Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Verhältnis zur belarusischen Opposition (28.11.2024) Analyse: Kyjiws strategische Distanz zur belarusischen Opposition dekoder: "Die Belarussen müssen verstehen, dass unsere Zukunft von uns selbst abhängt" Umfragen: Meinung in der Ukraine zu Belarus’ Kriegsbeteiligung Umfragen: Unterstützung in Belarus von Russlands Krieg gegen die Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Energieversorgung / Grüne Transformation (09.10.2024) Analyse: (Wie) Lässt sich die Energiekrise in der Ukraine abwenden? Analyse: Eine stärkere Integration des Stromnetzes in die EU kann der Ukraine helfen, die nächsten Winter zu überstehen Statistik: Stromimporte aus EU-Staaten Analyse: Resilienz wieder aufbauen: Die Rolle des ukrainischen Klimabüros bei der grünen Transformation Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik EU-Beitrittsprozess (29.07.2024) Analyse: Die Ukraine und die EU: Erweiterungspolitik ohne Alternative? Analyse: Wie schnell bewegt sich die Ukraine auf die EU zu, in welchen Bereichen gibt es große Fortschritte und in welchen nicht? Statistik: Stand der Ukraine im EU-Beitrittsprozess Umfragen: Öffentliche Meinung in der Ukraine und in ausgewählten EU-Ländern zum EU-Beitritt der Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Beziehungen zu Polen / Beziehungen zur Slowakei (26.06.2024) Analyse: Die Entwicklung der ukrainisch-polnischen Beziehungen seit Beginn der russischen Vollinvasion Analyse: Pragmatisch, indifferent, gut? Über den Zustand der ukrainisch-slowakischen Beziehungen Statistik: Handel der Ukraine mit ihren Nachbarländern Statistik: Ukrainische Geflüchtete in den Nachbarstaaten der Ukraine Umfragen: Die Einstellung der ukrainischen Bevölkerung zu den Nachbarländern der Ukraine Umfragen: Die Einstellung der polnischen Bevölkerung zu Geflüchteten aus der Ukraine Chronik: 21. bis 31. Mai 2024 Exekutiv-legislative Beziehungen und die Zentralisierung der Macht im Krieg (30.05.2024) Analyse: Das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive in Zeiten des Krieges: Die Ukraine seit Beginn der russischen Vollinvasion Analyse: Wie schnell werden Gesetzentwürfe von der Werchowna Rada verabschiedet? Wie kann der Prozess effizienter gestaltet werden? Chronik: 1. bis 30. April 2024 Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? Analyse: Die hohen Kosten des Krieges: Wie Russlands Krieg gegen die Ukraine die Armut verschärft Chronik: 22. Februar bis 7. März 2023 Besatzungsregime / Wiedereingliederung des Donbas (27.03.2023) Analyse: Etablierungsformen russischer Herrschaft in den besetzten Gebieten der Ukraine: Wege und Gesichter der Okkupation Karte: Besetzte Gebiete Dokumentation: Human Rights Watch: Torture, Disappearances in Occupied South. Apparent War Crimes by Russian Forces in Kherson, Zaporizhzhia Regions (Ausschnitt) Dokumentation: War and Annexation. The "People’s Republics" of eastern Ukraine in 2022. Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. März, Feminismus und Krieg in der Ukraine: Neue Herausforderungen, neue Möglichkeiten Umfragen: Umfragen zum Internationalen Frauentag Interview: "Der Wiederaufbau braucht einen geschlechtersensiblen Ansatz" Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Korruptionsbekämpfung (08.03.2023) Analyse: Der innere Kampf: Korruption und Korruptionsbekämpfung als Hürde und Gradmesser für den EU-Beitritt der Ukraine Dokumentation: Statistiken und Umfragen zu Korruption Analyse: Reformen, Korruption und gesellschaftliches Engagement Chronik: 1. bis 10. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? Ukraine-Analyse Nr. 283

Oksana Chorna

/ 10 Minuten zu lesen

Die ukrainische Regierung reagiert auf die kriegsbedingte soziale Krise mit zahlreichen Programmen, um die Bürger:innen zu unterstützen. Dennoch ist die Armut im Land stark gestiegen.

Vor allem Menschen in Frontnähe, wie diese Frau vor einem zerstörten Wohngebäude in Saporischschja, sind von Armut betroffen und auf Unterstützung angewiesen. (© picture-alliance, Photoshot)

Zusammenfassung

Der russische Angriffskrieg hat massive Auswirkungen auf das Sozialsystem der Ukraine. Der Bedarf an sozialen Unterstützungsleistungen ist stark gestiegen. Gleichzeitig sind die Staatseinnahmen aufgrund der kriegsbedingten Wirtschaftskrise dramatisch eingebrochen und die Ausgaben für die Landesverteidigung haben sich vervielfacht. Dadurch gibt es ein hohes Haushaltdefizit, das die Finanzierung sozialer Programme erschwert. Hinzu kommt eine demografische Krise, die den Druck auf das Sozialsystem erhöht und durch die Massenmigration noch verschärft wird. Das Sozialsystem muss dringend auf diese Lage reagieren und reformiert werden. Gleichzeitig stellen tiefgreifende Reformen vor dem Hintergrund des andauernden Krieges eine besondere Herausforderung dar.

Einleitung

Der großflächige russische Angriffskrieg seit Februar 2022 hat gravierende Folgen für die ukrainische Bevölkerung: Laut Angaben von OCHA (Externer Link: https://reports.unocha.org/en/country/ukraine/) brauchen 17,7 Millionen Menschen externe Hilfe für Schutz, Unterkunft und Ernährung. Etwa 11,1 Millionen Menschen innerhalb des Landes sind von Ernährungsunsicherheit betroffen. Der OECD zufolge (Externer Link: https://www.oecd.org/ukraine-hub/policy-responses/social-policies-for-an-inclusive-recovery-in-ukraine-506fcefb/) leben rund 80 Prozent der alleinstehenden älteren Ukrainer:innen, zumeist Frauen, unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. 90 Prozent der Rentner:innen sind nicht einmal in der Lage, für die grundlegenden medizinischen Bedürfnisse aufzukommen, obwohl sie oft mehrere chronische Krankheiten haben. Darüber hinaus verschlechtert der Krieg die Beschäftigungssituation von Frauen, sodass sie in den informellen Sektor gedrängt werden, wodurch ihr Armutsrisiko steigt.

Der dramatisch gestiegene Bedarf an sozialer Unterstützung, stark gestiegene Verteidigungsausgaben und die hohe Inflation bedrohen die Fähigkeit des ukrainischen Staates, seinen Verpflichtungen zum sozialen Schutz der eigenen Bevölkerung nachzukommen. Das Haushaltsdefizit lag 2022 umgerechnet bei 39 Mrd. US-Dollar und beträgt im laufenden Jahr ähnlich viel. Seit Beginn der Invasion wurden der Ukraine laut IWF-Schätzung (Externer Link: https://www.german-economic-team.com/newsletter/ein-neues-iwf-programm-fuer-die-ukraine/) 115 Mrd. US-Dollar zur finanziellen Stützung des Staatshaushalts zugesagt. Um die kriegsbedingte soziale Krise in den Griff zu bekommen, wird aktuell die Reformierung des Sozialsystems diskutiert. Die Reformvorhaben, die unter anderem von internationalen Kreditgebern, auf die das Land mehr denn je angewiesen ist, gefordert werden, bergen jedoch die Gefahr, dass der Staat sich weiter aus dem Bereich der Sozialfürsorge zurückzieht, was die Lage der Bevölkerung noch vulnerabler und prekärer machen könnte.

Reformbedarf

Das Sozialschutzsystem in der Ukraine umfasst ein breites Spektrum an Sozialhilfen, Versicherungen, Leistungen, Subventionen und Ansprüchen. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) (Externer Link: https://www.socialprotection.org/gimi/ShowCountryProfile.action?iso=UA) profitieren 73 Prozent der Bevölkerung, insbesondere ältere Menschen, Behinderte, kinderreiche Familien, Kriegsopfer und Veteranen, direkt oder indirekt von mindestens einem Sozialschutzprogramm.

Als Reaktion auf die humanitäre Krise nach Beginn der russischen Aggression im Jahr 2014 (als es infolge der Annexion der Krim und den Kämpfen im Donbas zu einer ersten großen Flüchtlingswelle kam), sowie im Zuge der COVID-19-Pandemie und schließlich dem enorm gestiegenen humanitären Bedarf infolge der großangelegten russischen Invasion hat das ukrainische Ministerium für Sozialpolitik die nationalen Sozialschutzprogramme in den letzten Jahren ausgebaut. Dabei hat der wachsende Bedarf den Abdeckungsgrad und die Angemessenheit der Sozialleistungen schon vor Beginn der russischen Invasion 2022 überstiegen. Und seit dem Februar 2022 ist die Zahl der Menschen, die soziale Unterstützung benötigen, noch einmal drastisch gestiegen.

Die Reform des Sozialsystems in der Ukraine wird im Grunde seit der Unabhängigkeit 1991 diskutiert, denn das aus der Sowjetunion übernommene breite Netz von Sozialleistungen war im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) immer unverhältnismäßig groß. So gab die Ukraine bereits vor der russischen Invasion einen wesentlich höheren Anteil des BIPs für Sozialleistungen aus als andere Länder der Region. 2021 wurden zum Beispiel 9,5 Prozent des BIP nur für die Altersversorgung ausgegeben. Zum Vergleich: in Litauen, Lettland und Estland waren es zwischen 6,4 und 6,8 Prozent (Externer Link: https://data.oecd.org/socialexp/pension-spending.htm).

Im Jahr 2022 wurde der Löwenanteil des ukrainischen Haushalts für die Verteidigung ausgegeben – 42 Prozent. Das ist neunmal mehr, als das Land vor der russischen Invasion für die Verteidigung ausgab. Die Sozialausgaben stehen nach der Verteidigung an zweiter Stelle im Staatshaushalt. Im Vergleich zu 2021 sind die Sozialausgaben von 23 Prozent auf 16 Prozent des Staatshaushalts gesunken..

Angesichts des erhöhten Drucks auf das Sozialsystem als Folge der russischen Invasion wurden die Diskussionen über eine Reform des Systems im Land intensiviert. Aber auch das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine verpflichtet das Land, die Rechtsvorschriften in den Bereichen Beschäftigung, Sozialpolitik und Chancengleichheit an EU-Richtlinien anzugleichen. Ein im Februar 2023 von der EU-Kommission veröffentlichter Analysebericht (Externer Link: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_123) erwähnt mehrere Defizite in der ukrainischen Gesetzgebung und resümiert: "Ukraine is at an early stage of preparation in the field of social policy and employment."

Im April 2022 begann der Rada-Ausschuss für Sozialpolitik und den Schutz der Rechte von Veteranen mit der Ausarbeitung einer Reform des Sozialgesetzbuches. Auf der Website (Externer Link: https://www.rada.gov.ua/news/razom/224746.html) der Werchowna Rada hieß es dazu: "Die Gesetzgebungspraxis der zivilisierten Länder zeigt, dass die Sozialpolitik der Staaten unter Berücksichtigung ihrer finanziellen Möglichkeiten und der Zustimmung der Gesellschaften zur Finanzierung bestimmter Bevölkerungsgruppen entwickelt werden sollte." Diese Formulierung lässt darauf schließen, dass der Staat seine Funktion im Bereich der sozialen Absicherung vermutlich einschränken will. Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits 2022 unternommen.

Einschnitte bei der Sozialversicherung

Im September 2022 hat die Werchowna Rada die Auflösung des Sozialversicherungsfonds und seine Zusammenlegung mit dem Rentenfonds der Ukraine verabschiedet. Der Sozialversicherungsfonds war ein gemeinsamer Topf, der zu gleichen Teilen von Vertreter:innen des Staates, der Arbeitgeber:innen und der Gewerkschaften geleitet wurde.

Der Sozialversicherungsfonds leistete Unterstützungszahlungen an Bürger:innen, die aufgrund von Krankheit, Mutterschaftsurlaub, Behinderung, Arbeitsunfällen oder anderen Umständen vorübergehend nicht arbeiten konnten. Er bot auch medizinische und soziale Dienstleistungen für diejenigen, die Sozialbeiträge zahlten, sei es über ihre Arbeitgeber:innen oder als Selbstständige. Die Einnahmen des Fonds waren nicht Teil des ukrainischen Staatshaushalts, sondern wurden über Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber:innen finanziert.

Im Jahr 2021 beantragten mehr als drei Millionen Ukrainer:innen Leistungen beim Sozialversicherungsfonds, das sind eine halbe Million mehr Menschen als im Jahr 2020. Rund 16 Mrd. Hrywnja wurden in diesem Jahr an Krankengeld ausgegezahlt.

Allerdings haben durch die Coronavirus-Pandemie verursachte Unternehmenspleiten und Arbeitsplatzverluste zu einem drastischen Rückgang der Sozialbeiträge geführt. Nach Angaben der staatlichen Pflichtsozialversicherung ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten von 12,8 Millionen im Januar 2020 auf 10,7 Millionen im September 2022 gesunken. Nur 36 Prozent der Personen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) zahlten im Jahr 2021 tatsächlich Beiträge.

Die Senkung des einheitlichen Sozialsteuersatzes um fast die Hälfte von 38 auf 22 Prozent im Jahr 2015 sowie die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie bescherten dem Fonds in den letzten Jahren ein riesiges Defizit. Am 1. September 2021 beliefen sich die Schulden des Fonds für die Auszahlung von Leistungen an die Versicherten auf rund 2 Mrd. Hrywnja und haben sich seit 2019 fast verdoppelt. Im Dezember 2021 wies die Regierung dem Sozialversicherungsfonds der Ukraine 1,75 Mrd. Hrywnja zu, um die Schulden der Versicherten zu begleichen.

Das Defizit der Fondsmittel und die Einsparungen von Verwaltungskosten waren die Hauptargumente der Befürworter:innen der Zusammenlegung mit dem Rentenfonds. Zusätzlich führen die Unterstützer:innen dieser Reform an, dass die Ukraine angesichts der Zerstörung der Wirtschaft durch die russische Invasion ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Bürger:innen reduzieren muss. Sie argumentieren, dass private Versicherer die Rolle der staatlichen Wohlfahrt übernehmen könnten.

Abgeordnete der Opposition und Gewerkschaften haben sich gegen die Zusammenlegung ausgesprochen und sind der Ansicht, sie verstoße gegen bewährte Praxis in der Europäischen Union, wo Renten- und Sozialversicherung von verschiedenen Einrichtungen getragen werden. Sie zweifeln an, dass Verwaltungskosten dadurch abnehmen würden, weil die Zahl der Personen, die in Kriegszeiten Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen, weiter steigen wird, was zunehmenden Verwaltungsaufwand bedeutet. Die ukrainischen Gewerkschaften sind außerdem besorgt, dass das Gesetz den Weg für die Einführung privater Versicherungsfonds zur Gewährung von Leistungen bei Krankheit oder Unfällen am Arbeitsplatz ebnet. Diese sind, im Gegensatz zum staatlichen Sozialversicherungsfonds, nicht rechenschaftspflichtig, haben keine Vertreter:innen von Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeber:innen und sind letztlich profit- und nicht gemeinwohlorientiert.

Die demografische Krise birgt weitere Risiken

Eine andere, in der Ukraine seit langem diskutierte Reform ist die Reorganisation des Rentensystems. Die demografische Krise in der Ukraine setzte bereits Ende des 20. Jahrhunderts ein und wird durch den Krieg noch verschärft. Laut dem Staatlichen Statistikamt der Ukraine (Externer Link: http://db.ukrcensus.gov.ua/PXWEB2007/ukr/publ_new1/2021/zb_rpn21_ue.pdf) lag 2021 der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (16–59) bei 59,5 Prozent, während der Anteil älterer Menschen (60+) bei 24,4 Prozent lag. Das bedeutet ein Verhältnis zwischen älteren Menschen und Menschen im erwerbsfähigen Alter von über 40 Prozent, was höher ist als in den meisten OECD-Ländern.

Aufgrund der Alterung der Bevölkerung steigt die Zahl der Menschen im Rentenalter. Die Geburtenrate geht gleichzeitig seit Jahren zurück. Bereits nach der Unabhängigkeit sank sie dramatisch und fiel 2014 auf 1,46 Kinder pro Frau. Bis 2019 ging die Rate weiter zurück auf 1,14 Geburten pro Frau, wodurch die Ukraine mit die niedrigste Geburtenrate in Europa aufweist (zum Vergleich: in Deutschland liegt der Wert aktuell bei 1,53). Der Krieg verschärft die Situation, da Menschen in Konfliktsituationen aufgrund der Ungewissheit über die Zukunft und der schwierigen Lebensbedingungen im Krieg beschließen, das Kinderkriegen aufzuschieben.

Darüber hinaus führen die Kriegshandlungen zu hohen Verlusten bei Militär und Zivilbevölkerung, wodurch die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter noch weiter sinkt. Aufgrund der gezielten Bombardierung von ukrainischen Wohngebieten durch Russland, der Verminung großer Bereiche des Landes und der Verletzungen des militärischen Personals hat die Zahl der Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen in der Ukraine stark zugenommen. Seit Februar 2022 haben fast 84.000 Menschen staatliche Hilfen für ihre Rehabilitation beantragt. Mehr als 18.000 Betroffene erhalten Prothesen und Orthesen.

Millionen Menschen, vor allem Mütter mit Kindern, sahen sich gezwungen, aus der Ukraine zu fliehen und in anderen Ländern Schutz zu suchen. Sollten die Grenzen für Männer geöffnet werden, schließen sich möglicherweise viele ihren Familien im Ausland an – Rückkehr ungewiss. Viele ältere Menschen hingegen können oder wollen ihre Heimat nicht verlassen und bleiben daher oft in der Ukraine.

Diese demografischen Entwicklungen führen dazu, dass die Zahl derjenigen, die in die Sozialkassen einzahlen, sinkt, während gleichzeitig mehr und mehr Menschen in der Ukraine auf Renten angewiesen sind. Im Jahr 2023 werden 232,9 Mrd. Hrywnja zur Deckung des Defizits des Pensionsfonds bereitgestellt, was fast 10 Prozent der gesamten Staatsausgaben entspricht.

Reform des Rentensystems

Das umlagefinanzierte Rentensystem in der Ukraine funktioniert nur, solange stetig genügend neue Beitragszahler:innen hinzukommen. Die beschriebene demografische Krise führt zu einer sinkenden Lahl von beitragszahlenden Beschäftigten und einer steigenden Zahl von Rentner:innen und anderen Empfänger:innen sozialer Leistungen, was zu einer schweren Belastung für den Staat wird.

Der Reformprozess des Rentensystems startete schon vor 20 Jahren, als die Ukraine im Juli 2003 ein Gesetz über die obligatorische staatliche Rentenversicherung verabschiedete. Dieses Dokument markierte den Beginn einer langen – und erfolglosen – Geschichte der Rentenreform, nämlich die der Einführung obligatorischer kapitalgedeckter Rentenkonten.

Das ukrainische Rentensystem besteht laut dem Gesetz aus drei Säulen:

  1. Die erste Säule ist umlagefinanziert. Die Rentner:innen erhalten Zahlungen, die aus den Beiträgen der Erwerbstätigen stammen.

  2. Die zweite Säule ist kapitalgedeckt: Alle Ukrainer:innen verfügen über ihr eigenes kapitalgedecktes Rentenkonto, auf das sie Pflichtbeiträge aus ihrem Einkommen einzahlen müssen. Diese Mittel werden investiert und vermehrt.

  3. Die dritte Säule ist freiwillig: Sie sieht die Eröffnung zusätzlicher Sparkonten bei privaten Rentenfonds vor, mithilfe derer die Menschen nach eigenem Ermessen für ihr Alter sparen können.

Derzeit gibt es im ukrainischen Rentensystem die erste und die dritte Säule. Die Einführung der zweiten Säule mit obligatorischen kapitalgedeckten Rentenfonds steht noch aus.

Im Laufe der letzten Jahre hat der Staat erfolglos mehrere Versuche unternommen, eine kapitalgedeckte Altersversorgung einzuführen. Ende 2021 wurde die Rentenreform erneut diskutiert. Angesichts der großangelegten russischen Invasion verschwand das Thema dann zunächst wieder aus der öffentlichen Debatte, bis der entsprechende Gesetzesentwurf Anfang November 2022 wieder auf die Tagesordnung des Parlaments kam.

Ende März 2023 verpflichteten sich die ukrainischen Behörden in einer Absichtserklärung, im Gegenzug für Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) das Renten- und Sozialversicherungssystems zu reformieren (woraufhin der IWF eine vierjährige erweiterte Fondsfazilität in Höhe von 15,6 Mrd. USD für die Ukraine genehmigte). Der IWF, der bereits vor der Invasion zu den wichtigsten Kreditgebern der Ukraine gehörte, fordert seit langem eine Reform des Rentensystems. Nun, da die durch die russische Invasion verursachten Ausgaben des Staatshaushalts drastisch gestiegen sind und das Land mehr denn je auf internationale Finanzhilfen angewiesen ist, wird es für den IWF leichter sein, seine Forderungen durchzubekommen.

Obwohl die Notwendigkeit zur Reformierung des ukrainischen Rentensystems offensichtlich ist, bezweifeln viele Expert:innen die positiven Effekte von obligatorischen kapitalgedeckten Rentenkontos in einem Land, das sich im Krieg befindet. Ein solches Projekt würde zudem erhebliche Ressourcen erfordern, die der ukrainische Staatshaushalt gerade nicht hat. Die obligatorische kapitalgedeckte Altersvorsorge wird von vielen als ein Instrument für langfristige Investitionen in die inländische Wirtschaft angesehen. Krieg und Inflation erschweren Investitionen, ohne die es wiederum unmöglich ist, die Wirksamkeit der kapitalgedeckten Renten zu gewährleisten.

Die ILO weist zudem auf die Gefahren eines solchen Systems hin. Nach ILO-Schätzungen zeigt die internationale Erfahrung, dass Rentensysteme, die auf individuellen Ersparnissen beruhen, wie z. B. ergänzenden Programmen und persönlichen Einlagen, viele makroökonomische, finanzielle und demografische Risiken für die Bürger:innen bergen und in Krisenzeiten nicht in der Lage sind, soziale Sicherheit zu gewährleisten. Solange der Krieg andauert, würde der Rückzug des Staates aus dem Rentenversicherungssystem die vulnerable Bevölkerungsschicht der Rentner:innen, die bereits schwer vom Krieg gebeutelt ist, mit am härtesten treffen.

Fazit

Das ukrainische Sozialsystem steht aufgrund des russischen Krieges gegen die Ukraine vor enormen Herausforderungen. Gegenwärtig ist es sehr schwer zu prognostizieren, wie sich die demografische, wirtschaftliche und finanzielle Situation des Landes weiterentwickelt und wie sie nach Kriegsende aussehen wird. Die Notwendigkeit von Reformen in der Sozialpolitik ist unbestritten, aber in Zeiten des Krieges bergen diese viele Risiken. Erstens stellt die Unvorhersehbarkeit des Krieges den Erfolg der Umsetzung der Reformen in Frage und macht ihre Folgen schwer abschätzbar. Zweitens kann die finanzielle Abhängigkeit der Ukraine von ihren Gläubigern die Regierung dazu bringen, Reformen durchzuführen, die vom Westen bevorzugt werden, aber nicht unbedingt der ukrainischen Bevölkerung zugute kommen bzw. auf spezifische Gegebenheiten in der Ukraine eingehen. Und drittens ist es für die ukrainische Zivilgesellschaft aufgrund des Kriegsrechts und anderer Auswirkungen des Krieges sehr schwierig, den Reformprozess mitzugestalten, wie es in den Jahren vor der großangelegten russischen Invasion oft der Fall war. Trotz des finanziellen und externen Drucks sollte der ukrainische Staat seine Rolle im Sozialsystem nicht genau in der Zeit mindern, in der die Bürger:innen am meisten auf das staatliche Sozialsystem angewiesen sind.

Fussnoten

Weitere Inhalte

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und promoviert zur ukrainischen Sozialpolitik. Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Teilprojekts B06 des SFB 1342 "Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik", der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert wird.