Demokratische Wahlen sind eine der Säulen, die die Ukraine vor dem Verlust ihrer Souveränität schützt. Wenn ukrainische Politiker nicht wie frei gewählte Vertreter, sondern wie autoritäre Führer denken würden, würden sie ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung handeln. Wären die letzten nationalen Wahlen 2019 in der Ukraine nicht von allen als fair und frei anerkannt worden, wäre die Legitimität der Regierung des Landes im Krieg in Frage gestellt worden. Dass derzeit keine Wahlen abgehalten werden können, ist einzig und allein eine Folge der russischen Aggression und der Unmöglichkeit, die Sicherheit des Wahlprozesses und die Einbeziehung der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung zu gewährleisten.
Damit Wahlen ordnungsgemäß abgehalten werden können, müssen demokratische Bedingungen geschaffen werden. Dazu gehören: freie Arbeit der Medien, die Möglichkeit einer aktiven Kommunikation zwischen politischen Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Bevölkerung, die freie Sammlung und Verbreitung von Informationen, die Aufhebung von Beschränkungen der Freizügigkeit und die Gewährleistung des politischen Wettbewerbs.
Für den Übergang von den rechtlichen Regelungen des Kriegszustands zum Wahlkampf wird zusätzliche Zeit benötigt, denn bei freien Wahlen geht es nicht nur um den Wahltag, sondern auch um Meinungsvielfalt und den Wettbewerb der Ideen über den Entwicklungsweg des Landes. Es liegt auf der Hand, dass es unmöglich ist, diese Rechte während des Kriegszustands zu gewährleisten, und die Durchführung von Wahlen ohne dauerhaften Frieden könnte verheerende Folgen für die Ukraine als Staat haben.
Mehr als drei Jahre russischer Aggression gegen die Ukraine zeigen, dass das Hauptziel des Kremls darin besteht, die ukrainische Staatlichkeit zu liquidieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist Russland bereit, alle erforderlichen Mittel einzusetzen: militärische Operationen, Beschuss ziviler Ziele und der Energieinfrastruktur sowie natürlich Propaganda. Eine der zentralen Aufgaben der russischen Aktionen ist es, die internationale Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass es in der Ukraine keine legitime Regierung gibt. Diese Rhetorik soll die innere Stabilität der Ukraine untergraben, das Vertrauen in die demokratische Legitimation der ukrainischen Staatsführung zerstören und dadurch die wirtschaftliche und militärische Hilfe der Partnerländer deutlich verringern. Auf diese Weise versucht der Kreml, sein seit langem bestehendes, viel umfassenderes Narrativ zu legitimieren, dass es keine Ukraine und keine Ukrainer gibt und dass es sie nie gegeben hat.
Einen besonderen Platz in dieser Kampagne hat die aufgezwungene Diskussion über die Durchführung von Wahlen in der Ukraine während des Krieges und ohne nachhaltigen Frieden. Zu diesem Zweck werden verschiedene Argumente angeführt, die der Sicherheitslage, der aktuellen Gesetzgebung oder der öffentlichen Meinung in der Ukraine nicht entsprechen. Die jüngsten Äußerungen Wladimir Putins über die Notwendigkeit, eine internationale Übergangsverwaltung in der Ukraine einzusetzen und unter deren Schirmherrschaft Wahlen abzuhalten, zeigen dies einmal mehr: Russland akzeptiert keine vom ukrainischen Volk gewählte Regierung in der Ukraine, außer derjenigen, die es selbst ernennt.
Gemäß der ukrainischen Verfassung und Gesetzgebung ist die Abhaltung von Wahlen während des Kriegsrechts verboten, und die Regierung übt ihre Befugnisse während dieser Zeit weiterhin rechtmäßig und ohne Unterbrechung aus. Dementsprechend hat sich die Mehrheit der Ukrainer während des gesamten Zeitraums der großflächigen russischen Invasion durchgehend dafür ausgesprochen, während des Kriegsrechts keine Wahlen abzuhalten. Nach den Umfrageergebnissen des Soziologischen Zentrums "Socis" sprachen sich im Februar 2025 63 Prozent der Befragten gegen die Durchführung von Wahlen vor Ende des Krieges aus (siehe Umfragen ab S. 11). Eine deutliche Mehrheit gegen die Idee, während des Krieges Wahlen abzuhalten, besteht seit 2022. Die Logik der Bürger ist einfach: Solange die tapferen Ukrainer kämpfen, kann es keine Wahlen ohne ihre uneingeschränkte Beteiligung geben; solange die Verteidigung der Ukraine eine zentrale Aufgabe des Staates ist, wird der politische Kampf die Umsetzung dieser Aufgabe erheblich erschweren; freie Wahlen können angesichts der täglichen Bedrohungen in jedem Winkel des Landes und ohne Sicherheitsgarantien nicht stattfinden.
Die wichtigste Herausforderung ist die Sicherheitsbedrohung, die weder für die Ukraine als Ganzes noch für die Wahlen verschwinden wird – weder jetzt noch nach einem vorübergehenden Waffenstillstand an der Front, in der Luft und auf See. Die Organisation von Nachkriegswahlen in der Ukraine, selbst auf lange Sicht, wird komplexe Vorbereitungen sowie zusätzliche gesetzliche Regelungen erfordern, die weitgehend beispiellos sind – zumindest seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Allein seit Anfang 2025 hat Russland mehr als 220 Raketen verschiedener Typen und fast 11.000 Drohnen auf die Ukraine abgefeuert. In der Nacht zum 1. April 2025 hat Russland zum ersten Mal seit langem keinen massiven Kamikaze-Drohnenangriff durchgeführt. Einige Tage später wurden jedoch bei einem weiteren Angriff in der Ukraine 20 Menschen (darunter 9 Kinder) getötet und 75 weitere verletzt. Am Abend des 4. April feuerten russische Truppen eine ballistische Rakete vom Typ Iskander-M ab, die in der Nähe eines Spielplatzes und eines Parks im Zentrum eines Wohnviertels in Krywyj Rih einschlug. Am 13. April tötete eine russische Rakete mit Streumunition mitten am Tag in der Stadt Sumy 34 Menschen und verletzte 99.
Massive Drohnen- und Raketenangriffe verursachen zahlreiche Zerstörungen und zivile Opfer und werden von Tausenden von Luftalarmen begleitet, die die Aktivitäten von Menschen und Institutionen sowie den Verkehr lahmlegen. Seit Anfang 2025 wurden auf regionaler Ebene in der gesamten Ukraine mehr als 5.000 Luftalarme registriert. So wurden beispielsweise seit Jahresbeginn 26 Luftangriffe in der Region Lwiw, 159 in der Stadt Kyjiw und 557 in der Region Charkiw registriert. Am 19. Januar 2025 dauerte einer der Luftangriffe in der Region Sumy mehr als 19 Stunden.
Obwohl die Sicherheitslage in verschiedenen Teilen der Ukraine unterschiedlich ist, gibt es keine absolut sicheren Regionen. Die Durchführung von Wahlen in einem Umfeld, in dem Kandidaten und Wähler von Raketen und Drohnen angegriffen werden können, verstößt gegen die Grundsätze der Menschenrechte. Dementsprechend ist es unmöglich, den Wahlprozess während der aktiven Phase des Krieges zu organisieren. Und selbst bei einem vorübergehenden Waffenstillstand wird Russland weiterhin Terroranschläge verüben. Schon jetzt nutzen russische Spezialdienste die Plattform Telegram, um Personen, oft Jugendliche auf der Suche nach schnellem Geld, für Terroranschläge im ganzen Land zu rekrutieren. Agenten des russischen Auslandsgeheimdienstes GRU zeigen Saboteuren, wie man eine Bombe baut oder wo sie eine Kuriertasche mit unbekanntem Inhalt hinbringen sollen, um Rekruten per Fernsteuerung in die Luft zu sprengen. Leider können sich bei Wahlen solche Ereignisse in noch größerem Maßstab im ganzen Land abspielen – in der Nähe jedes Wahllokals.
Darüber hinaus erfordert die Organisation von Nachkriegswahlen die Entwicklung klarer Regeln und die Schaffung zusätzlicher Infrastruktur. Es werden Anweisungen benötigt, was zu tun ist im Falle eines Luftangriffs, bei Meldungen über verminte oder beschossene Wahllokale – durch Drohnen, Raketen oder Artillerie – oder im Falle von Wählern, die illegale Handlungen unter Verwendung von Waffen begehen, die sich in großer Zahl bei der Bevölkerung finden.
Der erste Schritt auf dem Weg zu Wahlen
Die Organisation von Wahlen ist ohne eine grundlegende Sicherheitsüberprüfung des Gebiets aller ukrainischen Wahlkreise nicht möglich. Eine vorläufige Sicherheitsbewertung und ein Maßnahmenpaket, das sicherstellt, dass möglichst viele Gebiete über einen individuellen Vorbereitungsplan verfügen, werden alle Teilnehmer am Wahlprozess schützen. Aufgrund der unterschiedlichen Sicherheitslage in den verschiedenen Regionen eines so großen Landes wie der Ukraine sollte die Planung der Maßnahmen individuell und umfassend sein. Die Grundvoraussetzungen für ein angemessenen Sicherheitsniveau nach der Einstellung des Beschusses sind die ununterbrochene Arbeit der Polizei, des Rettungsdienstes, der Feuerwehr und der medizinischen Notdienste sowie das Funktionieren von Einrichtungen im Bereich Wirtschaft, Soziales und Transport: Banken, Verwaltungsdienstleistungen und Postämter sowie Verkehr. Darüber hinaus ist die Ukraine derzeit eines der am stärksten verminten Länder der Welt, so dass sich die Sicherheit der Logistik unmittelbar auf den gesamten Wahlprozess auswirken wird – vom Wahlkampf der Kandidaten bis hin zur sicheren Lieferung der Stimmzettel an die Wahllokale.
Die Frage einer ausreichenden Anzahl von Bunkern in der Nähe der Wahllokale, insbesondere in Gemeinden an der Front, oder die Eröffnung von Wahllokalen direkt in Luftschutzbunkern, insbesondere in Gemeinden in der Nähe der Grenze zu Russland oder der Frontlinie, bleibt wichtig. Sicherheitsbedrohungen können sowohl den Wahlkampf als auch die tatsächliche Wahlbeteiligung in den Wahllokalen beeinträchtigen.
Erneuerung der Infrastruktur für die Durchführung von Wahlen
Die Verfügbarkeit von Infrastrukturen für die Organisation von Wahlen und die Arbeit von Wahlkommissionen auf den verschiedenen Verwaltungsebenen ist ebenfalls eine Herausforderung. Während der großangelegten russischen Invasion erlitt die Ukraine enorme Zerstörungen – Dutzende von Dörfern und Städten wurden vollständig zerstört und verlassen. Sie haben buchstäblich aufgehört zu existieren, ebenso wie Tausende von Einrichtungen, von der Energieversorgung bis hin zu sozialen und kulturellen Einrichtungen, in denen sich bei der letzten Wahl viele Wahllokale befanden.
Seit dem Ausbruch des Krieges wurden 365 Bildungseinrichtungen, 301 medizinische Einrichtungen und mehr als 400 kulturelle Einrichtungen vollständig zerstört und Tausende weitere Gebäude beschädigt. Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission, die vom zivilen Netzwerk OPORA zusammengetragen wurden, sind 77 Prozent aller dauerhaft eingerichteten Wahllokale in der Ukraine für die Durchführung der Wahlen bereit (d. h. 25.655 von 33.237). Bis März 2025 wurden 466 Wahllokale zerstört und 1.307 beschädigt. Aufgrund der russischen Besatzung bzw. andauernder Kämpfe liegen der Zentralen Wahlkommission außerdem keine Informationen über den Zustand von 5.809 Wahllokalen vor.
Das größte Ausmaß an Zerstörung ist in den Regionen nahe der Frontlinie zu verzeichnen, so dass der Zustand der Wahlinfrastruktur in einigen Regionen kritisch ist. So kann in der Region Cherson nur in 6,3 Prozent der Wahllokale gewählt werden, in der Region Donezk sind 8,5 Prozent der Räumlichkeiten dafür geeignet, in der Region Saporischschja sind es 35 Prozent und in der Region Charkiw 67 Prozent.
Um die Willensbekundung der Wähler dennoch zu organisieren, kann ein zerstörtes Gebäude wiederhergestellt oder der Standort des Wahllokals an einen geeigneteren Ort verlegt werden. In einigen Siedlungen gibt es jedoch möglicherweise keine vollständig intakten Gebäude. Die Räumlichkeiten sollten auch mit Internetzugang, unterbrechungsfreier Stromversorgung, Mobiliar, Wahlurnen und zumindest minimalen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen ausgestattet sein.
Eine weitere Möglichkeit ist die Umstrukturierung der Wahllokale. Einige Wahllokale könnten geschlossen werden und die Wahlberechtigten benachbarten Wahllokalen zugeordnet werden. Diese Option erscheint angesichts der millionenfachen Binnen- und Außenmigration der Bevölkerung und der Veränderungen der Wählerzahlen auf regionaler Ebene wahrscheinlich, erfordert aber gute Planung und Zeit.
Die Zentrale Wahlkommission hat bereits im Herbst 2022 einen Beschluss über die Möglichkeit der Organisation und Durchführung von Wahlen in temporären Strukturen, wie Militärzelten, Pavillons und anderen leichten Einrichtungen gefasst. Die Herausforderungen bei der Organisation solcher Wahlen sind die Lieferung und Installation der Einrichtungen selbst, die Information der Wähler über den Standort solcher Wahllokale und möglicherweise das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Stimmabgabe in solchen Räumlichkeiten.
Schließlich sollten vor jeder Änderung der Wahlinfrastruktur die Daten im staatlichen Wählerregister aktualisiert werden, insbesondere durch aktive Registrierung, wenn die Bürger offiziell ihren neuen Wohnort und ihren Wunsch, an einer neuen Wahladresse zu wählen, erklären.
Die Migration und die Herausforderung der globalisierten Wahlen
Eine proaktive Registrierung kann den ukrainischen Wahlberechtigten im Ausland helfen, an den Wahlen in der Ukraine teil zu nehmen. So sind derzeit nur etwa 400.000 Ukrainer offiziell in den Konsulaten registriert. Nach Schätzungen des zivilen Netzwerks OPORA, die sich auf Daten des Außenministeriums, des staatlichen Grenzschutzdienstes der Ukraine, des UNHCR (Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen) und von Mobilfunkbetreibern stützen, dürften sich im März 2025 aber etwa 4–6 Millionen ukrainische Bürger im Ausland aufgehalten haben.
Natürlich sind nicht alle von ihnen wahlberechtigt, aber es ist bereits klar, dass die etwas mehr als 100 Wahllokale, die bisher im Ausland für die Stimmabgabe bei nationalen Wahlen eröffnet wurden, für eine so große Zahl nicht ausreichen werden. So sind beispielsweise in Deutschland und Polen, mit jeweils mehr als einer Millionen ukrainischen Staatsbürgern, derzeit nur 5 Wahllokale pro Land geplant, in der Tschechischen Republik sogar nur 2 (für etwa 400.000 Ukrainer). In Ländern wie Irland oder den Niederlanden mit mehr als 100.000 ukrainischen Flüchtlingen, gibt es nur ein einziges Wahllokal auf dem Botschaftsgelände.
Es ist bereits jetzt notwendig, die Möglichkeit zu prüfen, Hunderte von zusätzlichen Wahllokalen im Ausland einzurichten, nach potenziellen Räumlichkeiten zu suchen, neue Regeln zu entwickeln und mit den Gaststaaten zu verhandeln, da in einigen die Einrichtung ausländischer Wahllokale außerhalb diplomatischer Vertretungen verboten ist.
Eine Alternative könnte die Briefwahl sein, die zum Beispiel in Deutschland aktiv genutzt wird, in der Ukraine aber bisher noch nicht existiert. Ihre Einführung würde den Aufbau der entsprechenden organisatorischen Grundlagen sowie die Schaffung von Vertrauen bei der Bevölkerung erfordern. Laut einer im Jahr 2023 durchgeführten Umfrage unter ukrainischen Wahlberechtigten im Ausland genießt die Briefwahl das geringste Vertrauen unter allen Formen der Stimmabgabe: nur 8 Prozent haben volles Vertrauen, 40 Prozent vertrauen ihr etwas.
Eine weitere Option – die elektronische Stimmabgabe – wird derzeit nicht in Betracht gezogen, da sie mit erheblichen Risiken verbunden ist: die Möglichkeit russischer Einmischung, die Diskreditierung der Ergebnisse durch Propaganda, die Notwendigkeit, grundlegend neue technische Lösungen zu entwickeln, für die es in anderen Ländern keine Entsprechungen gibt. In jedem Fall erfordert die elektronische Stimmabgabe Vorbereitungen und Tests und kann nicht bei den ersten Nachkriegswahlen als Experiment eingeführt werden.
Eine weitere Möglichkeit, um sicherzustellen, dass Millionen Wahlberechtigte im Ausland wählen können, besteht darin, die Dauer der Stimmabgabe auf mehrere Tage zu verlängern. In diesem Fall müssen insbesondere zusätzliche Regeln entwickelt werden, um die Sicherheit und den Transport der Stimmzettel zu gewährleisten, da die Auszählung der Stimmzettel vor dem Ende der Stimmabgabe einen Verstoß bei den Wahlen bedeuten könnte.
Militärangehörige bei den Wahlen
Anfang 2025 dienten in der ukrainischen Armee nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj 880.000 Personen.
In Friedenszeiten oder relativ friedlichen Zeiten ist es natürlich möglich (wenn auch schwierig), spezielle Wahllokale an den ständigen oder vorübergehenden Standorten von Militäreinheiten und anderen Verbänden einzurichten. In Kriegszeiten können solche Wahllokale jedoch zur Zielscheibe für den Feind werden.
Die Frage der Wahlbeteiligung von Armeeangehörigen, die direkt an der Front tätig sind, bleibt äußerst schwierig. Selbst bei einem Waffenstillstand werden Hunderttausende weiterhin ihre Aufgaben an der Front oder an der Demarkationslinie wahrnehmen, auch am Wahltag. Ein möglicher Ausweg aus dieser Situation wäre die Verlängerung der Wahlzeit in Wahllokalen für Militärangehörige.
Bei Wahlen geht es nicht nur um die direkte Teilnahme an Abstimmungen, sondern auch um das Recht, selber in politische Ämter gewählt zu werden. Die Kandidatur für ein politisches Amt ist jedoch keine Grundlage für die Demobilisierung, d. h. die Entlassung aus dem Militärdienst. Da die Demobilisierung außerdem ein langwieriger Prozess ist, sollte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, denjenigen Militärangehörigen Urlaub zu gewähren, die in politische Ämter gewählt werden.
Sondergesetz über die ersten Nachkriegswahlen
Die Abhaltung der ersten Nachkriegswahlen, selbst in ferner Zukunft, erfordert eine frühzeitige Vorbereitung und rechtliche Regelung. Unserer Meinung nach bedeutet der Beginn der Arbeit an Rahmenbedingungen für Wahlen nicht den Beginn des Wahlkampfes, sondern zeigt vielmehr den Wert der Demokratie für die beteiligten Parteien. Einige Politiker und wahrscheinlich auch ein Teil der ukrainischen Gesellschaft, die den Umfang und die Komplexität der Vorbereitungen für die Nachkriegswahlen unterschätzen, könnten den Beginn der Arbeit an den entsprechenden Rechtsvorschriften als den Beginn der "Wahlsaison" ansehen. Eine solche Haltung behindert ernsthaft die frühzeitige Vorbereitung der Nachkriegswahlen und birgt das Risiko einer Nichtbeteiligung von Wahlberechtigten im Ausland.
Was den gesetzlichen Rahmen betrifft, so ist es derzeit möglich, das geltende Wahlgesetz zu ändern oder sogar ein Sondergesetz zur Durchführung der ersten Nachkriegswahlen auszuarbeiten.
Im Rahmen einer solchen Regelung muss das Gremium bestimmt werden, das über die Abhaltung solcher Wahlen (Präsidentschafts- und Parlamentswahlen) entscheidet. Im Falle von Sonderwahlen könnten diese Befugnisse beispielsweise der Zentralen Wahlkommission übertragen werden, angesichts ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, oder der Werchowna Rada, dem Gremium mit dem repräsentativsten Mandat und vollen Gesetzgebungsbefugnissen. Wichtige Themen sind unter anderem die Dauer des Wahlkampfes und der Wahltermin, das Wahlsystem, die Dauer der Abstimmung, die Wahlmethoden, die Sicherheit.
Weitere Herausforderungen bleiben ungelöst. Insbesondere müssen Ausnahmen von dem Erfordernis eines ständigen Wohnsitzes in der Ukraine (10 Jahre Wohnsitz für Präsidentschaftskandidaten und 5 Jahre Wohnsitz für Parlamentskandidaten) für diejenigen vorgesehen werden, die wegen des Krieges legal ins Ausland gezogen sind und bei den kommenden Wahlen kandidieren wollen.
Es ist auch notwendig, die Übergangszeit für die Vorbereitung von demokratischen Wahlen in den befreiten Gebieten und den Gebieten in der Nähe der Kampfzonen zu regeln. So muss beispielsweise die Möglichkeit geprüft werden, in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten zusätzliche Wahllokale für Wähler aus den vorübergehend besetzten Gebieten zu eröffnen.
Darüber hinaus könnte eine Reihe von Fragen im Zusammenhang mit Wahlen, die aufgrund des Kriegsrechts nicht fristgerecht abgehalten werden konnten, eine Klärung durch das Verfassungsgericht der Ukraine erfordern, da die Verfassung in einer Reihe von Fällen keine Sonderregelung enthält. Dabei geht es insbesondere darum ob, Nachkriegswahlen als reguläre, aber verschobene Wahlen gelten; wann und in welcher Reihenfolge solche Wahlen abgehalten werden sollten und ob solche Abstimmungen mehrere Tage dauern können.
Einmischung Russlands in die Wahlen
Ein erhebliches Risiko für die demokratischen Wahlen in der Ukraine ist die russische Einmischung. Die jüngsten Wahlen in Rumänien, Moldawien und Georgien haben gezeigt, dass der Kreml über ein breites Spektrum an Möglichkeiten und Mitteln für solche Aktivitäten verfügt. Diese können auch in der Ukraine eingesetzt werden. Dazu gehören u. a. Cyberangriffe, physische Einflussnahme, die Verbreitung von Desinformationen und die damit verbundene Spaltung der Gesellschaft, die direkte Bestechung von Wählern, die Diskreditierung von Kandidaten, die für die russischen Behörden "inakzeptabel" sind, und die Finanzierung der Wahlkämpfe von loyalen Politikern.
Russland wird versuchen bestimmte Themen zu dramatisieren, künstliche Konflikte in der ukrainischen Gesellschaft zu schaffen, wohlgesonnene Kandidaten mit Informationen zu unterstützen oder umgekehrt eine aggressive "Schmutzkampagne" (Hetzkampagne) gegen einzelne Politiker oder den Staat als Institution zu führen. Es ist möglich, dass selbst auf der Ebene der russischen Führung Aussagen über "Konsequenzen für die Ukraine" oder eine "Wiederaufnahme der Kämpfe" im Falle der Abstimmung für einen bestimmten Kandidaten oder eine bestimmte Partei gemacht werden.
Der Kreml verfügt weltweit über erhebliche Medienressourcen und kann diese beispielsweise nutzen, um Millionen von Wahlberechtigten zu beeinflussen, die derzeit gezwungen sind, im Ausland zu bleiben. So stellte das US-Justizministerium im September 2024 fest, dass Russia Today 10 Millionen Dollar für die "Erstellung und Verbreitung von Inhalten für ein amerikanisches Publikum mit versteckten Botschaften der russischen Regierung" ausgegeben habe.
Um Propaganda und Desinformation zu bekämpfen, ist es bereits jetzt notwendig, die ukrainische Gesetzgebung im digitalen Bereich an die Anforderungen der Europäischen Union anzupassen und einen gemeinsamen Informationsraum mit der EU zu schaffen. In erster Linie geht es um die EU-Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung, das Gesetz über digitale Dienste (GdD) und das Gesetz über digitale Märkte (GDM).
Die Schattenfinanzierung wird auch bei den nächsten Wahlen eine große Herausforderung darstellen. Da Russland in der Lage ist, Geld auszugeben, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen, wird es seine Politik der Unterstützung prorussischer Kandidaten durch die Finanzierung ihrer Kampagnen fortsetzen. Wie Untersuchungen der Wahlen in Moldawien zeigen, haben allein im September und Oktober 2024 Anhänger der aufgelösten prorussischen Partei ȘOR und Russland 39 Millionen Dollar in das Land überwiesen, um Wähler zu bestechen. Angesichts der erheblichen Verschlechterung der Lebensbedingungen in der Ukraine aufgrund des russischen Angriffskriegs könnte eine solche Einflussnahme gefährlich sein.
Die Ukraine – sowohl als Staat als auch als Gesellschaft – muss sich auf eine russische Einmischung in die nächsten Wahlen vorbereiten, um die Souveränität, Demokratie und Freiheit zu bewahren, die die Ukrainer auf dem Schlachtfeld verteidigen. Dies erfordert ausreichend Zeit, eine unabhängige Risikoprüfung und eine erhebliche Stärkung der Mechanismen zur Bekämpfung illegaler Wahleinmischungen. Die Ukraine darf nicht zulassen, dass der Kreml den Wahlprozess diskreditiert, denn der Preis eines Scheiterns wäre zu hoch.
Freiheit und Demokratie sind für das ukrainische Volk unbestrittene Werte. Die Ukraine hat sich nie geweigert, faire und freie Wahlen abzuhalten, doch ihre Durchführung erfordert Zeit, finanzielle und personelle Ressourcen sowie nachhaltige Friedens- und Sicherheitsgarantien.
Übersetzt aus dem Ukrainischen von Lina Pleines