin 9,7 %), in der Woiwodschaft Lebuser Land 14,3 %, in der Niederschlesischen Woiwodschaft 11,9 % (in Breslau 4,9 %), womit letztere zu den starken Woiwodschaften zählte. In der Woiwodschaft Masowien betrug die Arbeitslosenquote 9,5 % (in der Hauptstadt Warschau nur 3,7 %), in der Woiwodschaft Schlesien 9,6 % und in der Woiwodschaft Großpolen 8,6 % (in Posen selbst 3,5 %). Hinsichtlich der Binnenmigration gewinnen auch in Polen vor allem die Städte und bezogen auf die Woiwodschaften Masowien, Großpolen und Niederschlesien, die alle im Jahr 2010 einen positiven Migrationsaldo hatten, während die Woiwodschaft Lebuser Land ebenso wie die Woiwodschaft Westpommern einen negativen Migrationssaldo aufwies.

Es ist also auffällig, dass es auch in Polen große Asymmetrien und ein Stadt-Land-Gefälle gibt, nach wie vor mit den stärkeren Regionen im Westen, während auf deutscher Seite eher die ökonomisch und demographisch schwächeren Regionen in der Nachbarschaft zu Polen liegen. Allerdings sind auch auf polnischer Seite mit den Woiwodschaften Westpommern und Lebuser Land zwei relativ dünn besiedelte Woiwodschaften an der Grenze gelegen. Stettin stellt hier eine Ausnahme dar und strahlt auch positiv auf die Uckermark aus. Das Ministerium für Regionalentwicklung betrachtet die grenznahen Gebiete denn auch als potentielle Interventionsregionen, betont aber im Rahmen der vom Ministerrat im Juli 2010 angenommenen Landesstrategie für Regionalentwicklung für die Jahre 2010–2020 auch Chancen und Risiken aufgrund der Nähe zu Deutschland für diese Gebiete. Chancen ergeben sich danach aus dem Transfer von Know-how, durch Erfahrungsaustausch und best practice sowie durch internationale Kooperation; Nachteile evtl. durch einen zu hohen Konkurrenzdruck oder auch durch einen Abfluss von Dienstleistungen nach Deutschland, z. B. nach Berlin. Es gelte also, die endogenen Potentiale der Grenzregionen auszubauen, ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen und die grenzüberschreitende Kooperation zu verbessern.

Dieser kurze Überblick über die grenznahen Gebiete auf beiden Seiten hat zwar gewisse Asymmetrien aufgezeigt, zugleich aber auch die Probleme, die aus der peripheren Lage im Lande selber resultieren. Trotz der relativen Schwäche der ostdeutschen Bundesländer im innerdeutschen Vergleich sind sie ökonomisch stärker als die westlichen Woiwodschaften Polens, zumal sich auch hier die Entwicklung vor allem auf die Metropolen Posen, Breslau, das schlesische Revier und mit Abstrichen Stettin erstreckt. Was läge angesichts dieser Ausgangslage daher näher, als die skizzierten Nachteile durch Kooperationsmodelle zu einem komparativen Vorteil umzugestalten? Es könnte so ein transregionaler Verflechtungsraum, womöglich ein »transnationaler Regionalismus« (Peter Schmitt-Egner) entstehen, der materielle und symbolische Verknüpfungen ermöglicht und befördert. Materielle Verknüpfungen würden die praktische Ebene der Zusammenarbeit berühren, komplementäre bzw. abgestimmte Politikangebote, während die symbolische Ebene Überschreitungen der nationalen Bezugseinheit betrifft, wie sie z. B. die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) darstellt. Allein, es bleibt die Frage, ob die aktuelle Situation Anhaltspunkte für die Entwicklung eines solchen Verflechtungsraums bietet. Dazu sollen im Folgenden die Politikansätze beiderseits der Grenze hinsichtlich ihrer Strategien überprüft werden, bevor im Weiteren die Realität der deutsch-polnischen Euroregionen knapp skizziert wird. Abschließend wird noch auf einige grenzüberschreitende Phänomene eingegangen.

Bundesländer und Woiwodschaften auf dem Weg zur Partnerschaft

Die drei deutschen Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen, die an Polen angrenzen, betonen in ihren Regierungspolitiken den hohen Stellenwert der Kooperation mit den polnischen Woiwodschaften in Grenznähe.
Am deutlichsten wird die hohe Bedeutung der Kooperation mit Polen wohl im Fall des Landes Brandenburg, welches in seiner Verfassung vom 20. August 1992 in Art. 2 der »Zusammenarbeit mit anderen Völkern, insbesondere mit dem polnischen Nachbarn« große Bedeutung beimisst. Auch das Brandenburgische Schulgesetz enthält einen ähnlichen Passus: »Die Schule fördert die Bereitschaft zur friedlichen Zusammenarbeit mit den polnischen Nachbarn.« (§ 4 (5)). Die Wichtigkeit der Partnerschaft zu Polen wird auch dadurch hervorgehoben, dass es sogenannte Partnerschaftsbeauftragte in den Woiwodschaften Niederschlesien und Großpolen gibt, die vor allem für die grenzüberschreitende Infrastruktur und für Projekte eingesetzt werden. Auch engagiert sich Brandenburg im Rahmen der Oder-Partnerschaft, die als informelles Netzwerk seit 2006 die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen mit den polnischen Woiwodschaften Westpommern, Großpolen, Niederschlesien und Lebuser Land verbindet, um einen Regionalverbund politisch und infrastrukturell aufzubauen. Schließlich wird in Brandenburg auch dem Polnisch-Unterricht ein großer Stellenwert eingeräumt. Nach einem Bericht der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2007 wird Polnisch bereits in der Grundschule im grenznahen Bereich angeboten und kann auch als erste Fremdsprache fortgeführt werden. Zudem wird Polnisch auch in den Berufsschulunterricht auf vielfältige Weise integriert.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern pflegt insbesondere die Kooperation mit den Woiwodschaften Westpommern um Stettin herum und Pommern (woj. pomorskie) mit dem Zentrum Danzig. Die Koordination ist in der Staatskanzlei und damit direkt beim Ministerpräsidenten angesiedelt. Seit 1998 werden im Wechsel Präsentationen beim Partner durchgeführt. Demgegenüber ist der Stand des Polnisch-Unterrichtes noch vergleichsweise niedrig, da nach dem erwähnten Bericht der Kultusministerkonferenz von 2007 lediglich zwei Gymnasien und regionale Schulen im Grenzgebiet Polnisch als zweite Fremdsprache anbieten.

Der Freistaat Sachsen setzt dem gegenüber vor allem auf Projekte im Rahmen der europäischen Kohäsionspolitik, die für den Zeitraum 2007–2013 in Form des Programms Interreg IV A (Ziel 3) realisiert werden. In Sachsen geschieht die Umsetzung mit Hilfe des Operationellen Programms der grenzübergreifenden Zusammenarbeit Sachsen-Polen. Projektpartner auf polnischer Seite ist die Woiwodschaft Niederschlesien. Auf dem Gebiet des Polnisch-Unterrichts ermöglicht Sachsen bereits ab der Grundschule fremdsprachlichen Unterricht in Polnisch. Das Angebot erstreckt sich auch auf die berufliche Bildung und im Schuljahr 2002/03 wurde ein binationaler-bilingualer deutsch-polnischer Bildungsgang an einem Görlitzer Gymnasium eröffnet.

Die an Polen angrenzenden Bundesländer gehen im Umgang mit Polen unterschiedliche Wege. Während die Kooperation in Mecklenburg-Vorpommern in die Kompetenz der Staatskanzlei fällt, sind in Brandenburg und Sachsen Fachministerien dafür zuständig. Im Falle Sachsens wird die Zusammenarbeit zudem vor allem über die Kohäsionspolitik der EU vorangetrieben. Allen drei Bundesländern gemeinsam ist eine wachsende Bedeutung des Polnischen im Schulunterricht.

Die polnischen Woiwodschaften auf der anderen Seite der Grenze haben sich ebenfalls auf die Kooperation mit den deutschen Ländern eingestellt, wenngleich ihre Zuständigkeiten geringer sind als die der deutschen Länder. Trotz der Dezentralisierungsmaßnahmen seit 1998 ist Polen laut Verfassung ein unitarischer Staat. Innerhalb dieses Rahmens wird die Zusammenarbeit gleichwohl intensiv entwickelt, wobei die Zuständigkeit jeweils bei den Marschallämtern (Urząd Marszałkowski) in den Woiwodschaften liegt.

Die Woiwodschaft Westpommern setzt im Rahmen ihrer internationalen Aktivitäten zwei Schwerpunkte. Erstens wird unter Berücksichtigung der Außenpolitik der Republik Polen auf die Kooperation im Rahmen des Ostseeraums abgestellt und hier kommt der Partnerschaft mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern eine große Bedeutung zu. Aber auch die Oder-Partnerschaft wird angeführt. Zweitens wird im Rahmen der Europäischen Territorialen Zusammenarbeit als Element der europäischen Kohäsionspolitik vor allem auf Projektarbeit abgestellt und eine effektive Umsetzung der Fördermittel angestrebt. Natürlich spielen seit dem Mai 2011 und dem Wegfall jeglicher Beschränkungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch Informationsveranstaltungen über den deutschen Arbeitsmarkt eine Rolle.

Die Woiwodschaft Lebuser Land erwähnt unter den Zielen ihrer auswärtigen Tätigkeiten im Rahmen der Außenpolitik der Republik Polen unter anderem die Umsetzung des Mitteleuropäischen Verkehrskorridors, der das Baltikum mit dem Mittelmeer verbinden soll, die Kooperation mit den Euroregionen Spree-Neiße-Bober und Pro Europa Viadrina und allgemein eine Stärkung der Woiwodschaft in der internationalen Kooperation. Sachsen und Brandenburg werden dabei neben anderen Regionen aus Italien, der Slowakei, Dänemark und Frankreich als Hauptpartner im Bereich der EU erwähnt. Auch die Oderpartnerschaft wird angeführt. Wichtiger scheint auch im Fall dieser Woiwodschaft die Umsetzung der europäischen Kohäsionspolitik im Rahmen der Europäischen Territorialen Zusammenarbeit zu sein.

Auch die Woiwodschaft Niederschlesien entwickelt analoge Strukturen, fokussiert auf die Umsetzung der europäischen Kohäsionspolitik als einem Pfeiler der auswärtigen Politik und der Zusammenarbeit mit ausgewählten Regionen Europas als anderem Pfeiler. Zu diesen Regionen zählen u. a. Sachsen und Brandenburg. Wie auch im Fall der Woiwodschaft Lebuser Land wurden die Prioritäten der auswärtigen Beziehungen und die geographischen Schwerpunkte jeweils per Beschluss des Sejmik festgelegt.

Hinsichtlich der auswärtigen, auf Deutschland bezogenen Aktivitäten der Woiwodschaften lassen sich leichte Unterschiede ausmachen. Die Woiwodschaft Westpommern akzentuiert die Kooperation mit Deutschland sicherlich am stärksten, was sich mit der Darstellung auf Seiten von Mecklenburg-Vorpommern ergänzt. Der Schwerpunkt wird eindeutig auf die Umsetzung der europäischen Kohäsionspolitik gelegt, wobei die Woiwodschaft Westpommern noch am deutlichsten einen eigenen Akzent setzt.
Neben diesen politischen Ansätzen der Kooperation auf der Ebene der Regionen, d. h. der Bundesländer und Woiwodschaften, gibt es noch vielfach weitere Verknüpfungen. Zu nennen wären die zahlreichen Kooperationen der Universitäten, die aber oft nicht auf den Grenzraum abzielen, sondern diesen häufig überspringen. Anzuführen wären auch vielfältige Ansätze für grenzüberschreitende Verkehrsverbindungen in Form von Kooperationen, grenzüberschreitend gültigen Fahrkarten und dergleichen mehr.
Ein Brennglas für den Zustand der grenzüberschreitenden Partnerschaft sind vor allem aber die vier Euroregionen, die an der deutsch-polnischen Grenze funktionieren.

Euroregionen als Synapsen der Gesellschaften?

Die Euroregionen wurden als kommunale, grenzüberschreitende Zusammenschlüsse Ende der 1950er Jahre gegründet und zwar zunächst zwischen Deutschland und den Niederlanden. An der deutsch-polnischen Grenze sind seit Anfang der 1990er Jahre vier Euroregionen entstanden: die Euroregion Pomerania (1991) mit schwedischer Beteiligung, die Euroregion Pro Europa Viadrina (1993), die Euroregion Spree-Neiße-Bober (1993) und die Euroregion Neiße-Nisa-Nysa (1991) noch zusätzlich mit tschechischer Beteiligung. Alle Euroregionen wollen die Kooperation über die Grenze hinweg verbessern und stützen sich dabei wesentlich auf die Umsetzung von Projekten, häufig mit Hilfe der Kohäsionspolitik der EU. Zudem organisieren sie Messen, sind Kontaktbörse und informelles Dach für vielfältige grenzüberschreitende Aktivitäten.

Der Vergleich der Euroregionen zeigt ein ähnliches Feld von Aktivitäten und auch Unterschiede zwischen der deutschen und der polnischen Seite. Grenzüberschreitende Phänomene und Verflechtungen

Neben den politischen Ansätzen der administrativen Regionen (Bundesländer und Woiwodschaften) und den Aktivitäten der Euroregionen sind weitere Ansätze der Vernetzung über die deutsch-polnische Grenze hinweg zu beobachten.

Hier ist an erster Stelle die grenzüberschreitende Migration anzuführen. Seit dem Beitritt Polens zur EU und verstärkt noch seit der völligen Arbeitnehmerfreizügigkeit (Mai 2011) ist ein wachsender Zuzug von Polen nach Deutschland im grenznahen Raum zu beobachten. Dies trifft z. B. auf die Uckermark zu, wo sich in den letzten Jahren viele Bürger aus Stettin angesiedelt haben, um die hohen Immobilienpreise in Stettin zu umgehen. Damit verknüpft sind vielfältige Probleme und Herausforderungen. Zu einer gelingenden Integration zählt nicht nur der entschiedene Kampf gegen Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit, sondern auch eine besondere Betreuung der Neubürger. Hilfreich wäre es da schon, wenn beispielsweise die Webseiten der Stadt Löcknitz, eines der Zentren der neuen polnischen Migration, auch auf Polnisch im Internet vorhanden wären. Die örtlichen Immobilienmakler sind hier der Politik um einiges voraus.

Neben der Migration wird auch der grenzüberschreitende Dienstleistungssektor an Bedeutung gewinnen. Vielfach sind Dienstleistungen auf polnischer Seite weiterhin deutlich billiger als auf deutscher Seite. Dies betrifft Baudienstleistungen, die (zahn)medizinische Versorgung, Dinge des täglichen Bedarfs. Auch die touristischen Angebote beiderseits der Grenze bieten Verflechtungspotential. Polnische und tschechische Touristen kann man im Erzgebirge und im Vogtland, an der Mecklenburgischen Seenplatte und im Brandenburgischen antreffen. Es ist zwar wohl noch kein Massenphänomen, aber gerade hier dürfte die gemeinsame touristische Vermarktung sinnvoll und effizient sein.

Schließlich dürfte auch der Bildungssektor als grenzüberschreitendes Phänomen weiter an Bedeutung gewinnen. Bilinguale Schulen könnten ebenso ein entscheidender Baustein für den weiteren Berufsweg sein wie ein deutscher Universitätsabschluss. Hier haben die ostdeutschen Universitäten noch Nachholbedarf hinsichtlich ihrer Internationalisierung. Während die Europa Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) im Wintersemester 2010/11 23 % ausländische Studierende verzeichnete –die Mehrheit dürfte aus Polen gewesen sein –, waren es an der TU Dresden im gleichen Semester 13,5 %, vergleichbar mit den 13,4 % der renommierten Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. In Leipzig waren es 9,8 % ausländische Studierende, an der TU Chemnitz im Wintersemester 2008/09 6,4 %. Da es sich hier um die Gesamtzahlen ausländischer Studierende handelt, ist es offensichtlich, dass noch erhebliches Potential für die Gewinnung polnischer Studierender existiert. Dafür sind aber nicht nur die Webseiten der Universitäten zu überarbeiten, sondern auch das Studienangebot in Englisch zu erweitern und Werbekampagnen zu starten, so wie es große amerikanische Universitäten schon seit jeher tun und wie es die TU Chemnitz in den letzten Jahren erfolgreich in westdeutschen Bundesländern unternommen hat. Es wundert daher nicht, dass mit Ausnahme der Viadrina keine der genannten Hochschulen einen polnischen Webauftritt hat.

Derartige Kontakte dürften aber nicht nur für den Grenzraum große Bedeutung haben, sondern insgesamt für das deutsch-polnische Verhältnis. Umfragen des polnischen Meinungsforschungsinstituts CBOS (Centrum Badania Opinii Społecznej) aus diesem Sommer belegen, dass die Mehrheit der Polen ihr Wissen über Deutschland nach wie vor aus Fernsehen, Zeitung und Internet schöpft und dass immerhin 69 % der Polen nach 1989 nicht in Deutschland war. Zugleich wird als häufigster Grund mit 29 % für einen Besuch in Deutschland Tourismus angegeben, erneut ein überraschendes Ergebnis, welches so gar nicht dem arbeitsuchenden Polen entspricht. Ein Stück Normalität ist also im deutsch-polnischen Verhältnis eingekehrt – mit Potential nach oben. Dafür wäre es wichtig, dass die Oderpartnerschaft eine neue, von Fördermitteln unabhängige Qualität erreichen würde. Gemeinsame Sekretariate der Euroregionen, mehr gemeinsame deutsch-polnische Studiengänge und ein weiterer Ausbau des Polnischen an Schulen und Universitäten wären ein guter Anfang.

Fussnoten

Prof. Dr. Stefan Garsztecki, Politologe, Professor für Kultur- und Länderstudien Ostmitteleuropas an der TU Chemnitz