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Dokumentation: Rede von Ministerpräsident Donald Tusk im Europäischen Parlament mit einer Bilanz der polnischen Ratspräsidentschaft, Straßburg, 14.12.2011 | Polen-Analysen | bpb.de

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Dokumentation: Rede von Ministerpräsident Donald Tusk im Europäischen Parlament mit einer Bilanz der polnischen Ratspräsidentschaft, Straßburg, 14.12.2011

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Sehr geehrte Damen und Herren, ein halbes Jahr ist seit unserer Zusammenkunft zu Beginn der polnischen Ratspräsidentschaft vergangen. Ich habe damals die große Verbundenheit der Polen und meiner Person mit der Idee des vereinten Europa erklärt.

Ich habe die Verbundenheit mit der Europäischen Gemeinschaft erklärt, weil mir bewusst war, dass wir die Ratspräsidentschaft während einer weitreichenden Krise übernehmen. Nicht nur einer Finanzkrise, sondern, wie wir schon damals vorhersahen, auch einer Vertrauenskrise. Und heute, das muss man wohl nachdrücklich sagen, möglicherweise auch einer System- und Politikkrise. Unsere Ratspräsidentschaft war, obwohl – oder vielleicht gerade weil – wir unser Debüt in dieser Rolle gaben, eine Präsidentschaft von Menschen, die entschlossen waren, die eigenen Aufgaben, die europäischen Aufgaben so gut wir nur konnten zu erfüllen. Wir haben nicht nur guten Willen in diese Ratspräsidentschaft eingebracht, sondern auch die Arbeit und die Fähigkeiten junger Polen, die hier, in Straßburg, in Brüssel, in Warschau und andernorts in Europa tätig waren. Wir haben uns an die Aufgaben im Bewusstsein unserer eigenen Möglichkeiten gemacht. An Aufgaben, die eine Routineverpflichtung jeder Präsidentschaft sind, darunter legislative Aufgaben. Ich werde nicht alles aufzählen, war wir in den vergangenen sechs Monaten getan haben. Ich habe in den letzten Tagen viele warme Worte über unser Engagement und unser effizientes Handeln gehört.

Es mag unbescheiden klingen, aber ich meine, dass die Polen diese Worte verdient haben, gerade weil sie mit soviel Glauben an den Sinn des gemeinsamen Europa an diesen Herausforderungen, die der polnischen Ratspräsidentschaft zufielen, gearbeitet haben. Gleich, ob es sich um das sogenannte Sixpack oder den Beitritt Kroatiens, die Östliche Partnerschaft, die Energiesicherheit oder andere Gesetzgebungsakte handelte, wie etwa das europäische Patent.

Überall dort ist es uns gelungen, mit unseren Verpflichtungen und unserer Arbeit die Schlussetappe zu erreichen. Hauptsächlich deshalb, weil die polnische Ratspräsidentschaft von Menschen ausgeübt wurde, die Europa als Gemeinschaft wirklich ernst nehmen und die trotz der Krise – oder vielleicht sage ich es anders – die gerade weil uns eine Krise erwischt hat, auch eine Vertrauenskrise, zeigen wollten, dass das Pflichtgefühl und das Engagement eines Europäers gerade in einer solchen Zeit noch ausgeprägter und dezidierter sein sollten.

Ich möchte diese Bilanz gerne zu einer ernsten politischen Reflexion nutzen, die das Ergebnis der Erfahrungen dieser sechs Monate der polnischen Ratspräsidentschaft ist. Doch ich bin überzeugt, dass auch Sie ähnliche Gedanken und ein ähnliches Bedürfnis haben, das, was heute in Europa vor sich geht, beim Namen zu nennen. Denn trotz Zufriedenheit mit der getanen Arbeit kann ich heute nicht sagen, dass Europa Ende des Jahres 2011 ein einigeres Europa ist als vor sechs Monaten, vor einem Jahr oder vor fünf Jahren. Zum Abschluss der polnischen Ratspräsidentschaft kann ich nicht sagen, dass wir diese möglicherweise ernsteste Krise in der Geschichte des vereinigten Europas, die an unserem Kontinent nagt, gebannt haben. Ganz im Gegenteil: Wir müssen uns heute sehr offen sagen, dass wir an einem Scheideweg stehen. Wir haben eine sehr schwerwiegende Wahl vor uns: Gehen wir in dieser Krise bei der Suche nach Möglichkeiten und Methoden ihrer Überwindung einen gemeinschaftlichen Weg, suchen wir also nach einem europäischen Ausweg aus der Krise, oder gehen wir den Weg nationaler und staatlicher Einzelinteressen, indem wir uns egoistisch, jeder für sich auf diese Suche machen und die Gemeinschaft dabei als Ballast, und nicht als das beste Mittel gegen die Krise für die Europäer betrachten.

Ich möchte daran erinnern, dass die wahren Ursachen der Finanzkrise nicht die Institutionen der Gemeinschaft sind. Die Finanzkrise ist nicht im Europäischen Parlament, nicht in der Europäischen Kommission, nicht in anderen gemeinschaftlichen Institutionen entstanden. Nicht die europäische Europas ist die Quelle der Finanzkrise und folglich auch nicht der politischen Krise. Diese sechs Monate haben mit ganzer Macht gezeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist, dass diese Krise von der Gefahr eines Auseinanderfallens der Gemeinschaft genährt, ja gemästet wird. Wenn wir heute nicht sagen können, dass wir die Krise in den Griff bekommen haben, dann deshalb, weil sich Europa angesichts dieser Krise nicht immer wie eine Gemeinschaft verhält. Warum sprechen wir heute auch von einer politischen Krise? Weil zu viele Menschen in Europa, zu viele Politiker in Europa uns und Europa davon überzeugen wollen, dass der Ausweg aus der Krise darin besteht, vom gemeinschaftlichen Handeln abzugehen. Ich möchte sagen, dass dies nach meiner Überzeugung und der der polnischen Ratspräsidentschaft ein Krankheitssymptom ist. Die Krise greift heute das Gemeinschaftsgefühl an. Wenn wir heute in Europa die Meinung hören, man müsse die Fundamente der Gemeinschaft revidieren, dann ist das ein ganz eindeutiges Symptom dafür, dass die Krise auch unsere Herzen, und nicht nur unsere Banken angegriffen hat.

Der letzte Europäische Rat, der letzte EU-Gipfel hat sehr deutlich gezeigt, dass die einen nach Instrumenten nicht nur zur Rettung des Euro, sondern längerfristig auch zur Stärkung der Gemeinschaft suchen, dass es aber andere gibt, die meinen, das Mittel zur Rettung des Euro oder der Finanzlage der Staaten und Institutionen sei eine Lockerung der Gemeinschaft bis hin zu ihrer Destruktion. Ich beschuldige niemanden, denn beide Ansichten sind gleichberechtigt. Jeder kann seine eigene Meinung zur Zukunft Europas haben, doch wir können nicht so tun, als sei heute nicht unterschwellig eine Debatte im Gange, bei der es im Grunde nicht mehr nur über die Zukunft des Euro, sondern über die Zukunft der Gemeinschaft geht. Beim letzten Europäischen Rat haben wir Beschlüsse gefasst, die gerade einmal ein erster Schritt sind. Sowohl in Brüssel als auch in meinem Land habe ich alle zu überzeugen versucht, wenn wir nicht völlig mit diesem Gipfel zufrieden sind, dann deshalb, weil wir gerade einmal den ersten Schritt getan haben, weil es uns weiterhin an der ganzen Entschlossenheit mangelt, die nächsten Schritte schnell und entschieden im Rahmen und zum Wohl der Gemeinschaft zu tun. Wenn ich manche Kommentare höre – die bestimmt gutwillig waren, ich werfe niemandem bösen Willen vor –, aber wenn ich von Genugtuung geprägte Kommentare höre, dass Großbritannien wieder eine Insel und der Ärmelkanal vor unseren Augen breiter geworden sei als noch vor wenigen Wochen, dann sage ich offen, dass ich diese Genugtuung nicht begreife. Man mag die Entscheidungen von Politikern des einen oder anderen Landes nicht billigen, aber wir dürfen uns nicht so öffentlich darüber freuen, dass vor unseren Augen die Distanz zwischen den Mitgliedstaaten wächst. In diesem Fall zwischen Großbritannien und der Europäischen Gemeinschaft. Doch ich möchte auch sagen, dass es auch andere Kommentare gegeben hat. Zum Beispiel solche, dass irgendeine Hauptstadt gegen andere Hauptstädte gesiegt habe. Wir wissen, dass Europa nicht nur für die Zeit dieser Krise, sondern auch für die Zukunft eine starke politische Führung braucht. Bei diesem Europäischen Rat und im Laufe dieser sechs Monate war ich Zeuge dieses noch nicht präzise benannten, aber großen europäischen Streits. Wird die politische Führung Europas das Ergebnis einer gnadenlosen Konkurrenz zwischen Nationalstaaten und der Effekt dieser Konkurrenz die Dominanz von ein, zwei oder drei Hauptstädten über die anderen sein? Oder wird, im Gegenteil, die politische Führung Europas eine gemeinschaftliche Führung zugunsten der gesamten Gemeinschaft sein? Es ist sehr wichtig, dass wir die Bilanz jedes folgenden Treffens in der Überzeugung werden ziehen können, dass die Gemeinschaft den Egoismus immer wieder besiegt. Und nicht, dass irgendjemand gegen irgendjemanden in dieser auseinanderfallenden Gemeinschaft gesiegt hat. Ich möchte nach diesen sechs Monaten auch sagen, dass Europa eine gemeinsame Gewissenserforschung nötig hat. Wir dürfen heute nicht mit dem Finger zeigen: »Oh, da ist die Ursache der Krise«, »oh, dieser arme Staat im Süden ist der Grund dafür, dass wir alle Schwierigkeiten haben«. Wir brauchen auch eine gemeinsame Verantwortung für die Zukunft. Das nördliche Europa, das sich seiner Disziplin rühmt, muss anfangen, auch die Notwendigkeit der Solidarität besser zu verstehen. Und der Süden Europas muss begreifen, dass gemeinsame Verantwortung auch mehr Disziplin bedeutet.

Wir müssen uns auch sehr deutlich sagen, dass die Ursache der Krise, die nicht nur eine Finanz-, sondern auch eine Politikkrise ist, in Verstößen gegen unsere gemeinsamen Verpflichtungen liegt, auch den aus den Verträgen resultierenden Verpflichtungen, und dass diese Verstöße nicht jüngsten Datums sind. Jeder möge sein eigenes Gewissen prüfen. Jeder möge darüber nachdenken, wann er begonnen hat, gegen den Vertrag von Maastricht zu verstoßen. Jeder möge darüber nachdenken, ob er auch bestimmt bereit ist, die Bestimmungen von Schengen einzuhalten. Wir – die, die Anhänger eines wirklich integrierten gemeinschaftlichen Europa sind – müssen uns heute sehr deutlich sagen, dass wir mehr Entschlossenheit bei der Verteidigung der europäischen Fundamente brauchen und keine permanente Diskussion über eine Revision der europäischen Fundamente. Deshalb möchte ich die polnische Ratspräsidentschaft auch mit einem Appell an die Adresse ohne Ausnahme aller europäischen Führer beschließen, diese Anstrengung zur Stärkung der Gemeinschaft zu unternehmen, indem sie bei sich selbst anfangen, und nicht nach Methoden zur Desintegration, zur Exklusion oder zur Teilung Europas suchen. Wir sind gegen eine Einteilung in Bessere und Schlechtere, wir sprechen uns vielmehr für eine zunehmende politische Einheit Europas aus. Wir sind für ein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein, gegen egoistische Verantwortungslosigkeit. Wir sind gegen Ausschlüsse, denn die Gemeinschaft muss auf Solidarität beruhen, auch dann, wenn sich bisweilen einer in einer schlechteren und ein anderer in einer besseren Lage befindet. Wir brauchen echte politische Führung, denn Europa verdient rasche Entscheidungen. In der aktuellen Finanzkrise, aber auch in der Zukunft. Die Krise hat sich als ein großer Test für die Effizienz der Gemeinschaft erwiesen. Wir müssen ein ernstes Gespräch über größere politische Effizienz von Europa beginnen.

In der Zukunft wird es andere Krisen und andere Konflikte geben. Diese Krise hat uns gezeigt, und es ist wirklich gut, dass es so gekommen ist, dass Europa als Gemeinschaft nicht immer schnell reagiert, weil es an dem grundlegenden Fundament mangelt, dem Vertrauen in die Institutionen, die wir gegründet haben. Diese Führung darf nicht in der Führung von ein, zwei oder drei Staaten, und seien es die stärksten, bestehen, es darf auch nicht in der Führung von Technokraten bestehen, weil sie kein demokratisches Mandat haben. Diese Führung muss einen politischen Charakter besitzen, sie muss ein demokratisches Mandat haben, und sie muss von allen akzeptiert werden. Damit sie Verpflichtungen von allen einfordern kann. Es muss eine Führung sein, die sich auf die europäischen Institutionen stützt. Ich möchte sagen, dass wir ebenso, wie wir in den nächsten Stunden, Tagen und Wochen rasche Entscheidungen brauchen, um den Euro zu retten und die Eurozone zu stabilisieren, auch eine ehrliche, intensive Diskussion über ein neues politisches System für Europa brauchen. Wir dürfen uns nicht länger täuschen. Nicht alle akzeptieren heute die Ordnung der Gemeinschaft, und darüber wir dürfen uns nicht länger täuschen. Heute können wir die Grundsätze, die wir selbst einmal eingeführt haben, nicht einfordern. Wenn es uns passt, umgehen wir heute vertragliche Verpflichtungen. Sagen wir uns also ehrlich: Erforderlich ist eine sehr tiefgreifende, sehr ernste Debatte über ein politisches System für Europa, das Europa eine gemeinschaftliche Führung gibt. Das Motto unserer Ratspräsidentschaft »Mehr Europa in Europa« hat in Wirklichkeit also auch seine politische Dimension. Ich bin der Ansicht, dass dies der der Ort dafür ist; lassen Sie sich dieses offensichtliche historische und politische Mandat nicht wegnehmen. Dies ist der Ort, der zu einer verfassunggebenden Versammlung für Europa werden sollte. Nichts wird so bleiben, wie es vor der Krise war. Ein Status quo ante bellum kommt nicht in Frage. Europa wird mit Sicherheit nach der Krise anders aussehen. Bleibt nur die Frage, ob es zerschlagen oder ob es stärker integriert sein wird. Dasselbe wird es bestimmt nicht sein, und deshalb sollte das Europäische Parlament – denn Sie haben das demokratische Mandat, Sie sollten, wie ich meine, diese große Herausforderung auf sich nehmen – die moderne verfassunggebende Versammlung für dieses neuentstehende Europa werden.

Denn vor unseren Augen entsteht ein neues Europa. Lassen Sie uns alles dafür tun, dass es ein gemeinsames, und kein geteiltes Europa sein wird. Dieses tiefe Nachdenken darf nicht bloße Dekoration bleiben, wie in der Vergangenheit immer wieder geschehen. Wir hatten Gruppen der Weisen, Task-Groups und Ausschüsse. Alle wussten, dass wir mit diesem Nachdenken für die Zukunft bereit sein müssen, aber es sind keine Grundpfeiler einer neuen Ordnung entstanden, und die Krise hat uns das mit aller Deutlichkeit und mit aller Macht gezeigt. Es geht nicht um Tausende und Abertausende neuer Vorschriften. Es geht darum, die Balance zwischen dem Nationalen und dem Gemeinschaftlichen und das Vertrauen wiederherzustellen, gestützt auf eine Handvoll verständlicher Grundsätze. Grundsätze, die wir alle akzeptieren können, und die wir von denen einfordern können, die gegen sie verstoßen wollen. Das ist die Schlüsselaufgabe für – wie ich meine – das Europäische Parlament als die moderne verfassunggebende Versammlung, die diese Grundpfeiler der neuen politischen Ordnung errichten wird. Es geht nicht darum, Angst einzujagen – die Krise ängstigt die Menschen genug. Doch wenn wir diese Aufgabe nicht bewältigen, werden kommende Generationen nicht nur der Krise die Schuld geben, sondern auch uns. Entweder kämpfen wir heute um das künftige Europa, oder wir werden diesem Europa morgen nachweinen. Ich danke Ihnen.

Übersetzung aus dem Polnischen auf der Grundlage des gesprochenen Wortes
Mit freundlicher Genehmigung der Botschaft der Republik Polen in Berlin

Fussnoten