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Analyse: Deutschland im Russland-Ukraine-Konflikt: eine politische oder eine humanitäre Aufgabe? | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Deutschland im Russland-Ukraine-Konflikt: eine politische oder eine humanitäre Aufgabe?

Anna Kwiatkowska-Drożdż und Kamil Frymark

/ 11 Minuten zu lesen

Berlin weiß um die Ambivalenzen seiner diplomatischen Vermittlung: Einerseits gilt Russland als Staat mit immensem Zerstörungspotential, andererseits ist man sich einig, die Sicherheit Europas könne "nur mit Russland, nicht gegen es" realisiert werden. Stimmen zu einer Doppelstrategie aus Zurückhaltung und Engagement werden lauter.

Außenminister Steinmeier bei seiner Rückkehr von den Friedensverhandlungen in Minsk im Februar 2015. (© picture-alliance/dpa)

Einleitung

Seit dem Beginn des Russland-Ukraine-Konflikts kann man in Deutschland tiefgreifende Veränderungen der Wahrnehmung Russlands, seiner politischen Eliten und seiner Außenpolitik beobachten. Das Vertrauen der meisten deutschen Politiker gegenüber ihrem ehemaligen strategischen Partner hat inzwischen nachgelassen. Gleichzeitig war Deutschland teilweise in den Prozess zur Lösung des Konflikts involviert, vor allem durch seine enormen diplomatischen Bemühungen. Als dieser scheiterte, zögerte Kanzlerin Angela Merkel nicht, Wirtschaftssanktionen ein- und fortzuführen. Die veränderte deutsche Wahrnehmung von Russland übertrug sich jedoch keineswegs auf die beiden Grundannahmen der deutschen Einstellung in Bezug auf eine mögliche Lösung des Konflikts. Erstens unterstützt die deutsche Politik das Konzept des "strategischen Abwartens" im Kontext der russischen Aggression. Zweitens ist Deutschland überzeugt, dass es Europas Bestimmung ist, mit der Russischen Föderation zu kooperieren. Europas Wohlstand und Sicherheit sind nur möglich, wenn Russland weiterhin ein kooperativer Partner ist. Demzufolge ist in der nahen Zukunft keine radikale Veränderung der erwähnten deutschen Politik zu erwarten. Dies wirft nicht nur Fragen nach der Effektivität der derzeitigen Maßnahmen Berlins auf, sondern – in einem weiteren Sinne – auch solche nach Deutschlands Fähigkeit, zu verhandeln und reale politische Lösungen im Russland-Ukraine-Konflikt zu erreichen, die über eine (erneute) Waffenruhe hinausgehen. Das Minsker Abkommen vom 12. Februar kann im Sinne einer humanitären Mission, die in der Hoffnung abgeschlossen wurde, die Zahl der Opfer zu verringern, als Erfolg angesehen werden. Die von Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier unternommene politische Mission bezüglich der "Sicherstellung der europäischen Sicherheitslage" resultierte bislang jedoch in einem Gefühl der Hilflosigkeit und Frustration, das die deutsche Politik gegenüber Russland in letzter Zeit dominiert hat.

Die deutsche diplomatische Offensive

Für Deutschland ist der Ukraine-Russland-Konflikt gleichbedeutend mit der Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität eines europäischen Staates und seine mögliche Eskalation wird als Auftakt zu einem weiteren bewaffneten Konflikt in Europa angesehen. Aus diesem Grund war die Aufgabe, eine Lösung für den Konflikt zu finden, für Berlin die bedeutendste Aufgabe seiner Außenpolitik seit der Wiedervereinigung Deutschlands. Aus Sicht der deutschen Politiker ist die einzige Methode zur Lösung des Konflikts die Doktrin des "strategischen Abwartens". Sie stellt die nachhaltige und konsistente Verfolgung der eigenen Politik sicher, auch wenn sie häufig Fehlschläge mit sich bringt.

Den unmittelbare Anlass für die deutsch-französische Initiative bildete die Eskalation der militärischen Ausschreitungen im Donezbecken während des Besuchs von Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande in Kiew (am 5. Februar) und Moskau (am 6. Februar), die dort einen Waffenstillstand vereinbaren und die Bedingungen für dessen Überwachung festlegen wollten. Auch die Debatte über die Legitimität möglicher Waffenlieferungen der NATO-Staaten an die Ukraine spielte eine bedeutende Rolle, da eine solche Aktion zu starken Verstimmungen zwischen den USA und Deutschland führen könnte. Außerdem war das Gefühl, dass das bisherige diplomatische Vorgehen gescheitert war, von großer Bedeutung; Außenminister Steinmeier erwähnte mehrfach seine Enttäuschung über mangelnde Fortschritte bei den Verhandlungen.

Kanzlerin Merkel änderte bei dem Treffen mit Präsident Putin in Moskau ihre ursprüngliche Position. Vor diesem Treffen hatte sie sich noch für klare Fortschritte bei der Deeskalation des Konflikts als Bedingung für ein Treffen mit dem russischen Präsidenten im sogenannten Normandie-Format ausgesprochen (diese Art von Treffen war ursprünglich für Mitte Januar in Astana geplant gewesen). Ferner wich sie von ihrer Einstellung ab, ein Treffen in Moskau zu boykottieren (das mehrere deutsche Politiker und Experten schon lange gefordert hatten). Wegen der erneuten Offensive der durch Russland unterstützten Rebellen Mitte Januar und der wachsenden Zahl von Gefallenen im Donezbecken und in Mariupol entschied sich Kanzlerin Merkel jedoch, persönlich am Verhandlungsprozess teilzunehmen, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Diese Entscheidung wurde außerdem durch die zurzeit in den USA laufende Debatte über mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine beeinflusst.

Kanzlerin Merkel schloss diese Möglichkeit kategorisch aus (zum Beispiel sprach sie sich auf der Münchener Sicherheitskonferenz dagegen aus); in ihren Augen birgt sie das Risiko, den Konflikt zu eskalieren. Ihre Bereitschaft zu dem Treffen in Minsk war darüber hinaus durch das Scheitern der deutschen Diplomatie motiviert, die überwiegend durch Außenminister Steinmeier betrieben worden war. Seit dem Beginn der Krise versuchte Deutschland, ein verbindliches Abkommen über einen Waffenstillstand zu erreichen. Dies war das Konzept hinter dem am 5. September 2014 unterschriebenen Minsker Abkommen und dem am 19. September 2014 unterschriebenen Protokoll. Für Deutschland stellten diese Dokumente die Basis für weitere politische Verhandlungen dar und Kanzlerin Merkel machte eine mögliche Aufhebung der gegenüber Russland verhängten Sanktionen von der vollständigen Einhaltung der getroffenen Vereinbarungen abhängig.

Das zur Lösung des Konflikts im Donezbecken beschlossene Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 machte den Weg für einen Waffenstillstand frei. Es machte jedoch der Ukraine mehr Auflagen als den Separatisten. Russland könnte das Abkommen zudem nutzen, um der Ukraine die Nichteinhaltung von Bestimmungen vorzuwerfen, während eine vollständige Befolgung der den Separatisten gemachten Vorschriften deren Legitimation bewirken könnte. Gleichzeitig erlaubt das Abkommen Russland nicht, seine strategischen Ziele gegenüber der Ukraine zu realisieren. Das könnte zu der Annahme führen, dass das Dokument nur eine temporäre Deeskalation des Konflikts ermöglicht. Doch selbst eine lückenhafte Lösung wie diese würde es Deutschland und Frankreich erlauben, ihr Gesicht zu wahren. Darüber hinaus betrachten Teile der öffentlichen Meinung in Europa dies sogar als Beweis dafür, dass Deutschland eine Art Test bezüglich seiner Führungsrolle bestanden hat.

Russland – eine strategische Herausforderung

Ungeachtet der Bemühungen, eine verbindliche politische Vereinbarung zu treffen und den Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu lösen, sprich eine "politische Aufgabe" auszuführen, wurde Deutschland mit dem russischen Widerwillen gegenüber einer Kooperation konfrontiert. Als Konsequenz daraus hat Deutschland seine Erwartungen kontinuierlich gesenkt, bis aus der politischen de facto schließlich eine "humanitäre Aufgabe" mit begrenztem Ziel wurde: die militärischen Übergriffe aufzuhalten und die steigenden Opferzahlen zu stoppen.

In einem größeren Kontext betrachtet hat Deutschland Russland schon vor dem aktuellen Konflikt als Staat mit immensem Zerstörungspotential angesehen. Gleichzeitig ist Berlin überzeugt, dass Russland, komme was wolle, der wichtigste Nachbar der EU bleibt und dass die Sicherheit Europas "nur mit Russland, nicht gegen es" zu realisieren ist. Des Weiteren schließt Deutschland die neutrale Möglichkeit, einen Sicherheitsraum "neben Russland" aufzubauen, aus. Vielmehr sieht es in Russland einen wichtigen Partner, ohne den viele internationale Konflikte unmöglich gelöst werden können (etwa die iranische Atomprogrammkrise oder der Syrien-Konflikt). Aus diesem Grund wurden in Deutschland Stimmen lauter, die den Einsatz einer Doppelstrategie gegenüber Russland forderten. Diese Doppelstrategie, congagement genannt, ist eine Kombination aus einer Politik der Zurückhaltung (containment) und einer des Engagements (engagement). Diese Annahme wurde zur Grundlage weiterer Kooperationsangebote an Russland (inklusive einer Erneuerung der Partnerschaft zwecks Modernisierung und Unterzeichnung des Freihandelsvertrags zwischen EU und Eurasischer Union). Die Kooperationsangebote wurden Russland nicht nur durch Deutschlands sozialdemokratischen Spitzenpolitiker unterbreitet, sondern auch durch die Christdemokraten mit Kanzlerin Merkel an ihrer Spitze. Zur selben Zeit, während des NATO-Gipfels in Newport am 4. und 5. September 2014, befürwortete Deutschland eine Stärkung der NATO-Ostflanke. Deutschland nahm 2014 an erhöhten NATO-Aktivitäten in den baltischen Staaten sowie in Polen und Rumänien teil. Außerdem hat Berlin der Kooperation mit Polen und Dänemark zur Erhöhung der Gefechtsbereitschaft des Multinational Corps Northeast in Szczechin zugestimmt. Dessen Ankündigungen zufolge werden 2015 deutsche Soldaten an Militärübungen in Polen und den baltischen Staaten als Teil einer erhöhten rotierenden Militärpräsenz an der Ostflanke der NATO teilnehmen.

Während des Russland-Ukraine-Konflikts verstärkte die deutsche Regierung beständig ihre Kritik an Russland. Im EU-Forum akzeptierte Berlin die Aufgabe, eine von den 28 EU-Staaten unterstützte Strategie zu entwerfen und zu implementieren (inklusive einer Verschärfung der Sanktionen, teils auch gegen den Standpunkt einiger EU-Staaten, wie nach dem Abschuss der malaysischen Passagiermaschine). Die Annahme der Rolle des Initiators einer EU-Strategie zum Ukraine-Konflikt wurde Berlin einerseits aufgedrängt, sie ist andererseits aber auch eine Konsequenz aus der deutschen Führungsrolle innerhalb der EU. Beides resultiert aus Deutschlands Vorrangstellung in der EU, aus seiner Wirtschaftsleistung, der traditionellen Verbundenheit mit Russland und aus der Schwäche der restlichen EU-Akteure. Besonders fällt die Trägheit der EU-Institutionen auf, die bestenfalls die Funktion von "Sekretariaten" zur Unterstützung deutscher Handlungen übernehmen, sowie die Schwäche einzelner Staaten, etwa Frankreichs (aufgrund seiner wirtschaftlichen Probleme) und des Vereinigten Königreichs (das sich von der EU distanziert hat). Auch Präsident Barack Obama, der sich langsam dem Ende seiner zweiten Amtszeit nähert, ist nicht bereit, sich an einer Konfliktlösung zu beteiligen, obwohl sowohl Obama als auch Merkel beim Besuch von Kanzlerin Merkel in Washington versuchten, eine gemeinsame Haltung des Westens in der Angelegenheit zu stärken, auch wenn es "Unterschiede in den jeweiligen Ansichten der Länder" bezüglich möglicher Unterstützung für die Ukraine gäbe.

Trennlinien innerhalb der Gesellschaft

Die Haltung der Regierung Merkel bezüglich des Russland-Ukraine-Konflikts trifft bei einem großen Teil der deutschen Bevölkerung auf breite Zustimmung. Trotz eines Rückgangs der deutschen Exporte nach Russland (um 18 % verglichen mit dem Vorjahr) haben Wirtschaftskreise den Vorrang der Politik vor der Wirtschaft und die daraus folgenden Moskau auferlegten Sanktionen akzeptiert. Unter anderem resultiert diese Einstellung aus den guten Werten der deutschen Wirtschaft im Jahr 2014 und aus der Annahme, dass Russlands Vorgehen die Bedingungen für den Handel destabilisiert und deswegen die deutschen Wirtschaftsinteressen bedroht.

Die hohe Zustimmung in der Öffentlichkeit folgt unter anderem aus Kanzlerin Merkels Fähigkeit, die oftmals gegensätzlichen Linien der politischen und öffentlichen Debatten in Deutschland zu verknüpfen und in ihrer täglichen Regierungsroutine Kompromisse zu schließen.

Es scheint, dass Deutschlands Stimmungslage weiterhin durch zwei wesentliche Ansätze in Bezug auf Russland bestimmt ist. Auf der einen Seite gibt es immer noch die große Gruppe der Ostpolitik-Befürworter, die die Idee, Russlands Forderungen zu erfüllen, gutheißen und Sanktionen als ineffizientes Mittel des Kampfes zwischen den USA und Russland ansehen. Auf der anderen Seite sind mehrere Gruppen enttäuscht von den mangelnden Ergebnissen der bisher von Europa verfolgten Politik der Annäherung an Russland. Seit dem Beginn des Russland-Ukraine-Konflikts ist diese Gruppe der sogenannten Russlandversteher massiv geschwächt worden und immer mehr Akteure mussten eingestehen, dass Russland für Deutschland kein zuverlässiger Partner ist.

In der gegenwärtig in Deutschland geführten Debatte über Ansätze in Bezug auf den Russland-Ukraine-Konflikt verlaufen die Trennlinien zwischen den verschiedenen Anschauungen nicht entlang von Linien der Parteizugehörigkeit. Es existiert zwar zugegebenermaßen ein Konsens darüber, dass die von Deutschland und Frankreich unternommene Initiative richtig war, die Meinungen über mögliche Waffenlieferungen oder mögliche Lösungen des Konflikts in der Ukraine gehen aber auseinander. Ein Teil der Eliten behauptet, die Ablehnung der Möglichkeit von Waffenlieferungen sei in Bezug auf die Verhandlungen mit Russland ein strategischer Fehler (diese Ansicht vertreten zum Beispiel Marieluise Beck von Bündnis 90/Die Grünen und Michael Gahler von der CDU), während andere der Meinung sind, die Ukraine solle eine verbindliche Vereinbarung über den Verzicht auf den angestrebten NATO-Beitritt unterzeichnen (Die LINKE). Ähnliche Meinungsverschiedenheiten gibt es selbstverständlich auch hinsichtlich der Sanktionen: 45 % der CDU-/CSU-Anhänger betrachten sie als angemessene Reaktion auf Russlands Vorgehen, weitere 45 % sind anderer Meinung. Von den Anhängern der Sozialdemokraten stimmen 55 % den Sanktionen zu, 41 % sind der Meinung, diese sollten verschärft werden. In beiden Fällen müssen die Koalitionsparteien eine weitere Hürde überwinden, was für deren scharfsinnige Anti-Russland-Rhetorik schädlich wäre. Auf der rechten Seite der politischen Bühne versucht die euroskeptische Alternative für Deutschland (AfD), die enttäuschten CDU-/CSU-Wähler durch Verwendung von Pro-Russland-Slogans für sich zu gewinnen. Auf der linken Seite der politischen Bühne werden dagegen deutliche Pro-Russland-Ansichten von der post-kommunistischen LINKEN verbreitet.

Trotz alledem befürworten die meisten Deutschen die Sanktionen der EU gegen Russland (65 % der Befragten einer Meinungsumfrage des Instituts Infratest dimap, durchgeführt im Februar 2015) und wünschen sich eine entschlossenere Reaktion der EU auf das Vorgehen Russlands als bisher (55 %). Gleichzeitig befürchten 70 % der Bevölkerung eine Eskalation des Konflikts zwischen Russland und dem Westen und 48 % nehmen an, dass Russland sich durch den Westen bedroht fühlen könnte. Darüber hinaus lehnen 69 % der Deutschen eine ständige Präsenz der NATO in Osteuropa ab und 78 % der Befragten befürchten, dass Russland ein Partner wäre, dem man nicht trauen kann.

Zusammenfassung: eine humanitäre Aufgabe statt einer diplomatischen

Durch seine Beteiligung an der Lösung des Konflikts mit Russland konnte Deutschland seine Führungsrolle innerhalb der Europäischen Union stärken. Die öffentliche Debatte ist praktisch frei von Meinungen in Bezug auf Deutschlands Legitimation, die Verhandlungen im Namen der EU zu leiten. Berlin hatte eine Schlüsselrolle bei diesen Gesprächen inne (obwohl es sich der Gefahr, im Falle eines Scheiterns der Gespräche die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren, bewusst ist). Dies liegt nicht nur daran, dass Präsident Putin mit keinem anderen Land über eine Lösung des Konflikts sprechen möchte, sondern auch daran, dass ein großer Teil der EU-Staaten sowie die USA bereit sind, diese Aufgabe Deutschland anzuvertrauen. Der deutschen Diplomatie ist es trotz dieses Grads an Unterstützung anscheinend nicht möglich, einen beachtlichen Fortschritt in den Verhandlungen mit Russland zu erzielen. Allerdings gab es zahlreiche strategische Einschränkungen der deutschen Politik hinsichtlich der russischen Aggression in der Ukraine. Am stärksten werden die Verhandlungen derzeit durch die Erpressungsversuche Russlands eingeschränkt, die sich auf "Argumente der Stärke" und der "Unberechenbarkeit" stützen. Dies demonstrierten der radikale Wandel von Kanzlerin Merkels Haltung und ihre Zustimmung zu den mehrmaligen Verhandlungen in Minsk. Es waren die Eskalation der Kampfhandlungen durch die Separatisten und die große Zahl der Opfer, die Kanzlerin Merkel überzeugten, nach Moskau zu reisen und über die von Präsident Putin unterbreiteten Vorschläge zu verhandeln. Vorher war sie strikt gegen diesen Plan gewesen. Darüber hinaus haben der deutsche Außenminister und auch Kanzlerin Merkel persönlich die Möglichkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine sofort ausgeschlossen, womit sie sich eines starken Arguments bei den Verhandlungen mit Moskau beraubten. Moskau wiederum hat mehrfach versucht, den Westen davon zu überzeugen, dass es nur unter Druck nachgeben würde (zum Beispiel verursacht durch die gemeinsamen Wirtschaftssanktionen der EU). Durch das Festhalten an dieser Methode festigte Deutschland die russische Einstellung, wonach eine Lösung des Russland-Ukraine-Konflikts nur durch die Realisierung von einem von zwei sich gegenseitig ausschließenden Szenarien möglich ist: das eine sind Diplomatie und politische Lösungen, das andere beinhaltet Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Möglichkeit diplomatischen Vorgehens in Kombination mit der Demonstrierung militärischen Potentials ist nur für eine Seite eine Option: Russland. Angewandt vom Westen würde sie eine "Eskalation des Konflikts" bedeuten.

Es stellt sich die Frage, ob Deutschland – das sich die Verhandlungen zu leiten vorgenommen hat – weiterhin daran interessiert ist, eine diplomatische Mission zum Erreichen einer politischen Vereinbarung mit Russland durchzuführen (die Kapitulation der Ukraine nicht miteinbezogen), oder ob nur eine humanitäre Mission stattfinden soll. Ein Argument für die letztere Option wäre die Etablierung von Frieden und Stabilität in der Region und – was noch viel wichtiger ist – die Vermeidung weiterer Opfer. Diese Option würde aber gleichzeitig auch bedeuten, die Hoffnung aufzugeben, in unmittelbarer Zukunft eine politische Lösung für die Krise in der Region zu finden. Es ist zu hoffen, dass die deutsche Regierung sich bewusst ist, dass der Konflikt mit Russland in Wirklichkeit ein Konflikt über die Art und Weise der internationalen Ordnung ist. Er reicht weit über den Krieg im Donezbecken und sogar über den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hinaus.

Übersetzung aus dem Englischen: Dennis Bereslavskij
Redaktion: Sophie Hellgardt

Fussnoten

Anna Kwiatkowska-Drożdż und Kamil Frymark sind Mitarbeiter am Zentrum für Osteuropastudien (OSW) in Warschau. Anna Kwiatkowska-Drożdż leitet seit 2005 die Abteilung für Deutschland und Nordeuropa. Kamil Frymark ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der gleichen Abteilung und Doktorand am Institut für Internationale Beziehungen der Universität Warschau.