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Analyse: Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie und ihre sozio-ökonomischen Folgen in den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie und ihre sozio-ökonomischen Folgen in den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk Ukraine-Analysen Nr. 261

Petro Burkovskyi Kyjiw) Von Petro Burkovskyi (Stiftung Demokratische Initiativen

/ 11 Minuten zu lesen

Wie wirkt sich die Coronavirus-Pandemie auf die Lage der Bevölkerung in den selbsternannten "Volksrepubliken" aus? Nicht repräsentative Umfragen deuten auf eine Verschlechterung der Gesundheitsversorgung hin.

Im Zentrum für medizinische Notfallversorgung in Luhansk warten Menschen auf ihre Covid-19 Impfung. (© picture-alliance/dpa, TASS | Alexander Reka)

Zusammenfassung

Um zu verstehen, wie sich die Coronavirus-Pandemie auf das Leben der Bevölkerung in den Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk ausgewirkt hat, die sich nicht unter ukrainischer Kontrolle befinden, werden Umfragen zur Situation vor und nach der Pandemie ausgewertet.

Einleitung

Die folgende Analyse der Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie in den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk basiert auf nicht-repräsentativen Umfragen an den Kontrollpunkten für Ein- und Ausreise an der Grenzlinie aus den Jahren 2019 und 2021 und auf einer unter Bürgern der russisch kontrollierten Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk im Februar/März 2021 durchgeführten nicht-repräsentativen Telefonumfrage sowie auf Diskussionen in Fokusgruppen, die im Dezember 2020, Februar und Dezember 2021 mit Menschen stattfanden, die entweder in den "TOT"-Gebieten lebten oder dort regelmäßig Verwandte besuchten. Im folgenden Text wird die Bezeichnung "TOT"-Gebiete (in ukrainischer Sprache benutzte Abkürzung für "Tymtschasowo Okupowani Terytoriji", d. h. "vorübergehend besetzte Gebiete") für die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Regionen in der Ost-Ukraine (die sogenannten "DNR" und "LNR") verwendet.

Zum Vergleich benutzen wir auch Ergebnisse einer landesweiten repräsentativen Umfrage in der Ukraine mit insgesamt 2.003 Befragten zu den Auswirkungen der Pandemie, für die im Februar 2021 auch 129 Personen in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk befragt wurden.

Die Datenerhebung 2019 war Teil einer Studie der Stiftung Demokratische Initiativen zum Wohlbefinden der Bürger. Die Umfragen 2020–2021 wurde von der Stiftung im Rahmen einer landesweiten Studie zu den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die Stabilität und Sicherheit der Ukraine und der ukrainischen Gesellschaft durchgeführt.

Einschätzung der Pandemie-Lage

Bei der Befragung an den Kontrollpunkten für Ein- und Ausreise an der Grenzlinie zu den "TOT"-Gebieten fragten wir nach der allgemeinen Einschätzung der persönlichen Lebensbedingungen. Im Jahr 2019, also vor der Corona-Pandemie, gaben 16 Prozent der Befragten an, dass das Leben unerträglich geworden sei, während weitere 33 Prozent erklärten, noch so gerade mit den sich verschlechternden Lebensbedingungen zurecht zu kommen. 39 Prozent hatten hingegen keine Veränderung ihrer Lebensbedingungen bemerkt und 10 Prozent bestätigten positive Veränderungen.

Zwei Jahre später, im März 2021, baten wir die Befragten an den Kontrollpunkten, die Veränderungen in ihrem Leben im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 zu bewerten. Erneut erklärte eine knappe Hälfte, dass das Leben schwieriger geworden sei (22 Prozent viel schwieriger und 24 Prozent etwas schwieriger). Dieses Mal hatten 48 Prozent keine Veränderung bemerkt und 5 Prozent bestätigten positive Veränderungen (4 Prozent leichte und 1 Prozent signifikante Verbesserungen).

Gefragt nach den größten Problemen, nannten die Bewohner der "TOT"-Gebiete 2019 am häufigsten Bedrohungen militärischer Art (Wiederaufnahme der Kämpfe, Beschuss) und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zwischen Siedlungen. Anfang 2021 hingegen standen Schließungen der Kontrollpunkte und Einschränkungen der Kontakte mit den Verwandten an erster Stelle.

Bei den Diskussionen in Fokusgruppen mit Bewohnern von Gemeinden direkt an der Grenzlinie (Marjinka und Torezk in der Region Donezk; Schtschastya und Stanyzja Luhanska in der Region Luhansk) wurden die Schließung der Kontrollpunkte und die Trennung von Freunden und Verwandten in den "TOT"-Gebieten ebenfalls als zentrale Veränderungen durch die Pandemie genannt. Die meisten berichteten, dass Corona als Thema in Gesprächen mit ihren Angehörigen und Freunden aus den "TOT"-Gebieten Ende 2020 auftauchte. In vielen Fällen reagierten die Menschen skeptisch und glaubten, die Pandemie sei eher eine Erfindung der Behörden auf beiden Seiten der Grenze, um Kontrollpunkte zu schließen und eine Rechtfertigung für die Verschlechterung der Lebensbedingungen zu haben.

Gleichzeitig zeigt unsere Umfrage vom März 2021 mit 200 Befragten, dass viele Menschen die Pandemie ernst nehmen. 80 Prozent der Befragten an den Kontrollpunkten gaben an, dass sie die Quarantäne-Vorgaben als Grund für die Einschränkungen des Betriebs der Kontrollpunkte sehen, während nur 10 Prozent eine ungerechtfertigte Einschränkung seitens der Ukraine oder der "TOT"-Gebiete nannten. Zur Einschätzung der Pandemie-Lage haben wir auf Grundlage der Antworten in den Fokusgruppen-Diskussionen für die Umfrage im März 2021 sechs mögliche Antworten entwickelt. Das Ergebnis findet sich in den Tabellen 1 und 2 auf S. 19.

Auch wenn die Ergebnisse nicht repräsentativ sind, zeigt sich doch, dass es eine beachtliche Minderheit gibt, die bezüglich der Sterblichkeit keinen Unterschied zur Zeit vor der Pandemie sieht. Gleichzeitig räumt mindestens ein Drittel der Befragten in allen drei Gruppen ein, dass die Situation ernst ist: Viele Menschen sind krank, und die Sterblichkeit wird eindeutig mit der Ausbreitung des Coronavirus in Verbindung gebracht.

Während der Diskussion der Fokusgruppe in den Regionen Donezk und Luhansk hieß es in der Regel, dass die Probleme in den "TOT"-Gebieten die gleichen seien wie in der Ukraine: Die Menschen seien krank, hätten Schwierigkeiten mit einer rechtzeitigen und qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung, und Tests seien schwer zu bekommen und unzuverlässig. Es wurde über die Umstellung der meisten Krankenhäuser in Luhansk und Donezk auf Covidkranke berichtet und über die Schwierigkeiten, eine eindeutige Diagnose zu erhalten. Oft wurde erzählt, dass Freunde und Verwandten in den vorübergehend besetzten Gebieten wegen einer Lungenentzündung behandelt wurden, ohne dass Covid-19 diagnostiziert wurde, obwohl Patienten dies anhand der Symptome vermuteten.

Tabelle 1 zeigt, dass die Mehrheit der Befragten aus der "DNR" die Pandemie nicht leugnet, aber auch nicht als schwerwiegend einschätzt. Für die "LNR" ist die Einschätzung polarisierter. Sowohl der Anteil derjenigen, die ernste Folgen sehen, als auch der Anteil der Leugner ist größer. Eine mögliche Erklärung könnte die Einschätzung der militärischen Lage sein. In der "DNR" hielten 51 Prozent der Befragten die Wiederaufnahme der Kämpfe (Beschuss) für wahrscheinlich, in der "LNR" nur 7 Prozent. Unserer Meinung nach könnte die hohe Angst vor einer Wiederaufnahme der Kämpfe die Aufrichtigkeit der Befragten in der "DNR" beeinträchtigen: Die Menschen könnten die Krankheitslage zurückhaltender beurteilen, um mögliche Vorwürfe der Illoyalität zu vermeiden. Es könnte auch sein, dass die Pandemie im Vergleich zur Sorge vor einer militärischen Eskalation als weniger dramatisch wahrgenommen wird.

Tabelle 2 zeigt aber vor allem, dass die Lage in den von der Ukraine kontrollierten Teilen der Regionen Donezk und Luhansk deutlich bedrohlicher wahrgenommen wird. Die Antwortoptionen waren unterschiedlich formuliert, aber sollten direkt vergleichbar sein. Anzumerken ist hier, dass die Medien in den "TOT"-Gebieten bezüglich der Pandemie von Herbst 2020 bis Frühjahr 2021 regelmäßig intensiv von der "Katastrophe" in der Ukraine und der "stabilen Lage" in den "TOT"-Gebieten berichteten.

Bei der Umfrage in den "TOT"-Gebieten haben wir auch versucht herauszufinden, wie ernst die Pandemie im Vergleich zu ständigen Problemen wie sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten oder militärischen Konflikten genommen wird. Die Befragten wurden gefragt, für wie wahrscheinlich sie bestimmte Entwicklungen halten. Interessanterweise waren die Einschätzungen der Bewohner der "TOT"-Gebiete Donezk und Luhansk erneut unterschiedlich. Auffällig war, dass die Einschätzung des Coronavirus-Risikos in naher Zukunft in der "DNR" sehr niedrig und in der "LNR" recht hoch war (siehe Tabelle 3 auf S. 20).

Durch die Pandemie-Bekämpfung begründete Maßnahmen

Während der Diskussionen in Fokusgruppen berichteten Teilnehmer, die ständigen Kontakt zu Verwandten oder Freunden aus den "TOT"-Gebieten pflegen, dass die dort verhängten Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung oft nicht eingehalten werden. Praktisch niemand überwache die Einhaltung der Maskenpflicht. Solche Aussagen widersprachen der offiziellen Linie der "TOT"-Gebiete über die Notwendigkeit strenger Quarantänemaßnahmen und die Notwendigkeit, die Kontrollpunkte zum Übergang in die Ukraine zu schließen, um die Pandemie einzudämmen.

Die Teilnehmer der Fokusgruppe sprachen von der Unzumutbarkeit und Absurdität der Schließung des Kontrollpunktes während der Pandemie. Dies erschwere nur das Leben der Menschen auf beiden Seiten der Demarkationslinie und schützte niemanden vor einer Ausbreitung der Infektion.

Ein weiteres kontroverses Thema waren Impfungen. Der einzige in den vorübergehend besetzten Gebieten verfügbare Impfstoff ist "Sputnik V" aus Russland. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Informationen über den russischen Impfstoff und Impfungen im Allgemeinen in den "TOT"-Gebieten aktiv verbreitet und diskutiert werden, die Bewertungen für die Menschen aber politisch brisant erscheinen. Im Frühjahr 2021 gaben in der "LNR" 34 Prozent der Befragten und in der "DNR" 16 Prozent an, dass sie mit Sicherheit wüssten, dass die Bevölkerung in naher Zukunft gegen das Coronavirus geimpft wird. Weitere 49 Prozent bzw. 67 Prozent erklärten, von Impfungen gehört zu haben, aber nichts über den Zeitpunkt der Impfung zu wissen. Nur 14 Prozent bzw. 17 Prozent gaben an, noch nie von Impfungen gehört zu haben.

Einerseits demonstrierten diese Daten die Stärke der russischen Informationsarbeit für den eigenen Impfstoff. In den Fokusgruppen wurde auch berichtet, dass Bekannten, vor allem Ärzte, sich bereits für die Sputnik-V-Impfung angemeldet hätten, ohne dass sie dazu gezwungen worden seien. Die Teilnehmer berichteten auch über die Einrichtung von Online-Portalen für die Vergabe von Impfterminen für normale Bürger. Dies stand in starkem Gegensatz zum Mangel an Informationen über die Verfügbarkeit von Impfstoffen und den Impfzeitpunkt in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten.

Andererseits berichtete keiner der Teilnehmer der Fokusgruppen aus dem von der Ukraine kontrollierten Gebiet, dass ihre Verwandten oder Bekannten aus den "TOT"-Gebieten versucht hätten, sie von der Notwendigkeit einer Impfung oder den Vorteilen des russischen Impfstoffs zu überzeugen, stattdessen wurden oft Zweifel an der Notwendigkeit der Impfung geäußert. Dabei wurde Covid-19 oft als "grippeähnlich" verharmlost und Positionen von Corona-Leugnern und Impfgegnern wurden in sozialen Netzwerken geteilt.

Trotz der Dominanz russischer Medien war die Bevölkerung in den "TOT"-Gebieten dem russischen Impfstoff gegenüber eher skeptisch. Nur 21 Prozent der Befragten gaben an Sputnik V für "den einzigen zuverlässigen Impfstoff" zu halten. 19 Prozent hielten Sputnik für "den gleichen Impfstoff wie in anderen Ländern", 16 Prozent für "einen Impfstoff von zweifelhafter Qualität". 25 Prozent gaben an, davon noch nie gehört zu haben und weitere 19 Prozent wollten nicht antworten. Auffällig ist hier die hohe Anzahl an verweigerten Antworten und die Behauptung, von Sputnik konkret nie gehört zu haben, obwohl es eine große Impfdiskussion gibt.

Unsere repräsentative Umfrage unter der ukrainischen Bevölkerung zeigt eine noch größere Skepsis, was auch daran liegen dürfte, dass Sputnik V in der Ukraine nicht zugelassen ist. 6 Prozent gaben an, den russischen Impfstoff für wirksam zu halten. Weitere 28 Prozent hatten von dem Impfstoff gehört, waren sich aber nicht sicher, ob er wirksam ist. 31 Prozent hielten ihn für unzuverlässig und 35 Prozent gaben an, noch nie von Sputnik V gehört zu haben.

Ein Vergleich der Daten dieser beiden Umfragen ist aufgrund des mangelnden Vertrauens in die Repräsentativität der Stichprobe in den "TOT"-Gebieten nicht möglich. Die mangelnde Bereitschaft, sich zum russischen Impfstoff "Sputnik" konkret zu positionieren, könnte darauf verweisen, dass eine persönliche Aussage dazu als brisant eingeschätzt wird. Auffällig ist jedoch, dass ein erheblicher Teil der Bürger auf beiden Seiten der Demarkationslinie anscheinend nicht das Gefühl hatte, zuverlässige Informationen über den russischen Impfstoff zu haben.

Wir gehen anhand unserer Ergebnisse davon aus, dass im Februar 2021 jeder Dritte in der Ukraine und wahrscheinlich jeder Vierte in den "TOT"-Gebieten überhaupt kein Interesse an einer Impfung hatte und dementsprechend noch nichts von einem russischen oder einem anderen Impfstoff gehört hatte. In der repräsentativen Umfrage in der Ukraine waren die Bekanntheitsgrade anderer Impfstoffe auch relativ niedrig: Moderna 47 Prozent, AstraZeneca 46 Prozent und Pfizer-Biontech 34 Prozent.

Die medizinische Versorgung im von der Ukraine kontrollierten Gebiet wurde im Vergleich zur Situation in den "TOT"-Gebieten von Bewohnern von Gemeinden an der Grenzlinie (Marijnka, Schtschastya) subjektiv als besser wahrgenommen.

Sozio-ökonomische Folgen, die mit der Pandemie begründet werden

Die negativsten Veränderungen während der Epidemie betrafen jedoch die sozio-ökonomischen Aspekte des Lebens.

Während der Fokusgruppendiskussionen Anfang 2021 erfuhren wir, dass in der "LNR" die Verwaltung neue Steuern und Bußgelder für kleine Unternehmen einführte und die Mieten auf offenen Märkten erhöhte. All diese Maßnahmen wurden mit der Notwendigkeit begründet, die mit der Pandemie verbundenen Kosten zu decken. Die Schließung der Kontrollpunkte traf Kleinhändler stark, die Waren aus dem von der Ukraine kontrollierten Gebiet in die "TOT"-Gebiete transportierten. Steigende Kosten und fehlende Konkurrenz für russische Produkte führten zu Preissteigerungen und belasteten gleichzeitig den lokalen Einzelhandel. Viele Unternehmer musste ihre Geschäfte vorübergehend schließen oder stellten ihre Geschäftstätigkeit ganz ein und zogen nach Russland.

In den "TOT"-Gebieten befanden sich die Rentner in der schlimmsten Situation. Durch die Schließung der Kontrollpunkte verloren sie die Möglichkeit, sich ihre Renten im von der Ukraine kontrollierten Gebiet persönlich auszahlen zu lassen. Stattdessen waren sie gezwungen, die Dienste spezieller Vermittler in Anspruch zu nehmen, die gegen eine Provision von 10–15 Prozent der Rente die elektronische Überweisung von Renten an russische Finanzunternehmen und Bargeldabhebungen in russischen Rubel zu einem überhöhten Wechselkurs organisierten. Die geringe Höhe der Renten, die meistens vollständig für den Kauf von Lebensmitteln und Medikamenten benutzt wurden, machte dies für viele zu einem existenziellen Problem.

Befragte in der Region Donezk berichteten, dass die Verwaltung der "DNR" die Pandemie nutzte, um Wohnimmobilien von Eigentümern zu beschlagnahmen, die auf der anderen Seite der Grenzlinie wohnten. Die Schließung der Kontrollpunkte in der Region Donezk führte dazu, dass diese Eigentümer keine Möglichkeit mehr hatten vor Ort die Nebenkosten zu bezahlen. Die entstandenen Schulden wurden als Grund für die Enteignungen genutzt.

Teilnehmer aus der Region Luhansk berichteten, dass die von der "LNR" kontrollierten (2017 konfiszierten) Kohlebergwerke begannen, die Beantragung russischer Pässe zu verlangen. Nur Inhaber eines solchen Passes hatten Anspruch auf Sozialleistungen bei vorübergehender Arbeitslosigkeit, wie z. B. Krankengeld bei einer Krankheit und Anspruch auf eine Rente bei krankheits- oder altersbedingter Kündigung.

Im Dezember 2021 hatten wir im Rahmen neuer Fokusgruppen in Gemeinden direkt an der Frontlinie in der Region Donezk (Svitlodarsk) und Luhansk (Schtschastja) die Gelegenheit, die Beschreibung der Situation mit der Wahrnehmung vor knapp einem Jahr zu vergleichen. mit dem Krankheitsstand und Behandlung des Coronavirus in den "TOT"-Gebieten zu vergleichen. In allen Fällen handelte es sich bei den Befragten um andere Staatsbürger als die zu Jahresbeginn befragten Personen.

Wir erhielten subjektive Rückmeldungen, die wesentlich schlechterer Natur waren als im Februar 2021. Eine Teilnehmerin berichtete zum Beispiel, dass ihre Freundin in Donezk nach einem positiven Coronatest erst nach Zahlung eines Bestechungsgeldes von 500 US-Dollar ins Krankenhaus kam, wo sie weitere 200 Dollar für die Behandlung zahlen musste. Ein anderer Befragter sagte, dass die Menschen in Donezk sieben Tage warten müssten, um ihre an Coronavirus gestorbenen Angehörigen zu beerdigen.

Resümee

Unsere Ergebnisse für die vorübergehend besetzten Gebiete in der Ostukraine sind nicht repräsentativ. Aufgrund der relativ großen Zahl der Befragten sollten sie aber eine grobe Einschätzung ermöglichen. Zu beachten ist aber auch, dass Bewohner der "TOT"-Gebiete aus Angst vor negativen Folgen ehrliche Antworten teilweise als riskant einschätzen. Fasst man die begrenzten Informationen zusammen, die wir durch unsere Umfragen und Fokusgruppen sammeln konnten, ergeben sich die folgenden vorläufigen Annahmen in Bezug auf die Corona-Pandemie und ihre sozioökonomischen Folgen in den "TOT"-Gebieten:

Viele Menschen haben signifikante negative Veränderungen in der Gesundheitsversorgung festgestellt, die sich von den Folgen der üblichen saisonalen Morbidität unterscheiden.

Im Winter 2020/2021 sorgten jedoch als unverhältnismäßig und ungerechtfertigt wahrgenommene Beschränkungen für die meiste Kritik, insbesondere die Sperrung der Kontrollpunkte an der Demarkationslinie.

Es entstand eine Diskrepanz zwischen der offiziellen Propaganda Russlands und der "TOT"-Gebiete zum Schutz der Bevölkerung einerseits und der Alltagserfahrung der Bewohner der "TOT"-Gebiete andererseits, da die Schutzmaßnahmen nicht eingehalten wurden.

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie sind in den "TOT"-Gebieten vor allem für den Einzelhandel und Rentner dramatisch. Für medizinische Behandlung geforderte Bestechungsgelder nehmen dem ärmeren Teil der Bevölkerung die Möglichkeit einer angemessenen Versorgung.

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Lina Pleines

Tabelle 1: Einschätzung der Pandemie-Lage in den »TOT«-Gebieten, 2020/2021

Tabelle 2: Einschätzung der Pandemie-Lage in den von der Ukraine kontrollierten Teilen der Regionen Donezk und Luhansk, Februar/März 2021

Tabelle 3: Erwartungen zur Entwicklung zentraler Probleme

Fussnoten

Weitere Inhalte

Petro Burkovskyi ist Senior Fellow der Stiftung Demokratische Initiative in Kiew. Er war Leiter des Zentrums für Russland-Studien am Nationalen Institut für Strategische Studien, wo er seit 2006 als Beamter tätig ist. Seit 2004 arbeitet er für die Medien-Beobachtungsstelle "Detector Media", die politische Propaganda, Beeinflussung und Manipulationen erfasst. Er besitzt einen Masterabschluss in Politikwissenschaft der Nationalen Universität Kiewer-Mohyla-Akademie (2004) und ist Alumnus des George C. Marshall European Center for Security Studies (2007). Seine Expertise umfasst die Bereiche Geschichte, vergleichende Analyse, Verfassungsrecht, politische Entscheidungsfindungsprozesse, Sicherheitspolitik Energiepolitik, internationale Beziehungen.