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Analyse: Neue Kirchengesetzentwürfe verschärfen konfessionelle Konflikte in der Ukraine | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Neue Kirchengesetzentwürfe verschärfen konfessionelle Konflikte in der Ukraine

Martin-Paul Buchholz

/ 11 Minuten zu lesen

Die konfessionellen Konflikte in der Ukraine lassen sich auf den Zusammenbruch der Sowjetunion zurückführen. Unterschiedliche Kirchen teilen das Land und die Gläubigen. Auch mit den neuen Kirchengesetzentwürfen scheint keine Entspannung in Sicht zu sein.

Der Patriarch Filaret ist Oberhaupt der Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats, welches bis heute nicht von der Weltorthodoxie anerkannt wird. (© picture alliance / NurPhoto)

Zwischenkirchliche Konflikte lassen sich in der Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit ausmachen. Einer der Hauptkonflikte besteht dabei zwischen Kiewer und Moskauer Patriarchat. Ein Konflikt, der sich nach dem Euromaidan noch einmal verstärkt hat, ist vor allem auf Gemeindeübertritte von einer Kirche zur anderen zurückzuführen. Zwei neue Entwürfe für "Kirchengesetze", die von der Werchowna Rada aber noch nicht verabschiedet worden sind, haben diesen Konflikt verstärkt.

Konfessionelle Situation und konfessionelle Konflikte seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion

Die aktuellen konfessionellen Konflikte in der Ukraine, die zurzeit hauptsächlich ein Konflikt zwischen Kiewer und Moskauer Patriarchat prägt, haben in der Ukraine eine jahrelange Tradition. Die konfessionelle Situation der Ukraine ist komplexer als in den übrigen postsowjetischen Staaten (s. Beitrag von Thomas Bremer in den Externer Link: Ukraine-Analysen 43) und besonders konfliktgeladen. Das Land kann allein drei ukrainische orthodoxe Kirchen aufweisen, die untereinander zerstritten sind. Sie alle führen ihren Ursprung auf die Christianisierung der Kiewer Rus zurück: Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (UOK-MP), die formell zum Moskauer Patriarchat gehört, die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats (UOK-KP) und die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche (UAOK). Die UOK-MP kann bis heute die meisten Gemeinden aufweisen (s. Interner Link: Tabelle 1), gefolgt von der UOK-KP. Zwischen diesen beiden Kirchen kommt es seit 1992 immer wieder zu Konflikten. In jenem Jahr spaltete sich eine Gruppe der UOK-MP – unter deren Oberhaupt Metropolit Filaret (Denysenko) – ab und gründete ein Kiewer Patriarchat. Daraufhin wurde Metropolit Filaret, das damalige Oberhaupt der UOK-MP, vom Moskauer Patriarchat exkommuniziert. 1995 wurde er zum Patriarchen des Kiewer Patriarchats gewählt, das er initiiert hat, das aber bis heute nicht von der Weltorthodoxie anerkannt wird. Die UAOK wird ebenfalls nicht von der Weltorthodoxie anerkannt, kann aufgrund interner Spaltungen jedoch auch kaum noch Gemeinden aufweisen und ist die kleinste orthodoxe Kirche des Landes.

Eine vierte ukrainische Kirche ist die Ukrainische Griechisch-katholische Kirche (UGKK). Wie die drei orthodoxen betrachtet auch sie sich als Nationalkirche und sieht ihren Ursprung ebenfalls in der Christianisierung der Kiewer Rus. Sie ist vor allem im Westen der Ukraine präsent. Seit dem Euromaidan haben sich viele Gemeinden von der UOK-MP abgewendet, die UOK-KP hat verstärkten Zulauf erhalten (s. Interner Link: Grafik 1). Mit diesen Übertritten aus einer Jurisdiktion in eine andere stellen sich auch materielle Fragen nach dem Kirchenbesitz und dem Eigentum des Gotteshauses.

Die oftmals gewalttätigen Auseinandersetzungen der 1990er Jahre zwischen Anhängern einzelner Denominationen ließen zu Beginn der 2000er Jahre nach. Die Oberhäupter der Kirchen sind seit 1996 im "Allukrainischen Rat der Kirchen und religiösen Organisationen" zusammengefasst und arbeiten spätestens seit 2004 konstruktiv zusammen, um ihre Positionen gegenüber dem Staat geschlossen zu vertreten und zu stärken. Gemeinsam stärken sie seitdem den Dialog mit den staatlichen Behörden und versuchen auch auf Gesetzgebungsprozesse Einfluss zu nehmen, indem sie anstreben, an Gremien beteiligt zu sein, die Gesetze ausarbeiten.

Konfessionelle Konflikte nach dem Euromaidan

Die Oberhäupter der Kirchen treten nach wie vor gemeinsam für die territoriale Integrität der Ukraine und einen baldigen Frieden ein, die zwischenkirchliche Situation hat sich nach dem Euromaidan jedoch wieder verschärft. Die erneut vorgebrachten Forderungen seitens des Kiewer Patriarchen Filaret nach einer Kircheneinheit machten, gepaart mit antirussischer Rhetorik, die Spannungen in den Beziehungen zwischen UOK-MP und UOK-KP erneut sichtbar. Auch auf Gemeindeebene waren sie verstärkt spürbar. Die UOK-MP wird seit dem Euromaidan immer mehr öffentlich zum Feindbild stilisiert.

Die OSZE berichtete in den Jahren 2015 und 2016 regelmäßig über die konfliktgeladene konfessionelle Situation in der Ukraine nach dem Euromaidan, vor allem in der Westukraine, aber auch in anderen Gegenden des Landes (s. Interner Link: Dokumentation: Spannungen zwischen Religionsgemeinschaften in den Jahren 2015–2017). Im Desnjanskij-Bezirk in Kiew wurde im Januar 2015 eine Kirche der UOK-MP angezündet. In Mariupol im Südosten des Landes gab es 2015 starke Proteste gegen den Bau einer Kirche der UOK-KP. Man drohte dem Erzbischof der UOK-KP, die Kirche, sollte sie gebaut werden, sofort niederzubrennen. Auch der Wechsel von Gemeinden von einer Jurisdiktion in eine andere, nach dem Euromaidan verstärkt von der UOK-MP zur UOK-KP, führte zu Auseinandersetzungen.

Der Übertritt einzelner Gemeinden von der UOK-MP zur UOK-KP wird vom Moskauer Patriarchat als "widerrechtliche Besetzung" bezeichnet und von der UOK-KP als "Bedürfnis der Gläubigen, in der Ukrainischen Kirche zu sein". Beide Diskurse sind aus der jeweils eigenen Sicht verständlich. Übertritte von der UOK-MP zur UOK-KP sind verstärkt in den westukrainischen Gebieten und dort vor allem in Wolhynien im Gebiet Ternopil in der Nähe der Potschajiwer Lavra, dem Mariä-Entschlafens-Kloster in Potschajiw, einem zur UOK-MP gehörigen Klosterkomplex und Wallfahrtsort, zu beobachten. Bereits 2015 hat der Religiöse Informationsdienst der Ukraine (RiSU) eine interaktive Karte erstellt, auf welcher Übertritte von Gemeinden der UOK-MP zur UOK-KP zu sehen sind, mit Angaben und Hintergrundinformationen zu den einzelnen Fällen.

In den Medien tauchte besonders häufig der Ort Ptycha im Gebiet Rivne auf. Dort wechselten Ende 2014 zwei Drittel der Bürger zur UOK-KP. Ende Dezember dieses Jahres besetzten Anhänger der UOK-KP die bis dahin zur UOK-MP gehörende Kirche – seitdem versucht die Polizei, gewalttätige Auseinandersetzungen vor und in der Kirche zwischen den Anhängern beider Jurisdiktionen zu vermeiden.

Als Grund für die Übertritte bzw. die Abkehr vieler Gläubiger von der UOK-MP hat der ukrainische Religionssoziologe Wiktor Jelenskij die oftmals feindliche Einstellung der Geistlichen dieser Kirche gegenüber der Ukraine und ihre demonstrative Nichtunterstützung der ukrainischen Soldaten im aktuellen Konflikt mit den sog. östlichen Volksrepubliken genannt.

2017 hat die UOK-MP begonnen, mit administrativen Änderungen auf die Übertritte zu reagieren. Bei der regelmäßigen Bestätigung der Kirchenstatuten, die die Gemeinden bei den städtischen Behörden einreichen müssen, registrierten die Behörden Anfang 2017 Änderungen im Kirchenstatut einiger Gemeinden der UOK-MP, die besagten, dass Gemeinden, die die UOK-MP verlassen, ihren Besitz und vor allem ihr Kirchengebäude verlieren.

Kritik an den neuen Kirchengesetzentwürfen

Im Kontext dieser immer häufiger auftretenden Gemeindeübertritte, die oftmals mit gewaltsamen Auseinandersetzungen verbunden waren, sollten in der Werchowna Rada am 18. Mai 2017 zwei Gesetzentwürfe zu kirchlichen Fragen vorgelegt werden, die Gesetzentwürfe Nr. 4128 und Nr. 4511. Sie führten im Vorfeld zu Protesten in der Ukraine und im Ausland. Besonders starke Proteste waren von Anhängern der UOK-MP und der Russisch-Orthodoxen Kirche sowie von deren Patriarchen persönlich zu hören.

Der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche Kirill wandte sich am 17. Mai vor der in der Werchowna Rada geplanten Abstimmung über die Gesetzentwürfe an die Oberhäupter des Normandie-Quartetts (die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine), Papst Franziskus, den Generalsekretär der Vereinten Nationen und den Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen und versuchte so, die Diskussion um die Gesetzentwürfe auf eine internationale Ebene zu heben. Seiner Ansicht nach sind die Gesetzentwürfe verfassungswidrig.

In den russischen Medien wurden sie als "Antikirchengesetze" und "Antiorthodoxiegesetze" bezeichnet. Anhänger der UOK-MP riefen zu öffentlichen Protesten gegen sie auf. Kritische Stimmen kamen nicht nur vom Moskauer Patriarchat, sondern auch vom bulgarischen Patriarchen. Selbst innerhalb der Ukraine sind die Gesetzesprojekte sehr umstritten.

Der Inhalt der Gesetzesentwürfe

Der Gesetzesentwurf Nummer 4128 bezieht sich auf Artikel 8 im Gesetz über »Gewissensfreiheit und religiöse Organisationen« und ist folgendermaßen betitelt: »Über die Einführung von Änderungen im Gesetz der Ukraine, ‚über Gewissensfreiheit und religiöse Organisationen‘ (in Bezug auf den Wechsel der Zugehörigkeit zu einer religiösen Organisation)«. Das »Gesetz über Gewissensfreiheit und religiöse Organisationen« wurde 1991 noch von Organen der Sowjetunion ausgearbeitet und verabschiedet und regelt das religiöse Leben des Landes. Der neue Gesetzesentwurf wurde von einer Gruppe von Abgeordneten der Werchowna Rada unter dem erwähnten Religionssoziologen Jelenskij ausgearbeitet. Jelenskij, einer der bekanntesten Religionswissenschaftler und Religionssoziologen der Ukraine, ist Präsident der ukrainischen Assoziation für Religionsfreiheit und seit 2014 Abgeordneter der Werchowna Rada.

Der Gesetzentwurf beinhaltet vor allem zwei ergänzende Formulierungen. Im ersten Fall handelt es sich um diesen Satz: "Die Zugehörigkeit des Einzelnen zu einer religiösen Gemeinschaft wird über dessen Selbstidentifikation mit dieser religiösen Organisation definiert, zu deren Bestätigung die Teilnahme am religiösen Leben ebenjener Gemeinschaft dient."

Die zweite Ergänzung soll den Worten "freier Wechsel dieser Zugehörigkeiten" folgen und sie so ergänzen: "durch die Registrierung einer neuen Fassung des Kirchenstatuts oder durch Änderungen und Ergänzungen in demselben, die angenommen werden durch die Zustimmung der einfachen Mehrheit derjenigen, die an der Versammlung der Bürger teilgenommen haben, welche zu der religiösen Gemeinschaft gehören".

Die Ergänzungen legen Wert auf eine neue gesetzliche Ausrichtung auf Selbstidentifikation einzelner Gemeinden, verbunden mit einer basisdemokratischen Reformierung des Gemeindewesens. Kirchenbau und Kirchenbesitz sollen stärker an die Gemeinden gebunden werden, um das religiöse Leben nicht durch eine Politisierung der Konfessionsfrage zu gefährden.

Das Moskauer Patriarchat betonte und betont immer noch, dass die UOK-MP nicht nur die Kirche mit den meisten Gemeinden, sondern vor allem auch die einzige kanonische orthodoxe Kirche sei. Aus Sicht des Moskauer Patriarchats dürfen UOK-KP und UAOK nicht als Kirchen betrachtet werden, da sie von der Weltorthodoxie nicht offiziell anerkannt werden. Es den Gläubigen zu ermöglichen, zu diesen Kirchen zu wechseln, bedeutet in dieser Logik, die Gläubigen von der einzig wahren Kirche wegzuführen und ihr Seelenheil zu gefährden. Die Argumentation, dass mit den Gesetzentwürfen die UOK und damit zwangsläufig Millionen Gläubiger diskriminiert würden, ist in Bezug auf diesen Gesetzentwurf unschlüssig, weil er den Gläubigen erlaubt, sich zu ihrer Kirche zu bekennen. Auf der anderen Seite kann eine Gemeinde durch den Wechsel der aktiven Gemeindemitglieder nicht nur die Zugehörigkeit zu einem Patriarchat innerhalb der Orthodoxie, sondern sogar die Konfession wechseln. Dies war aber auch vorher schon möglich.

Der zweite Gesetzentwurf (Nr. 4511) "Über den besonderen Status religiöser Organisationen, deren Hauptsitz sich in einem Staat befindet, der von der Werchowna Rada als Aggressorstaat bezeichnet wird" besteht aus sieben Artikeln.

Das Gesetz soll den Umgang mit religiösen Gemeinschaften regeln, deren kanonisches und geistiges Leitungszentrum sich nicht in der Ukraine befindet, sondern in einem Land, das von der Werchowna Rada als feindlich gegenüber der Ukraine eingestellt eingestuft wurde. Auch wenn in dem Dokument kein Land genannt wird, macht der aktuelle Kontext deutlich, dass es sich bei dem "Agressorstaat" aktuell um Russland handelt. Ziel des Gesetzes sei, so heißt es in dem Entwurf, der am 22. April vorgelegt wurde, den Einfluss auf die religiöse Situation in der Ukraine aus dem Ausland zu kontrollieren und dem Versuch entgegenzuwirken, diese zu destabilisieren und zwischenkonfessionelle Konflikte hervorzurufen. Zudem gehe es um den Schutz nationaler Interessen, die territoriale Integrität und die staatliche Souveränität der Ukraine.

Religiöse Organisationen, die unter die genannten Kriterien fallen, schließen dem Gesetzentwurf zufolge durch die erneute Registrierung ihres Statuts einen Vertrag mit dem Staat über einen Sonderstatus ab. Mit einem solchen Vertrag wollen die Autoren des Gesetzentwurfs sicherstellen, dass von den betroffenen religiösen Organisationen keine ukrainefeindlichen Handlungen mehr zu erwarten sind.

Der Vertrag schreibt dabei ebenso eine staatliche Erlaubnis für die Einladung religiöser Würdenträger aus dem Ausland wie die staatliche Genehmigung von Kandidaten für hohe Kirchenämter vor. Bei Bekanntwerden einer Zusammenarbeit von Mitgliedern einer Gemeinschaft mit Terroristen behält sich der Staat vor, die Gemeinschaft aufzulösen. Durch den Passus über die Zustimmung zu Kandidaten für kirchliche Ämter stellt das Gesetz eine Einmischung in innere Angelegenheiten von Kirchen dar.

Betroffen ist von dem Entwurf bisher lediglich die UOK-MP. Deren Verwaltung ist zwar seit 1990 selbstständig, damals wurde das ukrainische Exarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche in Ukrainisch-Orthodoxe Kirche umbenannt und erhielt eine weitreichende Autonomie, nominell gehört es jedoch noch immer zum Moskauer Patriarchat. Das Oberhaupt der UOK-MP ist zudem ständiges Mitglied des Heiligen Synods, des Leitungsgremiums der Russisch-Orthodoxen Kirche. Einen Autonomiestatus – also eine völlige Selbstständigkeit ohne Unterordnung unter eine Jurisdiktion – hat die UOK-MP ebenso wenig erwirken können wie die Autokephalie. Damit bleibt ihr Selbstständigkeitsstatus umstritten, obwohl sie 2007 sogar eigenständig – ohne Zustimmung des Moskauer Patriarchats – ihr Kirchenstatut geändert hat.

Unter ihrem Oberhaupt Metropolit Wolodymyr (Sabodan) waren auch von der UOK-MP patriotische ukrainische Stimmen zu hören. Wolodymyr galt als ukrainischer Patriot, nach seinem Tod im Jahr 2014 wurde er vom Ministerpräsidenten der Ukraine Arsenij Jazenjuk als Patriot und Europäer gewürdigt. Anschließend war von einer proukrainischen Ausrichtung der Kirche weniger zu bemerken. Das neue Oberhaupt Metropolit Onufrij (Beresowskij) versuchte sich jeglicher Positionierung zu entziehen, was ihm in der Regel als prorussische Position ausgelegt wurde.

Die formale Zugehörigkeit zum Moskauer Patriarchat erfordert für die UOK-MP bzw. deren Gemeinden nun einen erhöhten bürokratischen Aufwand. Jede dieser Kirche zugehörige religiöse Organisation, und damit sind nicht nur Gemeinden, sondern auch Bruderschaften, Missionszentren, kirchliche Verwaltungseinheiten u. a. gemeint, müssen, wenn sie bereits in der Ukraine mit einem Statut registriert sind, innerhalb von drei Monaten mit den erforderlichen Dokumenten bei den staatlichen Behörden einen Vertrag mit dem Staat über einen besonderen Status abschließen. Diejenigen, die noch nicht registriert sind und sich erst nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes registrieren lassen, schließen diesen Vertrag bei der Registrierung automatisch ab.

Ein geistiges Oberhaupt, welches sich im Ausland befindet, weisen u. a. UGKK und die Römisch-katholische Kirche in der Ukraine auf, deren Vorteil allerdings ist, dass sich die Ukraine nicht in einer angespannten Situation mit dem Vatikan befindet – wobei sich der Vatikan über die Gesetzentwürfe ebenfalls sehr besorgt geäußert hat.

Es steht zu befürchten, dass sich die zur UOK-MP gehörenden Gemeinden durch den neuen Gesetzentwurf benachteiligt sehen. Gemeinsam mit dem ersten Gesetzentwurf über die Regelung des Jurisdiktionswechsels könnte der Entwurf einzelne Gemeinden zu solchen Jurisdiktionswechseln anregen.

Entgegen der Ankündigung, beide Gesetzesentwürfe in der Werchowna Rada am 18. Mai zu behandeln, steht dieser Punkt bis heute aus. Es ist nicht das erste Mal, dass Änderungen in der ukrainischen Religionsgesetzgebung Proteste hervorrufen. 2011 hatte der damalige Präsident Viktor Janukowitsch Änderungen am Gesetz über Gewissensfreiheit und religiöse Organisationen in Auftrag gegeben. Damals befürchtete man eine zunehmende Privilegierung der UOK-MP. Alle Kirchen der Ukraine sowie der russische Patriarch forderten, Gesetzentwürfe mit den traditionellen Kirchen des Landes abzusprechen. Eine Gesetzesänderung war damals durch die von Janukowitsch vorgenommenen Umstrukturierungsmaßnahmen zwingend erforderlich, da die Zuständigkeiten für die Registrierung religiöser Organisationen verändert worden waren. Durch einen Dialog im Rahmen des "Allukrainischen Rates der Kirchen und religiöser Organisationen" zwischen Kirchen und verantwortlichen Politikern konnte man sich damals einigen. 2016 wurde das Gesetz über Gewissenfreiheit vom obersten Verfassungsgericht des Landes dahingehend abgeändert, dass es danach eine Ausweitung der Versammlungsfreiheit auch für religiöse Organisationen beinhaltete. Diese waren nun nicht mehr gezwungen, den Behörden alle Versammlungen offiziell mitzuteilen. Diese Änderung wurde zum damaligen Zeitpunkt kaum rezipiert.

Zusammenfassung

Anders als bei den Protesten der Kirchen gegen Gesetzesänderungen unter Präsident Viktor Janukowitsch sind sich die Kirchen heute in Bezug auf die neuen Gesetzesinitiativen nicht einig.
Die UOK-MP sieht sich klar benachteiligt und die Formulierung "Agressorstaat" zur Bezeichnung Russlands ist für sie nicht hinnehmbar.
Mangelnde Sensibilität seitens einiger Abgeordneter lässt sich insbesondere beim zweiten Gesetzentwurf feststellen. Aber auch auf kirchlicher Seite muss man feststellen, dass sich die einzelnen Kirchen oftmals nicht intensiv mit den Inhalten der Entwürfe auseinandergesetzt haben und zum Teil eine Politisierung der konfessionellen Situation anstreben oder fördern.

Lesetipps:

Fussnoten

Martin-Paul Buchholz hat Kulturgeschichte Ost- und Ostmitteleuropas und Soziologie an der Universität Bremen studiert. Er promoviert am Arbeitsbereich Osteuropäische Geschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zum Thema "Die ukrainischen Kirche vor der europäischen Frage".