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Analyse: Demografische Entwicklungen in Polen. Konsequenzen und Herausforderungen für die Sozialpolitik | Polen-Analysen | bpb.de

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Analyse: Demografische Entwicklungen in Polen. Konsequenzen und Herausforderungen für die Sozialpolitik Polen-Analysen Nr. 308

Anita Abramowska-Kmon

/ 14 Minuten zu lesen

In den letzten 30 Jahren hat sich Polen von einer relativ jungen zu einer alternden Bevölkerung gewandelt. Über wirtschaftliche und soziale Folgen und mögliche Lösungen.

90-jährige Frau in Wozuczyn, 2017 (© picture-alliance, Miro May)

Zusammenfassung

Der demografische Wandel, der in Polen seit dem Umbruch 1989/90 zu beobachten ist, stellt das Land vor große soziale und ökonomische Herausforderungen. Die Zahl der Älteren nimmt rasch zu, die der Kinder und Jugendlichen dagegen deutlich ab. Der Rückgang der Geburtenrate geht dabei auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen zurück, etwa der Wandel des Familienmodells, die Zunahme der Single-Haushalte, späte Entscheidungen Kinder zu bekommen, begleitet von einer steigenden Zahl von Scheidungen und alleinerziehenden Eltern. Zwar hat sich die erwartete Lebensdauer deutlich nach oben entwickelt, doch stehen der Zugang zu Leistungen moderner Medizin und Pflege derzeit nur beschränkt zur Verfügung. Diese Entwicklungen führen zu der Frage nach grundlegenden Reformen, etwa bei der Finanzierung des Gesundheits- und Pflegesystems, einer umfassenden Kinderbetreuung, Sicherung der Arbeitsplätze oder Zugang zum Wohnungsmarkt. Eine Änderung der demografischen Situation ist – trotz zahlreicher Anstrengungen in der Sozialpolitik der letzten Jahre – nicht in Sicht.

Polen erlebt wie andere europäische Länder auch seit einigen Jahrzehnten einschneidende demografische Veränderungen. Insbesondere sind diese seit Beginn der 1990er Jahre bei der Geburtenrate, der Sterblichkeit und der Migration zu beobachten. Sie führten zu einem deutlichen Wandel in der Altersstruktur der Bevölkerung, d. h. zu einem Anstieg der Anzahl und des Anteils älterer Menschen ("alternde Gesellschaft"), was vielfältige Folgen nach sich zieht. Das Ziel dieser Analyse ist es, ausgewählte Aspekte der demografischen Entwicklung in Polen vorzustellen, insbesondere der Geburtenrate, Sterblichkeit, der Alterung der Bevölkerung und der möglichen Folgen sowie auch die Herausforderungen, die vor der Sozialpolitik stehen. Aus Platzgründen wird auf einen wichtigen Aspekt der demografischen Entwicklung in Polen, die Migration, nicht eingegangen, der wegen der weitreichenden Folgen und Schwierigkeiten bei der Schätzung des Ausmaßes der Emigration und Immigration eine eigene Analyse erfordert.

Der Rückgang der Geburtenrate und Veränderungen des Familienmodells

Seit Mitte der 1990er Jahre lassen sich in Polen weitreichende Veränderungen im Bereich der Familie, ihrer Gründung, Entwicklung oder auch ihrem Auseinanderfallen sowie eine zunehmende Heterogenität von Familien und Haushalten beobachten. Die Bereitschaft, eine Ehe einzugehen, ging deutlich zurück. Ehen werden außerdem immer später geschlossen, immer häufiger gehen ihnen informelle Beziehungen voraus bzw. ersetzen diese die Ehe. Darüber hinaus verringerte sich die Dauer der Ehe und stieg die Häufigkeit von Scheidungen. Eine wesentliche Entwicklung vollzog sich auch bei der Gebärfähigkeit: Die Nachkommenschaft gemessen in der zusammengefassten Fertilitätsrate sinkt seit 1990 stetig mit Ausnahme der Jahre 2004 bis 2009 und 2016 bis 2019, als ein geringer Anstieg verzeichnet wurde. Insgesamt fiel in den Jahren 1990 bis 2021 die Geburtenrate der Frauen im gebärfähigen Alter von knapp 2 auf gut 1,3, während sich die Anzahl der Lebendgeburten in diesem Zeitraum von knapp 550.000 auf knapp 332.000 verringerte (siehe Grafik 1 in der Rubrik Statistik). Die Geburtenrate der jüngsten Frauen (bis 24 Jahre) sank deutlich, bei Frauen im Alter von 30 Jahren und älter stieg sie jedoch, allerdings in einem viel kleineren Ausmaß. Im Ergebnis stieg der Altersmedian der Frauen beim ersten Kind von knapp 26 Jahren (1990) auf fast 31 Jahre (2021). Ähnlich vergrößerte sich der Anteil der außerehelichen Geburten von 6,2 Prozent auf 26,7 Prozent. Zusammen mit der längeren Lebenserwartung tragen diese Entwicklungen zu Veränderungen in der Struktur der Familien und der Haushalte sowie letztlich auch der Bevölkerungsstruktur (z. B. Familienstand, Anzahl der Kinder, Familientyp, Haushaltstyp) bei. Die vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung 2021 zeigen beispielsweise, dass der Anteil der Verheirateten zurückging, während der Anteil der Geschiedenen stieg.

Sterblichkeit, Lebensdauer, Gesundheitszustand

In Polen wurde von Beginn der 1990er Jahre bis 2014 ein systematischer Rückgang der altersbedingten Sterberate verzeichnet, was sich im Anstieg der Lebenserwartung sowohl von Neugeborenen (e0) als auch von Personen im Alter von beispielsweise 60 Jahren (e60) zeigte (siehe Grafik 2 in der Rubrik Statistik). Ähnlich wie in anderen Ländern haben Frauen in Polen eine längere durchschnittliche Lebensdauer als Männer. Dessen ungeachtet wurde im genannten Zeitraum eine größere Zunahme bei der Lebensdauer der Männer als bei der der Frauen festgestellt. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines männlichen Neugeborenen stieg von 66,2 Jahren auf 73,8 Jahre (+ 7,5 Jahre) und eines weiblichen Neugeborenen von 75,2 auf 81,6 Jahre (+ 6,4 Jahre). Auch die Lebenserwartung der 60-Jährigen stieg: bei Männern um 3,8 Jahre auf 19,2 Jahre und bei Frauen um 4,3 Jahre auf 24,3 Jahre. Zunächst war dieser Fortschritt eine Folge u. a. des deutlichen Rückgangs der Säuglingssterblichkeit (1990 betrug die Sterblichkeitsrate bei Säuglingen mehr als 19 pro 1.000 Lebendgeburten, 2022 lag sie unter vier) und im Folgenden eine Konsequenz des deutlichen Rückgangs der Sterblichkeit bei erwachsenen Personen (20 Jahre und älter), da die Sterblichkeit infolge verschiedener Krankheiten (z. B. Kreislauferkrankungen) sowie auch äußerer Todesursachen eingedämmt und auch der Anstieg der Sterberate aufgrund von Tumorerkrankungen gebremst wurde. Diese positive Entwicklung war das Ergebnis wirkungsvoller Veränderungen des Lebensstils der Bevölkerung sowie der verbesserten Qualität der öffentlichen Gesundheitsversorgung, hinzu kamen Fortschritte in der Therapie bestimmter Krankheiten sowie Verbesserungen bei der Schwangerschafts- und Geburtsbegleitung.

Leider ist seit 2015 eine Verlangsamung dieser positiven Entwicklungen zu beobachten und die Lebensdauer der Polen hörte nicht nur auf zu steigen, sondern sie sank sogar. In den Jahren 2014 bis 2019 stieg das Parameter e0 bei Männern um 0,3 Jahre und bei Frauen um 0,2 Jahre. Die Ursache war ein Anstieg der Sterberate u. a. aufgrund von Erkrankungen der Atemwege und des Verdauungsapparates. Außerdem wurde seit 2015 bei Frauen ein Anstieg der Häufigkeit von Brust- und Lungenkrebs festgestellt, was zu mehr Todesfällen aus diesen Gründen führte. Die COVID-19-Pandemie begünstigte diese sich verschlechternde Situation und betraf insbesondere ältere Menschen. In den Jahren 2020 bis 2022 wurde in Polen eine Übersterblichkeit festgestellt, die deutlich höher war als in anderen Ländern. Hier ist darauf hinzuweisen, dass der Rückgang der Säuglingssterblichkeit seit 2016 immer langsamer verlief und sich schließlich auf einem stabilen Niveau hielt. 2021 stieg sie jedoch geringfügig auf 3,9 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten im Vergleich zu 3,6 pro 1.000 Lebendgeburten im Jahr 2020 an, was ein beunruhigendes Phänomen ist. Es ist verbunden mit dem Anstieg der Sterblichkeit im Zusammenhang mit der Entbindung sowie dem wachsenden Anteil von Totgeburten und Todesfällen von Neugeborenen in der ersten Lebenswoche. Diese beunruhigenden Veränderungen können Folgen des Urteilsspruchs des Verfassungstribunals vom 22. Oktober 2020 sein, der die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs aufgrund schwerer genetischer Schäden des Fötus ausschließt.

In der Folge verringerte sich in den Jahren 2019 bis 2021 die Lebenserwartung sowohl eines männlichen bzw. weiblichen Neugeborenen als auch einer Person im Alter von 60 Jahren um mehr als zwei Jahre. Hier ist darauf hinzuweisen, dass Polen zu der Gruppe von Ländern gehört, die den Einfluss der COVID-19-Pandemie in diesem Bereich am stärksten spürten. Damit vergrößerte sich auch der Abstand, der Polen von anderen europäischen Ländern hinsichtlich Gesundheitszustand und Lebenserwartung trennt. Zudem sei an den Zustand der psychischen Gesundheit der Einwohner Polens erinnert, insbesondere der Kinder und Jugendlichen, der sich verschlechtert hat. Insgesamt kann man also von einer Gesundheitskrise in Polen sprechen, was insbesondere im Zusammenhang mit der Pandemie ein beunruhigendes Phänomen ist.

Entwicklungen der Bevölkerungsgröße und Alterungsprozess der Bevölkerung

Die dargestellten Entwicklungen bei der Geburten- und Sterberate ziehen Veränderungen bei der Bevölkerungsgröße und ihrer Altersstruktur nach sich. Zwischen 1990 und 2022 belief sich der Bevölkerungsrückgang in Polen auf rund 380.000 Personen (ein Prozent). Zwar veränderte sich die Bevölkerungsgröße in diesem Zeitraum nur geringfügig, aber ihre Altersstruktur unterlag deutlichen Veränderungen: Der Anteil von 65-Jährigen und älter wuchs bezogen auf die Gesamtbevölkerung von zehn auf 20 Prozent, während der Anteil von Kindern und jungen Menschen von knapp 33 Prozent auf 20 Prozent deutlich sank (siehe Grafik 3 in der Rubrik Statistik). 2022 betrug der Anteil der 20- bis 64-Jährigen 60,6 Prozent und lag damit mehr als drei Prozentpunkte höher als 1990. Dieser Anteil war zunächst gestiegen, ab 2012 setzte jedoch sein Rückgang ein. 1990 machten hochbetagte Menschen (80+) zwei Prozent der Gesamtbevölkerung aus; 2022 war der Anteil doppelt so hoch. Hier ist darauf hinzuweisen, dass Polen unlängst noch zur Gruppe der demografisch jüngeren Länder gehörte. Allerdings bewirkt das im Vergleich zu den Ländern West- oder Nordeuropas höhere Tempo der beobachteten demografischen Veränderungen seit 1990, dass Polen in Zukunft eines der demografisch ältesten Länder Europas (und nicht nur) sein wird. Die Ergebnisse demografischer Prognosen zeigen, dass im Jahr 2060 Personen im Alter von 65+ ein Drittel der Bevölkerung ausmachen werden, Menschen bis zum Alter von 19 Jahren dagegen knapp 16 Prozent (siehe Grafik 3 in der Rubrik Statistik). Der Anteil der 20- bis 64-Jährigen wird sich bis 2060 voraussichtlich um fast elf Prozentpunkte auf unter 50 Prozent verringern, während der Anteil der 80-Jährigen auf über zwölf Prozent ansteigen wird. Das verdient insofern besondere Aufmerksamkeit, als die Bevölkerung Polens in den Jahren 2010 bis 2025 einem starken Alterungsprozess unterliegt, zumal die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit in den "Übergang ins Alter" eintreten. Hinzu kommt, dass sich ab 2025 der Alterungsprozess der Arbeitskräfte sowie ihre Verminderung verstärken werden. Es wird prognostiziert, dass sich das Arbeitskräftepotential (Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren) bis 2060 um ein Drittel verringern wird, während sich die Gesamtheit der Berufstätigen ebenfalls um mehr als 30 Prozent reduzieren wird, sogar unter der Annahme eines Anstiegs der Beschäftigung.

Die Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung werden von einem deutlichen Bevölkerungsverlust begleitet werden: Zwischen 2022 und 2040 wird sich die Bevölkerung Polens um fast zwei Millionen Personen (mehr als fünf Prozent) verringern und in den Jahren 2040 bis 2060 um weitere drei Millionen (knapp neun Prozent). Insgesamt wird die Bevölkerung zwischen 2022 und 2060 im Vergleich zu 2022 um mehr als fünf Millionen abnehmen (fast 14 Prozent). Dabei gilt, dass die Trends regional unterschiedlich sind; in manchen Regionen Polens lassen sich noch größere Veränderungen in der Struktur und Anzahl der Bevölkerung erwarten.

Einige Folgen der veränderten Altersstruktur

Der Prozess der alternden Bevölkerung zieht viele Konsequenzen in verschiedenen Bereichen des sozialwirtschaftlichen Lebens, sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene nach sich. Der Rückgang der Geburtenrate, der die Verringerung der Anzahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (bis zum 24. Lebensjahr) zur Folge hat, bedeutet, dass die Nachfrage nach Plätzen im Bildungssystem zurückgeht, vor allem in Grund- und Mittelschulen. Das kann zu einem verbesserten Zugang zu Bildungs- und Betreuungsangeboten für die jüngeren Kinder (Sechs- bis Siebenjährige) führen. Die kleiner werdende Zahl von 19- bis 24-Jährigen kann bewirken, dass der Druck auf das höhere Bildungswesen geringer wird, was sich positiv auf die Qualität der Ausbildung niederschlagen kann.

Der deutliche Anstieg der Anzahl von Rentnern sowie der beobachtete und vorgesehene Anstieg der öffentlichen Ausgaben für Renten-, Gesundheits- und Pflegeleistungen bei gleichzeitig weniger werdenden Einnahmen der Sozialversicherungssysteme stellt die Entscheidungsträger vor ungeheure Herausforderungen. Beispielsweise sagen Schätzungen derWorking Group on Ageing Populations and Sustainability (AWG ) desEconomic Policy Committee der Europäischen Union voraus, dass die älter werdende Bevölkerung einen Anstieg der öffentlichen Ausgaben in Polen bis 2070 in Höhe von vier Prozentpunkten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Vergleich zu 20,1 Prozent im Jahr 2019 nach sich ziehen wird und der Anstieg v.a. durch höhere Ausgaben in der Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege verursacht werden wird. (Vorhergesagt wird auch, dass diese Ausgaben für alle EU-Länder um 1,9 Prozentpunkte des BIP bis 2070 im Vergleich zu 24 Prozent des BIP im Jahr 2019 steigen werden.) Schätzungen derAWG für den analysierten Zeitraum zufolge werden sich die Ausgaben im Bildungsbereich und für die Rentenzahlungen geringfügig reduzieren (um 0,1 Prozentpunkt bzw. 0,2 Prozentpunkte). Der vorhergesagte Rückgang der öffentlichen Ausgaben für Rentenzahlungen bei gleichzeitigem erwartetem starken Anstieg der Anzahl berechtigter Leistungsempfänger ist mit folgenden Faktoren verbunden: mit dem Gefälle zwischen der Durchschnittsrente und dem Durchschnittsgehalt um 6,8 Prozentpunkte des BIP, was die geringere relative Höhe der Renten widerspiegelt, mit der Verringerung des Rentenniveaus im Moment des Renteneintritts (fast 29 Prozent bis 2070) und mit der Beschränkung der Möglichkeit, in den vorzeitigen Ruhestand zu gehen.

Die zunehmende Zahl älterer, auch hochbetagter Menschen (80+) bei damit einhergehender Verschlechterung des Gesundheitszustands hat zur Folge, dass der Bedarf an gesundheitlicher Betreuung und Langzeitpflege für ältere Menschen in Polen wächst. Schätzungen derAWG gehen davon aus, dass sich in den Jahren 2019 bis 2070 die Ausgaben der öffentlichen Hand für Gesundheitsleistungen auf 7,4 Prozent des BIP erhöhen werden (ein Anstieg von 2,6 Prozentpunkten) und für Langzeitpflege auf 2,4 Prozent des BIP (ein Anstieg von 1,6 Prozentpunkten). Hier muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Ausgaben für die Langzeitpflege in Polen sehr niedrig sind. Das bedeutet, dass der Zugang zu öffentlichen Betreuungsangeboten für ältere Menschen unzureichend ist, was umgekehrt dazu führt, dass diese Betreuung in informellen sozialen Netzwerken stattfindet. Vor diesem Hintergrund kann sich der prognostizierte Anstieg für die Langzeitpflege als nicht ausreichend erweisen.

Darüber hinaus ist die Frage der Unterstützung älterer hilfsbedürftiger Menschen auch gesellschaftlich und kulturell geprägt. Für die Versorgung der älter werdenden Eltern sind in erster Linie die Kinder verantwortlich und wenn die Kinder fehlen, die Geschwister und weitere Angehörige. Die Betreuung älterer hilfsbedürftiger Personen wird also vor allem von Familienmitgliedern (Ehepartner, Kinder, Schwiegerkinder) übernommen und weniger von Freunden, Bekannten und Nachbarn. Die Behörden sind zu Betreuungsleistungen für ältere Bedürftige bei deutlicher Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes nur verpflichtet, wenn in der Familie keine Möglichkeiten bestehen, die Betreuung zu gewährleisten. Die Reichweite der offiziellen Hilfsleitungen ist allerdings nicht groß: Nur jede hundertste Person nutzt die Dienste der formalen Betreuung. Hervorzuheben ist, dass die nächsten Angehörigen am intensivsten Unterstützung leisten, sowohl was den täglichen Einsatz betrifft als auch die Dauer im Zeitverlauf. Andere Menschen helfen älteren Menschen eher ad hoc, vor allem wenn sich der Gesundheitszustand kurzfristig verschlechtert. Trotz des bedeutenden Engagements, das Menschen aus dem sozialen Umfeld für die Versorgung älterer Personen aufbringen, wird bei mehr als der Hälfte der Gesamtheit der Personen im Alter von 65 Jahren und älter der Versorgungsbedarf nicht gedeckt. Das führt zu der Situation, dass ein älterer Mensch Unterstützungsbedarf bei einer oder mehreren grundlegenden Tätigkeiten des Alltags anmeldet, aber keine adäquate Hilfe bekommt. Ein Teil des Betreuungsbedarfs bleibt vermutlich in geringem Maße unerfüllt, ein Teil aber auch in deutlichem Ausmaß. Das kann sich wiederum negativ auf den Gesundheitszustand und die Lebensqualität der älteren Menschen auswirken. Ein weiterer Aspekt ist, dass sich die festgestellten demografischen Entwicklungen (Geburtenrückgang, Anstieg der Lebenserwartung, Veränderungen im Familienmodell, Migration) negativ auf die Verfügbarkeit der informellen Betreuungskräfte auswirken, was wiederum einen verstärkten Bedarf an – im weiten Sinn gefasste – Betreuung für ältere Personen, öffentliche Versorgungsangebote inbegriffen, nach sich zieht.

Herausforderungen für die Sozialpolitik und Lösungsansätze

Die beobachteten und prognostizierten demografischen Entwicklungen in Polen, darunter die alternde sowie abnehmende Bevölkerung, haben viele sozialwirtschaftliche Folgen. Ein Teil von ihnen wird negative Auswirkungen haben, wenn nicht schon jetzt entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Die angenommenen Folgen stellen sowohl die politisch Verantwortlichen als auch die individuell Betroffenen vor ungeheure Herausforderungen. Um den negativen Folgen der alternden Bevölkerung entgegenzuwirken, werden verschiedene Schritte vorgeschlagen, mit dem Ziel, diesen Prozess zu verlangsamen und außerdem den Bevölkerungsrückgang aufzuhalten. Eine mögliche Lösung wird im Geburtenanstieg gesehen – allerdings muss eingeräumt werden, dass dessen Folgen in Form einer höheren Anzahl von Geburten und letztlich jungen Menschen frühestens in einigen Jahren oder Jahrzehnten zum Tragen kommen werden. Wenig wahrscheinlich ist zudem, dass die zusammengefasste Fertilitätsrate auf ein Niveau ansteigen wird, das die natürlichen Todesfälle der Generationen ausgleichen kann, da es in Polen für junge Menschen viele Hindernisse bei der Familienplanung gibt. Dazu gehören u. a. Schwierigkeiten, den Beruf und die Betreuung kleiner Kinder zu vereinbaren, da der Zugang zu qualitativ guten Betreuungseinrichtungen (Krippen, Kindertagesstätten) oder die Möglichkeit, in Teilzeit oder flexiblen Beschäftigungsformen zu arbeiten, beschränkt sind. Junge Frauen befürchten, dass sie nach der Geburt eines Kindes aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und nicht mehr an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren können, weshalb sie sich im Vergleich zu Männern häufig diskriminiert fühlen. Eine gute Lösung ist hier die Möglichkeit, den Mutterschafts- und Elternurlaub auf beide Elternteile auszurichten. Zurzeit haben Väter in Polen die Möglichkeit, in den ersten beiden Lebensjahren des Kindes zwei Wochen Vaterschaftsurlaub in Anspruch zu nehmen. Wird der Urlaub nicht genommen, verfällt er. Zwar kann auch der Elternurlaub (max. 32 Wochen) vom Vater beantragt werden, aber in der Praxis nehmen ihn deutlich häufiger die Mütter. Darüber hinaus sollte der Einsatz der Väter bei der Kinderbetreuung und im Haushalt mit dem Ziel einer ausgeglicheneren Aufgabenverteilung zwischen beiden Elternteilen unterstützt werden. Das könnte die Belastung der Frauen deutlich verringern und zu einer größeren Bereitschaft beitragen, mehr Kinder haben zu wollen.

Hinzu kommen auch die Schwierigkeiten, einen stabilen, gut bezahlten Arbeitsplatz zu finden. Junge Menschen verschieben die Entscheidung, Kinder zu bekommen, solange sie nicht in angemessenen materiellen Bedingungen leben, wozu eine eigene Wohnung gehört. Maßnahmen der Sozialpolitik sollten daher das Ziel verfolgen, jungen Menschen den Eintritt auf den Arbeitsmarkt und in ein stabiles Beschäftigungsverhältnis sowie den Erwerb einer Wohnung zu erleichtern. Hier sind Steuererleichterungen für junge Menschen oder z. B. die Zinssenkung bei Wohnungskrediten gute Ansätze.

Ein weiterer Grund für die niedrige Geburtenrate in Polen ist, dass entsprechende Partner fehlen. Das ergibt sich u. a. aus dem bestehenden Bildungsgefälle: Junge Frauen haben deutlich häufiger als gleichaltrige Männer einen höheren Bildungsabschluss. Die Maßnahmen der Sozial- und Bildungspolitik sollten also auf die Verringerung des Gefälles zielen und für Jungen und junge Männer entsprechende Anreize schaffen, ebenfalls einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben.

Insgesamt sollten die Maßnahmen der Sozialpolitik für einen Anstieg der Geburtenrate die Präferenzen der jungen Menschen hinsichtlich der Anzahl der geplanten Kinder oder der Möglichkeiten, Arbeit und Familie zu vereinbaren, berücksichtigen. Das Ziel sollte es sein, die Pläne der jungen Menschen, eine Familie zu gründen oder auch nicht, ohne Diskriminierung und negative Bewertung ihrer Entscheidung und Lebenssituation zu erleichtern. Mit Blick auf die verschobene Entscheidung für ein Kind, die freiwillig oder den jeweiligen Lebensumständen geschuldet sein und mit dem Risiko auftretender Schwierigkeiten bei späterem Kinderwunsch einhergehen kann, sollte die Politik außerdem den Zugang zu modernen und wirksamen Methoden zur Heilung von Unfruchtbarkeit gewährleisten. Die Sozialpolitik, d. h. auch die Familienförderpolitik, sollte sich schnell und flexibel an die sich verändernden Präferenzen junger Menschen anpassen und ihre Einstellungen mit berücksichtigen.

Eine weitere wichtige Herausforderung für die Sozialpolitik ist angesichts der erwarteten demografischen Entwicklungen die öffentliche Gesundheitsfürsorge. Ihre Maßnahmen sollten auf die Verbesserung des Gesundheitszustands der Bevölkerung und die Reduzierung von vermeidbaren Todesfällen und damit auf den Anstieg der Lebenszeit und der Lebensqualität bei Menschen jedweden Alters ausgerichtet sein. Dazu gehören zum einen Leistungen zum Schutz der Gesundheit, z. B. die wirksame Behandlung oder frühzeitige Entdeckung der Krankheiten, welche die Hauptursachen für Todesfälle in Polen sind. Zum anderen sollte der Fokus auf der Aufklärung über einen gesunden Lebensstil (körperliche Aktivität, gesunde Ernährung, negative Auswirkungen des Rauchens, Alkohol- und Drogenkonsums) liegen, der den Gesundheitszustand und die Lebensdauer in hohem Maße bestimmt. Zu den Maßnahmen sollte auch eine weit gefasste Prophylaxe wie Früherkennungsuntersuchungen oder Impfungen gehören. Um die soziale Ungleichheit im Bereich der Gesundheit und der Lebensdauer zu verringern, sollten ein gesunder Lebensstil und die Eigenverantwortung dafür bereits in jungen Jahren vermittelt werden. Angesichts der geschilderten tief greifenden Veränderungen in der Altersstruktur der Bevölkerung sowie des Bevölkerungsrückgangs in Polen sollten für die Sozialpolitik Investitionen in die Gesundheitsfürsorge Priorität haben.

Die alternde Bevölkerung stellt die Entscheidungsträger auch vor große Herausforderungen, was die Gewährleistung verschiedener Unterstützungsleistungen für ältere Menschen sowie ihre Finanzierung betrifft. Die Notwendigkeit, eine weitreichende Reform des Rentensystems durchzuführen, wozu auch die Anhebung des Renteneintrittsalters gehört, wird von Experten seit langem gefordert, ebenso der Bedarf, mehr Personen zu beschäftigen, die am Arbeitsmarkt weniger präsent sind (Frauen, Personen, die kurz vor der Rente stehen usw.). Weiter stellt sich den öffentlichen Institutionen die wichtige Aufgabe, der wachsenden Zahl älterer Menschen (insbesondere den Hochbetagten), verschiedene Formen von Unterstützung (Betreuung, Pflege, praktische Hilfsangebote) zu gewährleisten. Neben der Notwendigkeit, die Ausgaben hierfür zu erhöhen, bedeutet das auch, die Personalkapazitäten in Gesundheits- und Pflegeberufen zu erweitern. Schon jetzt melden ältere Menschen einen ungedeckten Bedarf an Pflegemaßnahmen und es steht zu erwarten, dass er ohne entsprechende Aktivitäten vonseiten der öffentlichen Institutionen weiter wächst.

Um es zusammenzufassen: Polen erlebt umfassende demografische Veränderungen, die große Fragen an die Sozialpolitik stellen. Ziel der staatlichen Aktivitäten in diesem Feld sollte es sein, einerseits eine stabile öffentliche Finanzierung sicherzustellen und andererseits die Verbesserung der Lebensqualität in jedem Lebensalter. Betrachtet man das Tempo, in dem die Veränderungen fortschreiten, hätten manche Lösungen der Sozialpolitik schon längst eingeführt werden sollen.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Fussnoten

Weitere Inhalte

Dr. Anita Abramowska-Kmon leitet den Lehrstuhl für Demografie am Institut für Statistik und Demografie der Wirtschaftshochschule Warschau (Zakład Demografii, Instytut Statystyki i Demografii, Szkoła Główna Handlowa – SGH, Warszawa) und ist Chefredakteurin der Fachzeitschrift Studia Demograficzne (»Demografische Studien«).